Lovecraft und der Rassismus

  • Jemand bei Mastodon stellt folgende Frage: „Da muss ich dann aber doch mal fragen, warum ihr euch als "Lovecraft Gesellschaft" bezeichnet und nicht zB als "Gesellschaft der Erforschung des kosmischen Horrors" oder sogar auch "Kult des Cthulhus"?

    Mit dem gewählten Namen identifiziert ihr euch ja explizit mit dem einen, höchst umstrittenen Autor und nicht mit dem Werk und dem Genre, das ja inzwischen von so viel mehr Autoren und Kreativen weiter entwickelt wurde?“

    Kann da jemand was Griffiges zu schreiben, falls es da weitergehende Gründe gibt? Würde es weiterleiten.

  • Klar, ist eine berechtigte Frage. Meine Antwort würde ungefähr in diese Richtung gehen:

    Wir benennen uns explizit wegen dieser Thematik so - denn auch die kritische Aufarbeitung der Person ist eine unserer Aufgaben. Wir sind eben nicht nur für den kosmischen Horror und Cthulhu da, und wir sind auch kein religiös-fanatischer Kult, der wenig hinterfragt (um den Namensvorschlag "Kult des Cthulhus" einmal zu überspitzen). Vielmehr widmen wir uns Lovecrafts Werk und auch der Person Lovecrafts selber, genauso wie wir uns den Themen widmen, die daraus entspringen. Hierzu zählen natürlich auch die Autor*innen und Kulturschaffenden, die den Kosmsichen Horror vorangetrieben haben und ihn auch heute noch formen.

  • Interessante Frage, hat aber auch etwas Fangfragenmäßiges für mich, das den leicht formulierten Anspruch impliziert, dass man sich ja neuerdings immer von etwas distanzieren muss.

    Teilweise gibt der Artikel m.E.n. bereits einen Hinweis hierauf. Lovecraft und seine Texte sind unglaublich präsent und dies einfach aufgrund einer begrifflichen Distanzierung zu verneinen, den ohnehin weiten Fokus des Vereins - der kein Forschungsverein ist, sondern bewusst ein sehr breites Publikum ansprechen möchte - einzuschränken, würde gleichsam der Popularisierung dieses brisanten Themas entgegen wirken. Denn dann erreichen wir nicht so viele.

    Einerseits ist der Verein keine "Gesellschaft zur Erforschung", denn dann würde der Fokus ganz anders aussehen. Dann wäre es eine akademische Gesellschaft. Andererseits, "Kult des Cthulhu" wäre sicher möglich gewesen, würde aber andererseits wieder eine viel zu undifferenzierte Wahrnehmung des Ganzen implizieren. Denn dann ginge es 1. explizit um Cthuhlhu, 2. explizit und ausschließlich um Lovecrafts Werk (und den engen Kreis des Cthulhuiden in der Nachfolge) 3. hätte mir das etwas zu sehr "Spielerisches", das ausklammert, dass man sich auch differenziert und ernst damit beschäftigen kann.

    Würde sich die Deutsche Lovecraft-Gesellschaft nicht so nennen, würde es eine andere tun, womit wir einerseits die 'Fäden aus der Hand' geben würden, andererseits ein viel eingeschränkteres und exklusiveres Publikum ansprechen würden, um Themen um weird fiction, cosmic horror und ja, auch Rassismus zu kommunizieren. Ein Deutscher Kult des Cthulhu oder eine Gesellschaft zur Erforschung ... kann in meiner Ansicht immer nur eine untergeordnete Gruppe eines viel weiter gefassten Organismus der dLG sein.

    Außerdem hat vieles auch mit dem Magnetismus zu tuzn, den HPL ausstrahlt, sowohl als Person, als auch als Autor oder Figur einer globalen kulturellen Identifikation. Hierzu fällt mir aber gerade nix Schmissiges ein.

  • Ich fände es toll, wenn wir eine offizielle Antwort „des Vereins“ zu der Frage formulierten.

