Lovecrafter Online – Filmkritik: Cabal - Die Brut der Nacht
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Seanchui -
11. November 2024 um 12:00 -
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„Es ist schön, fliegen zu können oder sich in Rauch aufzulösen. Und es ist nicht schlecht, die Nacht genau zu kennen und ewig in ihr zu leben. Ihr nennt uns Monster. Aber wenn ihr träumt, dann träumt ihr zu fliegen, euch zu verwandeln, zu leben ohne Tod.“
- Nightbreed Rachel
Der Automechaniker Aaron Boone (Craig Sheffer), „ein Gefährdeter der großen Städte“ sucht auf Drängen seiner Freundin Lori (Anne Bobby) den Psychiater Dr. Decker (David Cronenberg) auf. Von diesen wird er einer Reihe grausamer Gewaltverbrechen beschuldigt und unter LSD gesetzt, wodurch es zu einem folgenschweren Unfall mit einem Lastwagen kommt. Boone wird in eine Klinik eingeliefert, wo er von dem Patienten Narcisse (Hugh Rose) von einem geheimnisvollen Ort namens Midian hört, den Boone bereits aus seinen Träumen kennt und wohin er schließlich fliehen kann. Diese unterirdische Stadt wird von den Nightbreeds bewohnt, eigentlich friedliebenden Wesen, die in der Vergangenheit immer wieder von Menschen gejagt und fast vollständig vernichtet wurden. Decker, der in Wahrheit die Boone angelasteten Morde verübt hat, erscheint mit Captain Eigerman (Charles Haid). Boone wird durch einen Schuss tödlich verletzt, kehrt jedoch als Untoter nach Midian zurück. Dieses wird zwischenzeitlich von Eigerman und der Polizei belagert und schließlich angegriffen. „Die Männer der Ordnung, die Licht ins Dunkel bringen wollen, bringen nur Chaos. Und die Monster sind vielleicht keine Ungeheuer.“[1]
Der am 05. Oktober 1952 in Liverpool geborene Clive Barker war zunächst Dramatiker, dessen Stücke zwar gespielt, aber nicht veröffentlicht wurden. Zwischen 1984 und 1985 publizierte er sechs Bände mit Kurzgeschichten unter dem Titel Bücher des Blutes (Books of Blood), in denen er überwiegend grausame Gewalt, übernatürliche Elemente und hartem Sex miteinander verknüpfte.[2] Wie die Protagonisten bei Lovecraft haben die Charaktere bei Barker oft eine „Neigung zum Außergewöhnlichen, Bizarren, Nicht-Alltäglichen“, sie überschreiten Grenzen und „wagen den Übergang in neue Erfahrungsbereiche“. Frank Cotton, der titelgebende Hellraiser (1987, Clive Barkers erste Regiearbeit) - der Erfolg dieses Films ermöglichte es Barker, seinen Roman Cabal zu verfilmen - ist deutlich von der Faust-Mythologie inspiriert. Auch Figuren bei Lovecraft wie Charles Dexter Ward - in der Erzählung spielt die Psychiatrie als Institution ebenfalls eine wichtige Rolle - „rufen Geister“, die sie nicht mehr loswerden.[3]
Atmosphärisch und auch inhaltlich gibt es bei Cabal einige Parallelen zu der Erzählung Das Fest (The Festival, 1925) von Lovecraft. Der Ich-Erzähler besucht das Haus seiner Vorfahren, von denen mehrere bei den Salemer Hexen-Prozessen 1692 getötet wurden. Ein geheimnisvoller älterer Mann führt ihn zu einer unheimlichen Zeremonie tief unter einer alten Kapelle. Die Beschreibungen von Kingsport nehmen die Welt der Nightbreeds vorweg: „Und jetzt lebten sie weit versprengt und teilten nur noch die geheimnisvollen Riten miteinander, die kein Lebender zu verstehen vermag. Ich war der Einzige, der während jener Nacht in die alte Hafenstadt zurückkehrte, wie es die Legende gebot, denn nur die Armen und die Einsamen bewahren die Erinnerung. (...) Neben dem Scheitelpunkt der Straße ragte ein noch höherer Bergzacken auf, trist und windumtost, und ich sah, dass es ein Totenacker war, wo schwarze Grabsteine ghoulisch aus dem Schnee stachen wie die verfaulten Fingernägel eines riesigen Leichnams.“[4] Das Gesicht des alten Mannes ist unter einer wächsernen Maske bedeckt. Hierzu finden sich in Cabal gleich zwei Entsprechungen: Narcisse kann seine Haut vom Gesicht ziehen und Decker nimmt als Serienmörder die Identität von „Knopfgesicht“ an. Während seiner Taten trägt er eine unheimliche, mit zwei Knöpfen als Augen besetzte Maske, was bei ihm in den Beschreibungen Barkers auch zu sexueller Erektion führt.[5]
