Lovecrafter Online – Rezension: From Beyond


Hexenprozesse, schwarze Magie und Menschenopfer sind fester Bestandteil der lovecraftschen Lore. Die Zeit und Umstände dieser dunklen Vergangenheit der menschlichen Spezies nutzte er oft als Hintergrund für seine Geschichten und die handelnden Charaktere. Das beeindruckende Erstlingswerk Robert Eggers, The VVitch von 2015, zeigt uns das Leben in dieser harten und entbehrungsreichen Zeit. Der Film führt den Zuschauer in eine triste Welt voll mit tiefem Glauben, Aberglauben und religiösem Fanatismus und erzählt eine amerikanische Horror-Folk-Geschichte in naturalistischen Bildern.
Handlung
Im New England der 1630er Jahre wird die Familie des unbeugsamen Patriarchen William von der Gemeinde ausgeschlossen. William will sich dem lokalen Glaubensdiktat der Siedler nicht beugen und muss daraufhin mit seiner kleinen Familie und dem Hausstand in die Wildnis ziehen. Mit Ehefrau Katherine, der ältesten Tochter Thomasin, dem langsam pubertierenden Sohn Caleb und den Zwillingen Mercy und Jonas baut er sich am Rande eines dichten Waldes ein neues Zuhause in der rauen Wildnis auf, mit Haus, Stall, Garten, ein wenig Vieh und einem kleinen Acker. Nach kurzer Zeit kommt Söhnchen Samuel neu in die kleine Familie, die versucht, der Natur ein bescheidenes Leben am Rande der unheimlichen Wälder abzutrotzen. Es ist ein harter Lebensalltag als Farmer und Jäger, alle müssen mit anpacken, um die kleine Familie überleben zu lassen.
Eines Tages hütet Thomasin den kleinen Samuel nahe der Baumgrenze. Während eines Peekaboo-Spiels verschwindet der Säugling auf mysteriöse Weise, buchstäblich binnen eines Augenblicks. Die folgende Suche bleibt erfolglos, die verzweifelte Mutter Katherine gibt Thomasin die Schuld. Das Gerücht einer in den Wäldern lauernden Hexe bringt die ohnehin angespannten Familienverhältnisse an die Grenze der Belastbarkeit. Ein verschwundener Becher, Missernten, Hühnereier mit toten Küken und blutige Ziegenmilch scheinen die übernatürliche Quelle der Ereignisse zu bestätigen. Stellt Gott ihren Glauben auf die Probe oder versucht die Hexe, sie zu versündigen? Missverständnisse, Intrigen und Lügen drohen die kleine Gemeinschaft, mit ihren strengen Regeln und dem darbendem Alltag, zu zerreißen.
Die Familie plant schließlich, Thomasin abzugeben. Caleb versucht mit einem verbotenen Ausritt in den Wald, zu den ausgelegten Jagdfallen, dies noch zu verhindern. Begleitet wird er von Thomasin, die nach einigen unheimlichen Vorkommnissen im düsteren Wald alleine zurückkehrt und sich wieder massiven Vorwürfen stellen muss. Als Caleb nackt und fiebernd aus dem Wald zurückkehrt, beginnt eine rapide eskalierende Abwärtsspirale. Das schwindende gegenseitige Vertrauen, die panische Angst vor dem Okkulten und das Abweichen vom korrekten Glaubensweg zerreißen die angespannte Familienbande letztlich endgültig. Der schwarze Philipp, der wilde und unheimliche Ziegenbock der Familie, wird zum Mittelpunkt der weiteren Geschehnisse. Ist er vom Teufel besessen oder etwa die Zwillinge? Oder gar Thomasin? Alle Sünden und Verfehlungen im Sinne ihrer strikten puritanischen Glaubenslehre scheinen sich zu rächen, die Schwächen und Begierden jedes Einzelnen entscheiden über das Schicksal der Familienmitglieder.