  • Sähe von meiner Seite ungefähr so aus:

    Hi XYZ,

    vielen Dank für Deine berechtigte und wichtige Frage. Tatsächlich gibt es für die Benennung des Vereins gute Gründe:

    Wir benennen uns explizit wegen dieser von Dir angesprochenen Thematik so - denn auch die kritische Aufarbeitung der Person ist eine unserer Aufgaben. Wir sind eben nicht nur für den kosmischen Horror und Cthulhu da, und wir sind auch kein religiös-fanatischer Kult, der wenig hinterfragt (um den Namensvorschlag "Kult des Cthulhus" einmal zu überspitzen, so wie Du auch schon Deine Frage überspitzt hast). Vielmehr widmen wir uns Lovecrafts Werk und auch der Person Lovecrafts selber, genauso wie wir uns den Themen widmen, die daraus entspringen. Hierzu zählen natürlich auch die Autor*innen und Kulturschaffenden, die den Kosmsichen Horror vorangetrieben haben und ihn auch heute noch formen.

    Wichtig ist außerdem, dass wir nicht ausschließlich eine akademische Gesellschaft sind. Daher wäre eine Bezeichnung im Sinne der von Dir vorgeschlagenen "Gesellschaft zur Erforschung" stark irreführend. Ja, wir sind auch in der Forschung tätig; aber wir sind ebenso tatkräftig auch in kulturellen Projekten unterwegs. Wir wollen uns bewusst dem breiten Publikum stellen um hier kritische Rezeption voranzutreiben. Dazu zählt aber auch, dass man sich dem Namen stellen muss, der aktuell Verkaufszahlen in die Höhe treibt - und das ist "Lovecraft". "Cthulhu" und "kosmischer Horror" spielen da erst einmal eine untergeordnete Rolle; das sind die Themen, die bei der Auseinandersetzung mit Lovecraft zum Vorschein kommen.

    Um zum Schluss noch etwas ganz wichtiges zu sagen, das für die allgemeine Gesprächskultur insbesondere im Internet wichtig ist: Bloß, weil etwas nach einer Person benannt ist, heißt es nicht, dass man sich mit dieser Person identifiziert. Diesen Anspruch erheben wir nicht bei der Luther-Gesellschaft, der Wagner-Gesellschaft oder der Picasso-Gesellschaft. Aber ja, all diese Namen werden immer Nachfragen und Reibungen provozieren. Und das ist nicht nur in Ordnung, sondern - wie oben ausgeführt - in unseren Augen sogar sehr wichtig.

    Liebe Grüße,

    XYZ

  • Abseits der geäußerten Gründe ist es auch einfach nicht üblich im kulturellen Bereich, sich als Verein/Society nach Strömungen, Epochen oder allgemeinen bzw. Fantasie-Begriffen zu benennen. Es gibt eine Goethe-Gesellschaft und eine Schiller-Gesellschaft, aber keine Sturm-und-Drang-Gesellschaft und auch keine Gesellschaft zur Erforschung der Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts usw.

  • Weil es allgemein zum Thema passt...


    Zitat

    Italien ist für sie Mittelerde: Die angehende italienische Ministerpräsidentin instrumentalisiert Tolkiens Romane und inszeniert sich als Kämpferin für das Gute.

    Politik als Fantasy Giorgia Meloni und „Der Herr der Ringe“
    Italien ist für sie Mittelerde: Die angehende italienische Ministerpräsidentin instrumentalisiert Tolkiens Romane und inszeniert sich als Kämpferin für das…
    m.faz.net
  • Weil es allgemein zum Thema passt...


    https://m.faz.net/aktuell/feuill…e-18344101.html

    Zitat

    Tolkien war jede Form von extremistischer Politik verhasst. Seine Erzählungen von hellhäutigen Kriegern, die sich gegen die dunkle Ork-Armee zur Wehr setzen, erwiesen sich jedoch als ideale Projektionsfläche für rassistisch motivierte Ideologien und Aufrufe zur Ablehnung der Moderne. In Italien spielten sie für Generationen postfaschistischer Jugendlicher eine zentrale Rolle. Ende der Siebzigerjahre fanden sie sich in sogenannten „Hobbit-Camps“ zusammen: Zeltlagern für Tolkien-Fans mit Lesungen, politischen Debatten und rechtsextremen Rockkonzerte

    Verrückte Welt. Wenigstens für nationaltümelnde Lagerfeuerromantik liefert "unser Howard" bei aller Obskurität seiner Rezeption von Rechts dann glücklicherweise doch sehr wenig Inspiration.

