Lovecrafter Online – Kurzgeschichte: Theobald
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Seanchui -
10. Juni 2024 um 12:00 -
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Theobald
Niemand weiß vom alten Apollonius, wie er mit Nachnamen heißt und wie alt er wirklich ist, und er verrät es auch keinem. Er bewohnt ein Einfamilienhäuschen, das er soweit in Schuss hält, dass diesem ein schlimmeres Attribut als ‚leicht verwahrlost‘ erspart bleibt. Dasselbe trifft auf den weitläufigen Garten zu, der sich dahinter erstreckt und in dem Apollonius halbherzig das eine oder andere Gemüse hegt und pflegt, um sich nicht für jeden Bissen in sein Auto schwingen und den Weg zum nächstgelegenen Supermarkt antreten zu müssen.
Denn trotz seiner mindestens 85 Lenze, die sich durch die Rückrechnung ergeben, wann er seinen finalen Weg zur Arbeit angetreten hatte, ist Apollonius fit. Er muss es auch sein, denn sonst wäre er auf fremde Hilfe angewiesen. Er wohnt nämlich in einer Gemeinde, die als sterbend zu bezeichnen keine Diffamierung, sondern nichts als traurige Wahrheit ist. Der letzte Einzelhändler kehrte ihr bereits vor Jahren den Rücken und auch Arzt, Apotheke oder Bank sucht der Besucher vergebens. Lediglich das Speiselokal ‚Zum Hirschen‘, genau genommen eine Kneipe, in der es zur Not auch etwas zu essen gibt, hält seinem Standort die Treue, weil die Bewohner ihm als einzigem Stützpunkt der Geselligkeit ebenfalls die Treue halten.
Verheiratet oder sonst wie liiert ist Apollonius nie gewesen, denn auch während seiner aktiven Zeit ist das Ein- und Ausgehen weiblicher Besucher nie gesichtet worden, was die gar nicht neugierigen früheren Nachbarn zu beeiden bereit wären. Er verschließt sich der dörflichen Geselligkeit nicht ganz, hält sich aber lieber zurück als sich ins Gewühl zu stürzen. Sein Häuschen am Ende der hintersten Wohnstraße liegt in einiger Entfernung von dem davor, weil dazwischen drei Grundstücke brach liegen, deren einstige Bewohner dem allgemeinen Trend zum Wegzug folgten und deren unverkäufliche Liegenschaften nunmehr dem unaufhaltsamen Verfall preisgegeben sind.
Blödsinn, dachte Apollonius, während er seine frisch erstandene Fleischwurst auspackte, dass alle glauben, ich hortete hier ein Vermögen unter dem Dielenboden. Da die im Umlauf befindlichen Banknoten ständig wechseln, hätte ich ganz schön zu tun, mein ominöses Vermögen immer in die neuesten Druckerzeugnisse umzutauschen. Dabei reichen meine Rente und die jährliche Dividendenzahlung eines Weltkonzerns gut aus, mich hier am Leben zu lassen und mir ab und zu sogar ein Filetsteak zu gönnen. Blödsinn, wiederholte er im Geist, ewig mit Aktien zu handeln und ständig zitternd und zagend das Jo-Jo der Börsenwerte zu verfolgen. Ein richtig dickes Paket besitzen, liegen lassen und davon profitieren macht das Leben einigermaßen sorgenfrei.
Er hatte mittlerweile ein beachtliches Stück aus der Fleischwurst herausgeschnitten und geschält. Als er es, im Widerspruch zum Knigge ordentlichen Verhaltens bei Tisch, auf das Messer aufgespießt hatte, um es mit Genuss zu verzehren, meinte er am anderen Ende des Tischs eine Bewegung wahrzunehmen.
