Lovecrafter Online – Träume im Hexenhaus: Lovecraft geht in die Elm Street
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Seanchui -
6. März 2023 um 12:00 -
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„Ob die Träume das Fieber brachten oder das Fieber die Träume, wusste Gilman nicht.“
- H. P. Lovecraft, Träume im Hexenhaus
Inspiriert durch Zeitungsartikel über kambodschanische Jugendliche, die im Schlaf gestorben waren und zuvor über entsetzliche Albträume klagten, erfand der Regisseur Wes Craven eine der ikonenhaftesten und originellsten Figuren des modernen Horrorfilms: Freddy Krueger, der seine Opfer in Träumen jagt und tötet. Auf den 1984 erschienenen A Nightmare on Elm Street folgten insgesamt sechs Fortsetzungen, ein Crossover mit Jason Vorhees und ein Remake. Lovecraft, in dessen Werk Träume und vor allem das Paralleluniversum Traumlande immer wieder eine wichtige Rolle spielen, hat viele Motive der Film-Reihe beeinflusst.
Krueger selbst, der im Intro zu A Nightmare on Elm Street in einer Werkstatt einen Arbeitshandschuh zu einer mit mehreren Messern besetzten Waffe umfunktioniert, wird eindeutig dem proletarischen Milieu zugeordnet und bildet somit eine interessantes Gegenstück zu den verarmten Aristokraten Kuranes aus Lovecrafts Celephais, der weite Teile der Traumlande regiert und ebenso wie Krueger – der Albtraumwelten beherrscht – in der realen Welt einen schrecklichen Tod erlitten hat: „Er regiert noch immer dort und wird auf ewig glücklich regieren, obwohl am Fuße der Klippen bei Innsmouth die Kanalfluten mit dem Körper eines Landstreichers spielten (…) und ihn auf die Felsen beim Efeu bewachsenen Trevor Towers warfen, wo ein (…) besonders anstößiger Brauereimillionär die erkaufte Atmosphäre erloschenen Adels genießt.“[1]
Eines der Grundmotive der Nightmare-Reihe kommt auch in einem weiteren deutlich lovecraft-inspirierten Horror-Klassiker vor: The Fog - Nebel des Grauens (1980, Regie: John Carpenter). Die Geister ertrunkener Seeleute nehmen Rache an den Nachkommen derer, die einst ihr Schiff durch ein Feuer auf das Arkham(!) Riff leiteten, um das an Bord gelagerte Gold zu erbeuten und eine kalifornische Hafenstadt gründeten, ebenso wie Freddy Krueger die Kinder der Anwohner der Elm Street verfolgt, deren Eltern ihn in einem alten Fabrikgelände (in einer anderen Version in seinem Haus) töteten. Zwar wird Freddy (zunächst) die identifikatorische Nähe des Publikums anders als gegenüber den Meer-Geistern aus The Fog[2] weitgehend verweigert, dennoch ist auch hier die Anwesenheit von Lovecrafts erbarmungslosen Determinismus allgegenwärtig: Handlungen aus der Vergangenheit beeinflussen die Gegenwart.
Ähnlich wie der Wächter in Lovecrafts Kurzgeschichte Polaris sind die Jugendlichen in der Elm Street damit konfrontiert, nie sicher zu sein, ob sie wach oder noch in Träumen sind. Im dritten Beitrag der Film-Reihe erkennen sie aber auch, dass sie sich gegen Freddy verteidigen können und werden zu den titelgebenden Dream Warriors (1987, Regie: Chuck Russell). Zentraler Ort der Handlung, zumindest in den ersten Teilen, ist das zunächst von Nancy Thompson und ihrer alkoholkranken Mutter Marge bewohnte Familienhaus 1428 Elm Street in der fiktiven Stadt Springfield in Ohio. In Nightmare II – Die Rache (1985, A Nightmare on Elm Street, Part 2: Freddy’s Revenge, Regie: Jack Sholder) nistet Kruegers Geist im Körper des Jugendlichen Jesse ein, der mit seiner Familie das frühere Haus der Thompsons bezogen hatte – ähnlich wie Ephraim Waite in Lovecrafts Das Ding auf der Schwelle (1937, The Thing on the Doorstep) immer wieder neue Körper besetzt, um ewig weiter leben zu können. Schließlich betritt Kirsten aus Dream Warriors das Haus in ihren Träumen (worin Krueger sie attackiert) und baut es als Modell nach. Krueger kommt eine ähnliche Funktion wie dem vampirhaften Wesen zu, das im Keller des gemiedenen Hauses aus Lovecrafts gleichnamigen Erzählung (1937, The Shunned House) lebt: er ist wie eine monströse, die Ordnung bedrohende Figur aus einem Märchen. Lovecraft zitiert in seiner Geschichte auch den historischen belegten Kriminalfall des Jacques Roulet, der 1598 beschuldigt wurde, als Werwolf einen Jungen getötet zu haben.[3]
