Lovecrafter Online – Alles Gute, alter Junge!

Birger Dreitillson ist ein Holmgaenger. Für „sieben Silberlot oder den Gegenwert dieses Betrags in tragbaren Waren“ spricht er ein Urteil, meist vollstreckt mit seinem brachialen Schiedsschwert. Für diese Aufgabe gelten ebenso strenge Regeln wie klare Sicherheiten. Als Holmgaenger genießt er unter allen freien Völkern Schutz, was in der Eiswüste Khor jedoch nur eine schwache Sicherheit darstellt …
Genau in diese unwirtliche Gegend hat es ihn jedoch verschlagen. Als ob das nicht genug wäre, kennt er nicht einmal den Grund seines Auftrages. Erinnerungslos hat er nur sein singendes Schiedsschwert und sein Bauchgefühl um sein Urteil zu verstrecken. Ehe er sich versieht, steckt er jedoch in Verflechtungen kosmischen Ausmaßes fest, die selbst an den Fundamenten der Realität rütteln.
Heldenqueste
Wie im Sword & Sorcery Genre nicht unüblich, steht hier diese eine Queste eines Helden ganz im Fokus. Perspektivwechsel, schnelle Schnitte oder andere Elemente moderner Fantasy fehlen hier völlig. Dafür ist dieser Fokus mit unvergleichlicher Intensität gesetzt. Wer sich bereitwillig in die Eiswüste ziehen lässt, kann förmlich jeden von Birgers Fußstapfen nachspüren und beobachten, wie “der Frost unbarmherzig in Nase, Finger und Zehen” schneidet. Man merkt schnell, dass der Autor hier ganz in seinem Metier ist und das Genre atmet. Wer Erik R. Andaras Werke kennt, kann dabei einige seiner Motive wiedererkennen. Er*Sie weiß aber sicher auch um den hohen Anspruch des dunklen Phantasten. Das gilt noch einmal mehr für den Holmgang, der den Wiener schon einige Jahre gewissermaßen als eigene Queste begleitet. Hier findet sich keine Zeile, die einfach so dahingeschrieben wäre. Andara ist ein ernsthafter Schriftsteller, der sein Handwerk versteht. Seien es die inneren Konflikte Birgers, dramatische Kämpfe, das schneidende Eis oder die kleinen Anspielungen auf das Genre: Andara ist immer Herr seines Stils und platziert jeden Schwert- oder vielmehr Federstreich mit äußerster Präzision.
Das gilt auch, oder sogar in besonderer Weise für den Weltenbau. „Der Holmgang” orientiert sich an der Rollenspielwelt von Malmsturm, die jedoch durch die Schlitze einer eigens geschnitzten Schneebrille interpretiert wird. Die präsentierten Konzepte rufen direkt danach, im Rollenspiel umgesetzt zu werden, wie etwa die gastfreundliche Gottheit Faehrd oder die Ausgestaltung des titelgebenden Konzept des Holmgangs. Beide wirken so tief mit der Welt verbunden, dass Sie kaum als Eigenkreation auffallen würden.
Das zentrale, von Malmsturm aufgegriffene Motiv ist die Idee von realitätsbildender Magie, die sich unter anderem in Malmstürmen ausdrückt, die die Gesetze von Zeit und Raum sprichwörtlich durcheinanderwirbeln. Hier ist dann auch der Punkt an dem sich Sword & Sorcery und kosmischer Horror treffen …
Tatsächlich wirbt der Holmgang auch genau damit, dass hier Sword & Sorcery auf kosmischem Horror treffe. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Eine kosmische Dimension nimmt der Roman im weiteren Verlauf allemal an. Die ist aber nur in kleinen Teilen vom kosmischen Horror im Sinne Lovecrafts geprägt. Zwar kommt ein großer Alter sogar namentlich vor, das Thema des radikalen Nihilismus tritt aber hinter eine – nicht minder Komplexe – eigene Mythologie zurück. Den Holmgang zu lesen, weil man Cthulhu erwartet, wäre verfehlt. Dennoch kann man als Freund*in des kosmischen Horrors einige (indirekte) Parallelen finden. Zum einen wäre da die besagte Zersetzung der Realität. Andara ist es ernst damit, das ganz Andere, widersinnliche zu beschreiben und kämpft mit dem großen Komplex Lovecrafts: Das Unsagbare zu beschreiben. Er gehört für mich zu den wenigen Autor*innen, die diesen Kampf mit allen Konsequenzen austragen und mit den Grenzen der Realität bis an die Wurzeln ringen.
Zum anderen wären da die Horrorelemente, die hier zwar durchaus auch brachial auftreten können, aber nie ins plump Schockierende umschlagen, sondern immer eine tiefergehende und ernsthaft verstörende Wirkung haben. Fantasy nimmt hier wahrhaft düstere Züge an.
Erik R. Andaras Holmgang ist für mich ein äußerst gelungener Versuch, das Sword & Sorcery-Genre neu zu interpretieren und mit Elementen des kosmischen Grauens zu verbinden. Handwerklich lässt das Buch keine Fragen offen. Hier treffen ein souverän geführter Stil mit einem komplexen Plot und einem tiefgründigen Weltenbau zusammen. Ob das Buch die richtige Wahl ist, kann also keine Frage der Qualität, sondern nur des Geschmacks sein.
„Der Holmgang“ ist weder ein Lovecraft-Pastiché noch ein schnelles Sword & Sorcery-Gemetzel. Stattdessen findet er eine eigene, besonnene Stimme, die einen Seite für Seite in die Untiefen des Genres zieht. Wer niveauvolle dunkle Sword & Sorcery Fantasy mit cthuloiden Elementen sucht, bekommt hier ein einzigartiges Elixir gebraut.
P.S.: Der Holmgang ist beim Whitetrain-Imprint Nighttrain erschienen und kann direkt beim Autoren bezogen werden.