Lovecrafter Online – Filmkritik: Smile


Unzählige Rollenspiele basieren auf den Geschichten und Motiven von H.P. Lovecraft. Jedes Motiv aus jeder Erzählung des Autors ist wohl schon als Grundlage oder Kampagnenteil eingesetzt worden.
Das gilt gleichsam für das moderne Genrekino. Ein interessanter Hybrid aus Lovecraft, Blockbusterkino, Katastrophenfilm und Role-Playing-Game ist in diesem Lichte der 2020 erschienene Aktion- Horrorfilm Underwater von William Eubank.
Die Kamera gleitet in die dunkeln Tiefen des Meeres hinab zur Unterseestation Kepler. 10.000 Meter unter der Oberfläche des Ozeans bohrt ein Team im Auftrag der Tian-Gesellschaft in den Untergrund des Marianengrabens. Kaum hat Technikerin Nora ( Kristen Stewart ) düster vor sich hin philosophierend eine Spinne im Waschraum gerettet, bricht die Hölle los: Die Erde bebt, Wassereinbruch, panische Flucht, Noras hektische Teilabschottung des Stationssegments mit Verlust an Menschenleben.
Zeit zur Verarbeitung der Ereignisse bleibt nicht, es geht mit dem überlebenden Kollegen Rodrigo durch zerstörte Tunnel und eingestürzte Räume. Unterwegs kann Kollege Paul aus den Trümmern gerettet werden. In der Zentrale wartet Kapitän Lucien mit der verbliebenen Crew. Biologin Emily mit Freund Liam. Der Rest der Crew ist entweder tot oder per Rettungskapsel entkommen. Die Situation ist verzweifelt: Die Station wird bald kollabieren und alle ins Verderben reißen
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Der kleine, gestrandete Haufen versucht einen verwegenen Plan des Kapitäns umzusetzen: Mit Tiefseeanzügen über den Meeresboden zu Fuß zur Roebuck-Bohrstation zu gelangen. Dort sind weitere Rettungskapseln zur Flucht an die Oberfläche.. Auf dem Weg dorthin warten viele Schwierigkeiten. Neben der immer weiter kollabierenden Bohreinheit, explosiven Dekompressionen und technischen Problemen stoßen die Flüchtenden bei einer gestrandeten Überlebenskapsel auf eine seltsame, aggressive Lebensform. Diese scheint weder ausgewachsen, noch alleine auf dem Meeresgrund zu sein. Und was hat den gigantischen Bohrer überhaupt zerstört?
Eine klaustrophobische Odyssee in die Dunkelheit beginnt...
Unterwasser lauerte für Lovecraft immer das Böse. Sei es die Stadt R'lyeh mit dem darin schlafenden Cthulhu oder die bösen Wesen des Dagon-Kultes in Schatten über Innsmouth. Die Dunkelheit und das Schemenhafte im trüben Wasser nutzt der Film hervorragend zum Aufbau unheimlicher Spannung.
Vor- und Abspann sind mit Zeitungsartikeln gestaltet, die die Handlung und Mysterium aufbauen und fragmentarische, erweiternde Schlaglichter auf die Geschichte werfen. Das ist ähnlich gestaltet wie in Der Ruf des Cthulhu, wo entscheidende Details der Geschichte ähnlich ans Licht kommen.
Viele Elemente und Stimmungen sind an Der Tempel angelehnt, von den Mysterien und Gefahren in der Tiefsee, bis hin zur Gestaltung der humanoiden Unterwasserkreaturen.
Für gute Beobachter gibt es in einem Spind der verlassenen Station eine Zeichnung eines Cthulhu-Basrelief neben einer Karte zu entdecken.
Die nihilistische Einstellung des Hauptcharakters Nora ist sehr lovecraft-typisch.
Das Richtige zu tun führt nicht zwangsläufig zu einem besseren Endergebnis, dem Kosmos ist das Drama der Menschen völlig egal. Hier sterben die, die das Richtige tun genauso wie die Anderen. Die absolute Unwichtigkeit der einzelnen menschlichen Existenz zeigt der Film mehrfach. Die Eingangsszene, in der Nora riesig über der Spinne schwebt und kurz überlegt, ob sie diese retten oder töten soll, gibt es perspektivisch später im Film mit umgedrehter Prämisse.
Der Film thematisiert das Eindringen des Menschen in ein Gebiet, in dem er - wie Biologin Emily es formuliert - nichts verloren hat. Nora sagt etwas Ähnliches zu der Spinne zu Beginn. Zuviel Neugier und Wissensdurst als Quelle für den eigenen Untergang ist ein klassisches Lovecrafttopos.
Vieles im Film lehnt sich optisch und sprachlich an die griechische Sagenwelt an, die Lovecraft immer wieder verarbeitete (z.B. Der Baum). So zieren u. A. Reliefs mit Sagengestalten die Station. Um von einer zur anderen Station zu gelangen müssen die Überlebenden quasi den unterirdischen Styx überqueren.
Für den Rollenspieler wiederum ist Underwater wie ein Live-Action-Rollenspiel im Filmformat. Die zweckmäßigen und recht schablonenhaften Charaktere mit den jeweils notwendigen Eigenschaften (der Kapitän geht im Zweifel mit dem Schiff unter, die Biologin dient zur Erklärung und Klassifizierung, der Witzbold unterhält die Truppe, die Technikerin öffnet und schließ Türen oder hackt Computer) könnten direkt aus einem Spiel stammen. Die Geschichte beginnt schnell mit einem Knalleffekt, wir erfahren alles notwendige im Laufe der Ereignisse, alles ist sehr Handlungsgetrieben.
