Ich habe gerade meinen längsten Beitrag überhaupt im Pegasus-Forum geschrieben. Ich will ihn hier auch einmal einstellen und erhoffe mir, dass er nicht sofort untergeht...
Okay, ich versuche das Konzept von mehr persönlichem, improvisiertem Spiel zu erläutern. Meine Anregung wäre
- mehr persönliche Einbeziehung der Charaktere.
- Mehr Bereitstellung von Material für freieres, spielerzentrierteres, sandboxartigeres Spiel.
- Mehr improvisiertes Spiel im Gegensatz zu 40-Seiten-ausgearbeitetem Abenteuer.
- Vorteil: mehr Menschen mit wenig Zeit können so spielen.
1. Das GRW tut schonmal einen Schritt in die richtige Richtung. Im Gegensatz zu früher werden Spieler bei der Erschaffung by-the-book aufgefordert, Persönliches zu notieren. Das GRW stellt hierzu einige Zufallstabellen bereit. Darüberhinaus gibt es eine "Schlüsselverbindung", deren Bedeutung sich auch in Regeln (Stabilität) niederschlägt.
2. Dies sollte sich auch in Szenarien niederschlagen, bzw. darin einbezogen werden. Und dabei ist es nicht damit getan, zu sagen "steht doch im GRW". Ein Wunschziel wäre hier, über die Ebene "du sollst den das Verschwinden deines Cousins untersuchen" hinauszukommen. Im Grunde geht es darum, die Hintergründe von ihrer bisherigen Priorität, nämlich "schmückendes Beiwerk", mehr in den Vordergrund zu rücken.
3. Um dies zu erreichen, müssten...
a) ... bei der Charaktererschaffung ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe und ihnen wichtigen Bezugspersonen, Motivationen und so weiter entstehen. Und dies soll nicht nur "einfach so" gemacht werden, weil es im Buch steht, sondern es muss auch im späteren Spiel eine zentrale Rolle einnehmen.
B) ... personalisiertere Szenarien geschrieben werden, ODER ein genereller Baukasten für derartiges Spiel bereitgestellt werden.
Die Vorstellung, wie dies umgesetzt werden kann, scheint ja ein Knackpunkt zu sein. Daher hier nun etwas länger:
zu 3a) Eine Idee, die gerade sehr modern (im Sinne von Rollenspiel für Menschen die wenig Zeit haben) ist, wären so genannte Playbooks (bekannt u.a. aus Dungeon World, Apocalypse World, Tremulus, Beyond the Wall).
Zu Spielbeginn wählt man sich hier ein Playbook aus. Bei DW unterteilt sich das etwa nach Klassen. Es gibt jeweils eines für den Barbaren, Dieb, Kleriker, etc. Man trägt erst einmal ganz normal Werte ein, wie auf einem Charakterbogen. Dann allerdings gibt es einen Abschnitt, bei dem man Querverbindungen in der Gruppe festlegt.
Hier das Beispiel (nur Sektion "Verbindungen") für den Kämpfer:
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Hier das Beispiel (nur Sektion "Verbindungen") für den Paladin:
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Alleine durch das Ausfüllen dieser Zeilen bei der Charaktererschaffung ergeben sich tolle Hooks für Szenarien. Die Szenarien sehen dann nicht mehr "klassisch" aus (40 Seiten vorgefertigtes Abenteuer, detailliert vorbereitet, mit dem Hook "ein entfernter Verwandter stirbt, nun untersucht das mal"), sondern sind improvisiert und persönlicher. Da gerade der Punkt "improvisiert" für viele eine Hürde darstellt, wäre für eine solche Art von Spiel ein großer Baukasten mit Inspiration und Hilfestellungen geil.
Das Rollenspiel Beyond the Wall geht hierbei noch einen Schritt weiter. Ebenfalls wählt man hier zu Beginn Playbooks aus. Die Gruppen-Vernetzung und vor allem auch die Verankerung in einem Ort wird in diesem Spiel aber noch weiter vorangetrieben, nämlich durch individuelle Fragen, die man bei der Erschaffung beantwortet.
Hier ein Beispiel, insgesamt muss jeder Charakter rund 7-10 solcher Fragen beantworten:
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Jetzt könnte man ja denken, dass das ganz ähnlich der Vorschläge im Cthulhu-GRW ist. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied. Bei Beyond the Wall schlagen sich die gegebenen Antworten gleich und unmittelbar im Spiel nieder. Wählt/Würfelt der Spieler etwa als Antwort aus "5 You are about to marry into the Miller's family", dann bedeutet das, dass es im Dorf einen Müller gibt, in dessen Familie man einheiratet. Man definiert anschließend die Familie des Müllers inklusive deren Lebensumstände (reich, arm, schön, hässlich) und die Umstände, unter denen man heiratet (gezwungen? Teenagerliebe? ...).
So weit so gut, ich hoffe die GEdanken sind nachvollziehbar...
zu 3b) Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Szenarien und Abenteuer. Ein solcher Band mit Playbooks würde erst einmal, wenn er gut gemacht ist, auch komplett ohne vorgegebene Szenarien funktionieren, nur durch Improvisation durch SL und Gruppe.
Was richtig geil wäre, wenn dieser Spielstil dann auch noch durch eine weitere Publikation unterstützt würde. Ich stelle mir einen riesigen Baukasten vor mit folgenden Inhalten:
ein Ort (z.B. Arkham oder ein neu zu schaffendes deutsches Äquivalent), der sandboxartig aufgebaut ist, aber viele Freiheiten lässt. Der bereits erschienene Arkham-Band ist da viel zu kleinteilig und vor allem ist viel zu viel bereits vorgegeben.
Personen: und zwar KEINE Sammlung konkret ausgearbeiteter Personen (Erwin Schmidt, der Tankwart, verkauft den billigsten Sprit in der Gegend... sowas ähnliches gibt es tatsächlich im Arkham-Band! Das kann jeder SL in einer Sekunde improvisieren, ist daher null hilfreich), sondern inspirative Archetypen, die spontan einsetzbar sind. Der geheimnisvolle Seebär (samt Geheimnis), der Besitzer des Kuriositätenladens in den kaum jemals jemand reingeht, etc.).
Dafür böte sich ein Blick in den Band "Armitage Files" von Pelgrane Press an.
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Kurz und knapp: ich hoffe, mein Anliegen ist nun klarer, greifbarer geworden. Es mag sich teilweise wie ein kompletter Bruch mit der Cthulhu-Tradition anhören. Ich glaube aber, dass eine Menge Leute (besonders wenn Zeit knapp ist!) auf so etwas stehen würden. Man muss ja nicht gleich die ganze Linie umwerfen. Aber ein Band oder zwei Bände um einen solchen Spielstil zu unterstützen, das fänd ich super!