Lovecrafter Online – Filmkritik: The Deep Dark
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Michael H. -
14. Oktober 2024 um 12:00 -
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Frankreich hat traditionell H.P. Lovecraft eine große Wertschätzung entgegengebracht. Dies geschah sogar in Zeiten, in denen er nach seinem Tod in seinem eigenen Heimatland, den USA, in Vergessenheit zu geraten drohte. Der lovecrafteske Film dagegen hat im Land des Eiffelturms keine besondere Tradition. In diesem Jahr versucht der kleine Horrorthriller The Deep Dark (Gueules noires) von Mathieu Turi diesen Missstand zu beenden. Er vermengt eine klaustrophobische Gruselgeschichte im Bergarbeitermilieu mit Elementen des Cthulhu-Mythos und des Creature-Features.
Handlung
Im Jahre 1856 stießen Bergarbeiter bei tiefen Minenarbeiten auf ein altes Tunnelsystem. In diesem kommt es zu einer Explosion, nachdem die Arbeiter in der Tiefe eine unheimliche Gefahr aufgespürt haben. Von diesen Ereignissen träumt im Jahr 1956 der Marokkaner Amir. Ein realer Traum von ihm ist es, bei einer Bergbaufirma in Frankreich gutes Geld bei der schweren Arbeit unter Tage zu verdienen. Er wird der rustikalen Einheit von Vorarbeiter Roland zugeteilt, der in der härtesten Mine, der sogenannten Teufelsmine, seinen Dienst tut. Hier will auch Professor Berthier auf eine spezielle, wissenschaftliche Entdeckungstour mitgenommen werden. Er glaubt, in einer Tiefe von rund eintausend Metern eine archäologische Sensation aufspüren zu können. Nachdem eine entsprechende Schmiergeldtransaktion erfolgt ist, wird er ebenfalls dem hartgesottenen Roland zugeteilt.
Es geht hinab in die tiefen, gefährlichen und schlecht beleuchteten Stollen. Die kulturell bunt gemischte Truppe aus Spaniern, Italienern und Franzosen arbeitet hart, ebenso rau ist der Ton untereinander. Er ist geprägt von Rassismus und anderen Spannungen in den staubigen unterirdischen Gängen. Nur Roland vertritt die Philosophie der Gueules noir - grob übersetzt: "Schwarzen Fressen” (OT), wo die geförderte Kohle alle Hautfarben in ein einheitliches Schwarz verwandelt. Er hält die Truppe zusammen, wenn es in die unteren Stollen und an die Arbeit geht. An der tiefsten Stelle der Grube soll dem Professor seine Entdeckung ermöglicht werden sowie Bodenproben und Fotos gemacht werden.
Eine Sprengung legt den Eingang in das Höhlensystem frei, die ungleiche Truppe seilt sich in die Tiefe des Systems hinab. Das Notizbuch des Professors deutet auf die uralte Geschichte der Anlage hin, die mit Hieroglyphen übersäten Wände ebenfalls. Die Legende der dreißig bei einem Feuer und einem Einsturz gestorbenen Arbeiter aus Amins Traum stellt sich als real heraus, als die jetzt zur Expedition gewordene Gruppe die Leichen der Arbeiter von 1856 findet. Sie stoßen auf weitere antike Leichen mit Schildern und Schwertern und letztlich sogar einen riesigen Sarkophag. Mit Blut geschriebene Nachrichten der toten Bergarbeiter beschreiben eine schlafende Wesenheit aus der Tiefe, die einen nach dem anderen der eingeschlossenen in dem labyrinthischen Gangsystem ermordete.
Rolands Gruppe wird durch einen Erdstoß ebenfalls eingeschlossen. Aus Angst vor dem Arbeitsverlust durch den spektakulären Fund und die damit drohende Minenschließung begehen drei Arbeiter einen fatalen Fehler. Auf der Suche nach wertvollen Reliquien öffnen sie den Sarg und befreien so die schlafende Gottheit, den Mok’Noroth. Er stammt von einer uralten Zivilisation und ihm wurde jahrhundertelang mit Opferungen gehuldigt, bis er in seinem Sarkophag im Höhlensystem eingesperrt wurde. Mok’Noroth, der sechsarmige Seelenfresser, dezimiert die Truppe und es beginnt ein Kampf ums nackte Überleben. Der Legende nach steht aber mehr auf dem Spiel, wenn sich Mok’Noroth mit Hilfe der Opferung seines Meisters aus dem Gangsystem befreit.
