Lovecrafter Online – Poltergeist II - Die andere Seite. Lovecrafts Mythen, Gigers Monster
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Seanchui -
17. Juni 2024 um 12:00 -
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„Welch winkendes Gespenst
Lockt mich in des Mondlichts Schatten
Und weist auf jene Lichtung dort?”
- Harold Lawlor
Ein häufiges Element des lovecraftschen Kosmos ist die Metapher eines uralten, nahezu "lebendigen" Hauses als Spiegelbild des Zustandes, in dem sich dessen Bewohner - üblicherweise eine Familie - befinden, eingebettet in eine doppelt narrative Erzählstruktur, bei der die Geschichte selbst in der Vergangenheit und in der Gegenwart berichtet wird. Wichtigstes Vorbild ist Edgar Allan Poes Untergang des Hauses Usher.[1]
Poltergeist II: Die andere Seite (1986, Regie: Brian Gibson) enthält zusätzlich noch Verweise auf Lovecrafts ätzende Religionskritik, außerdem kommt darin auch eine der furchterregendsten Kreaturen des Horrorfilms der 1980er Jahre vor.
Das Ehepaar Steve (Craig T. Nelson) und Diane Freeling (JoBeth Williams) zieht mit ihren Kindern zu Dianes Mutter (Geraldine Fitzgerald) in ein Landhaus, nachdem sie in ihrer früheren Wohnung mit heftigen, paranormalen Aktivitäten konfrontiert wurden. Die medial begabte Tochter Carol Anne (Heather O’Rourke), die bereits von Geistern entführt wurde, fertigt mysteriöse Zeichnungen von einem schwarz gekleideten Mann an, dem sie tatsächlich wenig später in einem Einkaufszentrum begegnet, wo er aufdringlich ihre Hände umfasst und sie mit sich nehmen möchte. Es handelt sich bei ihm um den Geist des früheren Laienpredigers Henry Kane (Julian Beck), der im 19. Jahrhundert Anhänger eines utopischen Sekten-Kults in eine unterirdische Höhle führte, wo sie vor dem drohenden Weltuntergang sicher wären. Dort erstickten sie qualvoll, nachdem Kane den einzigen Ausgang verschlossen hatte. Sowohl das Medium Tangina (Zelda Rubinstein) als auch der Schamane Taylor (Will Samson) warnen die Familie vor Kane: „Nichts stirbt endgültig. So wie eine Raupe sich in einen Schmetterling verwandelt, transformiert uns der Tod in eine andere Daseinsform. Dieser Mann steht für das Böse und seine Seele wird auf ewig das Böse verkörpern, weil er sich gegen die Erleuchtung verschließt und nicht willens ist, zu einem neuen Bewusstsein zu finden.” Für Tangina verkörpert er das Böse allgemein - the Beast. Kane möchte Carol Anne benutzen, um in die Welt der Lebenden zurückkehren zu können. Für die Freelings beginnen Tage beispiellosen Terrors.
Und Menschen winden sich vom Lichte wund.[2]
Die ersten Teile der Poltergeist-Trilogie sind Familienfilme wie Poes Untergang des Hauses Usher und Lovecrafts Die Farbe aus dem All Familiengeschichten sind. Poltergeist (1982, Regie: Tobe Hooper)[3] endete mit dem Versinken des funktionalen Neubaus aus dem Cuesta Verde-Projekt als ein zynischer Kommentar zu Poes klassischer Geschichte: „es folgte ein langes, tosendes Krachen wie das Getöse von tausend Wasserfällen, und der tiefe und schwarze Teich zu meinen Füßen schloß sich finster und schweigend über den Trümmern des Hauses Usher.” Jerry Goldsmiths eindringlicher, mit Kinderlachen unterlegter Score unterstreicht die Selbstironie dieses Films und weckt sogar Assoziationen mit Friedrich Nietzsches lebensbejahenden Atheismus, der jeden Glauben an das Übersinnliche - wie Lovecraft auch - schroff ablehnt:
„Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes die Tore aufreißt? Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des Lebens? Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in alle Totenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer sonst mit düstern Schlüsseln rasselt.”[4]
Poltergeist II ist als Fortsetzung wesentlich dunkler, pessimistischer und unheimlicher ausgefallen, Nietzsches Warnung vor dem calvinistischen Fanatiker-Glauben ist präsent und die Brüchigkeit der amerikanischen Kernfamilie kommt deutlicher zum Vorschein. Carol Anne spricht mit ihrer verstorbenen Großmutter über ihr Spielzeugtelefon. Steve und Diane scheinen sich auch auf privater Ebene auseinander gelebt zu haben, die Gefahr, in der sie schweben, wird lange ignoriert. Diane zerstreitet sich kurz vor deren Tod mit ihrer Mutter und Steve wendet sich dem Alkohol zu - und verschluckt den Tequila-Wurm, der später als Kane wiederkehrt. In der Isoliertheit ergeben sich durchaus Parallelen zu den Gardners aus Die Farbe aus dem All - ironischerweise tragen auch Carol Annes Verwandte aus Poltergeist III - Die dunkle Seite des Bösen (1988, Regie: Gary Sherman) den Nachnamen Gardner.
