Lovecrafter Online – Rezension: E/Meth
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AndreasGiesbert -
22. Juli 2024 um 12:00 -
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Felix Woitkowski ist mir zuerst bewusst als Teil des Feuerernte Teams begegnet. Den neuesten Novellenkreis Metempsychosen des Teams habe ich bereits für den Lovecrafter Online besprochen, wobei mich die Texte von Woitkowski zunehmend überzeugen konnten. Dieses Jahr sind gleich zwei eigenständige Werke von ihm erschienen: Die kürzere Novelle Below the deep - Tief unten (Whitetrain), sowie sein dritter Roman: E/Meth.
Below the deep konnte mich mit einigen Abstrichen durch seine Kurzweiligkeit und stimmungsvolle Schreibweise überzeugen. Umso gespannter war ich auf E/Meth, das ungleich schwerer und umfangreicher ist.
Während Below the deep recht schnell konzipiert und verfasst wurde, hat Woitkowski an den etwa 210 Seiten von E/Meth etwa 10 Jahre gearbeitet. In der Edition Dunkelgestirn ist dieses Herzensprojekt nun endlich zur Wirklichkeit geworden und erfährt genau die Behandlung, die ein so arbeitsintensives Werk verdient. Nicht nur das goldene Lesebändchen, die hohe Papierqualität und der Leineneinband lassen das Buch hervorstechen, sondern auch die zahlreichen stimmigen Illustrationen von Heiko Schulze alias Falpico. Die fein auf den Text abgestimmten Zeichnungen kommen im Druck sehr gut zur Geltung und machen das Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis.
So viel darf also schonmal vorweggenommen werden: Eric Hantsch, der Kopf hinter der Edition Dunkelgestirn, weiß wie man hochwertige Bücher schafft. Die auf 100 signierte Stück begrenzte Ausgabe hat wirklich nichts mit Print on Demand zu tun, sondern grenzt an eine bibliophile Luxusausgabe.
Aber worum geht es in E/Meth genau? Nunja, das ist gar nicht so einfach zu sagen. Wir erkunden mit dem Fokuscharakter Gregor eine wahrhaft surreale Welt, die aus einem verschlungenen und schier unendlichen Gangsystem besteht. Getrieben von der Suche nach Antworten und seltsamen Anweisungen in Form von – graphisch ins Buch integrierten – Papierstreifen,kämpft er sich nachgerade durch einen lebensfeindlichen Nicht-Ort. Dort trifft er auf surreale Personen, die in der gleichen Situation sind, sich aber schon länger mit dem Schicksal abgefunden haben. Sie gesellen sich zum gemeinsamen Verzehr von verschiedenfarbigen Breiarten in den Küchenräumen zu Gregor, locken ihn in einen Gang tausender quälender Stimmen und bieten mit ihrer Nähe den einzigen prekären Halt, den Gregor finden kann. Und den hat Gregor in dem wahrhaft fremden System auch bitter nötig. Hier ist kaum etwas, wie wir es kennen. Fast alles ist sandig-grau und die Wände werfen nicht einmal Schatten. Irgendwo zwischen papierhaft und organisch leiten sie die Wege des armen Gregors durch eine “Welt” ohne Orientierungshilfe.
Also nochmal: Worum geht es in E/Meth? Der Titel des Buches spielt mit einer Zwei-, wenn nicht gar Dreideutigkeit: Das hebräische Wort für Wahrheit in seiner englischen Schreibweise (Emeth), wird aufgespalten in Emeth und Meth (den Tod). Für mit dem hebräischen nicht so vertraute Lesende wie mein Informant wird aber auch die Assoziation mit Meth(amphetamin) aufkommen. Alle Deutungen sind gleichermaßen (un)passend. Denn so ganz explizit kommt keines der Elemente vor. Man könnte meinen, in einem drogeninduzierten Höllentrip gelandet zu sein, der Einblicke ins Wahrhaftige gibt. Das ist aber nur eine von vielen möglichen Interpretationen. Denn eine Erklärung um was es sich bei dem Gängesystem handelt, bleibt aus. Weder Drogen, ein Traum, noch der Tod erklären den Abstieg in diese Vorhölle. Wir wissen eigentlich nur, dass Gregor unnachgiebig gefoltert wurde, bevor sich seine Isolationszelle geöffnet hat. Hier spielt also nicht der Tod, sondern spielen verschiedene Formen der Haft und willkürlichen Folter in einem Nachleben (?) eine Rolle. Auch die Wahrheit kommt nur sehr versteckt zum Tragen. In den verschiedenen Gangebenen und Aufstiegsbildern mag die bewanderte Philosophin Andeutungen auf Platons Höhlengleichnis lesen, wer mag kann sicher auch spinozistische Erkenntnisstufen erkennen, explizit wird all das aber nicht gemacht. Das entscheidende Wort ist meines Erachtens Deutungsangebote. Woitkowski gibt uns Stoff zum Interpretieren, Deuten, Versinken; gibt uns Fragen statt Antworten.
