Lovecrafter Online – 092 – Interview mit Gregor Schweitzer, GM Factory


Cthulhus Geflüster ist ein Versuch Podcasts und Hörbücher/Hörspiele mit dem übergeordneten Thema Cthulhu-Mythos zusammenzuführen. Inhaltlich geht es darum, dass ein älterer Mann, der sich selbst nur als „Sammler“ bezeichnet, den Zuhörenden seine Tonbandsammlung vorführt. Diese Tonbänder sind von mir oder der Community vorgelesene Kurzgeschichten von H. P. Lovecraft, die später im Schnitt so bearbeitet werden, damit sich diese „Tonbandaufnahmen“ auch wie alte Tonbandaufnahmen anhören. Immersion ist dabei sehr wichtig, im Hintergrund ist deswegen immer etwas zu hören wie z. B. Regen oder Kaminfeuer. Es soll wirken, als säße man wirklich in diesem Raum, um sich zusammen mit dem Sammler die Tonbänder anzuhören. Die Tonbandaufnahmen werden dann zusätzlich mit passender und atmosphärischer Musik unterlegt. Damit die Atmosphäre auch so wirkt wie vorgesehen, sind Kopfhörer absolut empfohlen! inzwischen sind drei Episoden erschienen.
Hallo, erst einmal vielen Dank für diese tolle Möglichkeit mein Herzensprojekt Cthulhus Geflüster vorzustellen!
Die erste Folge habe ich am 27.11.2022 hochgeladen. In Planung war das Projekt, je nach Sichtweise, schon Jahre zuvor. Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt, irgendwann einen Podcast zum Thema Cthulhu-Mythos zu machen. Allerdings hatte ich lange keine konkrete Idee im Kopf, wie dieser Podcast überhaupt aussehen soll. Der Bedarf an Podcasts, die sich thematisch nur um Cthulhu und Co. drehen, ist ja nicht so groß. Da ich auch keine großartige Followerschaft mein eigen nennen konnte, war klar, dass ich ein gutes Konzept brauchte und irgendeinen Nerv treffen musste. Als Podcast-Produzent will man ja schließlich gehört werden. Erst als ich Jahre später mit einem Freund den Gaming-Podcast Wuselfaktor startete, beschäftigte ich mich wieder Intensiv mit der Idee des Cthulhu-Podcast.
Ich habe erst über viele kleine Umwege herausgefunden, dass der Cthulhu-Mythos einen Nerv bei mir trifft. Ich glaube meine allererste bewusste Berührung war, so seltsam es sich auch anhört, eine Geschichte aus einem Lustigen Taschenbuch: In diesem Abenteuer geht es um zwei Brüder. Einer, der will, dass „etwas“ erwacht und der andere, der genau das zu verhindern versucht. Donald, der sich in dieser Geschichte für einen tollen Sänger hält, aber bei anderen nur Ohrenschmerzen verursacht, meldet sich für einem Gesangswettbewerb an, den er zum entsetzen von Tick, Trick und Track gewinnt. Es stellt sich heraus, dass man auf einer unbekannten Insel mitten im Meer mit einer bestimmten, schrägen Tonlage singen muss, um ein Wesen dort zu wecken. Der eben erwähnte andere Bruder versucht das natürlich zu verhindern. Die Geschichte endet damit, dass Donald auf dieser Insel gezwungen wird zu singen, um das Monster zu wecken. Ganz Lovecraft-typisch besteht das Monster fast ausschließlich aus Tentakeln.
Der große Twist am Ende ist, dass die Welt, wie wir sie kennen (oder eher die Welt der Enten) von diesem Monster nur geträumt ist. Als das Monster langsam erwacht, löst sich auch langsam der Traum auf und Tick Trick und Track sehen, wie sie langsam die Form des Monsters annehmen. Die zwei rivalisierenden Brüder symbolisieren dabei das Unterbewusstsein des Monsters. Am Ende hört Donald rechtzeitig auf zu singen, sodass das Monster wieder einschläft und schließlich alles so bleibt, wie es war. Leider habe ich nie mehr herausgefunden, in welchem Band diese Episode veröffentlicht war … Diese Geschichte hat mich als Teenager total beeindruckt, vor allem auch, weil sie so düster ist. Da wusste ich noch nichts vom Cthulhu-Mythos und dass unzählige ähnliche Geschichten auf mich warteten. Ansonsten habe ich noch in Erinnerung, wie phantastisch ich die letzten Szenen vom ersten Hellboy-Film von Guillermo del Toro fand, als das Tentakelwesen aus dem Mond ausbrach und seine Tentakel gen Erde streckte. Auch da wusste ich noch nicht, dass das alles von Lovecraft inspiriert war, aber ich bemerkte langsam, dass Tentakelmonster und der Gedanke an das unfassbare und unglaubliche Grauen mich absolut faszinierten.