Der Schweizer Künstler HR Giger (1940-2014), der bereits für das Filmdesign von Alien (1979, Regie: Ridley Scott) verantwortlich war - das Filmplakat ist im Kinderzimmer von Poltergeist zu sehen - entwarf die Figur des Great Beast, eine Verkörperung des Reverend Kane, der hier als mechanisch wirkendes Wesen - halb Skelett, halb Wurm - in Erscheinung tritt. Dem Wurm-Motiv kommt in Erzählungen von Lovecraft oder Robert Bloch eine wichtige Bedeutung zu.[5] Giger ist berühmt für sein 1977 veröffentlichtes Kompendium Necronomicon, das verstörende, apokalyptische Bilder enthält. Bereits der Titel verweist deutlich auf den Einfluss Lovecrafts und die Vorderseite zeigt eine futuristisch anmutende Version des Baphomet, ursprünglich von Eliphas Lèvi als Frontispiz seines Werks Dogme et Rituel de la Haute Magie (1856) gezeichnet. Die sexualisierte Darstellung eines Ziegenbocks verweist auf die Dämonisierung gehörnter Gottheiten wie Cernunnos oder Pan durch die mittelalterliche Kirche, was auch Lovecraft vor allem im Grauen von Dunwich (etwa das Aussehen Wilbur Whateleys oder Shub-Niggurath, die schwarze Ziege der Wälder mit ihren tausend Jungen) aufgreift.
Es ist sicher kein Zufall, dass in der Poltergeist-Trilogie der moderne Alltag mit Bezug zur Arbeitswelt und Technik stark thematisiert wird: so ist Steve Freeling zugleich Verkaufsrepräsentant der Siedlungsgesellschaft Cuesta Verde. Carol Anne begegnet Kane erstmals in einem Einkaufszentrum. Telefone und Fernsehen ermöglichen die Kommunikation mit der Geisterwelt. Und der Ort der Handlung von Poltergeist III ist ein riesiger Gebäudekomplex, vor dessen großen Scheiben Kane als winkendes Gespenst erscheint: zur innerweltlichen Askese der Calvinisten gehört, hart zu arbeiten und ihre Tätigkeit sichtbar zu machen. Licht und Helligkeit wirken aber in allen Teilen der Poltergeist-Reihe bedrohlich.
Gigers Design hat wesentlich zu der unheimlichen Atmosphäre von Poltergeist II beigetragen. Leider wurde die ursprüngliche Fassung von 130 auf 91 Minuten gekürzt, viele Erklärungen sowie einige Entwürfe Gigers sind somit nicht mehr enthalten. Gigers apokalyptische Szenarien erinnern einerseits an Lovecrafts pessimistische Feststellung zu Beginn von Cthulhus Ruf, dass die Wissenschaft einst Erkenntnisse liefern wird, aufgrund dessen die Menschheit entweder in Wahnsinn verfallen oder aus dem tödlichen Licht in den Frieden und die Sicherheit eines neuen, dunklen Zeitalters fliehen wird. Andererseits aber auch an Warnungen des Psychoanalytikers und Kritiker des Arbeits-Ethos, Erich Fromm, der 1968, wenn auch in einem völlig anderen Kontext, eine ähnliche Sichtweise wie Lovecraft vertrat: „Der eine Weg führt in eine völlig mechanisierte Gesellschaft, die den Menschen zu einem hilflosen Rädchen in der Maschine macht, und führt vielleicht sogar in die Vernichtung durch einen Atomkrieg; der andere dagegen zu einer Renaissance des Humanismus und der Hoffnung – also zu einer Gesellschaft, welche die Technik in den Dienst des menschlichen Wohlergehens stellt.”[6]
- Stefan Preis
[1] Derie, Bobby (2017): Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos. Ein intimer Blick auf H. P. Lovecraft und sein literarisches Erbe. Leipzig. S. 96 f.
[2] Zeile aus dem expressionistischen Gedicht Nachtgesang von Jakob von Hoddis.
[3] Zu einer ausführlichen Interpretation des Films: Lederle, Josef (2004): Poltergeist. In: Vossen, Ursula (Hrsg.): Filmgenres Horrorfilm. Stuttgart. S. 273-277.
[4] Nietzsche, Friedrich (1954): Werke in drei Bänden. Band 2. München. S. 390.
[5] Gerade die postmoderne Horrorgeschichte wie etwa Briefe aus Jerusalem von Stephen King verknüpft das Wurm-Motiv mit der Spukhaus-Thematik. Auch Freddy Krueger tritt in Nightmare III (1987) als monströser Wurm auf.
[6] Fromm, Erich (1982): Die Revolution der Hoffnung. Für eine Humanisierung der Technik. Vorwort. Frankfurt am Main.