Apollonius runzelte die Stirn. Ich wohne doch allein hier, dachte er und kniff die Lider zusammen. Doch, da war etwas Graubraunes, das sich offensichtlich zu verbergen suchte. „Nun komm‘ schon“, ermunterte Apollonius den Schemen, „ich tu‘ dir nichts.“
Tatsächlich schob sich eine spitze Nase in den Sichtbereich über der Kante. „Dachte ich mir“, spann Apollonius den Faden weiter, „du darfst dich ruhig ganz zeigen.“
Es dauerte einen Wimpernschlag und eine Ratte saß vor ihm auf der Platte, eine ganz gewöhnliche der Gattung Rattus norvegicus. „Magst du ein Stück?“ fragte Apollonius. Er zuckte zusammen, denn er meinte, ein gern zur Antwort erhalten zu haben.
Apollonius legte das abgeschnittene Stück vor sich, schnitt es in zwei Hälften, steckte die eine in seinen Mund und kaute mit sichtlichem Behagen. Die andere schob er seinem Besucher vor das Gesicht. Damit musste dem hochintelligenten Tier klar sein, dass die Nahrung nicht vergiftet ist. Er zuckte wieder zusammen. Hatte er nicht gerade ein danke verstanden?
Die Ratte, vermutlich ein Männchen, ließ es sich schmecken. Natürlich passt in einen kleinen Nager nicht so viel hinein wie in einen Menschen und nach einer Weile stellte Apollonius fest, dass ihn die Frage: Darf ich den Rest meiner Sippe mitbringen? nicht mehr verwunderte. „Gern“, erwiderte er, „du darfst dich auch sonst bedienen.“
Die Ratte wuchtete den Bollen hoch und wollte diesen wegtragen, als Apollonius sie nochmals ansprach. „Übrigens.“ Herumdrehen und gespanntes Abwarten war die Folge. „Darf ich dich Theobald nennen?“ Der Angesprochene brauchte seine Beute nicht fallen zu lassen, um verständlich zu artikulieren: Gern. Ich habe noch nie einen Namen getragen und wäre stolz darauf.
Daraufhin verschwand Theobald blitzschnell irgendwo hinter der Wand. Apollonius wiegte glücklich lächelnd seinen Schädel hin und her und freute sich, einen Freund gefunden zu haben, dessen er sich sicherer sein durfte als jeder Entsprechung in Form des Homo sapiens. Um seines Seelenfriedens Willen beschloss er, nicht der Frage nachzugehen, warum er sich mit einer fremden Art zu verständigen imstande war oder das zumindest glaubte.
Bald merkte er, dass sein Haus von immer zahlreicheren Untermietern bewohnt wurde. Theobald betrachtete es als seine Pflicht, eines Tages mit einem Teppich aus Rattenleibern im Gefolge vor der Sitzecke im Wohnzimmer aufzutauchen und den Lesenden anzusprechen: Darf ich dir meine Sippe vorstellen, Apollonius?
Das Gemeinwesen wuchs sich zu einer regelrechten Symbiose aus, in der der Hausherr ab und zu zur Nahrung seiner Untermieter beitrug und diese sich dadurch bedankten, dass sie die Gebäudeecken blitzsauber hielten. Apollonius war überzeugt, dass die Nager beim Ausheben ihrer Gänge sorgfältig darauf achteten, keine Fundamente oder tragenden Wände zu beschädigen. Dass bei der am Ende der Straße stets herrschenden Totenstille ständig Trappel- und Fiepgeräusche zu vernehmen waren, störte Apollonius überhaupt nicht.