Die Erstsichtung des Filmes sollte man möglichst mit wenig Informationen genießen, das macht mehr Spaß. Für danach:
SPOILER:
Am Ende steht dann ein Endgegner, ein riesiger Behemoth, der den Menschen in seinem Territorium nicht duldet. Das ist sehr gut eingeleitet und durchaus beeindruckend im Finale umgesetzt. Bei der Erstsichtung schrie bei mir sofort alles den Namen der entsprechenden Gottheit und Regisseur Eubank bestätigt dies im Audiokommentar und einigen Interviews. Es ist seine Version von Cthulhu, in einer Sequenz sind sogar die Schwingen zu erkennen. Eubank ist großer Lovecraftfan und wollte die Gelegenheit für einen "Big-Budget"-Cthulhu nutzen. Das Bohrunternehmen heißt nicht von ungefähr (Lovecraf)Tian. Zum Glück wurde das vom Studio gewünschte Hollywood-Happy-End der alternativen Fassung nicht verwendet. So bleibt ein bisschen Lovecraft-Philosophie in einem Action-Blockbuster erhalten.
Underwater ist neben Empty Man ein weiterer Film, der durch die Übernahme der Foxstudios durch Disney und die Coronapandemie nur eine minimale Kinoauswertung erhielt. Nachdem er bereits 2017 fertiggestellt war, verzögerte sich seine Veröffentlichung massiv. Seitdem dümpelt er neben der nahezu unbeworbenen Veröffentlichung auf BluRay ohne große Aufmerksamkeit im Disney Plus - Programm dahin.
Keiner der Verantwortlichen des Studios schien ein besonderes Vertrauen in die Blockbuster-Qualitäten des Filmes zu haben, trotz der recht prominenten Besetzung mit Kristen Stewart, Vincent Cassel und T.J. Miller. Sein geschätztes Budget von 80 Millionen Dollar konnte er im Kino nicht wieder einspielen.
Das Budget wurde gut genutzt, der Film ist optisch ansprechend gestaltet und mit viel Aufwand von Cast und Crew gedreht. Hauptsächlich wurde dabei das sogenannte „Dry for Wet“-Verfahren benutzt, das heißt das Wasser wurde simuliert bzw. digital erzeugt. In den Making-of-Videos kann man sich den großen Aufwand ansehen.
In Fankreisen wurde der Film deutlich wohlwollender aufgenommen, sofern er überhaupt wahrgenommen wurde.
Die Spezialeffekte und das Creaturedesign sind gut und effektiv, aber eher an Altbekanntes angelehnt.
Der Film bedient sich an Versatzstücken aus allen greifbaren Quellen. So wird Alice im Wunderland als Referenz bemüht, es geht tief in den Kaninchenbau hinab. Neben den Lovecrafteinflüssen sind natürlich Verweise auf Genrefilme wie Alien, The Abyss, Leviathan und Deep Star Six offensichtlich. (Es gilt immer die alte Regel: Besser gut geklaut als schlecht erfunden.)
Geschickt nutzt der Film dabei die Kameraarbeit. Es gibt einerseits große Panoramen, die meiste Zeit ist er aber ganz nah bei den Figuren und sogar direkt an Ihrem Gesicht (Helmkameras). Dadurch nutzt er die Perspektiven, das Erahnen und Nichtsehen geschickt zum Spannungsaufbau. Viele Perspektiven und Kamerafahrten zeigen die Winzigkeit und Bedeutungslosigkeit der Menschen. Im Kontrast dazu steht deren Überlebenswille und Zusammenhalt in der Krise. Die Kreaturen der Tiefsee sieht man oft nur schemenhaft oder am Bildrand, erst zum Finale hin wird mehr enthüllt.
Dieses eingerechnet hat der Film eine recht schlanke Laufzeit von knapp neunzig Filmminuten ohne Abspann, kurz, knackig und mit wenig Fett.
Neben der hervorragenden Kameraarbeit ist hier der treibende, oft mit einem schnellen Herzschlag-Rhythmus gestaltete Soundtrack von Marco Beltrami eine gute Unterstützung.
Viele Sequenzen der Angst und Panik, Einsamkeit und Desorientierung. Klaustrophobie und wuchtige Explosionen werden direkt erfahrbar nahe bei den Figuren gezeigt. Oft sehen wir deren Gesichter in Großaufnahme vor uns. Mit allen Urängsten spielend erzeugt der Film das Gefühl, bei einem halluzinatorischem Trip mitten drin zu sein. Wenn man sich darauf einlässt, wird man so fast Teil der Kampagne.
Trotz der kurzen Charakterisierungen der Figuren lernen wir diese durch ihre Taten weiter kennen und fiebern mit ihnen. Wir bleiben den ganzen Film bei Kristen Stewarts Charakter Nora, die sich kompetent, traumatisiert durch ihre Vergangenheit, verletzlich aber auch hart im Nehmen zeigt. Das solide Spiel der oft gescholtenen Schauspielerin entwickelt einen Sog. Mit dem
zieht sie uns in den Film hinein, dient als Projektionsfläche für den Zuschauer und führt diesen so bis ins Finale.
Ein Hollywood-Blockbuster mit lovecrafteskem Einschlag. Ein cineastisches Meisterwerk sollte hier nicht erwartet werden, eher ein knackig kurzer, rollenspielartiger Film, der kompetent und spannend umgesetzt wurde. Ein paar menschliche Urängste, ein bisschen kosmischer Lovecraftschrecken unter Wasser, ein wenig Alien, eine Prise Katastrophenfilm und hochbudgetierte Achterbahnaktion.
Kein neuer, aber ein sehr guter Mix für einen lohnenden Filmabend. In dieser Rubrik hat er mehr Aufmerksamkeit verdient.