Lovecrafter Online – Rezension: Das gemiedene Haus (Gruselkabinett)


Die Kombination Howard Phillips Lovecraft und John Carpenter führte lange Jahre zu kleinen Meisterwerken des Horrorfilms, gerade im Rahmen der sogenannten Apokalypse-Trilogie. Während aber der kosmische Horror in The Thing und das Lovecraft-King-Carpenter Mixup eines In the Mouth of Madness in der Regel für Verzückung sorgen, läuft der Mittelteil Prince of Darkness eher unter dem Radar. Zu Unrecht.
“Birack: What is it? Priest: A Secret that can no longer be kept.”
Unter einer alten Kirche lauert ein mysteriöser Behälter, der ein uraltes Grauen beherbergt. Von einem geheimen Orden namens Bruderschaft des Schlafes bewacht, wird das Geheimnis seit Jahrhunderten von der Kirche behütet und versteckt. Als der bisher letzte Wächter plötzlich verstirbt und unheimliche Zeichen zunehmen, entschließt sich ein Priester (Donald Pleasance), zusammen mit dem befreundeten Quantenphysiker Birack (Victor Wong) und einer Gruppe von Wissenschaftlern und Studenten (Jameson Parker, Lisa Blount u.v.m.) dem Inhalt des Behälters und den verschlüsselten Aufzeichnungen auf den Grund zu gehen. Kaum hat die multidisziplinäre Gruppe die Arbeit aufgenommen und erste Erkenntnisse gewonnen, nehmen die seltsamen Phänomene in und um die Kirche zu. Natur und Menschen verändern sich und ihr Verhalten. Alle scheinen im Umfeld des Behälters denselben Traum zu haben. Handelt es sich dabei um eine Vision oder Nachricht aus der Zukunft, eine Warnung?
Als der von innen verschlossene Behälter sich öffnet und eine teuflische Flüssigkeit freisetzt, bricht die Hölle los. Nach und nach werden immer mehr Mitglieder der Gruppe befallen und unter Kontrolle gebracht. Die Kirche wird zudem von einer mörderischen Meute von offenbar unter dem Einfluß des Bösen stehenden Gestalten belagert. Eine der Studentinnen verändert sich zunehmend und scheint das Böse selbst auszubrüten.
Die kleiner werdende Gruppe versucht, die Wiederkehr des Fürsten der Dunkelheit zu verhindern, denn dies könnte das Ende der Welt bedeuten.
“Priest: No Prison can hold him now….it awakens.”
Für Lovecraftfans ist der Film ein Fest. Studenten mit Namen wie Marsh oder Danforth erforschen alte Bücher und geheime Codes, es gibt mörderische Kultanhänger, das uralte Böse lauert unter einer verlassenen Kirche, der unbeschreibliche Schrecken wartet in einer anderen Dimension auf den richtigen Moment und kosmische Ereignisse kündigen das Ende der Welt in Chaos und Wahnsinn an.
Die Geschichte bedient sich munter im Fundus Lovecrafts und würfelt die Versatzstücke neu zusammen. Was eigentlich als Schwäche angesehen werden könnte, ist hier in Wahrheit eine Stärke. Es wird vieles angedeutet, nicht alles wird - wie viel zu oft in Literatur und Film - zu Tode erklärt. Dem Zuschauer wird zugetraut, die Elemente selbst zusammenzusetzen. Wie in den Referenzwerken bildet sich so ein noch größerer Kosmos unter der Oberfläche, ein größerer Gesamtmythos wabert im Hintergrund.
Eine Neuinterpretation alter Stoffe nahm Lovecraft selbst im Laufe des Lebens bei seinen Werken vor. Dagon war ein wenig Blaupause für den späteren The Call of Cthulhu, The Nameless City Vorläufer von At the Mountains of Madness. So wie Lovecraft seine Motive aufnahm, neu arrangierte oder weiterführte, mixt Carpenter filmisch hier Lovecraft-Elemente mit anderen Motiven aus Film, Literatur und Wissenschaft zu einer originellen, neuen Geschichte. Referenzen an The Dreams in the Witch House, The Haunter of the Dark, The Call of Cthulhu usw. usf. sind unschwer für jeden Kultisten erkennbar.