Lovecrafteske Bezüge in der Cinematographie
Hier soll nicht versucht werden, eine vollumfängliche Besprechung dieses an Bezügen reichen Filmes vorzulegen. Es gibt inzwischen Unmengen an Sekundärmaterial zu The VVitch, sei es in Buch-, Audio- oder Film-Form. Ein paar Tipps für Interessierte hänge ich an diese Besprechung an. Hier soll es mehr um die Herausarbeitung der Lovecraft-Bezüge im Film gehen, aufgeteilt in einige Themenbereiche.
Zeitkolorit und Atmosphäre
Lovecraft empfand sich stets als zu spät Geborener, es zog ihn gedanklich in längst vergangene Epochen. Neben seinem geliebten 18. Jahrhundert faszinierte ihn die Zeit der Hexenprozesse, vor allem in und um die Stadt Salem, der ‘Hexenhauptstadt’ der USA. Die satanische Panik um den Kult der schwarzmagischen Hexerei nutzte er als Hintergrund in vielen seiner Werke, sei es The Case of Charles Dexter Ward, The Dunwich Horror oder The Thing on the Doorstep und bezog sich oft auf die Hexenprozesse in Salem und der Umgebung.
Diese dunklen Zeiten fängt Robert Eggers in seinem für gerade einmal vier Millionen Dollar produzierten Erstlingswerk fantastisch ein. Ausstattung, Kostüme und Setting sind extrem naturalistisch und akkurat, selbst Abweichungen nimmt Eggers mit voller Absicht und mit gezielter Intention vor. So wie sich Lovecraft vor allem an Margaret A. Murrays Buch The Witch Cult in Western Europe für seine Informationen und Details über Hexerei bediente, hat Robert Eggers sich an den Gerichtsprotokollen und Zeitzeugenberichten orientiert, um eine glaubwürdige Darstellung einer puritanischen Familie und ihrem Untergang im Angesicht der Hexerei auf Celluloid zu bannen. Die Parallelen zu Lovecraft manifestieren sich auch in den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Ereignisse. Ob es sich bei der Hexerei um reale Phänomene oder Wahn handelte, trieb Lovecraft z.B. in einem Brief 1924 um: “...Die Erklärung durch Wahnvorstellungen und Hysterie wird zugunsten einer Hypothese verworfen, die fast exakt mit derjenigen übereinstimmt, die Arthur Machen in seinen literarischen Werken vertritt” (zitiert nach S.T.Joshi /Lovecraft Leben und Werk).
The VVitch bietet ebenso mehrere Interpretationsmöglichkeiten für die Ereignisse an, vom religiösen Wahn über schwarze Magie, Wahnvorstellungen dank Schimmelpilzvergiftung oder der Dauer-Isolation bis hin zu einer Art Emanzipationsgeschichte. Dabei legt Eggers Wert auf geschichtliche Akkuratesse, angefangen bei der Sprache und den gesprochenen Redewendungen bis hin zur nahezu ausschließlich natürlichen Beleuchtung. Die stimmungsvollen, morbide-schönen Bilder lassen einen perfekt in die Szenerie eintauchen, man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt, der Film erzeugt eine enorme, fast tastbare Glaubwürdigkeit, bei der der Einbruch des Okkulten und Phantastischen - wie bei Lovecrafts Werken - letztlich umso schwerer und schockierender wirkt. Die Angst vor dem Unbekannten im undurchdringlichen Wald wird effektiv in Bilder gemalt und von einem kongenialen, dissonanten Musik- und Sounddesign von Mark Korven (The First Omen) vertieft. Lovecraft verarbeitete viele seiner Träume und Alpträume in seinen Geschichten, Robert Eggers hat seine eigenen genutzt, um sie in The VVitch filmisch umzusetzen.
