[...] Ich hatte es als eine Möglichkeit formuliert. Mir schien dies durchaus überzeugend zu sein. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, um es mit Marx zu sagen. D.h. wäre Lovecraft einem permanenten Rassismus ausgesetzt gewesen und hätte er diese Vorurteile in seiner New Yorker Zeit bestätigt gesehen, wären seine rassistischen Äußerungen nachvollziehbar für mich gewesen. Und damit meine ich nicht entschuldbar sondern im Sinne einer psychologischen Wandlung die ich nachvollzogen hätte. Ich habe mich aber gegen andere Argumente bzw. Interpretationen nicht verschlossen. [...]
Das habe ich auch immer so verstanden, Sorben. Mein Post war auch nicht als Kritik gedacht. Sorry, wenn das so rübergekommen sein sollte. Insgesamt gehen hier die Meinungen in der gesamten Diskussion ja nicht wirklich sehr weit auseinander, sondern es geht um die Sammlung von Informationen, um Nuancen der Ausdrucksweise auf verständlicherweise "sensiblen" Terrain, um Fragen der sinnvollen Herangehensweise an dieses Thema etc.
Mir ging es bei meinem Beitrag darum, an diesem Punkt der Diskussion den Fokus noch einmal auf die Überlegung zu legen, dass man Ursächlichkeit und Schuld vielleicht etwas deutlicher voneinander trennen und auch getrennt bewerten muss.
Sowohl bei mir selbst als auch bei vielen Beiträgen hier frage ich mich immer wieder, ob "zwischen den Zeilen" bzw. unterbewusst im Hintergrund das eigentliche Motiv nicht doch die Schuldfrage ist anstelle einer Ursachenforschung. Warum ärgert es viele von uns, wenn wir rassismusbezogene Kritik an Lovecraft lesen? Doch nicht wirklich, weil der Lovecraft ein Opfer seiner Zeit gewesen wäre. Vielmehr empfinden wir, dass das oft schlecht recherchierte und alleine auf bestimmte rassistischen Äußerungen gestützte Unwerturteil an dem Menschen Lovecraft nach unserem Empfinden zu kurz greift, weil wir auch andere Seiten an der Gesamtpersönlichkeit Lovecraft sehen.
Ich habe an mir selbst festgestellt, dass man leicht der Versuchung verfällt, Verursachungsbeiträge als Entschuldigung heranzuziehen, weil man Lovecraft, Wagner, Luther, Hegel, Kant, Heidegger oder wen auch immer aus ganz anderen Gründen schätzt und aus emotionalen Gründen verteidigen möchte. Und daran kranken m.E. solche Diskussionen oft. Natürlich wird auch das Umfeld jeweils einen mehr oder minder großen Verursachungsbeitrag zu dem Verhalten solcher Menschen geleistet haben. Ursachen sollte man (möglichst umfassend) auch als solche benennen. Von einer entschuldigenden Wirkung muss man sich aber wohl verabschieden. Kein Mensch ist perfekt. Und unsere großen Dichter und Denker waren es auch nicht. Lovecraft hatte unbestreitbar persönliche Defizite, die man nicht ausblenden darf. Aber: Das bedeutet eben nicht, dass man sein gesamtes Werk der Vergessenheit anheimfallen lassen sollte. Man muss die Gesamtpersönlichkeit mit ihren Schwächen, Fehlern und Stärken sehen und gerade das ist eigentlich spannend.
Die Frage ist obsolet für mich geworden, da sich meine Interpretation durch deine Argumentation als falsch erwiesen hat und ob Rassismus in den USA nun existierte oder nicht, weitestgehend irrelevant für die Aussagen von HPL ist.
Nun das ist eben die Frage, die ich weiterhin in den richtigen Kontext gestellt interessant finde! Ich denke schon, dass Lovecraft seine Äußerungen vielleicht nicht getätigt hätte, wenn es um ihn herum solche Meinungen sonst überhauptnicht gegeben hätte (Ursächlichkeit). Und unter diesem Aspekt ist es weiterhin interessant und vielleicht auch relevant. Auch das gehört zu einem gewissen Teil und neben vielen anderen Aspekten zur Gesamtpersönlichkeit Lovecraft dazu. Vielleicht wollte Lovecraft als verunsicherte Persönlichkeit mit seinen rassistischen Äußerungen gerade den Beifall bestimmter Personen oder Personengruppen erhalten? Vielleicht ging es ihm auch im Gegenteil gerade um eine Provokation gegen einen für ihn ungewohnten New Yorker Liberalismus? Für solche Überlegungen könnte vielleicht auch die Widersprüchlichkeit seines Verhaltens sprechen? Solche Fragen sind m.E. schon interessant und wichtig.
Es reizt mich schon ein wenig auf deine Punkte noch genauer einzugehen, aber das hätte mit dem eigentlichen Thema nichts mehr zu tun. Außerdem führen solche Diskussionen zu nichts, zumindest meiner Meinung nach.
Ich würde eine Fortführung der Diskussion jedenfalls begrüßen. Die meisten von uns stecken nicht tief genug im Thema, um es wirklich in einem wissenschaftlichen Sinne belastbar klären zu können. Dennoch ergeben viele Puzzleteile irgendwann ein Bild, optimalerweise das beste Bild, das man sich aus heutiger Zeit jedenfalls noch von Lovecrafts Gesamtpersönlichkeit machen kann ... auf semiprofessioneller Laienebene.
Jedenfalls finde ich, dass man (ich) aus dieser Diskussion bereits jetzt viele Denkansätze mitnehmen konnte, die Angelegenheit differenzierter betrachtet und mehr die Augen nach anderen Quellen offen hält. Das jedenfalls steht der dLG gut zu Gesicht, meine ich. Das ist doch eine ihrer Kernaufgaben.
Gerade auch weil es (jedenfalls noch) kein wissenschaftlich fundiertes, differenziertes Statement der dLG gibt (und m.E. auch nicht zwingend geben muss, weil die dLG sich als ein Ort der Diskussion und Aufklärung verstehen darf und als verkörperte Interessengemeinschaft nicht verbindliche Antworten geben muss) finde ich diese Diskussion sehr hilfreich, um ein korrektes Bild der Ziele und Absichten der Mitglieder auch nach außen abzugeben.