  • Möglich, dass die Sorte von Phantastik, in der das Gute gewinnt, ein größeres eskapistisches Potenzial für (im negativen Sinne) antimoderne Geisteshaltungen birgt. Insbesondere die High-Fantasy scheint mir sehr von etwas zu profitieren, das man in einigen Texten als 'world building' bezeichnet, und das wohl ein typisches Phänomen der Moderne ist. Da sehe ich tatsächlich utopistische Geisteshaltungen von 'besseren' Gesellschaften, die sich gerade in der Literatur immer als sehr uniforme Gesellschaften darstellen (ob es nun Franzosen im Jahre 27nochwas oder 'reinblütige' Elben, Rohirim etc. sind, sei mal dahingestellt), nur einen Katzensprung entfernt. High-fantasy-Gesellschaften sind sehr definiert. Es sind Zwerge mit ihrem Zwergenbier, Elben, die immer unseren ästhetischen und philosophischen Idealen entsprechen, Menschen, die angeblich so verschieden sind, aber irgendwie doch immer Ritter, Kundschafter, Könige oder Bauern, Hobbits, die manifeste Gemütlichkeit sind, etc.

    Die Welt ist so schön sortiert und das große Neue, das am Rande der Wahrnehmung lauert, ist immer das unaussprechbare Böse. Fantasy ist was sehr feines, aber auch oft konservativ. Bei der Verteigigung von Helms Klamm geht es darum, uralte Mauern zu erhalten, nicht, sie einzureißen.

    kleiner Nachtrag: Ist auch passend, dass, wie ich einmal las, ukrainische Soldaten die russischen Soldaten im Jargon auch oft als 'Orks' bezeichnen...

  • Warum Italiens Rechte Tolkien lieben

    Zitat

    Für die rechte Politikerin Giorgia Meloni ist „Der Herr der Ringe“ ein „heiliger Text“. Tolkien sei kein Faschist gewesen, wohl aber ein Konservativer, den die Rechten schon früh für sich entdeckten, sagt der Historiker Massimiliano Livi.

    Fantasy und Faschismus - Warum Italiens Rechte Tolkien lieben (Podcast)
    Für die rechte Politikerin Giorgia Meloni ist „Der Herr der Ringe“ ein „heiliger Text“. Tolkien sei kein Faschist gewesen, wohl aber ein Konservativer, den die…
    www.deutschlandfunkkultur.de


    ... aber auch uns H. P. wird mal wieder von Verwirrten in Dienst genommen.

    Zitat

    Cancel Cthulhu

    Gruseln Sie sich gerne bei den Schauergeschichten von H. P. Lovecraft? Geht gar nicht! Wegen tatsächlich abfälliger Bemerkungen über Schwarze und Hispanics steht der große Literat in seiner Heimat auf der Abschussliste. Schon 2016 wurde die Lovecraft gewidmete Büste des World Fantasy Award, einer der wichtigsten Auszeichnungen für Science-Fiction- und Fantasy-Literatur, abgeschafft. Seitdem reißen die Bemühungen, ihn im Strudel der Cancel Culture versinken zu lassen, nicht ab. (…)

    Schluss mit lustig: Cancel Culture tötet Humor - COMPACT
    Gute Unterhaltung war gestern. Jetzt regiert die Cancel Culture – und da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Ein Auszug aus der Oktober-Ausgabe von…
    www.compact-online.de
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    Hat mir Youtube angezeigt. Ich kann nichts zum Inhalt sagen. Mir ist das zu lang. Aber vielleicht interessiert es ja jemanden hier.

  • Vielleicht hilft in dem Zusammenhang ein Zitat aus "Harlem Unbound" - der Autor des Buches ist ein afro-amerikanischer Veteran, d.h. das ist die Sicht eines "Betroffenen" auf das Rassismus-Thema bei Lovecraft. Da der Text mir aber zu lang zum Abtippen ist, hab ich ein Bild des Infokastens hier an die Nachricht angefügt.

    Aus: Chris Spivey, "Harlem Unbound", 2. Ed., Chaosium Inc., 2020, Seite 7

    Und letztendlich ist es auch kein Zufall, dass im Film "Aquaman" Black Manta Lovecraft zitiert (der Film ist eh voll mit Lovecraft-Easter-Eggs).

  • Ich bin auf folgende Ausführungen S.T. Joshis zu Lovecrafts Rassismus gestoßen. Speziell dazu habe ich im Forum nichts gefunden und hoffe daher, hiermit nicht alte, schon geklärte Kamellen zu wiederholen.

    Die folgende Übersetzung ist von mir. Nachzulesen ist das im Original in dem Essay „Lovecraft’s Essays“ von S.T. Joshi, in „Lovecraft and a World in Transition“, Hippocampus Press, 2014, S. 487. Der Essay „Lovecraft's Essays“ erschien erstmals bereits 1995 als Einleitung zu Miscellaneous Writings, Sauk City, Arkham House.