Das erste Mal richtigen Kontakt mit Cthulhu hatte ich dann schließlich in der Serie South Park: In einer Folge verursachte die Ölfirma BP nicht nur ein Ölleck, sondern öffnete aus Versehen zusätzlich ein Tor zu einer anderen Dimension, aus der Cthulhu und seine Diener in unsere Welt kamen. Das war der letzte Funken, den ich brauchte, um Nachforschungen zu betreiben. Am selben Abend noch habe ich das erste mal das Hörbuch Der Ruf des Cthulhu angehört und ein neues Universum hat sich für mich eröffnet.
Wie eingangs erwähnt, suchte ich nach einer Idee, um ein wenig aus der Masse an Podcasts herauszustechen, und meinen Podcast zu etwas Besonderem zu machen. Dann wurde die 200. Folge der Sendung Game Two veröffentlicht: In dieser Folge produzierte Simon Krätschmer, der auch ein großer Lovecraft Fan ist, einen Beitrag über das Spiel The Shore, der mich begeistert hat. Darin ist die Stimme aus dem Off eine alte Tonbandaufnahme, die ganz im Stile von Lovecraft über das Spiel und über die kosmischen Schrecken spricht. Ich empfand den Beitrag und die Tonbandaufnahme als sehr atmosphärisch und so kam mir dann der Gedanke, dass ich einen Podcast um Fake-Tonaufnahmen herum bauen könnte.
Ich habe dann begonnen die Kurzgeschichte Dagon aufzunehmen und versucht, den Klang einer alten Aufnahme zu reproduzieren. Ich merkte schnell, dass sich die Geschichten von Lovecraft gut dafür eigneten, da viele Geschichten, wenn nicht sogar die meisten, in Briefform geschrieben sind. Anstatt Briefe sind es in meinem Fall eben Tonaufnahmen. Nachdem ich Dagon schließlich im Kasten hatte, dauerte es noch eine Weile, bis meine Ideen reiften und ein großes Ganzes ergaben. Ich wollte nicht nur Tonbänder einspielen, sondern noch einen Rahmen, eine zusätzliche Ebene, präsentieren. So kam ich schließlich auf die Idee, dass diese Tonbänder Teil einer Sammlung von einem mysteriösen Mann sein könnten, die er jetzt, aus welchem Grund auch immer, mit der Welt teilen möchte. Das Konzept des Podcasts ermöglicht mir kreativ zu werden und später selbst Geschichten zu schreiben und zu vertonen. Außerdem habe ich eine gute Möglichkeit, die Community sinnvoll mit einzubinden, denn für die ganzen Tonbänder braucht man viele Stimmen, damit die Immersion aufrechterhalten werden kann. Natürlich habe ich auch die Hoffnung, dass die Leute, die mitwirken, dann wiederum Ihre Reichweite nutzen und das Projekt in ihrer Bubble teilen. Denn das würde nicht nur Hörer*innen, sondern zugleich auch weitere Autor*innen und Sprecher*innen bedeuten, die das Projekt unterstützen.
Das ist ein sehr wichtiges und zugleich sehr schwieriges Thema. Die Diskussion, ob man Kunst von Künstlern trennen kann oder nicht, ist ein Thema, das immer wieder aufgemacht wird und werden muss. Da haben ja aktuell auch leider viele Harry-Potter-Fans in den letzten Jahren Erfahrungen sammeln müssen, zu denen ich mich dazu zähle. Meiner Meinung nach gibt es zu dem Thema „Kunst von Künstler*innen trennen oder nicht“ kein Richtig oder Falsch. Jeder muss für sich selbst herausfinden, ob er oder sie das kann und will. Ich kann leider sehr schlecht Kunst von Künstler*innen trennen, denn Kunst ist für mich ein Fenster zum Gehirn. Sollte sich für mich herausstellen, dass ich die Gedanken des Künstlers nicht teilen kann, dann wird auch die Kunst verschmutzt. Durch dieses Fenster zum Gehirn sehe ich dann nur noch die Hässlichkeit der Gedanken des Künstlers.
