Lovecraft und Sexismus – das ist in meinen Augen ein schwierigeres Thema als beispielsweise Lovecraft und Rassismus. Sowohl werkimmanent als auch biografisch lassen sich ja rassistische Aussagen verlässlich bei ihm belegen und verknüpfen. Sexismus hingegen kann viel unscheinbarer und je nach Standpunkt auch gar nicht wahrnehmbar auftreten. Hier hoffe ich, auf einen gegenseitigen Austausch und Lernprozess. Die Alternative wäre, gleich vom Start weg eine Sexismus-Definition festzulegen … um sie dann doch immer wieder prüfen und ggf. modifizieren zu müssen.
Vielleicht ist es ein guter Einstieg, direkt mit Lovecrafts populären Texten loszulegen: sie zu untersuchen hinsichtlich Geschlechterfragen, Rollenbildern und Sexismen. Ich habe dafür den Essay „Supernatural Horror in Literature“ (auf Deutsch u. a. „Die Literatur der Angst“) gewählt, bekanntlich ein Abriss zur Historie der unheimlich-phantastischen Literatur von der Antike bis in die 1930er Jahre.
Zwar erwähnt Lovecraft in diesem Essay eine Handvoll Autorinnen und ihre Werke, doch kann diese Zahl nicht mit den genannten Autoren mithalten. Sicherlich ist dieser Umstand ein Abbild der ihm zur Verfügung stehenden Publikationen und Quellen. Verfehlt wäre indes eine Einschätzung wie: „Es gab/gibt eben weniger bemerkenswerte Phantastik von Frauen“. Schließlich hätte es in Lovecrafts Ermessen liegen können, hier eine Gleichberechtigung anzustreben. Denn je häufiger und rücksichtsloser das Augenmerk auf Autoren liegt, desto weiter fallen die Autorinnen ab. Oder um ein anderes, ebenfalls bekanntes Phänomen anzusprechen: Autorinnen werden unter dem Gesichtspunkt der „Frauenliteratur“ besonders präsentiert. Wohingegen mir keine Literaturgeschichte bekannt ist, die sich gezielt mit „Männerliteratur“ beschäftigt … Diese wird eben als Status quo gesetzt.
Ich halte Lovecraft jedoch zugute, dass er sich nicht auf diesen Sonderweg begibt. Er bewertet die Texte von Autoren und Autorinnen allein nach den ihm wichtigen Kriterien von Atmosphäre, Unheimlichkeit und der daraus resultierenden Wirkung. Gerade in den frühen Kapiteln zur Gothic Novel führt er vermehrt Autorinnen an und betont dadurch ihren stilbildenden Anteil (sehr schön ist übrigens sein Kommentar zu Jane Austens Satire „Northanger Abbey“, mit dem er das Thema quasi abschließt). Später dann bringt er Autorinnen ins Spiel, die mittlerweile dezidiert im feministischen Kontext gelesen werden. Zu nennen sind hier die Erzählung „The Yellow Wall Paper“ von Charlotte Perkins Gilman, der Roman „Wuthering Heights“ von Emily Brontë oder auch die Erwähnung von Mary Eleanor Wilkins Freeman.
Nein – diese paar Bemerkungen machen Lovecraft noch lange nicht zu einem Feministen oder Kämpfer für Gleichberechtigung. Sie sind allerdings ein Indiz dafür, dass sein literarischer Blick durchaus kein rein männlicher war. Flankiert wird diese Aussage durch sein Engagement im Amateurjournalismus: ein Umfeld, in dem er sich ebenso kollegial wie intensiv mit den Arbeiten seiner Mitstreiterinnen auseinandergesetzt hat. Doch das soll Thema eines anderen Beitrags sein.