Lovecrafter Online – Rezension: Hämmer auf Knochen


Der Buchheim Verlag veröffentlicht bereits seit einiger Zeit deutsche Erstausgaben der amerikanischen Cemetery Dance-Reihe. Die Geschichte von Richard Chizmar und Cemetery Dance geht auf das vor 30 Jahren gegründete, gleichnamige Magazin zurück. Mittlerweile hat das Magazin mit seinen Sammler- und Vorzugsausgaben zahlreicher namhafter Autoren im Bereich Horror und Dark Suspense längst Kultstatus erreicht. Im Deutschen erscheinen die Bände in den Reihen „CDG Limited“ und „CDG Select“, wobei letztere kürzen Novellen mit lovecraftesken Bezügen vorbehalten ist. Die Ballade von Black Tom wiederum ist der neunte Band der „CDG Select“-Reihe.
Victor LaValle ist ein amerikanischer Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Er wurde zweifach mit dem Shirley Jackson Award ausgezeichnet. 2018 gewann er den World Fantasy Award und den British Fantasy Award für seinen Roman The Changeling. Bereits aus dem Jahr 2016 stammt sein The Ballad of Black Tom, welches nun in deutscher Erstveröffentlichung vorliegt. Für diese Vorzugsausgabe wurde darüber hinaus Vincent Chong als Illustrator gewonnen: dieser arbeitet sowohl an Buch- und Zeitschriftenillustration bis hin zu Produktionsdesigns für Film und Fernsehen. Chong wurde mit mehreren britischen Fantasy Awards ausgezeichnet und erhielt außerdem einen World Fantasy Award als bester Künstler. Soviel über die Beteiligten, wenden wir uns endlich dem Inhalt zu!
Charles Thomas Tester ist kein Taugenichts und Tagedieb, aber auch kein Gentleman. Er muss hart dafür kämpfen, dass abends etwas zu Essen auf dem Tisch für sich und seinen schwerkranken Vater steht. Dazu ist er bereit, alle möglichen kleinen Gaunereien zu begehen und mithilfe einfacher, kleiner Tricks die Weißen und Polizisten zu täuschen. Denn Tester ist ein „Negro“, jemand, der sein Stadtviertel Harlem nicht verlassen kann, ohne schief angesehen oder gar angepöbelt zu werden. Testers Leben verändert sich, als er einer alten Zauberin im Herzen von Queens ein okkultes Buch liefert. Denn ohne es zu ahnen begibt er sich damit auf eine Reise, die ihn direkt in unergründliche Dimensionen der Magie führen wird.
Die Ballade von Black Tom ist eine moderne Interpretation von Lovecrafts Kurzgeschichte Das Grauen von Red Hook. Während wir in Lovecrafts Original den Bemühungen von Inspektor Malone folgen, den vom alten Robert Suydam offensichtlich gegründeten Kult zu zerschlagen, so stellt dieser Handlungsstrang in Die Ballade von Black Tom nur einen kleinen Teil der Gesamthandlung dar. Denn in erster Linie geht es eben um Charles Thomas Tester – „Black Tom“ – und seinen Weg hinein in den verderbten Kult Suydams und seine Rolle in den kommenden Ereignissen. Erst im zweiten Teil des Bandes dürfen wir uns näher mit Malone beschäftigen, dem etwas mehr Charakter als in der deutlich seitenärmeren Vorlage verliehen wird. LaValle hält sich mit der Charakterzeichnung jedoch eng an der literarischen Vorlage. Schließlich kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten im Finale und Malone muss erkennen, dass er selbst maßgeblich daran beteiligt ist, dass „Black Tom“ eine gute Motivation hat, Suydams Kult für sich zu nutzen.
Das Grauen von Red Hook ist insbesondere für den Afroamerikaner LaValle eine interessante Wahl als Vorlage, denn in kaum einer anderen Geschichte treten Lovecrafts Ressentiments gegen Ausländer – „minderwertige Mischlinge“, wie er sie hier oft nennt – so offen zutage. So verwundert es sicher nicht, dass LaValle einen farbigen Protagonisten wählt, um seine Version der Geschichte zu erzählen. Dabei lässt er uns tief in die vorurteilsvolle Welt, die dem „Negro“ Thomas Tester gegenübersteht, eintauchen und lädt uns dazu ein, echtes Mitgefühl zu entwickeln. Zugleich gelingt es LaValle nahezu unbemerkt im Laufe der Handlung „Black Tom“ zur eigentlichen Hauptfigur hinter Suydams Kult zu machen. Was zunächst ein wenig aufgesetzt wirken mag, entfaltet durch die Handlungen Malones und seiner Kameraden, welche Tester erst in diese Rolle drängen, eine große Tragik. So ist Die Ballade von Black Tom nicht nur eine Hommage an Lovecraft, sondern zugleich auch eine Kritik. Und abseits all dieser Gedankenspiele auch noch eine verdammt gut geschriebene Horror-Novelle, welche Lovecrafts dünne Vorlage nicht nur vertieft, sondern übertrifft.
Die vom Buchheim Verlag aufgelegte „Select“-Ausgabe liegt als stabiles Hardcover mit schicker Prägung und einem goldenen Lesebändchen vor. An der hervorragenden Haptik des Buches gibt es nichts zu Meckern und die Illustrationen von Vincent Chong runden – wenn es auch leider nur drei an der Zahl sind – die Vorzugsausgabe gelungen ab. Technisch gibt es damit überhaupt nichts zu meckern.
Fazit: Die Ballade von Black Tom ist eine hervorragende Novelle, welche die zugrundeliegende Lovecraftgeschichte Das Grauen von Red Hook vertieft, ihr eine überraschende Note verleiht und sie schlussendlich sogar übertrifft. Absolut empfehlenswert.