    „The Crime of the Century“ (1915) [„Das Verbrechen des Jahrhunderts“] wirft jedoch eine Frage auf, die wir bislang ignoriert haben: Lovecrafts Rassismus. Ich bin nicht länger überzeugt, dass wir in dieser Angelegenheit sehr nachsichtig mit Lovecraft sein können. Ja, es ist wahr, dass viele zu seiner Zeit und aus seiner Gesellschaftsschicht so dachten wie er; wahr ist aber auch, dass führende Denker diese Ansichten im Lichte der Beweise ablegten, die seinerzeit durch Biologen, Anthropologen und Psychologen zusammengetragen wurden. Lovecraft hielt am Irrtum der biologischen und kulturellen Unterlegenheit der Schwarzen bis an sein Lebensende fest, obwohl Studien von Franz Boas und W.E.B. Du Bois derlei Behauptungen zur Jahrhundertwende zerstört hatten; er war stets ein Befürworter der Rassentrennung, behauptete, dass die Assimilierung von Fremden nur bei rassisch homogenen Gruppen stattfinde und nur, wenn die Fremden die Gesamtheit ihres Erbes und ihrer Kultur ablegten und jene der vorherrschenden Gruppe übernähmen. Und es ist eine traurige Tatsache, dass seine Ansichten sich gegen Ende seines Lebens nicht annähernd so sehr änderten, wie manche Apologeten uns glauben machen wollen. Das ist die Tragödie von Lovecrafts Rassismus: In dieser einen Hinsicht scheiterte er daran, die Offenheit für neue Beweise an den Tag zu legen, die er in jeder anderen Facette seines Denkens zeigte. Die bloße Tatsache, dass er genötigt war, die Angelegenheit mit seinen jüngeren Korrespondenten so vehement zu debattieren – welche nicht die Erziehung erhalten hatten, die er hatte – hätte ihn dazu bewegen müssen, seine Ansichten einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen; doch nichts dergleichen geschah.

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    Hat mir Youtube angezeigt. Ich kann nichts zum Inhalt sagen. Mir ist das zu lang. Aber vielleicht interessiert es ja jemanden hier.

    Hat mir zu Beginn gut gefallen, originell, spannende Argumentation, für marxistische Grundlagentheorie bin ich immer zu haben...

    Aber in Spielfilmlänge(!) wurden mir die albernen Einlagen dann doch zu viel und die Grundthesen zu dünn gestreckt. Und auch wenn die Textarbeit und -präsentation sorgfältig erschien - was bei diesem Thema besonders wichtig ist - finde ich, man hätte das alles viel pointierter und gebündelter präsentieren können.

    Dieser Komplex rund um Hierarchien, Konservatismus und Reaktionismus ist natürlich sehr amerikanisch und ich bin mir unsicher, für wie abendfüllend ich das Buch vom Robin als (edit: nicht ganz, aber fast) alleinige Grundlage halte. Da bräuchte ich aber die Argumentation des Videos in Papierform, um mich damit richtig auseinanderzusetzen. Nicht mein Medium, fürchte ich. Meine Kritik bleibt daher persönlich.

    Einmal editiert, zuletzt von Alex (4. November 2022 um 09:24)

  • Hat mir zu Beginn gut gefallen, originell, spannende Argumentation, für marxistische Grundlagentheorie bin ich immer zu haben...

    Aber in Spielfilmlänge(!) wurden mir die albernen Einlagen dann doch zu viel und die Grundthesen zu dünn gestreckt. Und auch wenn die Textarbeit und -präsentation sorgfältig erschien - was bei diesem Thema besonders wichtig ist - finde ich, man hätte das alles viel pointierter und gebündelter präsentieren können.

    Dieser Komplex rund um Hierarchien, Konservatismus und Reaktionismus ist natürlich sehr amerikanisch und ich bin mir unsicher, für wie abendfüllend ich das Buch vom Robin als (edit: nicht ganz, aber fast) alleinige Grundlage halte. Da bräuchte ich aber die Argumentation des Videos in Papierform, um mich damit richtig auseinanderzusetzen. Nicht mein Medium, fürchte ich. Meine Kritik bleibt daher persönlich.

    Vieles in dem Beitrag scheint mir auch von der (durchaus gelungenen und inspirierenden) Performance zu leben.

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