Lovecrafter Online – Vorschau: Lovecraft kommt nach Hamburg


Regisseur John Carpenter ist bekannt für die Lovecraft-Referenzen in seinen Filmen. So findet sich viel typischer Cosmic Horror beim apokalyptischen Kammerspiel The Thing, ein Kult gefährdet bei Prince of Darkness den Fortbestand der Menschheit durch die Beschwörung uralter Gottheiten und man kann ein sehr erfolgreiches Suchspiel der Verweise bei dem H.P.Lovecraft/Stephen King-Mashup In the Mouth of Madness unternehmen, während man dem Abstieg der Welt in den Wahnsinn beiwohnt. Das unbeliebte Spätwerk des Film-Auteurs Carpenters wird in diesem Zusammenhang deutlich weniger erwähnt. Dabei besticht doch sein erster Beitrag zur Masters of Horror-Serie, Cigarette Burns, massiv mit Motiven aus den Werken von Lovecraft und Robert W.Chambers und überträgt diese auf das Genre Film.
Handlung
Filmliebhaber Kirby Sweetman ist hoch verschuldet. Er betreibt einen eigenen Filmpalast, finanziert durch geliehene Gelder des Schwiegervaters seiner tragisch verstorbenen Frau Annie. Ihr drogeninduzierter Selbstmord bereitet ihm Schuldgefühle und Schwiegervater Walter Mattheus hält ihn für mitschuldig, er droht mit gewaltsamer Schließung des Kinos sollte Kirby nicht fristgerecht die Gelder zurückzahlen. Nebenher spürt Kirby sehr erfolgreich Filmraritäten für Sammler auf und besitzt hierfür einen legendären Spürsinn gepaart mit den notwendigen Kontakten und einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit. Der Auftrag des exzentrischen, todkranken Millionärs Bellinger kommt ihm da gerade recht, bietet dieser ihm doch genau die Summe, die er zur Schuldentilgung bei Schwiegervater Walter braucht. Dazu kommt noch ein begrenztes, exklusives Vorführrecht in seinem defizitären Filmpalast für den zu findenden Film. Nur das Objekt der Begierde ist hoch umstritten und gilt als gefährlich.
Der gesuchte Film, “La Fin Absolue Du Monde” des Regisseurs und Künstlers Hans Backovic, hat bei seiner Erstaufführung zu Wahnsinn, Mord und Totschlag bei allen geführt, die ihn sahen. Die Filmrollen des "Meisterwerks" gelten seitdem als verschollen, die Beschäftigung mit dem Film als tödlich oder wahnsinnig machend. Je mehr man sich dem Werk nähert, desto stärker verfällt man ihm.
Kirby startet seine Nachforschungen und findet erste Spuren. Aber ihn plagen auch immer mehr Visionen. So sieht er plötzlich kleine, helle Lichtkreise vor seinen Augen. Diese dienen normalerweise dazu, den Vorführer auf den Rollenwechsel bei der Filmvorführung hinzuweisen. Kirby erscheinen diese "Cigarette Burns" genannten Kreise immer häufiger und ausgeprägter, in Realität, Träumen und Visionen. Seine tote Frau taucht zudem in den verstörenden, real wirkenden Alpträumen auf. Über dubiose Quellen, wie den verrückt gewordenen Filmkritiker A.K. Meyers und brutale Snuff-Filmemacher kommt Kirby näher an sein Ziel. Seine Reise führt nach Paris und Vancouver, bald gibt es Tote, die Visionen steigern sich zu ganzen Blackouts mit blutigen Konsequenzen. Letztlich findet Kirby die überraschenderweise noch lebendige Frau Backovics, Katja, und kontaktiert diese. Sie kann ihm die Original-Filmrollen beschaffen. Doch was hat es mit dem seiner Flügel beraubten Engel bei Bellinger auf sich? Und was geschieht, wenn er den Film findet, was hat Bellinger damit vor und was geschieht, wenn man La Fin Absolue Du Monde ansieht….?