Es ist befriedigend, Wissenschaftler als Team und Identifikationsfiguren in einem Horrorfilm zu sehen, ohne dass es sich dabei um lauter irre Nerds handelt. Lovecraft als Vertreter und Freund des wissenschaftlichen Denkens verwendete gleichermaßen Protagonisten, die diesem Milieu entstammten. Diesen Ansatz gab es zur Zeit der Entstehung des Filmes nicht oft, er ist bis heute eher die Ausnahme. Es gilt als langweilig, Wissenschaft im Film darzustellen. Der Film bewies schon damals das Gegenteil. Die Figurenzeichnung ist - wie bei Lovecraft - sicherlich mit dem groben Pinsel erstellt und die Schauspieler eigentlich zu alt für Studenten, aber es ist unterm Strich eine gelungene Abwechslung. Die Darstellung der Wissenschaft, ihrer Methode und Vorgehensweisen ist meist akkurat, auch wenn einige Ideen der Filmhandlung untergeordnet werden. Viele Konzepte, wie die Multidimensionalität, Quantenphysik - und deren Infragestellung des Wesens unserer Realität - oder überlichtschnelle Teilchen sind solide, wenn auch teilweise spekulative Ansätze der modernen Wissenschaft. Wie Lovecraft Erkenntnisse der Physik seiner Zeit, wie die Theorien Einsteins und deSitters zu Raum und Zeit, in seine Geschichten einbaute (From Beyond, At the Mountains of Madness) fügt Carpenter diese Ansätze als Erklärungsmöglichkeiten dem Film hinzu, nachdem er Bücher über Quantenphysik gelesen hatte.
Bei Lovecraft ist die Neugier oft ein Motor der Ereignisse. Im Film will der Priester mehr erfahren, um das Böse zu bekämpfen. Weder Religion noch Wissenschaft sind letztlich aber in der Lage, es aufzuhalten. Carpenter lässt hier nur eine kurzfristige, scheinbare Lösung durch den spontanen Opfergang einer starken Frauenfigur zu. In der Verwendung und Darstellung weiblicher Charaktere liegt ein Hauptunterschied zum lovcraftschen Oeuvre. Generell hat Carpenter in seinem Werk früh einige starke und komplexe Frauenfiguren entwickelt (The Fog/Halloween/Somebody's Watching Me).
Das Kombinieren der Gegenwart mit der Zukunft durch Träume und Visionen ist ein weiteres Motiv, das auch im Werk des Autors aus Providence viel Verwendung fand, man denke an The Shadow out of Time. Carpenter ließ sich zudem von einem Werk des SF Autors und Physikers Gregory Benford (Timescape) inspirieren.
Der Film behandelt viele weitere Themen, die Lovecraft gefallen hätten, wie die Natur des Bösen an sich und der Umgang des Menschen damit. Ist es dem Menschen innewohnend oder eine äußere Kraft? Physiker Birack erklärt dem Priester in einer Szene des Filmes, wie wenig die Menschen sich für all diese Dinge interessieren, dabei gehören gerade die Szenen zwischen dem Physiker und dem Priester zu den inhaltlichen und schauspielerischen Stärken des Films.