Damit entfernt er sich weit von herkömmlichen Erzählweisen. Nicht stilistisch, denn das Buch bleibt stilistisch noch gut zu fassen und hat nur wenige experimentelle Momente. Dafür wird hier radikal am Sinn genagt. Ohne unnötig Adornos herbeizuzitieren, würde ich E/Meth zuschreiben, die Idee einer Auflösung oder einer gelungenen Handlung bewusst zu torpedieren. Immer dann, wenn man ein verfaultes Haarbüschel Erklärung in den Händen zu halten vermeint, wird dieses gleich schon wieder aus unseren sandig-grauen Händen gerissen. E/Meth will gelesen, sicher auch gedacht, aber nicht verstanden wissen. Vielleicht kann man es damit so ein bisschen mit Becketts Endspiel vergleichen oder Kafkas Prozess, aber …
Aber was ich philosophisch stark machen möchte, erfährt eben nicht die Brillanz von großer Literatur. Mir bleiben die verstörenden Elemente doch etwas zu klischeehaft und mir bleibt vor allen Dingen der Schmerz und die Verzweiflung zu weit entfernt. Die Charaktere und ihre Gefühle sind für mich nicht greifbar und docken einfach nicht bei mir an. Die Verzweiflung, die man spüren muss, wenn man in so einer feindlichen Umgebung vegetiert, bleibt einfach zu kühl dargestellt. Ich leide nicht mit Gregor mit, sondern betrachte mit ihm ein rätselhaftes Gangsystem. Und durch diesen Blick nach außen ruft das Buch eben immer und immer wieder nach Antworten. Dass genau diese ausbleiben, mag man als literarischen Schachzug deuten, der sich aber dafür zu dünn anfühlt. Das Spiel mit einer surrealen rätselhaften Welt kann meines Erachtens nur gelingen, wenn die Konstruktion erhoffen lässt, dass dort “mehr” liegt; etwas das vielleicht nicht gehoben werden kann, aber grundsätzlich wert wäre, gehoben zu werden. Ich tue Woitkowski vermutlich unrecht, wenn ich sage, dass E/Meth diese Tiefe nicht aufweist, aber ich muss leider feststellen, dass sie für mich nicht präsent ist. So hatte ich das Gefühl ein Panoptikum an mehr oder weniger unzusammenhängenden surrealen Situationen zu beschauen. Ein “Aufzug verschiedenster Bühnenbilder in Textform", wie es Carsten Kuhr andernorts treffend beschreibt.
Für mich bleibt so ein leider insgesamt ermüdendes Leseerlebnis. Während ich den Anfang faszinierend fand, hat sich das Thema für mich zu schnell fad gelaufen und den Sense of Wonder verloren. Das ist nun aber eine recht subjektive Erfahrung, die von anderen Lesenden ganz anders erfahren werden kann. Trotz meiner nicht zu überlesenden Kritik bin ich froh, dass solche Bücher geschrieben und in solch professioneller Weise verlegt werden. Im Gegensatz zu zahlreicher Genreliteratur habe ich hier etwas, an dem ich mich stoßen und abarbeiten kann. Hier werden (literarische) Grenzen ausgelotet. Wer die Ruhe hat, sich von Woitkowskis Albtraumgängen beunruhigen zu lassen, der oder die wird ein seltenes Leseerlebnis haben, das bleibender sein dürfte als der meiste kontemporäre Horror. Weird Fiction hat ihren Platz und strebt auch in E/Meth eine substantiellere Beunruhigung an als die meisten Geschichten. Das ist wichtig und macht E/Meth lesenswert, aber für mich ist es leider nicht das surreale Meisterwerk als das es gelegentlich angekündigt wird.
E/Meth ist exklusiv in der Edition Dunkelgestirn zu beziehen: Edition Dunkelgestirn
Mehr zum Autor erfährt man auf dessen Homepage: https://felixwoitkowski.wordpress.com/
Die Illustrationen von falpico finden sich gesammelt auf dessen Seite: Illustrationen zu E/Meth