Lovecrafteske Momente
Naheliegend ist zunächst die Parallele zu dem Werk The King in Yellow von Robert W. Chambers . Ist es dort ein Theaterstück, das letztlich zu Wahnsinn, Mord und Totschlag führt repräsentiert hier der "work-in-progress"-Film La Fin Absolue Du Monde das todbringende Kunstwerk. Dessen Hintergründe bleiben angenehm vage, so soll das ‘absolut Böse’ ihn produziert haben, die wenigen Szenen aus dem Film sind kurz, manchmal fast sublim - meist in stilvollem schwarz-weiß und einer speziellen Ästhetik gehalten - um glaubwürdig genug anzudeuten und nahezu nichts in den Fragmenten direkt zu zeigen. Dies gemahnt nicht gering an das Unnennbare des Mythos Lovecrafts. Der Tod aller, die ihn lange genug gesehen haben, passt da ins Bild. Das Regisseur Backovic letztlich dem eigenen Werk erliegt und stirbt zeigt gewisse Referenzen an den bekannten Übersetzer des Necronomicons, der ebenfalls mit dem Tod bezahlt.
Die Struktur der Geschichte ist die einer Film-Noir-Detektivgeschichte (The Call of Cthulhu) und zeigt die Spurensuche Kirbys bis zur finalen Konfrontation in Bellingers Residenz.
Der blasphemische Gedanke des Filmes wird grob skizziert mit Blut, Folter und als Höhepunkt der Schändung von etwas Heiligem. Repräsentiert durch den seiner Flügel beraubten "Engel" in Bellingers "Privatsammlung" deutet der Film hier eine lovecrafteske Opferung-Zeremonie an, die den Höhepunkt des Werkes darstellt und in Wahnsinn und Tod mündet.
Bellinger könnte einer der dekadenten Helden aus The Hound sein, verkommen und gelangweilt von seinem Reichtum sucht er vor seinem Tod ein letztes krankes Amüsement.
Die Kunst als Dreh- und Angelpunkt des Bösen sind seit Pickmans Modell oder The Music of Erich Zann keine unbekannten Motive des Mythos, sie werden hier auf den Film übertragen. Dies hatte Lovecraft bereits früh angedeutet, läutet doch Nyarlathotep das Ende der Welt in der Kurzgeschichte auch mit einer Filmvorführung ein. “Was dann in dem verdunkelten Raum auf die Leinwand projiziert wurde, war eine Prophezeiung von Dingen, die außer Nyarlathotep niemand zu verkünden wagte…”(zitiert nach CdCM Band I, Festa Verlag). Bellinger nennt La Fin Absolue Du Monde dann ‘einen Teaser’ auf kommende Dinge, was den Mythos noch ausbaut, Raum für eigene Spekulationen lässt. Eine Quelle Kirbys sagt etwa: “Wir vertrauen darauf, dass Regisseure mit einem Film nicht zu weit gehen und dieses Vertrauen missbrauchen.”
Ziel Lovecrafts war es, unser tiefstes Angstzentrum zu reizen. Urängste werden durch die Verletzung der Naturgesetze getriggert, unsere kosmische Bedeutungslosigkeit gewinnt die Oberhand, animalische Triebe werden generiert, die Zivilisation zerfällt. Hier knüpft der Film an das Werk Lovecrafts an. Die wenigen Überlebenden, die nur einen Teil des Grauens sahen - wie die Protagonisten im Mythos so oft nur einen kurzen Blick in den Abgrund erhaschen - sind oft kurz vor dem Wahnsinn, mental und physisch gezeichnet, einmal gar mit an Innsmouth-Mutationen erinnernden Verstümmelungen. Sie alle werden getrieben von einer Mischung aus Gier nach und Angst vor dem Werk. Die Figur des Bellinger als manischer Kunstmäzen und von einer Mischung aus Dekadenz und Langeweile getriebenem Intellektuellen sticht da besonders hervor, verschmilzt er doch letztlich nahezu mit dem Werk seiner Begierde in dem wahnsinnigen Versuch, “seinen eigenen Film” zu drehen.