Lovecrafteske Momente
Diese Zusammenfassung der Handlung sollte geneigten Lesenden und allen Kultist*innen die offensichtlichen Bezüge zu Howard Phillips Lovecraft bereits verdeutlichen.
Offensichtlich basiert die Handlung auf dem Cthulhu-Mythos, wird doch als Endziel des Mok’Noroth die Erweckung des Großen Alten skizziert. Dies geschieht über ein für die Handlung relevantes Buch und die vielen Zeichnungen und Fresken unter Tage. Hier erahnt man in schummriger und flackernder Beleuchtung eine Darstellung des großen Tentakelwesens an der Wand. Der gesamte Ort der Handlung, die Kulissen und die Ausstattung sind sehr stark lovecraftesk.
Assoziationen mit At the Mountains of Madness, The Statement of Randolph Carter und The Nameless City sind sofort präsent, ebenso wie viele Aspekte der Geschichte Amirs Parallelen zu The Transition of Juan Romero aufweisen. The Beast in the Cave ist eine weitere sichtbare Inspirationsquelle. Geheimnisse in den Tiefen der Erde sind ein ständig wiederkehrendes Element in Lovecrafts Werk und der Autor des Drehbuchs und Regisseur Mathieu Turi kennt seine Vorlagen offensichtlich gut. Er hat ein eigenes Pastiche der Elemente erstellt und dieses in seine klaustrophobische Gruselgeschichte eingefügt.
Eine der gruseligsten und effektivsten Szenen erinnert zudem an die Erlebnisse von Dr. Marinus Bicknell Willett in den Tiefen der Katakomben unter dem Laborkomplex des Joseph Curwen in The Case of Charles Dexter Ward. Das kurze Aufleuchten der Blitzlichter eines Fotoapparates in der totalen Dunkelheit des Stollens in der Erwartung des Mok’Noroth ist handwerklich hervorragendes Spannungskino und Lovecraft-Atmosphäre in reinster Form. Generell sind Beleuchtung, Sets und Ausstattung des Filmes sehr atmosphärisch und fördern die Beklemmung und Bedrohung. Man steigt quasi mit in die Tiefen und verfolgt die Entschlüsselung der Rätsel und Hieroglyphen an den Wänden.
Die verfallenen Ruinen der untergegangenen Zivilisation, die im Finale als Hintergrund dienen, sind gut und stimmungsvoll eingesetzt. Die Hintergrundgeschichte wird angedeutet und zur Mystifizierung genutzt, aber nicht zu Tode erklärt oder aufgedrückt. Es gibt zwar das gerne genutzte Namedropping, wenn Professor Berthier nebenbei mal erwähnt, das Abdul Al Hazred doch nicht so verrückt gewesen sei, es passt aber in die Geschichte und wirkt recht natürlich. Funfact: Die deutsche Synchronisation macht aus dem französischen "dément" das Wort "dumm", welches dann doch eher unpassend für den Erschaffer des Necronomicons ist.
Wie die unterirdischen Gänge und manche von Lovecrafts Geschichten ist dies staubtrocken umgesetzt, ironische Brechungen sind in The Deep Dark genauso abwesend wie weibliche Charaktere. Die Bergarbeiter untereinander sind zwar so rassistisch, wie es der damaligen Zeit und wohl auch Lovecrafts Geschmack entsprach. Dies wird aber - der Titel und dessen Bedeutung deuten es an - letztlich gebrochen und durch die Charakterisierungen entlarvt. Die wenigen sympathischen Handelnden sind deutlich humanistischer als ihre unsympathischen Gegenparts. Der Mok’Noroth ist eine nette Neukreation im lovecraft’schen Geist, seine Einbettung in den Mythos als einer von neun über den Erdball verteilten Erwecker, ist glaubhaft. Eine der berühmtesten Zeilen Lovecrafts wird in Zusammenhang mit ihm eingebaut: "Drum ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt."
Cinematographische Notitzen
Klaustrophobie ist ein offenbar beliebtes Thema für Regisseur Mathieu Turi. Bereits im Vorgängerwerk Meander (2020) kämpfte seine Protagonistin Lisa in einem seltsamen und gefährlichen Röhrensystem mit tödlichen Fallen ums nackte Überleben und auch im Erstlingswerk Hostile (2017) spielt das Thema eine große Rolle.