Bei Barker ist das Vampirmotiv[6] sehr präsent: Durch Peloquins (Oliver Parker) Biss wird Boone wiedererweckt. In einem Initiationsritus wird Boone mit Blut benetzt. Baphomet heißt die geheimnisvolle Gottheit der Nightbreeds wie das legendenumwitterte, angeblich von den Tempelrittern verehrte Idol. Im frühen 14. Jahrhundert wurden die Templer der Ketzerei bezichtigt und grausam verfolgt, was bereits den späteren Hexenwahn vorwegnahm. Die Bedeutung des Begriffes ist bis zur Gegenwart unbekannt. In den Templer-Prozessen wird der Baphomet als Schädel beschrieben, aufgrund einer Skizze von Eliphas Lèvi hat sich zwischenzeitlich die Darstellung als androgynes Wesen mit einem Ziegenkopf und verschiedenen Geschlechtsteilen durchgesetzt.[7] Dies erinnert stark an antike, meist gehörnt dargestellte Fruchtbarkeitsgötter wie Pan oder Cernunnos - auch einer der Nightbreed entspricht dieser Beschreibung. Neben der keltischen Mythologie spielen Faune und Satyre im literarischen Werk von Arthur Machen (1863-1947) eine große Rolle, wodurch er Lovecraft ebenso stark beeinflusste wie mit seinem Mythos der Little People, „geheimnisvollen Nachtwesen, welche die Sünde verkörpern und verbreiten“[8], die „noch immer an einsamen, wilden Orten sowie unter der Erdoberfläche leben“.[9]
Bei Barker sind es aber gerade die Nachtwesen, die positiv gezeichnet werden. Die Parallelwelt der Nightbreeds wird dabei sicher nicht als ideal beschrieben, allerdings leben diese deutlich freier und glücklicher als die Menschen. Midian wird zum Zufluchtsort für jene, die gesellschaftlich isoliert sind, die mit Konformitätsdruck und gesellschaftlichem Zwang nicht mehr zurechtkommen, „normalerweise von denen, deren Kraft verbraucht war. Wenn sie von Midian sprachen, dann von einem Ort der Zuflucht; einem Ort, zu dem man sich tragen ließ. Mehr noch: ein Ort, wo ihnen sämtliche Sünden, die sie begangen hatten – echte und eingebildete – verziehen wurden. Boone kannte die Ursprünge dieser Mythologie nicht; sie hatten ihn auch nie so sehr interessiert, dass er ihnen nachgeforscht hätte. Er hatte keine Vergebung gebraucht, hatte er jedenfalls geglaubt.“[10] Vertreter von Institutionen wie der Psychiatrie und der Polizei werden am negativsten dargestellt, ebenso wie es zu Seitenhieben gegen die Religion kommt, die im Film durch den Fundamentalisten Ashberry (Malcolm Smith) verkörpert wird. Es ist eine Mischung aus Furcht und Neid auf die magischen Fähigkeiten der Nightbreeds, womit Massaker an den Bewohner Midians begründet werden.
Barker hat mit lovecraftschen Elementen ein Meisterwerk des modernen Horrorfilms geschaffen mit atemberaubenden, manchmal schrecklichen, aber auch poetischen Aufnahmen. „In einer Schlüsselszene sieht man ein erbarmungswürdiges, kleines Wesen seufzend auf einem Grabstein kauern, dem grellen Licht der Sonne ausgesetzt. Das Geschöpf wird ins Dunkel gebracht, wo es aufblüht zu einem schönen Mädchen. Cabal ist eine Hymne an die, die im Dunkeln leben.“[11]
- Stefan Preis
[1] Alle Zitate: Schifferle, Hans (1994): Die 100 besten Horrorfilme. München. S. 30
[2] Joshi, S. T. (2001): Moderne Horrorautoren. Essays. Band 1. Almersbach. S. 217 f.
[3] Koseler, Michael (1997): Anmerkungen zur Erzählkunst Howard Phillips Lovecraft. In: Rottensteiner, Franz (Hrsg.): H. P. Lovecrafts kosmisches Grauen. Frankfurt am Main. S. 110 ff.
[4] Lovecraft, Howard Phillips (2007): Necronomicon. Horrorgeschichten. Leipzig. S. 26. Die Beschreibungen bei Barker sind jedoch deutlich harmonischer, etwa als Lori in Midian eintrifft (Barker, Clive (1989): Cabal. Roman. S. 92 ff.)
[5] Barker, Clive, a. a. O., S. 128 f.
[6] Cronenberg inszenierte 1977 mit Rabid - der brüllende Tod eine interessante Variante des Vampirfilms: nach einem Motorradunfall wächst einer jungen Frau ein phallusartiger Stachel, mit dem sie Blut saugt (Schifferle, Hans, a. a. O., S. 140). Mit ähnlichen Attributen sowie Tentakeln sind auch die Nightbreeds teilweise ausgestattet.
[7] Verwendet wird diese Symbolik etwa im Siegel der Church of Satan, einer in der Walpurgisnacht 1966 gegründeten, weniger spirituell, sondern eher materialistisch, hedonistisch und individualistisch ausgerichteten Vereinigung. Verschiedene praktizierte Riten wie Die Zeremonie der Neun Winkel oder Die Anrufung von Cthulhu sind deutlich von Lovecraft inspiriert (Derie, Bobby (2017): Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos. Ein intimer Blick auf H. P. Lovecraft und sein literarisches Erbe. Leipzig. S. 415).
[8] Borges, Jorge Luis (1989): Vorwort. In: Machen, Arthur: Die leuchtende Pyramide. Erzählungen. München. S. 9.
[9] Derie, Bobby, a. a. O., S. 98 u. 104. Ein Beispiel hierfür ist die Erzählung Die Geschichte vom Schwarzen Siegel (The Novel of the Black Seal, 1895), in der ein Wissenschaftler auf der Suche nach geheimnisvollen Wesen verschwindet. Vor allem in Der Flüsterer im Dunkeln (The Whisperer in Darkness, 1931) greift Lovecraft eine ähnliche Thematik auf.
[10] Barker, Clive, a. a. O., S. 32 f.
[11] Schifferle, Hans, a. a. O., S. 30.