Einen starken Unterschied zu den Einstellungen Lovecrafts stellt die Darstellung der Obdachlosen dar. Sie sind hier zwar ein gefährlicher, gedankenloser Mob, der direkt aus Innsmouth entsprungen sein könnte. Wie in vielen Werken Carpenters ist hier aber gleichzeitig ein sozialer Kommentar gegen die Armut eingeflochten, sind sie hier doch eine missbrauchte, von fremden Mächten ferngesteuerte Masse. Die Passage, die aus dem Buch der Bruderschaft des Schlafes über die Outer Gods verlesen wird, ist nach Carpenter heftig von The Call of Cthulhu inspiriert und die Parallelen sind mehr als erkennbar. Eine Person als Schlüssel zu einer anderen Dimension gehört ebenfalls klar in die Abteilung der “Yog-Sothothery”.
Diese Liste ist unvollständig und muss dies angesichts der Fülle der Referenzen bleiben, es gilt jedoch noch auf die größten Lovecraft-Faktoren des Filmes einzugehen: Atmosphäre und Stimmung.
Der Film beginnt mit dem Aufbau von Spannung und Bedrohung von Minute eins und steigert diese langsam, daumenschraubenartig bis zum Finale. Die fast zehnminütige Titelsequenz wird bereits vom Setup der Geschichte flankiert und musikalisch stimmungsvoll begleitet. Die von John Carpenter gerne genutzte Situation der Belagerung wird meisterhaft eingewoben in eine Filmstruktur, die den klassischen Drei-Akt-Film zu einem nahezu fluiden, exponentiell steigenden Ablauf der Ereignisse transformiert. Carpenter erzeugt eine ständig steigende Anspannung, er wollte ”Angst und eine Atmosphäre des Furchtbaren” kreieren. Ein Ziel, das er mit H.P. Lovecraft wohl teilt.
“Wyndham: I have got a Message for you, and you are not going to like it: Pray for death”
Der Film entstand 1986/87 als erster Independent-Film Carpenters seit Escape from New York. Seine Erfahrungen mit dem Studiosystem hatten ihn inzwischen zermürbt, es gab zu viel Einflussnahme auf seine Filme und der Erfolg ließ nach (vor allem bei Big Trouble in Little China). Wie viele der heute als Klassiker gehandelten Filme des Regisseurs waren diese, selbst ein Werk wie The Thing, zu ihrem Erscheinen ein Flop und von Kritikern und Zuschauer ungeliebt.
Somit kehrte er den Major Studios den Rücken, um volle kreative Kontrolle über den fertigen Film und den Spaß am Filmemachen selbst zurückzubekommen. Prince of Darkness wurde mit einem fast lächerlichen Budget von drei Millionen Dollar und in nur dreißig Tagen gefilmt. Neben der vor Ort in L.A. gefundenen Kirche und einem abbruchreifen Hotel für die Innenaufnahmen wurde u. A. an der Universität von Kalifornien gedreht. Der Name des Autors Martin Quatermass (ein Pseudonym für John Carpenter selbst) verweist auf eine weitere Quelle für die Geschichte: die von den klassischen Hammer Studios gefilmte SF/Horrorfilme um den Physiker Alan Quatermass, der mit dem Grauen aus dem All in drei Kinofilmen, einer Hörspielreihe und einer Fernsehserie zu kämpfen hatte (Schock/Quatermass 2/Quatermass and the Pit). Für Horror-Nostalgiker sind diese sehr empfehlenswert, es gibt in diesen Filmen viel Lovecrafteskes zu entdecken.
In Prince of Darkness kamen - der Zeitvorgabe und dem Budget geschuldet - hauptsächlich praktische Effekte zum Einsatz. Diese wurden technisch solide und einfach für die Realisierung vor Ort gestaltet. Als flüssiger Spiegel zur Darstellung des Dimensionsübergangs kam ein Pool aus Quecksilber zum Einsatz, was heute ob der Gefährlichkeit nicht mehr möglich wäre. Der Effekt überzeugt ebenso wie die praktischen Make-up-Effekte. Für die Traum-Nachrichten wurden von einem Fernsehschirm abgefilmte Aufnahmen verwendet, um den alptraumhaften Charakter des Materials zu verstärken.