Die Trappel- und Fiepgeräusche verstummen allerdings sofort, wenn bestimmte Personen zu Besuch kommen. Ein moderner Staat kümmert sich weniger um die Aufgaben, die ihm Adam Smith vor 300 Jahren zugewiesen hatte – innere und äußere Sicherheit und Soziales –, sondern eher darum, seine Untertanen vor sich selbst zu schützen, denn moderner Ansicht nach ist der mündige Bürger zu dumm und unwissend, um zu wissen, was gut für ihn ist, und muss deshalb diesbezüglich gelenkt werden. Als Mündigkeitsbeweis des Untertanen wird dessen bereitwillige Erkenntnis dieses Tatbestands erwartet und dass er sich begeistert und in vorauseilendem Gehorsam den unsinnigsten Anordnungen der Wissenden in ihren Parlamenten, Kabinetten und Kommissionen in der dankbaren Haltung unterwirft, dass er sich so gut betreut und beschützt fühlt – nicht vor finsteren Zeitgenossen allerdings, sondern seinen eigenen Irrtümern. Die Jagd auf finstere Zeitgenossen unterlässt die hoffnungslos überlastete Exekutive vorsichtshalber gänzlich oder vertraut sie obskuren Privatfirmen an, deren vorbestrafte Schläger und Mörder im Falle eines Falles nachhaltig für Ruhe und Ordnung sorgen.
Folglich erweckt ein allein lebender Mann Mitte 80 das Misstrauen von Sozial- und Ordnungsämtern, sodass in gewissen Abständen ein Besuch fällig ist, ob sich nicht ein Grund finden ließe, den Kerl zu entmündigen und in ein Heim zu stecken, um ihn endlich lückenlos unter Kontrolle zu wissen. Jedes Mal verlassen allerdings die Hüter von Sauberkeit und Hygiene Apollonius‘ Heim in der wohlweislich verschwiegenen Einsicht, dass es in ihren vier Wänden deutlich schlimmer aussieht als in dem zu observierenden Haushalt. Das sind die erwähnten Gelegenheiten, während denen sich die kleinen Mitbewohner mucksmäuschen- oder besser gesagt mucksrättchenstill verhalten.
Trotz seiner Betagtheit hat sich Apollonius der modernen Zeit angepasst und navigiert im Internet wie ein professioneller Hacker des Chaos Computer Club herum. Teilweise ist dieses Verhalten erzwungen, denn für jedes Buch einen Weg von über hundert Kilometern einfacher Distanz zurückzulegen geht arg ins Geld und ist letztlich umweltbelastender als Postversand für derartig kleinteilige Anschaffungen, so sehr er dem früheren Gang zur örtlichen Buchhandlung und dem dortigen ‚Schmökern‘ auch nachtrauert.
Sein Hobby ist die Mathematik oder genauer gesagt deren Ursprünge. Sein neuester Erwerb ist eine antiquarische Rarität, nämlich Girolamo Cardanos lateinische Übersetzung des Werks ‚Ein kurzgefasstes Buch über die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen‘ des arabischen Genies Muhammad ibn Musa al-Hwarizmi, dessen 850 erschienene Rechenfibel aus der Verballhornung des Autorennamens zu unserem heutigen Begriff ‚Algorithmus‘ führte. Besagtes Buch entstand bereits 30 Jahre früher in Bagdad und stellt der Menschheit die erste quadratische Gleichung ihrer Geschichte vor: ‚Ein Quadrat und zehn Wurzeln desselben ergeben zusammen 39 Dirham‘, oder, in bekannterer Schreibweise: x² + 10x = 39. Al-Hwarizmi löste die Gleichung geometrisch, wobei sich sein Verfahren grundsätzlich nicht vom aktuellen unterscheidet. Auch dem Mathematikunterricht des 21. Jahrhunderts bleibt nichts anderes übrig, als die Wurzeln zu halbieren und anschließend deren Hälfte zu quadrieren, das heißt mit der von al-Hwarizmi entwickelten Methode zu ergänzen. Es sei angemerkt, dass ein Teil des arabischen Titels ‚al-kitab al-muhtasar fi hisab al-gabr wa-l-muqabala‘, nämlich al-gabr den heutigen Begriff der Algebra bildete. Das Wort bedeutet folglich nichts weiter als Ergänzung.
