Lovecrafter Online – Interview mit Michael, Jaegers.NetCast
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Thorsten -
28. Februar 2022 um 12:00 -
1.527 Mal gelesen -
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- Seit wann kennst du Lovecraft oder andere Mythos-Autor:innen? Wie fandest du den Zugang?
- Wie kamst du auf die Idee, regelmäßig Inhalte wie deine Spielaufnahmen zu produzieren? Seit wann bringst du die Inhalte heraus und gibt es eine interessante Entstehungsgeschichte dazu?
- Wie gehst du damit um, direkt oder indirekt das Werk eines Menschen zu würdigen, der auch durch seinen Rassismus, seinen Antisemitismus und seine Angst vor fremden Einflüssen bekanntgeworden ist?
- Gibt es etwas, dass du deinem Publikum noch mitgeben möchtet?
Michael Jaegers veröffentlicht seit bald sechs Jahren alle vierzehn Tage einen Actual-Play-Podcast. Oft geht es dabei um Aufnahmen seiner Call of Cthulhu-Runden, was hier thematisch hervorragend passt. Michael stand uns Rede und Antwort, viel Freude beim Blick hinter die Kulissen!
Seit wann kennst du Lovecraft oder andere Mythos-Autor:innen? Wie fandest du den Zugang?
Tatsächlich bin ich erst sehr spät und - Spielen bildet - über das Cthulhu-Rollenspiel auf Lovecraft und den Cthulhu-Mythos aufmerksam geworden. Der Zugang dazu war eher durchwachsen. Es ist nicht schwierig, an Werke des Autors heranzukommen, schwieriger ist es, den teils arg ausufernden Sprachstil auszuhalten und dabei die Lust am Lesen nicht zu verlieren. Sogar bei modernen Übersetzungen hatte ich oftmals Mühe, diesen mit Genuss zu folgen. Anders hingegen ist es bei den lyrischen Werken von Lovecraft. Hier war sogar (nur) das Lesen des Originals eine Freude. Meine Mühe hatte ich auch mit der filmischen Umsetzung seiner Texte. Liegt es daran, dass die Geschichten hundert Jahre alt sind und einen Cineasten des 21. Jahrhunderts, der quasi schon alles gesehen hat, kaum mehr hinter dem Ofen hervorlocken können? Es gibt wahrscheinlich einen guten Grund, warum selbst die besten Stoffe von H. P. Lovecraft es nicht auf die große Leinwand schaffen, außer, sie werden als Inspirationsquelle für eigene, moderne Geschichten (z. B. Alien) herangezogen. Mein Zugang zu Lovecraft war also durchwachsen. Die Idee des kosmischen Horrors ist brillant, Lovecrafts Werke selbst sind für mich bestenfalls von akademischem Interesse, um eben diese Idee zu analysieren.
Wie kamst du auf die Idee, regelmäßig Inhalte wie deine Spielaufnahmen zu produzieren? Seit wann bringst du die Inhalte heraus und gibt es eine interessante Entstehungsgeschichte dazu?
So ganz genau weiß ich gar nicht mehr, wie ich auf die Idee gekommen bin. Es war eine Mischung aus Neugierde auf die Technik und dem Wunsch, das eigentlich tolle Hobby in die Welt hinauszutragen. Es gab damals schon Let's Plays, wie sie seinerzeit noch genannt wurden, also Rollenspielrunden auf YouTube, aber gefallen haben mir diese überwiegend nicht. In den meisten Fällen hatten sie eine schlechte Akustik und keinen guten Aufbau, keine Spannung.
Zugleich hatte ich im Hinterkopf, dass bei Spielrunden Dritte schon so oft gefragt hatten, ob sie nicht unverfänglich mal zusehen könnten. Auf Conventions sind diese Interessenten (ich auch) immer abgewimmelt worden mit „entweder mitspielen oder nix“. Das fand ich nicht gut. Den Ansatz kann man fahren, aber warum? Nach ein wenig Technik-Tüftelei ging unsere erste Runde (natürlich Cthulhu) im Juni 2016 online, als Live-Videostream. Und ich muss gestehen, ich bin ganz froh, dass eine Mitspielerin von vornherein sagte, dass sie das Video nicht lange im Netz haben möchte. Ich wollte es ja irgendwie besser machen als die Anderen und musste feststellen, dass das Video diesem Anspruch nicht annähernd gerecht wurde. Ich habe gestammelt, es gab viele Sprechpausen und kein Tempo. Das Video nachzubearbeiten kam für mich nicht in Frage – das war mir zu viel Aufwand. Aber mit der Tonspur habe ich etwas experimentiert und war dann recht zufrieden mit dem Resultat.
Das Ende vom Lied war dann, dass ich mit einer sehr steilen Lernkurve in einen reinen Audio-Podcast eingestiegen bin. Die erste Episode ging am 4. Juli 2016 auf Sendung, und mittlerweile erscheint spätestens alle 14 Tage eine neue Folge. In der Regel sind es mindestens sieben Tonspuren, die bedient werden und viele Stunden der Nachbearbeitung – eigentlich zu viel, wenn man bedenkt, welche Nische man bedient. Die Zahl der Zuhörer steigt kontinuierlich (wenn wir Cthulhu spielen, dann deutlich), und das Feedback, das kommt, ist ausschließlich positiv. Und paradoxerweise kommt das Feedback immer dann, wenn ich gerade wieder einmal drauf und dran bin, den Kram ob des enormen Aufwands hinzuschmeißen.