Religiöser Fanatismus
Lovecraft ist als Religionskritiker bekannt, so schreibt Joshi: ”...beherrscht von seiner rigiden Religiosität der Puritaner, die in den psychotischen Schrecken der Salemer Hexenprozesse kulminierte. Die Religion, in der Lovecraft nur die Überwältigung des Intellekts durch das Gefühl, kindisches Wunschdenken und Jahrtausende bösartiger Gehirnwäsche erkennen konnte…” (S.T.Joshi). In The VVitch führt Regisseur Eggers diese rigide religiöse Auslegung und deren Konsequenzen deutlich und deprimierend akkurat vor Augen und agiert hier als filmischer Bruder im lovecraftschen Geiste. Die wirklich beeindruckenden schauspielerischen Leistungen des gesamten Casts sind mitreißend und geradezu unglaublich für die gerade einmal 25 Drehtage. Die religiöse Verbohrtheit des über-stolzen, strengen aber auch liebenden Vaters William fängt Ralph Ineson (The First Omen) grandios ein, ebenso wie Kate Dickie (The Green Knight) als seine nach materiellen Dingen dürstende Ehefrau Katherine. Anya Taylor-Joy (Furiosa) bietet eine herausragende Leistung in Ihrem Debüt als unsere Identifikationsfigur Thomasin, die trotzdem immer etwas undurchsichtig bleibt. Ihre Leistung für den Film kann kaum überbewertet werden, ebenso wie die der Kinderdarsteller als überragend bezeichnet werden muss. Vor allem Harvey Scrimshaw (Without Sin) als Caleb, dessen erste unschuldige Lust nicht weiss, wo sie hin soll, liefert eine überzeugende Leistung ab, gerade in seinem religiösen Wahn in der zweiten Filmhälfte ist er extrem überzeugend.
Die Darsteller vermitteln, wenn man sich als Zuschauer darauf einlassen kann, einen fundierten Eindruck von der gefährlichen Kraft der extremen Weltsicht des religiösen Wahn. Alle in dem familiären Mikrokosmos sind von vornherein dazu bestimmt, an den uneinhaltbaren Ansprüchen ihres extremen Puritanismus zu scheitern. Das Motiv von Sünde, unterdrückter Begierden und natürlicher Triebe im Angesicht des reinen Glaubens wird hier symbolisch aufgeladen und kunstvoll umgesetzt. So wie Lovecraft Religion als Irrweg ansieht, führt uns Robert Eggers vor Augen, dass der Pakt mit dem Teufel erschreckenderweise vielleicht die bessere Alternative ist. Das weitere Schicksal von Thomasin bleibt letztendlich zwar offen und somit frei zur Interpretation, der Glaube bietet aber offensichtlich keinerlei Lösung oder Erlösung für sie an. “Wouldst thou like to live deliciously?”, die Frage von Black Phillip kann man nach dem Mit-Erleben der Torturen Thomasins mit ihr zusammen beantworten, so schockierend sie sich im Film auch manifestiert. Eine Anekdote von der Premiere auf dem Sundance Filmfestival zeigt diese religiöse Aufladung des Filmes: als Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy von zwei aufgebrachten religiösen Damen an die Wand gedrängt wurde mit dem Vorwurf, diese hätten durch die Sichtung des Filmes quasi einen Pakt mit Satan geschlossen.
Hexerei
Die Darstellung der Hexerei in The VVitch folgt allen klassischen, archetypischen Tropen des Genres. Inspirationen waren hier neben den geschichtlichen Quellen Sagen, Mythen und Märchen. Motive von Hänsel und Gretel finden sich ebenso wie die von Red Riding Hood und viele christliche Symbole. Dabei verwendete Eggers Abbildungen von Hexen und deren Sabbath-Feiern in Kunstwerken der letzten Jahrhunderte für seine Leinwandbilder, kongenial eingefangen von Kameramann Jarin Blaschke. Werke von Albrecht Dürer und vor allem Francisco de Goya bannte er filmisch ähnlich auf Celluloid, wie Lovecraft die Bilder Nicholas Roerichs literarisch in At the Mountains of Madness umsetzen wollte. Filmische Referenzen sind u.a. Werke wie The Wicker Man, Rosemary's Baby, Picnic at Hanging Rock oder die modernen The Shining und The Babadook.