Das Buch erwies sich als derart spannend, dass Apollonius trotz Schlafenszeit beschloss, es mit ins Bett zu nehmen und dort in dem Bewusstsein weiterzulesen, dass angesichts der dramatischen Schlussfolgerungen des Arabers auch nach dem Löschen des Lichts kaum an Schlaf zu denken wäre.
Die Geschichte vollführt einen Schlenker zu den finsteren Zeitgenossen der beschriebenen Art. Atze, Ede und Kotz gehören zu ihren herausragendsten Vertretern, die auch vor brutalsten Methoden, sprich Folter und Mord, nicht zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen. Angeblich fahndet die Polizei fieberhaft nach dem Trio, aber wie resignierend weiter oben festgestellt wird, ist der Kampf gegen zum äußersten entschlossene, bis an die Zähne bewaffnete schwere Jungs weniger attraktiv und effizient als ansonsten unbescholtenen Bürgern wegen geringfügiger Ordnungswidrigkeitn happige Bußgelder abzuknöpfen, nicht zuletzt, weil nach einer opferreichen Festnahme von Gewalttätern die Politik die untergeordneten Beamten, die dafür Leib und Leben riskieren durften, wegen unverhältnismäßigen Einsatzes von Gewalt unter Druck setzt, die Justiz diese aus demselben Grund vom Dienst suspendiert und eventuell einsperrt und dafür im Gegenzug die Verbrecher unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung nach spätestens drei Jahren wieder in die Freiheit entlässt.
So dachte das Trio gar nicht daran, vor seinem Coup Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und einen von ihnen draußen Schmiere stehen zu lassen, während die beiden anderen drinnen ‚beschäftigt‘ sein würden.
„Diesmal gibt es kein Pardon“, bestimmte Atze, der Anführer der Bande, „das gilt auch für dich, Kotz.“ Kotz verdankt seinen Spitznamen einer Geschäftsreise, während der er sich hatte übergeben müssen, als sie ein Opfer allzu übel zugerichtet hatten. Seitdem gilt er als Weichei und unzuverlässigstes Glied der Kette. „Schon gut, schon gut“, brummte der Gemaßregelte, „diesmal stehe ich meinen Mann, versprochen!“
„Der Kerl hat gewaltige Summen Bargeld unter seinem Dielenboden, heißt es“, vergatterte Atze nunmehr seine Kumpane, „und es kann für ihn glimpflich abgehen, wenn er uns das Versteck ohne Federlesens verrät. Wenn allerdings nicht…“; er vollzog eine klassische Bewegung, die Kehle-durchschneiden symbolisierte. „Wir sollten ihn nicht gleich abmurksen“, riet Ede, „sonst müssen wir jedes Versteck selber durchsuchen und das bedeutet in einem verwinkelten Kasten wie dem das alten Apollonius einen Haufen Arbeit.“ „Was denkst du denn“, herrschte Atze ihn an, „zuerst bringen wir ihn zum Reden, so oder so. Erst danach…“; er wiederholte die Kehle-durchschneiden-Geste und fuhr mit bedeutungsschwangerer Betonung fort: „Wenn er ganz lieb ist und schnell seine Weisheit ausspuckt, sind wir auch ganz lieb und machen ganz schnell und möglichst schmerzlos Schluss.“ „Dann sind wir uns ja einig.“ Dröhnendes Gelächter belohnte diesen humorigen verbalen Schlagabtausch.
Sollte einer der Bewohner des vorderen Straßenteils das unbekannte Auto gesehen oder gehört haben, das sich tief in der Nacht dem Asphaltende näherte, würde er es vorziehen, nichts gesehen oder gehört zu haben, falls ihn jemand befragen sollte. Drei Herren entstiegen besagtem Fahrzeug und näherten sich dem Haus. Probehalber drückte Atze gegen die Vordertür und kicherte. „Alles offen. Der gute Apollonius ist vertrauensseliger als die Polizei erlaubt." „Und wenn eine Überwachungskamera…?“ „Unsinn! Irgendwo würde ich irgendwas blinken sehen. Glaubt mir, ich hab‘ dafür einen siebten Sinn.“
Apollonius hatte sich in seinem Bett auf die linke Seite gestützt, denn den Folianten vermochte er nicht kraft seiner Armmuskeln in der Schwebe zu halten. Die glühbirnenbestückte Antiquität, die ihm leuchtete, breitete ihren Lichtkegel genau passend aus, um ihm bequemes Lesen zu ermöglichen. Theobald saß auf seiner Schulter und las mit.