Interessant ist, dass ich zu Schulzeiten eigentlich immer den Traumberuf eines Spielfilmregisseurs gehabt habe. Die Noten unter den Interpretationen von irgendwelchen Lektüren waren dann jedoch eher ernüchternd, und meine persönliche Einschätzung, ob ich mit dieser Idee auch tatsächlich einmal Erfolg haben könnte, hat mich dann doch in die Informatik gehen lassen. Letztlich mache ich mit den Podcasts nun doch etwas, was in diese Richtung geht …
Wie gehst du damit um, direkt oder indirekt das Werk eines Menschen zu würdigen, der auch durch seinen Rassismus, seinen Antisemitismus und seine Angst vor fremden Einflüssen bekanntgeworden ist?
Ich habe mich mit der Thematik durchaus befasst. H. P. Lovecraft war – und das hat Markus Widmer in seinem Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe von Mythos World gleich im ersten Satz absolut treffend formuliert – ein Rassist. Punkt. Daran gibt es nichts zu deuteln. Dass Rassismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet war, ist dabei keine Entschuldigung. Sich vor etwas zu fürchten, was fremd ist (und das ist ebenfalls ein großes Motiv in Lovecrafts Werken), ist meines Erachtens eine ganz natürliche Sache. Diese Furcht muss aber nicht in Hass (Fremdenhass, Rassismus, Antisemitismus und Co.) enden. Dafür sind wir Menschen eigentlich mit genügend Intellekt ausgestattet, dass wir uns dieser Furcht bewusst werden und nach der ersten Panik rational damit umgehen können.
Trennung von Schöpfer und Werk ist ein nie vollumfänglich lösbares Dilemma. Würden wir alle Werke, alles Wissen und jede Erkenntnis tilgen, die jemand gemacht hat, der (besonders aus heutiger Sicht) zweifelhafte Standpunkte vertreten hat, müssten wir uns wohl oder übel in die Steinzeit zurückbegeben. Ich halte es für sinnvoll, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, und im Falle von Lovecraft sehe ich hier für mich keinen Grund ihn zu überhöhen oder auf ein Podest zu stellen. Ehrlich gesagt, habe ich jedes Mal Bauchschmerzen, wenn ich sein ewiggleiches Konterfei in einem Cthulhu-Buch abgebildet sehe. Ich besitze weder eine Statue noch ein Poster von H. P. Lovecraft – bei dem fiktiven Cthulhu sieht es anders aus. Ja, ich bin Mitglied der Deutschen Lovecraft Gesellschaft und auch der amerikanischen H. P. Lovecraft Society. Konsequenterweise müsste ich aus beiden Organisationen austreten, denn ich möchte mich mit dem Meinungsbild von Lovecraft nicht ansatzweise auf einer Linie sehen. Doch ich sehe bei der Deutschen Lovecraft Gesellschaft die Fokussierung auf das Werk, und ich sehe auch einen ordentlichen, kritischen Diskurs mit dem Meinungsbild des Urhebers. Und das ist richtig so.
Hinsichtlich meiner eigenen Publikationen sehe ich es zudem so, dass die Abenteuer, die geschrieben, gespielt und publiziert werden, nicht von Lovecraft stammen. Sie sind alle bestenfalls inspiriert von seinen Werken, und diese Abenteuer spielen mit der Angst und der Furcht vor dem Fremden, vor dem Übermächtigen, ohne dass sie diese in einen negativen, menschenfeindlichen Kontext setzen.
Gibt es etwas, dass du deinem Publikum noch mitgeben möchtet?
Das Spiel ist letztlich das, was man daraus macht. Tatsächlich hat mich das Rollenspiel schon mehrfach in Situationen gebracht, in denen ich mich auf einmal unwohl gefühlt habe. Szenen, die im Kino spurlos an mir vorüber gingen, aber dann am Spieltisch massives Unwohlsein hervorgerufen haben. Ich konnte als Spielleiter den Nazi-NSC mit seinen Parolen nicht spielen. Ich konnte die Folterszene, die die Spieler auf einmal starteten, nicht ertragen. Ich konnte die von den Spielern und Spielerinnen geplante Sexszene nicht durchziehen.
Spielt das, womit ihr euch wohl fühlt und von dem ihr sicher seid, dass auch die anderen damit keine Probleme haben. Spielt so, dass eure Oma bedenkenlos auf der Couch nebenan sitzen und Socken für ihre Enkel stricken könnte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob ihr vielleicht ein gefährlicher Psychopath seid. Und wenn es etwas gibt, was euch belastet, dann sprecht darüber. Wenn etwas nicht okay war, dann wart ihr möglicherweise nicht die einzigen, denen das nicht recht war. Auf diese Weise macht ihr die Angelegenheit auch für euch besser greifbar und ertragbar.
Vielen Dank für das Interview!