Lovecrafter Online – Filmkritik: Das Ding aus einer anderen Welt
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Michael H. -
22. August 2022 um 12:00 -
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3 Antworten
H.P. Lovecraft in die Horrorliteratur eingeführt. Seither entstanden zahlreiche Werke in Literatur und Film, die diese Idee des unbeschreiblichen Grauens aus dem All weitergeführt haben. Ein prominenter Vertreter dieses Genres ist der Film Das Ding aus einer anderen Welt von John Carpenter, nach der Geschichte von John W. Campbell jr.
Der kosmische Schrecken wurde vonInhalt
In einer antarktischen Station trifft eine Gruppe von Forschern auf eine außerirdische Lebensform, die bereits Tausende von Jahren im ewigen Eis eingefroren war. Es handelt sich um eine parasitäre Spezies, die ihren Wirt übernimmt und dessen Gestalt kopiert. Schnell wird klar, dass das Wesen nicht in die Zivilisation entkommen darf. Aber wer ist infiziert und wem kann man trauen? Die kleiner werdende Gruppe kämpft gegen die Paranoia und das Alien. Dabei geht es nicht nur um ihr eigenes Leben.
Lovecrafteske Momente
Es beginnt mit dem Setting in der Antarktis, ein direkter Bezug zu Die Berge des Wahnsinns, wie auch das Motiv der Forschungsexpedition, das hier als Forschungsstation daherkommt. Der Film erwähnt nie das Forschungsziel der Station, die eher rudimentär gezeichneten Insassen sind keine motivierten Forscher sondern eher mürrische Pflichterfüller. Ein wenig der Neugier der Charaktere bei Lovecraft treibt sie aber schon. Der Flug zur Station der Norweger, die Untersuchung des Raumschiffs und des Aliens selbst zeigen Forschergeist und Wissensdurst.
Das sehr gut gestaltete, klaustrophobische Set und die Landschaftsaufnahmen vermitteln gekonnt eine beunruhigende Grundstimmung mit viel Lovecraftfeeling.
Farbe aus dem All. Seine wechselnde Gestalt sowie das amorphe und fluide Anatomieprinzip ähneln dem lovecraftschen Schoggothen, ebenso der einverleibende, assimilierende Mechanismus der Wirtsübernahme. Der Film zeigt eine Version, wie die optische/filmische Darstellung des eigentlich Un-Darstellbaren aussehen kann. Die Mimikri und die Übernahme einer Person sind ebenfalls lovecrafteske Grundmotive, wie sie in Das Ding auf der Schwelle oder Der Fall Charles Dexter Ward verwendet wurden.
Das Ding selbst ist eine Mischung aus Parasiten, Shoggothe und derDie damit verbundene Unsicherheit, wer ist Original und wer nicht, wird meisterhaft zum Spannungsaufbau und zur Verunsicherung der Protagonisten wie der Leser\Zuschauer eingesetzt. Der Bluttest zur Unterscheidung Infizierter von Nichtinfizierten könnte auch einem der Professoren der Miskatonik-Universität eingefallen sein.
Die durchaus graphische Gewalt ist bei den Bergen des Wahnsinns ebenfalls vorhanden - man denke an die niedergemetzelte Gruppe um Professor Lake. Die kosmische Gefahr, älter als die Menschheit selbst, ist ein Motiv des lovecraftschen Werkes wie das Aufdecken der Hintergründe durch Nachforschungen ein weiters, hier u. A. mit Videobändern aus der Station der Norweger. Dass die Hunde die Gefahr eher und besser wahrnehmen, als die Menschen ist eine weitere Parallele zum Spätwerk des Mannes aus Providence. Es gibt wenig Frauen in den Geschichten Lovecrafts, im Film wird ganz auf weibliche Rollen verzichtet.
Insgesamt ist die Zeichnung der Personen zweckmäßig, sie handeln nachvollziehbar und realistisch. Wahnsinn, Angst und Paranoia überträgt der Film geschickt auf den Zuschauer. Man weiß nie mehr als die Protagonisten und rätselt und verdächtigt mit. Stimmung und Atmosphäre, die Eigenschaften, die Lovecraft für die wichtigsten in einer guten Horrorgeschichte hielt, werden hier optimal erzeugt. Der Flammenwerfer als Waffe gegen das Grauen kam schon in Das gemiedene Haus zum Einsatz. Das offene, fatalistische Ende runden den Lovecraftbezug philosophisch ab.