Unglaublich, mit welch‘ messerscharfer Logik uns ein Orientale vor 1200 Jahren gezeigt hat, wie man rechnet.
„Woher beherrschst du Latein?“
Genauso gut könntest du mich fragen, wieso ich deutsch beherrsche. Alle menschlichen Sprachen präsentieren sich mir als eine. Du könntest das arabische Original vor dir liegen haben und ich könnte auch das lesen.
Apollonius seufzte. „Eine beneidenswerte Fähigkeit. Das müsstest du mir nämlich übersetzen.“
Wir können es ja mal pro…, pssst!
„Was ist?“
Ein Geräusch, das nicht ins Haus gehört!
Kaum gesagt öffnete sich knarrend die Zimmertür und die drei bekannten ehrenwerten Herren traten mit gezückten Messern ein. Theobald huschte hinter Apollonius‘ Rücken ins für die Eindringlinge Unsichtbare. Einer von ihnen öffnete nun seinen hinter einem Vollbart grinsenden Mund. „So, mein lieber Apollonius, jetzt zu unserer Besprechung, zu der wir einseitig eingeladen haben.“
Der Angesprochene fiel vor Schreck in eine Art Erstarrung. Eine Stimme hinter ihm erlöste ihn daraus: Mach‘ das Licht aus! Aus einem Reflex heraus fuhr Apollonius‘ Zeigefinger zu einem winzigen Knopf aus der Nierentischepoche und drückte ihn. Augenblicklich lag der Raum in völliger Dunkelheit.
Atze, Ede und Kotz lachten dröhnend. Als hätten sie das nicht erwartet! Ihre linken Hände fuhren in die Richtung, in denen sie ihre Taschenlampen bereithielten. Plötzlich merkten sie, dass der Raum auch ohne künstliche Beleuchtung keineswegs dunkel war. Aus allen Ecken, von oben, von unten und von jeder Wand glühten ihnen mindestens hundert winzige Augenpaare entgegen. Die bisherige Stille wich mehr und mehr einem Fiepen und Trappeln.
Jetzt waren es die drei ehrenwerten Herren, deren Bewegungen erstarrten. Sie spürten nicht nur nacktes Entsetzen in ihrem Inneren, sondern auch angenehm flauschige Pelze in ihren Hosenbeinen hochsteigen.
Wie erwähnt liegt Apollonius‘ Häuschen am Ende der Straße, drei Leerstände zwischen sich und dem nächsten Nachbarn. Sollte einer von denen die schrillen, nicht menschlichen und schon gar nicht männlichen Stimmen vernommen haben, die sich mitten in der fraglichen Nacht dem Häuschen entrangen, zöge er es in abwägender Überlegung vor, sie nicht vernommen, sondern tief und fest geschlummert zu haben, obwohl er sich sonst unablässig bei denen, die es interessiert und vor allem bei denen, die es nicht interessiert, über seine notorische Schlaflosigkeit beklagt. Auch das unbekannte Auto, das kurz vor Morgengrauen seinen Weg zurück fand, hatte vorsichtshalber niemand gesehen.
Apollonius fuhr es bis zum Anschluss zur Bundesstraße. Er wusste, dass kurz hinter der Auffahrt ein Parkplatz ebenso flehend wie erfolglos zum Picknick einlädt, denn die Ausweichstelle wird trotz Verbots gern zur Erleichterung von Blase und Darm missbraucht und verbreitet ein entsprechendes Aroma. Eine erst vor kurzem aufgestellte Plastiktoilette sorgt für ein wenig Abhilfe.