Kirby Sweetman erscheint eher als eine Poe-esk angelegte, tragische Figur, die mit Schuld und Sühne kämpft und letztlich mit Trauer und Verlust fertig werden muss. Die Opferung eines Engels als Höhepunkt eines Filmes bezieht sich auf eine eher christliche Motivik, die Lovecraft in seinem Werk eher fremd war. Als Höhepunkt eines kultischen Rituals zur Beschwörung des Bösen und des damit verbundenen Fin Absolue Du Monde ist es aber geeignet und garstig genug.
Cinematographische Notizen
Regisseur und Autor Mick Garris versammelte für seine Masters of Horror-Reihe eine große Schar von bekannten Regisseuren um sich. Aus einer Idee während eines Abendessens mit einigen dieser bekannten Regisseure entstammt die Idee, eine Reihe einstündiger Horrorgeschichten als Anthologie herauszubringen. Es sollte ohne Beschränkungen durch Produzenten oder Zensurbehörden so gearbeitet werden, wie der jeweilige Regisseur es wollte. Es kamen zwei Staffeln von Filmen, insgesamt 26 Folgen, zustande mit illustren Regisseuren wie Tobe Hooper, Dario Argento, Stuart Gordon, Don Coscarelli und eben John Carpenter. Die Liste liest sich ein wenig wie das Who is Who des damaligen Horrorfilms.
Eine weitere Staffel produzierte Mick Garris etwas später noch unter Fear Itself (dt: Bis aufs Blut) mit weniger Erfolg und etwas weniger bekannten Regisseuren, es gab immerhin Filme von John Landis und Darren Lynn Bousman (Saw).
Regisseur Carpenter schwebte für seinen ersten Beitrag, Cigarette Burns, dabei eine Mischung aus Roman Polanski’s Chinatown und seinem eigenen In the Mouth of Madness vor. Der Film La Fin Absolue Du Monde ist zwar streng genommen nur ein McGuffin, wir erfahren und sehen aber genug von ihm zur Mythenbildung. Der Film strotzt vor Referenzen, vor allem an den Giallo eines Dario Argento. So wird in Kirby's Filmpalast Profondo Rosso/Deep Red dieses Regisseurs gezeigt und eine extrem explizite Mordszene zitiert den italienischen Horror-Großmeister ebenfalls direkt. Daneben lässt der Film an Werke wie The Ninth Gate oder The Ring denken.
Die wenigen, aber expliziten Effekte stammen von den Genre-Veteranen Greg Nicotero und Howard Berger von KNB. Diese dürften auch Hauptdarsteller Norman Reedus inzwischen sehr vertraut sein, waren und sind sie doch für die ausgezeichneten Effekte der Fernsehserie The Walking Dead zuständig, mit der er in der Rolle des Daryl Dixon bekannt und berühmt wurde, inzwischen mit eigenem, gleichnamigen Franchise-Ableger. Daneben muss natürlich die exaltierte und in allen Belangen Creepy-Performance von Udo Kier als Millionär Bellinger gelobt werden.
Der Film feiert - trotz des Inhaltes - ein Hohelied auf den Film und die Kunst, “Film is Art”. Die wundervollen alten Filmrollen, die Filmpaläste und die Memorabilia zelebrieren das alte Kino. Gleichzeitig reißt er auch kritische Strömungen an, wenn er die Zwiespältigkeit der Gewaltdarstellungen und Auswüchse des immer weiter, besser, blutiger thematisiert. “Was geschieht, wenn man die Kamera im Film auf etwas Schreckliches richtet? - Der Film gewinnt an Kraft”. Das Filmzitat zeigt dieses Dilemma in seiner vollsten Pracht. Wir wollen alle mitgerissen werden, emotional berührt, doch wo ist die Grenze? “Hollywood is shit!” sagt eine Figur im Film, “Hollywood annoyed me” Carpenter in einem Interview zum Film. Dieser Spagat zieht sich durch das Gesamtwerk des Regisseurs und findet in Cigarrette Burns einen finalen Höhepunkt.