Das gesamte Team vor und hinter der Kamera bestand aus langjährigen Partnern und Veteranen des Werkes Carpenters. Der extrem die unheimliche Atmosphäre und Spannung unterstützende Score kam kongenial wieder von Carpenter selbst in Kooperation mit Alan Howarth und lässt durch seinen nahezu pausenlosen, stimmungsvollen Klangteppich kaum Zeit zum Luftholen. Er unterstützt und untermalt nahezu den gesamten Film mit passenden Klängen, mal mystisch, mal treibend oder schockierend mit viel tiefem Bass und Chorgesängen.
Der Film startete 1987 und wurde sowohl von Kritik als auch vom Publikum nicht geschätzt. Die Kritik stufte ihn als hastig und schludrig zusammengeschusterten Slasher billiger Machart ein und das Publikum ignorierte ihn größtenteils. Ein zweites Leben war dem Film dann auf Video vergönnt, wo er sehr gut lief und zu einem kleinen Geheimtipp wurde.
Kleiner Fun-Fact: Der Gastauftritt von Alice Cooper als böser Führer der Belagerer kam durch einen Deal nach einem Treffen zustande. Carpenter wollte den “Impaling Gag” aus Coopers Bühnenshow für den Film und bot diesem im Austausch eine Rolle an.
“In fact: YOU WILL NOT BE SAVED.”
Als Mittelteil der Apokalypse-Trilogie fristet der Film zwischen den oft besprochenen Giganten The Thing und In the Mouth of Madness (siehe Lovecrafter Online: 12.09.2022: Kriminologische Filmreihe: In the Mouth of Madness) bis heute ein untergeordnetes Dasein.
Der Film hat ein paar kleine Probleme, wie die soliden, aber nicht aufwendigen Tricks und die zu “alten” Studenten, die sehr offensichtlich ihrer Zeit zuzuordnen sind. Wer möchte, kann den Film gar zerreißen, ist er doch langsam, ohne hektische, spannungs-heuchelnde Schnittgewitter, nicht allzu blutig erzählt und leiht sich seine Motive und Ideen von überall zusammen. Inhaltlich hat er jedoch viel und Neues zu bieten: von den erwähnten Inspirationen aus dem Lovecraft-Kanon über die Frage nach dem Bösen, dessen Ursprung und dem Umgang damit. Das Verhältnis von Religion und Wissenschaft, die physikalischen Themen wie Zeitreise, Quantenphysik und Erkenntnistheorie, die Suche nach Wahrheit und deren Konsequenzen bis hin zum Problem der Ansteckung und Verbreitung von Seuchen (zur Zeit des Films grassierte die Angst vor AIDS und dem Übertragen von Krankheiten über Flüssigkeiten und Körperkontakt). Das ist originell, kompakt erzählt und ausgesprochen vielfältig. Die Kombination von Quantenphysik, Wissenschaft und Religion in einem Horrorfilm dürfte bis heute ziemlich einzigartig sein.
Prince of Darkness erfordert Mitdenken und Aufmerksamkeit vom Zuschauer und regt diesen an, sich mit den aufgebrachten Themen auseinanderzusetzen. Dabei bietet er gute Kameraarbeit, einen effektiven Schnitt, stimmungsvolle visuelle Bilder und einen stetigen Spannungsaufbau. Und vor allem: wenn man sich auf ihn einlassen kann, entwickelt der Film einen großartigen Sog, der einen erst zum Abspann wieder zu Atem kommen lässt.
“This is not a dream. This is not a dream.”
Prince of Darkness ist ein großartiges Mittelstück der Apokalypse-Trilogie. Er beinhaltet viel von Lovecraft und viel von Carpenter. Ein spannender, atmosphärischer und intelligenter Film mit einem neuen, originellem Konzept durch die Mischung von Wissenschaft, Religion und Philosophie mit Horror und Science Fiction, getragen von einem genialen Soundtrack. Ein stark unterschätztes Juwel.