Die Bezüge zu Lovecraft sind hier neben den klassischen Grundlagen gerade im Finale überdeutlich. Spätestens wenn aus dem Ehrfurcht gebietenden Ziegenbock Black Phillip (der Darsteller Ralph Ineson mehrfach beim Dreh schwer verletzte) der Schwarze Mann wird und Thomasin auffordert, in seinem okkulten Buch zu unterschreiben, müssen geneigte Lovecraft-Apologet*innen die Analogien zu The Dreams in the Witch-House ins Auge springen. Es hätte einem schon bei der Entführung des ungetauften Samuel und dessen ‘Verwendung’ dämmern können, dass hier Parallelen unübersehbar sind. Ebenso erscheint die ‘alte’ Version der Hexe durchaus zur Keziah Mason-Figur analog, zumindest aber passend dargestellt.
Die Verlässlichkeit der Realität stellt der Film mehrfach in Frage, z.B. bei Samuels Verschwinden, und sie bleibt unbeantwortet. Ist das Gelände verhext oder gar verseucht - was wiederum an The Colour out of Space erinnern würde - oder ist alles ein Glaubenstest für die Siedlerfamilie? Die Ambivalenz des Endes im finalen Twists erinnert ein wenig an die Rückkehr Olmstedts ins Meer am Ende von The Shadow over Innsmouth. Aus moderner Sicht beantwortet sich diese Frage anders als sie zur Zeit des Geschehens selbst beantwortet worden wäre. Dabei ist der unausweichliche Determinismus der Schicksale der werküberspannende Faktor.
Bewertung
Was Robert Eggers, sein Team und die Darsteller in diesem Debütfilm mit geringen Mitteln geschaffen haben, ist außergewöhnlich. Sicherlich kein Horrorfilm für den Mainstream. Eggers wählt bewusst fast quälend lange Einstellungen und heute ungewohnte Schwarzblenden. Mit seinen entsättigten Farben und schwierigen Dialogen in altmodischer Sprache fordert er den Zuschauer heraus, zwingt ihn, sich entweder auf diese Welt und die Bedingungen einzulassen oder den Film als langweilig abzuwerten. Schockierend ohne ein Gorefest zu beschwören, mitreißend ohne wilde Jump-Cuts oder in diesem Setting unpassende Kamera-Mätzchen und atmosphärisch ohne artifizielle Filter oder billige CGI-Tricks ist der Film ein immersiver Transfer in eine andere Zeit und Kultur. Mehr alptraumhaftes Arthouse-Familiendrama mit Schauer-Mär-Anteilen als moderner, schnell geschnittener Horror-Schocker, näher den alten Stummfilm-Klassikern als neueren, oft generischen Schlachtplatten ohne nennenswerte Geschichte. Der Film zwingt zum (Mit-)Denken und belohnt die Beschäftigung mit ihm, gerade nach dem Abspann oder bei erneuter Sichtung; durch die vielen Hinweise, die Bildsprache, sein Foreshadowing und seine Liebe zum Detail und der Historie belohnt er jede Vertiefung. Ähnlich wie es zu Lovecrafts Geschichten ganze Werke zur Aufschlüsselung der Details gibt - man denke an die Werke von Leslie Klingers oder S.T.Joshi - ist dies bei Eggers Werken und im Speziellen bei The VVitch ähnlich (Hier sei auf das YouTube Essay von Novum verwiesen, das den Film, seine Symbolik und geschichtliche Einordnung über sieben(!) Stunden entschlüsselt).
Fazit
Ein modern-morbider Klassiker und ein bildstarkes Meisterwerk des Folk-Horrors, das jeder Mensch mit einem Hang zu dieser Art Geschichte, Lovecraft und generell atmosphärischer Film-Ästhetik gesehen haben sollte. Kein leicht verdauliches Werk, aber ein sehr lohnendes, das mit jeder Sichtung mehr Respekt gewinnt.
Zitate
Lovecraft: Leben und Werk 1+2 / S.T. Joshi
Weiterführendes:
1. Allgemein zum Hexenfilm: Marcus Menold / Hexen / Virus Verlag, Raptor Publishing
2. Über Robert Eggers: Adrian Gmelch / Art-Horror- Die Filme von Ari Aster und Robert Eggers/Büchner Verlag
3. Zum Film speziell: The VVitch -The Complete Guide- über 7:24:48 h ! / Novum / YouTube
The VVitch Blu Ray Audiokommentar des Regisseurs und Interviews
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