Mein Kopf verbaut z. B. die transfeindliche Idiologie von J. K. Rowling in ihren Werke. Hätte Dumbledore, der Weiseste der Weisen im Buch, über Transmenschen gesprochen, dann hätte er schlecht über sie gesprochen. Denn wieso sollte der Weiseste der Weisen, der aus ihrer Feder stammt, ihr widersprechen? Im Endeffekt ist Dumbledore doch nur ein Sprachrohr für J.K. Rowlings „Weisheit“ – Dumbledores Weisheiten sind somit Ihre Weisheiten. Unter anderem macht dieses Gedankenspiel, sei es zu verkopft oder nicht, mir die Welt von Harry Potter madig. Bei H.P Lovecraft ist es, zumindest für mich, ein wenig anders. Lovecrafts Aussagen sind natürlich nicht weniger problematisch, aber die Sache mit Lovecraft hat einen Riesenvorteil: Er ist tot. Alles was er gesagt hat und hätte sagen können, hat er schon gesagt und ist somit Geschichte. Seine Ideologie, sein Rassismus hat und hatte, soweit ich das weiß, kaum Einfluss auf die Gesellschafft. Damals war er relativ unbekannt und konnte seine wilden Thesen auch nicht über Twitter oder Talk Shows verstreuen. Wir kennen den Ausgang von H. P. Lovecrafts Leben, von Frau Rowling nicht. Sie kann noch sehr, sehr viel Schaden anrichten und im Gegensatz zu Lovecraft profitiert sie leider noch von Ihrer Marke.
Lovecrafts Werke sind mittlerweile Allgemeingut. Fans aus aller Welt haben die Möglichkeiten, den Cthulhu-Mythos so zu gestalten, wie sie möchten. Aktuelle Bücher, in denen Lovecrafts Werke abgedruckt sind, bemühen sich oft, Lovecrafts Rassismus aufzuarbeiten, Pen-and-Paper-Spieler*innen kreieren gerne ihre eigene Welt, frei von Rassismus und Sexismus, und Contentersteller*innen wie ich müssen sich zwangsweise damit beschäftigen, bevor sie Lovecraft-Content in die Welt hinausblasen. In meinem Fall habe ich für alle potentiellen Sprecher*innen eine FAQ-Liste erstellt, in der auch die Themen Rassismus und Sexismus behandelt werden. In der FAQ weise ich darauf hin, dass rassistische und sexistische Aussagen abgewandelt werden müssen und die Sprecher*innen das Recht haben, Geschlecht, Sexualität oder Ethnie der Charaktere anzupassen. Im Großen und Ganzen sollte man alles daransetzen, diese Themen so zu behandeln, dass Lovecraft sich im Grabe umdrehen würde, wenn er denn könnte.
Man kann niemand verurteilen, Harry Potter oder Cthulhu zu mögen, das sucht sich ja niemand aus. Wichtig ist allerdings, das man diese Themen dann nur noch umso stärker thematisiert und einordnet. Es ist wichtig Stellung zu beziehen und klar zu sagen, dass man den verqueren Vorstellungen widerspricht. Selbst wenn man als Fan diese Personen in gewissem Maß unterstützt. Deshalb vielen Dank für diese Frage, meiner Meinung nach ein gutes Beispiel, wie man zumindest ein klein wenig dafür sorgen kann, Bewusstsein zu schaffen.
Ich möchte mich hier nochmal bei allen bedanken, die auf irgendeiner Weise am Projekt teilgenommen haben, werden oder wollen. Ohne die Community wäre der Podcast in der Zukunft gar nicht möglich. Solltet Ihr auch Interesse haben mitzuwirken, indem ihr eine Geschichte vertonen, schreiben oder sogar beides wollt, dann meldet euch bei mir. Denn nur so kann das Projekt weiter bestehen und wachsen. Vielen Dank auch an die Deutsche Lovecraft Gesellschaft für das Interview,
Wir danken dir für das Interview, Mike!