Ich habe einfach mal einen Thread aufgemacht, in welchen jeder etwaige cthuloide/ lovecraftige oder sonstwie bemerkenswerte Neuerscheinungen im Literaturbereich hinein packen kann.
Gemäß eines Eintrags im Verlagsforum von Festa ist dort der Text "Dreamer on the Nightside" von Frank Belknap Long in Vorbereitung. Frank Festa hat im Forum eine Leseprobe gepostet, die ich dort entnommen habe. Klingt sehr interessant und berührt einen gerade wieder recht aktuellen Aspekt.
ZitatAlles anzeigenAus dem noch unkorrigierten Text Mein Freund H. P. Lovecraft - Dreamer on the Nightside von Frank Belknap Long, bei Festa in Vorbereitung:
Der einzige Aspekt von HPLs komplexer Persönlichkeit, der für eine gewisse Bestürzung bei denen gesorgt hat, die ihm nie begegnet sind und die daher nur eine verschwommene Vorstellung davon besitzen, wie er in Wirklichkeit war, ist schon lange kein Geheimnis mehr, denn mehrere Bände seiner Briefe befinden sich inzwischen im Druck, und in ihnen finden sich etliche Briefe, die seine Ansicht von der Überlegenheit des angelsächsischen Kulturkreises sowohl in Europa als auch in Amerika unmissverständlich ausdrücken. Das waren seine Gefühle zu jener Zeit, nicht aber in späteren Jahren. Das will ich hier klarstellen.
Noch wichtiger ist es, an dieser Stelle zu betonen, dass ich in der Lage bin, durch die vielen Gespräche mit ihm, in denen es auch um andere Dinge ging, diesen Punkt zu erhellen. Während all jener Unterhaltungen auf unseren langen Spaziergängen durch die Straßen von New York und Providence habe ich nicht ein einziges Mal gehört, das er eine abfällige Bemerkung über einen Menschen einer Minderheit gemacht hätte, der ihm auf der Straße begegnete oder mit dem er sprach und dessen kulturelle oder rassische Herkunft sich von seiner eigenen unterschied.
Es kann nicht geleugnet werden, dass die Briefe, die ich erwähnt habe, Abschnitte enthalten, die man als rassistisch voreingenommen ansehen könnte. Überdies bezog er sich in einer seiner Geschichten, ›The Horror at Red Hook‹, und in seinen Gesprächen mit mir hin und wieder auf „eine gewaltige fremdartige Horde“, mit der er keine Gemeinsamkeiten habe. Aber ein generelles, emotional bedingtes rassistisches oder kulturelles Vorurteil ist etwas anderes als die Umsetzung eines solchen Vorurteils auf persönlicher Ebene. Natürlich können sich diese beiden Dinge überlagern; tatsächlich ist es kaum möglich, sie vollkommen voneinander zu trennen. Aber bei Howard war auch dies anders.
Dr. Dirk W. Mosig, Assistenzprofessor der Psychologie am Georgia Southwestern College, hat in dieser Hinsicht auf eloquente Weise Partei für HPL ergriffen und mir freundlicherweise die Genehmigung erteilt, ausführlich aus einem seiner Briefe zu zitieren. Er stimmt so vollkommen mit meinen eigenen Ansichten überein, dass ich nichts Besseres tun kann, als den Brief hier in seiner Gesamtheit wiederzugeben:„Die oft gehörte Behauptung, HPL sei ein ‚Rassist’ gewesen, ist nicht nur falsch, sondern auch höchst missverständlich. Teile seiner Briefe – hauptsächlich an seine Tanten geschrieben und nicht zur Veröffentlichung gedacht – werden aus dem Zusammenhang gerissen, der von Lovecrafts Milieu, seinem Lebensstil und dem Gefühl seiner Zeit gebildet wird, und sie werden falsch gedeutet, sodass Lovecraft zu einem hitlerischen Ungeheuer wird, das von der Auslöschung rassischer Minderheiten träumt. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Zunächst birgt der Begriff ‚Rassist’ heute ganz andere Konnotationen als im ersten Drittel unseres Jahrhunderts. Zu jener Zeit war die angebliche Überlegenheit der kaukasischen Kultur etwas, das von der überwiegenden Mehrheit der Zeitgenossen Lovecrafts als Tatsache akzeptiert wurde. Diese Vorstellung wurde erst dann wesentlich modifiziert, als die Abscheulichkeiten des Zweiten Weltkrieges einen Wandel in der öffentlichen Meinung hervorriefen. Während es heute, in der Nachkriegsära, durchaus vorstellbar ist, das jemand, der HPLs Ansichten ausdrückt, als ‚Rassist’ bezeichnet werden kann, ist es sicherlich ungerecht, moderne Ansichten auf die privaten Äußerungen eines Gentlemans anzuwenden, der Jahre vor der letzten globalen Katastrophe starb.
