Lovecrafter Online – Rezension: Finsternacht
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Seanchui -
21. November 2022 um 12:00 -
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Yig, stammt aus seiner Feder und auch der unter seinem Pseudonym Arno Thewlis veröffentlichte 19. Band, Der Gott des Krieges. Nun zeichnet er also auch für den 24. Band der Reihe verantwortlich, welcher mit dem schönen Titel Finsternacht aufwartet. Auf insgesamt 180 Seiten präsentiert uns Zwengel in drei Kurzgeschichten seine Interpretationen des Mythos.
Autor Andreas Zwengel, Jahrgang 1969, ist treuen Lesern der Reihe H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens kein gänzlich unbekannter. Bereits der fünfte Band der Reihe, Kinder desDie erste Geschichte, Das Unheil, nimmt uns mit in das Nordengland des Jahres 1898. Genauer gesagt geht es nach Doningham Hall, dem Stammsitz einer alten Adelsfamilie. Hier schlägt der unorthodoxe Gelehrte Aloysius Stonecipher mit seinem Gehilfen Frank seine Zelte auf, denn nach einem nächtlichen Beben hat sich die Erde unter Doningham Hall aufgetan. Niemand weiß, was sich in dem plötzlich geöffneten Gangsystem verbirgt, doch Stonecipher hat eine Befürchtung – und einen ebenso tollkühnen wie scheinbar nicht tot zu kriegenden Assistenten. Erst als sich die Dame des Hauses, Margaret Doningham in die Ermittlungen des ungleichen Duos einschaltet, beginnen die Ereignisse zu eskalieren… Der zweite Eintrag, das titelgebende Finsternacht, führt uns auf den Main im Jahre 1929. Hier lernen wir die Besatzung des Lastkahns Rosinante kennen, welche eine nicht ganz ungefährliche Fracht den Main hinauf transportieren. Auf diese macht sie ein ungewohnter Passagier, Frederick von Geiersberg, aufmerksam. Der Hintergrund dieser Geschichte ist tief mit Lovecrafts Der Ruf des Cthulhu verwoben und greift viele Elemente aus dessen Handlung auf. Eine Kenntnis dieser Geschichte wird also vorausgesetzt. Das dritte Werk, Die LOVE-Kraft, kommt ohne genaue Datumsangabe aus, scheint aber in der Gegenwart angesiedelt zu sein. In dieser Geschichte setzen zwei Forscher ihre zahlungskräftige Kundschaft einer seltsamen Strahlung aus, welche sie bei ihrer Arbeit auf einer Sternwarte zufällig entdeckt haben. Dieses interstellare Licht stammt vom Stern Aldebaran im Sternbild Stier und führt dazu, dass die Bestrahlten mehr Liebe füreinander empfinden. Natürlich bleibt es nicht so harmlos, wie es auf den ersten Blick scheint – denn kein Mensch versteht die Kräfte des Mythos wirklich und eine Überdosis der Strahlung hat dramatische Folgen.
Trotz der unterschiedlichen Epochen findet der Leser ein verbindendes Element zwischen den Geschichten. Der Name Stonecipher spielt in allen drei Episoden eine Rolle und taucht auch an unerwarteten Stellen auf.
Die Geschichten sind in einem flotten, modernen Schreibstil verfasst und lesen sich schnell weg. Zwengel versteht sein Handwerk und nimmt den Leser schnell mit in seine Ausflüge hinein in kosmisches Grauen. Allerdings muss ich dem Band attestieren, dass sich in Finsternacht keine Geschichten wiederfinden, welche ich dem kosmischen Grauen zusortieren würde, sondern eher flotte Abenteuergeschichten, die vor dem Hintergrund des Mythos angesiedelt sind. Natürlich verwendet Zwengel lovecraftsche Motive in Massen – nicht zuletzt beruht die titelgebende Story auf Der Ruf des Cthulhu. Auch nimmt der Autor – insbesondere in Die LOVE-Kraft – reichlich Bezug auf moderne Wissenschaften und die Grenzen ebendieser. Dennoch mangelt es den Geschichten an den für Lovecraft typischen Protagonisten sowie dem langsamen, geradezu genüsslichen Aufbau des Horrors. Zwengel scheut vor dem Einsatz von Gewalt in seinen Geschichten nicht zurück, doch gerade diese streckenweise Brachialität bricht eher mit dem subtilen Horror, den Lovecraft in seinen Geschichten erzeugte.
Das macht Finsternacht alles in allem nicht zu einem schlechten Buch. Die Geschichten warten mit interessanten Ideen und auch der einen oder anderen überraschenden Wendung auf, so dass die Lektüre durchaus unterhaltsam verläuft. Einzig der kosmische Horror bleibt halt ein wenig auf der Strecke, aller Bemühungen lovecraftscher Motive zum Trotz.
Fazit: Eine flott geschriebene Anthologie unterschiedlicher Mythosgeschichten, die interessante Motive beinhaltet ohne den kosmischen Horror Lovecrafts zu transportieren. Wem das genügt, macht hier sicher nichts falsch.