Cinematographische Notizen
John Carpenter ist ein großer Fan von Howard Hawks. Er hat die erste Verfilmung der Kurzgeschichte, die Hawks produziert und maßgeblich mitgestaltete, begeistert in seiner Jugend gesehen. Nachdem er aus Neugier das Buch las, stellte er fest, dass der Hauptaspekt der gestaltwandlerischen Eigenschaften des Aliens in der Verfilmung fehlte. Auf dieser Grundlage entwickelte er seine neue Version. Nach seinen ersten Erfolgen wie Halloween oder Die Klapperschlange hatte er ein größeres Budget zur Verfügung.
Davon floss ein großer Teil in die Setbauten auf einen Gletscher in British Columbia und die nie dagewesenen Spezialeffekte von Rob Bottin und Stan Winston. Diese steuerten die bisher ungesehenen Transformations- und Creature-Effekte bei. Dazu kam die großartige Kameraarbeit von Dean Cundey und die Darstellerleistungen von Kurt Russel und dem restlichen Ensemble, sowie die stimmungsvoll-minimalistische Musik Ennio Morricones.
Heute gefeiert als alptraumhaftes Meisterwerk und Beispiel für großartige praktische Effekte, wurde der Film von der Kritik beim Kinostart als blutiges, langweiliges(!) Schundwerk mit Ekeleffekten zum Selbstzweck verrissen. Er ging an der Kinokasse unter. Wohl durchaus, weil gleichzeitig eher süße Außerirdische gefragt waren - E.T. von Steven Spielberg lief im selben Jahr zwei Wochen vorher an. Das eher düstere, kammerspielartige Horrorwerk mit nihilistischen Zügen und drastischen Splattereffekten war einfach nicht zeitgemäß.
In Deutschland war der Film jahrelang geschnitten oder ganz indiziert, inzwischen ist er mit FSK 16 überall erhältlich, unter anderem enthalten in der Flatrate von Amazon Prime.
Die Vorlage von John Wood Campbell jr. von 1938 wurde als Geschichte erstmals in Astounding SF veröffentlicht, in dem auch Geschichten Lovecrafts erschienen, wie z. B. At the Mountains of Madness und The Shadow out of Time. Die lesenswerte Kurzgeschichte darf durchaus als Weiterführung der kosmischen Horrorerzählungen gesehen werden.
Nette Anekdote: Der Film wurde – nachweislich bis 2007 – zu Beginn der Wintersaison auf der Amundsen-Scott-Südpolstation zusammen mit dem Original jedes Jahr nach Abflug des letzten Versorgungsflugzeuges gezeigt.
Bewertung
Als Auftakt der Apokalypse-Trilogie von John Carpenter gilt der Film heute als moderner Klassiker des Horrorkinos. Seine handgemachten Effekte sind den meisten computergenerierten nach wie vor überlegen, weil greifbarer und realer. Der Film ist Stimmungs- und Spannungskino par excellence, allein die Bluttestszene ist Suspense pur. Seine düstere Stimmung, die beeindruckende Effektarbeit, das ambivalente Ende und die gekonnte Inszenierung heben ihn von anderen, ähnlichen Werken ab und lassen ihn – trotz unzähliger Kopierversuche – als einzigartig dastehen.
Ein Prequel von 2011 über die Ereignisse in der norwegischen Station ging unter, auch weil hier auf CGI- statt praktischer Effekte gesetzt wurde (Kurzkritik hier: nett ansehbar; bemüht, aber verzichtbar. Die Wucht des Originals fehlt völlig). Der lovecrafteske Geist durchzieht Schauplatz, Figuren und Handlung genauso wie die Philosophie des Filmes und doch ist es eine eigene Geschichte des eisigen, kosmischen Grauens.
Fazit
Ein düsterer Klassiker und für den geneigten Lovecraftfan ein gelungener Film mit viel Stimmung, Spannung und plastischen Effekten. Lohnt sich.
Persönliches Fazit
Der Film weckte endgültig meine Liebe zum Horrorfilm und war eines der Mosaiksteinchen, die mich letztlich zu H.P. Lovecraft brachten. In einem viel zu jungen Alter (laut der FSK) von ca. vierzehn Jahren sah ich den Film als schäbige, qualitativ minderwertige VHS-Kopie allein im dunklen Zimmer und war irgendetwas zwischen schockiert, begeistert und überwältigt. Als Folge kamen in Laufe der Jahre die Liebe zu H. P. Lovecraft, Stephen King, John Carpenter und natürlich weiteren Horrorfilmen dazu. Das Ding aus einer anderen Welt ist daher für mich etwas ganz Besonderes. Leider sind die grundlegenden Themen des Filmes wie gegenseitiges Vertrauen, Paranoia und verantwortungsvolles Verhalten in Zeiten einer gefährlichen Infektionserkrankung hochaktuell ...
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