Lange bevor er A Nightmare on Elm Street drehte, beabsichtigte Wes Craven eine werkgetreue Adaption von Hänsel und Gretel zu realisieren.[4] Tatsächlich inszenierte er mit Freddy’s New Nightmare 1994 eine moderne Interpretation des Grimm-Märchens. Dennoch ist das Hexen-Motiv auch stark von Lovecraft beeinflusst. Der Student Walter Gilman in Lovecrafts Erzählung Träume im Hexenhaus (1933, The Dreams in the Witch House) bezieht, obwohl ihm die düstere Vorgeschichte bekannt ist, ein „Zimmer in einem alten Hexenhaus“. Die während der Salemer Hexenprozesse 1692 angeklagte und spurlos verschwundene Keziah Mason – auch Fred Krueger gilt offiziell als ,vermisst' – erscheint dem jungen Mann immer wieder in seinen Träumen, um „bösartig grinsend“ mit ihren „dürren Klauen“ nach ihm zu greifen. Gilman erleidet wie Nancy und die anderen Jugendlichen aus der Elm Street Verletzungen im Traum, die in der Realität sichtbar und spürbar sind: „Er erwachte am Morgen des einundzwanzigsten April mit einem Schmerz im linken Handgelenk und sah, dass an seinem Ärmel braune Flecken von getrockneten Blut waren.“ Freddys Heizkeller ähnelt auffallend Lovecrafts Beschreibungen des „von Gespenstern heimgesuchten, fluchbeladenen“ Mason-Hauses: „(...) es war ein regelrechtes Beinhaus mit den Knochen kleiner Kinder (…). Auf diesem Knochenhaufen lag ein großes (…) Messer.“[5] In Freddy's Dead: The Final Nightmare (1991, Rachel Talalay) tritt Krueger als ,Male Witch' auf einem Besen in Erscheinung, außerdem erleidet er hier und in mehreren anderen Teilen der Reihe den klassischen Ketzer- und Hexentod: er wird verbrannt. Er schließt mit Feuergeistern ein Teufelsbündnis, ähnlich wie in Lovecrafts Schatten über Innsmouth (1936, The Shadow over Innsmouth) die Bewohner einer Südseeinsel im Pazifik mit den Tiefen Wesen, um ihnen in der Walpurgisnacht und an Halloween Menschenopfer darzubringen.
Woher kommt die Faszination für die Nightmare-Reihe? Vielleicht kann die von Gilles Menegaldo vorgeschlagene Interpretation von Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath (1943, The Dream-Quest of Unknown Kadath) einen Erklärungsansatz liefern. Für den Träumer Carter stellt die Stadt Kadath „die Summe der Erfahrungen und Erinnerungen seiner Kindheit“ dar, und „indem er sie erschafft, wird der Träumer zum Demiurg (Weltordner), und der Traum verleiht ihm echte Macht, die ihm nicht nur den Zutritt zu anderem Universum verschafft, sondern dieses auch formt.“[6]
[1]Lovecraft, Howard Phillips (1987): Celephais. In Rottensteiner, Frank (Hrsg.): Lovecraft Lesebuch. Frankfurt am Main. S. 7-13, Zitat S. 13. Ungewöhnlich für Lovecraft lässt die Erzählung sogar eine marxistische Interpretation zu. Kuranes als auch Krueger bilden Antipoden zum Bürgertum, über das Marx und Engels schreiben: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ,bare Zahlung'. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt.“ (Karl Marx und Friedrich Engels: Werke Band 4. Berlin. S. 464 f.)
[2]Brüggemann, Tina (2004): The Fog – Nebel des Grauens / Nebel des Grauens. In: Vossen, Ursula (Hrsg.): Filmgenres Horrorfilm. Stuttgart. S. 252-257, Zitat S. 253 f. Zu Beginn des Films wird eine Zeile aus einem Gedicht von Edgar Allan Poe genannt, welches auch allen Teilen der Nightmare on Elm Street-Reihe vorangestellt werden könnte: „Is all that we see or seem / But a dream within a dream?“. Ähnlich wie Der Nebel von Stephen King und dessen Verfilmung ist auch Carpenters Geschichte deutlich von Lovecrafts Das merkwürdige hochgelegene Haus im Nebel (1931, The Strange High House in the Mist) beeinflusst.
[3]Joshi, T. S. und David E. Schultz (2001): An H. P. Lovecraft Encyclopedia. Westport, Connecticut. S. 242 f.
[4]Westphal, Sascha und Christian Lukas (2000): Die Scream Trilogie … und die Geschichte des Teen-Horrorfilms. München. S. 85 f.
[5]Lovecraft, Howard Phillips (1987): Träume im Hexenhaus. In: Rottensteiner, Frank (Hrsg.): Lovecraft Lesebuch. Frankfurt am Main. S. 68-110, Zitate S. 69, 88 f. u. 109.
[6]Menegaldo, Gilles (1997): Die Stadt im Werk H. P. Lovecrafts. In: Rottensteiner, Franz (Hrsg.): H. P. Lovecrafts kosmisches Grauen. Frankfurt am Main. S. 231-244, Zitat S. 238 f.