Sein in der zweiten Staffel gedrehter Beitrag unter dem Titel Pro Life beschäftigt sich mit einer die lokale Abtreibungsklinik belagernden Sekte und einem Monsterbaby. Durchaus empfehlenswert, aber insgesamt weniger kraftvoll und mitreißend. Ein provokantes Creature-Schmankerl für den verregneten Horror-Sonntagabend ist die Folge allemal. Die Filmmusik stammt von Carpenters Sohn Cody, mit dem er inzwischen als Musiker und Bandleader um die Welt tourt. Das wunderbar schaurige Pianothema klingt nach einer Mixtur von Carpenters eigenen Filmmusiken mit den Scores der Gruppe Goblin in den Argento-Giallos. Beide Werke gibt es in Deutschland unzensiert nur als Uncut DVD/Blu-ray. Witzige Anekdote zur Kürzungspolitik in Deutschland: Bei meiner ersten Pro Life-DVD war der Film um die blutigen Effekt-Szenen gekürzt, die im Making-of der Disc in voller Pracht vorgeführt werden… Seltsam, aber so steht es (im Gesetz) geschrieben!?
Bewertung
Sicherlich das beste Spätwerk Carpenters nach seinen großen Produktionen, die wohl ab In The Mouth of Madness langsam ihr Ende fanden. Man kann den etwas gekränkten, etwas zornigen und etwas resignierten Carpenter in vielen Interviews erleben, wenn man etwas hinter seine “mir doch egal/ich muss nichts mehr beweisen”-Attitude sieht. Meine private Interpretation: Die Maschine Hollywood hat hier ein Genie von einigen noch möglichen Meisterwerken abgehalten und seine Liebe zum Film mit der Kraft der Maschine Hollywoods zum Stillstand gebracht.
In Cigarette Burns kann man ihn nochmal nahe an der Klasse erleben, die die Fans (man merkt wohl, dass ich einer bin… ) an ihm lieben. Man muss dabei berücksichtigen, dass der Ursprung des Filmes als Fernsehfilm deutlich sichtbar ist. Vancouver und Paris werden mehr behauptet denn gezeigt, die Bilder sind schön, haben aber deutlich weniger Klasse und Wertigkeit als die in z.B. Halloween. Die Suche nach dem Film hätte in einer Kinoproduktion sicherlich aufwändiger gezeigt werden können, so bleibt ein etwas fader optischer Eindruck über. Schauspielerisch kann man hier, vielleicht bis auf den etwas blassen Schwiegervater, nichts bemängeln, die tragende Performance von Udo Kier als Bösewicht muss man besonders positiv hervorheben. Insgesamt schafft es John Carpenter noch einmal, mit wenig Aufwand und den geringen zur Verfügung stehenden Mitteln etwas zu erzeugen, was vielen teureren Produktionen oft fehlt: Eine Atmosphäre der konstanten Bedrohung und Angst, fast schon der Paranoia. Daher sind die Vergleiche zu The Ring oder David Cronenbergs Videodrome nicht unpassend, beschleicht uns doch mit den Protagonisten zusammen ein fortschreitendes Unbehagen.
Die Frage, ob man nicht lieber wegsehen oder fliehen möchte, stellt sich zwar, wird aber durch das Wissen-wollen, die zu große Neugier lovecraftscher Urwucht verneint und so abgeschmettert. Wer sich darauf einlässt, folgt gebannt dem Fortlauf der Ereignisse, unfähig zu entkommen. Wenn ein Fernsehfilm das erreichen kann, was will man mehr?
Fazit
Für jeden, der den Mythos Lovecrafts, Robert W. Chambers The King in Yellow oder die Filme John Carpenters mag eine klare Empfehlung. Meiner Meinung nach ein viel zu unbekanntes, spätes kleines Meisterwerk John Carpenters.