Lovecrafter Online – August Derleth: (m)eine Lesereise
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Seanchui -
18. November 2024 um 12:00 -
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Als ich vor vielen Jahren H.P. Lovecraft für mich entdeckte schloss sich - wie bei so vielen von uns - zunächst eine kleine Lesereise an. Nachdem ich mich mit Lovecrafts Werk hinreichend vertraut gemacht hatte - und zugegebenermaßen die ersten Rollenspielbände erstanden hatte - wendete ich mich zunächst auch anderen Autoren aus Lovecrafts Dunstkreis zu. Dabei ging es mir noch nicht einmal darum, den mit Lovecraft in Briefkontakt stehenden "Lovecraft-Zirkel" näher kennenzulernen, sondern schlicht weitere Gruselgeschichten aus dieser Zeit zu lesen. So widmete ich mich einigen Bänden von Blackwood, las Meyrink oder Lord Dunsany aber natürlich auch Poe, Hawthorne oder Bierce. Wen ich damals allerdings bereits bewusst ausklammerte war August Derleth. Denn auch, wenn mir seine Rolle als literarischer Nachlassverwalter rasch bekannt wurde, nahm ich doch gleichzeitig wahr, dass seine Literatur selbst kaum geschätzt wurde.
Nun ist diese Zeit der Entdeckungen bereits einige Jahre (*hüstel*) vorbei, und ich habe es mir in meiner Mythos-Ecke längst bequem gemacht: man hat ja schon so einiges gelesen, noch viel mehr gespielt und auch fruchtbare Diskussionen in verschiedenen Foren geführt - das sollte doch reichen? Nun überkam mich aber jüngst das Verlangen meinen Erfahrungshorizont doch noch einmal zu erweitern - wie würde mir August Derleth gefallen?
Rasch besorgte ich mir eines der kleinen, schmalen Büchlein aus dem Suhrkamp-Verlag, Die dunkle Brüderschaft. Zwar prangte auch H.P.L.'s Name groß auf dem Cover doch wurde mir rasch klar, dass hier der Name wohl eher aus Marketinggründen angegeben wurde. Die innenseitig abgedruckten Geschichten stammen dann doch komplett aus Derleths Feder. Also, auf ins Lesegefecht!
Rasch wird deutlich, dass Derleths Geschichten oft einem recht durchschaubaren Muster folgen. Ein männlicher Protagonist tritt das Erbe irgendeines unbekannten Vorfahren an, reist in einen abgelegenen Winkel in Providence und findet dort heraus, dass sein Vorfahre mit Dingen zu tun hatte, die nicht für den menschlichen Geist gemacht sind. Die eigenen Nachforschungen kosten den Erben sodann entweder den Verstand oder Schlimmeres, wenn er das Geheimnis schließlich lüften kann. Bei den in Die dunkle Brüderschaft versammelten Kurzgeschichten gibt es nur wenige, die diesem Schema entkommen können. Dabei handelt es sich jedoch nahezu ausschließlich um mehr oder minder schlecht gelungene Nacherzählungen von Lovecrafts Originalen. Mit Die Lampe des Alhazred ist immerhin eine lobenswerte Ausnahme enthalten, eine wunderschöne Liebeserklärung an seinen Freund Lovecraft selbst.
Derleths Schreibstil ist (zumindest in deutscher Übersetzung) unaufgeregt und unkompliziert. Definitiv gelingt es ihm, rascher zum Punkt zu kommen als Lovecraft. Dafür fehlt den Geschichten aber natürlich auch die Wortgewalt und absurde Adjektivität Lovecrafts. Darüber hinaus fehlt ihnen aber auch das kreative Genie, der Funke. Entweder ähneln sich die Handlungsbögen zu sehr, oder die Anleihen bei Lovecraft sind so offensichtlich, dass der Kenner bereits auf der zweiten Seite die Handschrift Lovecrafts erkennt. Ist Die dunkle Brüderschaft also ein schlechtes Buch, Derleth ein schlechter Autor, die Lesezeit verschwendet?
Ansichtssache.
Sollte ich ein Buch mit guten Gruselgeschichten empfehlen wollen, würde meine Wahl wohl nicht auf Die dunkle Brüderschaft fallen. Um mehr über den popkulturellen Werdegang des Mythos zu erfahren und zu verstehen, wie er sich so entwickeln konnte, wie er es tat (bis hin zum eigenen Monopoly-Spiel), allerdings schon. Tatsächlich möchte ich mich soweit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass wir ohne frühe Adaptionen und Pastiches wie Derleths Geschichten heute nicht so selbstverständlich Lovecrafts Mythos verwenden würden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Derleth Namen, Orte und auch Ereignisse aus Lovecrafts Geschichten aufgreift, lässt Lovecrafts literarische Welt rückwirkend noch einmal lebendiger wirken. Wenn sich die Ereignisse aus Lovecrafts Schatten über Innsmouth mehr oder minder direkt auf Derleths Das vernagelte Zimmer auswirken, dann fühlt man sich tiefer in dieses Universum hineinversetzt. Lovecraft Country beginnt zu atmen. Tatsächlich ist vieles, was im wohl bekanntesten cthuloiden Rollenspiel CTHULHU geschieht (oder geschehen könnte, wir reden ja von einem interaktiven Rollenspiel), viel eher an Derleth und seinem Umgang mit Lovecrafts Mythos angelehnt als an den Schöpfer selbst. Und diese interessante Erkenntnis hat - neben dem erfrischenden Erlebnis, wieder einmal etwas Neues aus dem Lovecraft-Universum für mich entdeckt zu haben - Eindruck bei mir hinterlassen. Danke, August Derleth.
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