Lovecrafts literarische Figuren
Selbst bei einer oberflächlichen
Vertrautheit mit Lovecrafts Werk, springt die Tatsache ins Auge, dass
Frauen in seinen Geschichten fast keine Rolle spielen. Seine
literarische Welt ist eine ausgesprochen männliche. Heißt das im
Umkehrschluss, dass in dieser Welt Frauen vernachlässigt,
benachteiligt oder ungerecht behandelt werden? Und: dass diese
Annahme ein Beispiel für Lovecrafts Sexismus sein könnte?
Ich denke, der ebenso artifizielle wie
begrenzte Charakter von Lovecrafts Herangehensweise ist so
offensichtlich, dass diese Fragen verneint werden können. Zum einen
sind die Protagonisten, zumindest seines Hauptwerks, regelmäßig
Selbstdarstellungen. Entweder im Sinne eines Ideals oder doch immerhin
mit autobiografischem Einschlag. Er vertritt also gar nicht den
Anspruch, literarisch breitgefächert oder einfühlsam zu sein.
Stattdessen macht er es sich – zugegeben – einfach und greift auf
die Person zurück, die ihm am nächsten steht: nämlich sich selbst.
Das mag lahm sein, ein Indiz für Sexismus ist es nach meiner
Auffassung nicht.
Zum anderen ist es auffällig, dass
Lovecraft Modalitäten des Alltags kaum oder nur sehr oberflächlich
berücksichtigt: Fragen der Lebensführung, Erwerbstätigkeit,
soziale Stellung, Beziehungen, Freizeitgestaltung usw. werden
lediglich hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit für die Handlung
behandelt. Ein „realistisches“ Abbild der Gesellschaft lässt
sich aus seinen Geschichten jedenfalls nicht ableiten noch erwarten.
Den Wunsch nach identitätsstiftenden Charakteren verweigert
Lovecraft und er ist offenbar auch nicht bereit, die Erfahrungswerte
seines Publikums zu berücksichtigen.
Lovecrafts Kosmos ist hochgradig
künstlich. Und damit meine ich ausnahmsweise nicht seinen kosmischen
Horror, – sondern sein kauziges Milieu von Einzelgängern und
Gelehrten, die sich willig vom Unbekannten anziehen lassen, um sich
im Wust ihrer Entdeckungen heillos zu verlieren. Es ist ein eigener
Kosmos, in dem – so wollte es der Autor nun einmal –
Alltagserscheinungen wie Liebe und Partnerschaften nicht prominent
vorkommen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Dergestalt sind seine Männerfiguten ja auch keine Darstellungen eines bekannten Typs, sondern Marionetten, die zu unserer Unterhaltung sehenden Auges ins Verderben rennen.
Ich möchte nicht sagen, dass es
unergiebig sei, sich angesichts von Lovecrafts Figuren und Motiven
mit Geschlechterfragen und Rollenbildern auseinanderzusetzen. Nur einmal
mehr – behagt es mir nicht, dem Autor selbst daraufhin eine
Identität als Sexist zuzuschreiben; eine Zuschreibung, die, einmal
getätigt, ja kaum noch Luft bietet für irgendwelche Zwischentöne.