Apollonius ließ den Schlüssel, den er in der nunmehr herrenlosen Jacke eines der Eindringlinge gefunden hatte, im Schloss stecken und schlug die Fahrertür zu. Dann entledigte er sich seiner Handschuhe und stopfte diese in die Hosentasche. Bis zurück nach Hause waren es gut vier Kilometer und Apollonius musste sie mangels Alternativen zu Fuß zurücklegen. Nun war er, wie eingangs dargelegt, recht fit und schaffte die Distanz in wenig mehr als einer Stunde. Gerade als die Morgendämmerung hereinbrach, schloss er seine Haustür hinter sich zu.
Die widerlichste Arbeit stand ihm nun bevor: Das Beseitigen der Blut- und Gedärmereste von seinem Fußboden. Zum Glück erwies sich sein über ein halbes Jahrhundert alter billiger Linoleumboden als extrem pflegeleicht.
Der nächste Schritt war einfacher Natur. Eigentlich ist das heute verboten, aber dem kauzigen Apollonius sieht man nach, wenn er in seinem Garten ein Herbstfeuerchen entfacht und dort alte Kleider verbrennt. Einem aufmerksamen Beobachter hätte auffallen können, dass es sich um solche handelte, die Apollonius selbst garantiert nie getragen hatte, aber den aufmerksamen Beobachter gab es nicht. Lediglich drei Paar Schuhe bester Qualität hatte er der Vernichtung entzogen, denn die der Besucher waren alle der Größe 44, die zufällig auch die Seine ist. Eine Runde in der Waschmaschine wäre allerdings unerlässlich, um auch letzte Blutspuren der Vorbesitzer zu beseitigen. Was das schlechte Karma von Mörderbesitz betrifft: Apollonius ist überhaupt nicht furchtsam oder abergläubisch.
Der ultimative Akt war wiederum schweißtreibend. Am Nachmittag hob Apollonius eine tiefe Grube in seinem Garten aus und, als er sie als tief genug einschätzte, füllte er diese mit Dingen, die der nunmehr zum zweiten Mal beschworene aufmerksame Beobachter als Menschenknochen hätte identifizieren können. Indes nützt alle Beschwörung nichts: Der aufmerksame Beobachter existiert weiterhin nicht.
Die Exekutive geriet eine Zeitlang unter medialen Druck, weil es ihr nie gelang, des Diebes- und Mördertrios habhaft zu werden. In einem auf einem Bundesstraßen-Parkplatz in der Nähe eines unbedeutenden Dorfs gefundenen Pkw, der als gestohlen gemeldet worden war, wurden deren Fingerabdrücke isoliert, die jedoch zu keiner weiteren Erkenntnis außer der führte, dass es sich bei den Dieben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um das Trio handelte. Was es mit dem Auto angefangen hatte und warum es dieses gerade dort zurückgelassen hatte, blieb ein Rätsel. Eine intensive Spurensuche in den umliegenden Wäldern und auf den Feldern, aber auch in besagtem Dorf blieb erfolglos. Wie weiter oben vorbereitend angedeutet hatte niemand etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen.
Im Lauf der Zeit ließ der Druck nach, als keine weitere Tat in ihrer Handschrift mehr nachfolgte. Ebenso blieben weitere Lebenszeichen von Atze, Ede und Kotz während der kommenden Jahre aus. Die Vermutung, dass die Drei entweder genug Beute zusammengekratzt hatten, um irgendwo in der Welt ein sorgloses Leben zu genießen, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die, dass sie sich verkracht und in Folge ihres wenig zurückhaltenden Charakters geradewegs gegenseitig um die Ecke gebracht haben. Im Sinne der Gerechtigkeit ist zu hoffen, dass die zweite Variante zutrifft.