Für The Deep Dark diente das schon im französischen Bergarbeiterdrama Germinal (1993) verwendete Schacht- und Höhlensystem in Wallers-Arenberg in Nordfrankreich als Kulisse für die Darstellung des Bergbaus. Neben den erwähnten Lovecrafteinflüssen kann man filmisch die Verwandtschaft zu The Descent (2005) und ähnlichen Werken wie The Cave (2005), As Above so Below (2014), The Pyramid (2014) und letztlich natürlich Alien (1979) deutlich erkennen. Das Design des Mok’Noroth erinnert ein wenig an eine Kreuzung aus dem Höhlenwesen in The Empty Man und einem Gargoyle.
Die Schauspieler machen ihre Sache gut bis effizient. Herausstechen können nur Samuel Le Bihan (Pakt der Wölfe, 2001) als rustikaler Vorarbeiter Roland und Amir El Kacem (Overdose, 2022) als Amir. Jean-Hugues Anglade als Professor Berthier (Nikita, 1990) spielt den Mad Scientist gelegentlich etwas zu nahe der Karikatur. Der Rest der Besetzung bleibt wenig erinnerungswürdig.
Das geringe Budget wurde effektiv ausgenutzt, vor allem das Produktionsdesign weiß zu gefallen, die geringe Beleuchtung und die Kameraführung erzeugen die angemessene Fokussierung auf die wichtigen Ereignisse und Ausschnitte. Die soliden Visuellen Effekte stammen von David Danesi, der auch bei dem kürzlich bei Netflix erschienen Haischocker Under Paris (2024) tätig war. Die gelungenen Make-up und kleinen Gore-Effekte wissen ebenso zu überzeugen wie das Design des Mok’Naroth. Dessen limitierte Beweglichkeit wird durch Schnitt und Beleuchtung gut aus dem Fokus gerückt und er bleibt so durchaus beeindruckend. Geschickt führt der Film vom hell erleuchteten Marokko in die düstere Unterwelt und fördert den Kontrast der Welten.
Bewertung
The Deep Dark, ein ausgesprochen generischer, nichtssagender Titel, erfindet an keiner Stelle etwas wirklich Neues. Er mischt bewährte und beliebte Versatzstücke des B-Film Genres zu einem neuen, unterhaltsamen Ganzen. Das Einflechten des Bergarbeitermilieus in die Horrorgeschichte ist da der originellste Ansatz. Der auferweckte Gott aus The Pyramid trifft auf ein Gangsystem und die Klaustrophobie à la The Descent und so weiter und so fort. Das Alles ist hinlänglich bekannt und allzu oft gesehen.
Die Hinzugabe des Lovecraftbezuges macht das Ganze für Kultist*innen spezieller. Aber auch auf diesem Gebiet wird mehr alter, leicht aufgepeppter Wein in neuen Schläuchen serviert. Man könnte müde gähnen, wenn der Mad Scientist Abdul Al Hazred erwähnt und die Bergarbeiter schon zu Beginn patriotisch ihrer Hymne anstimmen und singen: “Was geschlafen hat, werden wir wieder zum Leben erwecken.” Diese zynische Haltung ist aber meiner Meinung nach zu ungerecht. Zu kompetent ist das Ganze umgesetzt, zu viel Mühe hineingeflossen, um so hart zu urteilen. Der Trailer deutet einen Standardfilm oder - bei schlimmsten Befürchtungen - sogar eine Trashgranate der Marke Asylum an. Man bekommt aber einen schnörkellosen Film der deutlich gehobenen B-Kategorie. Erfreulich nüchtern und ohne viel Schnickschnack wird eine geradlinige Geschichte zu einem schnell-explosiven Ende geführt.
Schaurige Schauplätze, gruselige Götter und klaustrophobische Kraxeleien halten bis zum furiosen Finale durchaus bei Laune. Es ist etwas bedauerlich, wenn man erkennt, dass mit etwas mehr Aufwand (finanziell und filmisch) noch viel mehr drin gewesen wäre. So erhält man einen gelungenen Film zur Unterhaltung mit viel Lore im Hintergrund und vielen bekannten Elementen, die man schon öfter und manchmal auch besser gesehen hat. Existenzielle Angst sollte man ebenso wenig erwarten wie hohe Filmkunst oder eine Genre-Revolution, eher einen Lovecraft-Snack light. Ich fühlte mich so wie bei der X-ten Lesung einer der Geschichten Lovecrafts. Man kennt das Alles und hat dennoch seinen Spaß.
Fazit
Man nehme eine dunkle Nacht, ein gemütliches Plätzchen und ein Getränk der Wahl und genieße eine solide Horrorgeschichte im Kosmos des Mythos für den kleinen Filmhunger zwischendurch.