Zweitens verdient es Lovecraft, wie jeder andere auch, durch sein Verhalten beurteilt zu werden und nicht nur durch seine privaten Meinungsäußerungen, die ohne die Absicht erfolgten, jemanden zu beleidigen. All jene, die HPL kannten, bestätigen, dass er stets freundlich und höflich gegenüber anderen war, wie ihr ethnischer oder sozialer Hintergrund auch immer ausgesehen haben mag. Als wahrer Gentleman enthielt er sich eines Verhaltens – sei es nun verbal oder tätlich –, das dazu geeignet war, jemanden zu verletzen.
Insbesondere die Anklage des Antisemitismus ist in HPLs Fall lächerlich, da einige seiner besten Freunde und sogar seine Frau Juden waren. Wann hat er je ein Mitglied einer Minderheit verbal oder physisch angegriffen? HPL verhielt sich in keiner Weise wie ein Rassist, und es ist sein Verhalten, das hier zählt.
Drittens zeigte HPL, wie Dr. Brobst betont hat, seinen Freunden und Korrespondenten verschiedene Posen oder „Personae“. Diese Fähigkeit, sich an die Persönlichkeit eines anderen anzupassen, machte einen Teil seines einzigartigen Charmes aus. E. Hoffmann Price erschien er zum Beispiel als neckischer Extrovertierter, während er für andere wie ein introvertierter Philosoph klang, für wieder andere war er ein jungenhafter Kumpel oder der weise alte Großvater Theobald. Es ist wahrscheinlich, dass er auch seinen Tanten gegenüber so erschien, wie sie ihn sehen wollten und einige seiner ‚rassistischen’ Äußerungen nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus dem Verlangen heraus gemacht wurden, den Ansichten anderer zu entsprechen. Das deutet nicht auf eine Charakterschwäche hin, sondern auf eine verständnisvolle Art, welche die Ansichten der anderen toleriert.
HPL hasste keine Schwarzen, Juden, Italiener oder andere Minderheiten, aber als Liebhaber des 18. Jahrhunderts und der neuenglischen Architektur und Tradition zürnte er über die Zerstörung von kulturell bedeutsamen alten Gebäuden durch die Immigranten und andere Personen, denen diese Dinge seiner Ansicht nach wenig bedeuteten. Während er die Werte fremder Kulturen respektierte, verlangte es ihn danach, die neuenglische Kultur vor dem Ansturm ausländischer Traditionen und Lebensweisen zu bewahren. Er war ein Traditionalist, ein Liebhaber der Vergangenheit, aber in keiner Hinsicht ein fanatischer Rassist. In späteren Jahren schwand sogar sein Groll gegen fremde Kulturen, und er hegte extrem liberale Ansichten, die seiner lebenslang geübten Toleranz und seinem Verständnis für andere Menschen entgegenkamen.
H. P. Lovecraft einen ‚Rassisten’ zu nennen, ist daher absurd und lächerlich und zeigt bestenfalls einen vollkommenen Mangel an Verständnis für das Leben des bewunderungswürdigen Gentlemans aus Providence.“Übersetzung: Michael Siefener.