Lovecrafter Online – Interview mit Michael Maniura
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Seanchui -
27. Mai 2024 um 12:00 -
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Lovecrafter online: Michael, danke dass Du Dir die Zeit für ein paar Fragen nimmst. Stell' Dich doch unseren Lesern kurz vor: wer bist Du, und was machst Du so, wenn Du nicht gerade Bücher schreibst?
Michael Maniura: Ich bin Michael Maniura, Jahrgang 1953 und folglich im Ruhestand, und in Frankfurt am Main geboren. Im beruflichen Leben war ich Entwickler von Computerprogrammen. Dazu später mehr. Mein Beruf lastete mich genügend aus, sodass ich für meinen Herzenswunsch, schriftstellerisch tätig zu sein, keine Zeit fand. Das gelang mir erst ab 2018.
LCo: Viele Deiner Geschichten greifen lovecrafteske Motive auf und interpretieren sie neu. Woher kommt Dein Faible für Lovecraft?
MM: Mein Faible für Horrorgeschichten war früh ausgeprägt. So las ich bereits mit 15 Jahren Frankenstein, Dracula und »Das Phantom der Oper« – wobei ich bei diesem Roman am Schluss enttäuscht war, dass sich alle Elemente als natürlichen Ursprungs erwiesen. Dann, als Physikstudent, wandte ich mich bedingungslos der Science Fiction zu und der Horror trat in den Hintergrund.
Bis vor wenigen Jahren war mir Lovecraft unbekannt. Dann schenkte mir ein Freund das Buch An den Bergen des Wahnsinns. Das fand ich großartig, ohne zu wissen, dass die Geschichte für Lovecraft untypisch ist, da es sich bei ihr im Grunde um Science Fiction handelt. Ein weiteres Geschenk desselben Freundes war das Buch H. P. Lovecraft – Die besten Geschichten in der Übersetzung von Florian F. Marzin. Die begeisterten mich und ich erkannte die wahren Beweggründe des Autors.
Den richtigen Kick gab mir der Foliant H. P. Lovecraft – Das Werk von Leslie Klinger mit den ausgezeichneten Übersetzungen von Andreas Fliedner und Alexander Pechmann, den ich zufällig in einer Buchhandlung ausliegen sah und spontan mitnahm. Ich gebe zu, eher wegen der bibliophilen Ausstattung als wegen des Inhalts. Das änderte sich nach der Lektüre maßgeblich. Danach musste natürlich S. T. Joshis zweibändige Biografie auch noch in mein Regal.
Du siehst, ich habe Lovecraft noch nie im Original gelesen. Mein Touristen- / Informatikenglisch würde dazu auch kaum ausreichen, denn amüsiert las ich, dass Klinger seinen – englischsprachigen – Leser(inne)n bei manchen Begriffen sich zu erklären bemüßigt fühlt, was sie bedeuten.
LCo: Deinen Varianten lovecraftschen Grauens wohnt deutlich weniger kosmischer Horror inne als den Vorlagen - tatsächlich entdeckt der geneigte Leser deutlich mehr Augenzwinkern in Deinen Geschichten. Ist es der Wunsch, sich von der Vorlage abzuheben, oder gibt es einen anderen Grund für diese Andersartigkeit?
MM: Mein Schreiben ist grundsätzlich unabhängig von einer Vorlage und ein Pastiche zu verfassen ist in einer anderen als der Originalsprache m. E. unsinnig. An Lovecraft gefällt mir seine Art, Spannung aufzubauen. Weniger gefallen mir seine übelriechenden, tentakelbewehrten Glibberwesen, die bei mir auch nicht vorkommen. Den kosmischen Horror verorte ich eher in der Natur – einer wirklichen Naturkatastrophe vermag der Mensch nichts entgegenzusetzen. So ergieße ich in meiner Erzählung »Feuerring« den pazifischen Ozean in das glutflüssige Erdinnere mit den entsprechenden Konsequenzen.
Du nennst es Augenzwinkern – vielfach bringe ich Kritik an Gesellschaft und Politik auf diese Weise unter. Das halte ich für nachhaltiger als Essays zu verfassen, die ich als weniger prickelnd betrachte. Lovecraft sandte seine Meinungen im Klartext an seine Freunde in Briefform. Damit erreichte er diese und einige weitere mit seinen Leserbriefen, die erfahrungsgemäß rasch in Vergessenheit geraten.
In meinen Geschichten bemühe ich mich weniger, Lovecrafts Themen aufzugreifen, als gewisse Querverweise auf sie anzubringen, wenn sie mir passend erscheinen – was häufig der Fall ist. Auf keinen Fall möchte ich ihn kopieren und das tue ich, glaube und hoffe ich, auch nicht.
LCo: Zugegeben – es haben sich in den vergangenen Jahren bereits einige Künstler an Lovecraft versucht. Woher glaubst Du – als Kunstschaffender – kommt die Faszination Lovecrafts? Und warum wird sein Werk immer noch so vielfältig interpretiert?
MM: Die erstaunt mich selber, denn wir schreiben mittlerweile ein Jahrhundert später und heute selbstverständliche Dinge wie Internet und Smartphone existierten zu Lovecrafts Zeit nicht. Vielleicht ist es die Zeitlosigkeit von Bedrohung an sich, bei der gleichgültig ist, in welcher Form sie auftritt. Hier ist Lovecrafts Kosmizismus allen lokalen und zeitlich begrenzten Verwerfungen anderer Autor(inn)en überlegen.
LCo: Erzähle uns von Deinen anderen Geschichten. Welche ist Dir besonders ans Herz gewachsen und warum?
MM: Mein zweites Standbein ist die Hardcore-Science-Fiction. In diesen Geschichten ist mein Hauptanliegen die Warnung vor Über-Digitalisierung, sprich der totalen Überwachung des Individuums durch finstere Mächte. Im Allgemeinen antworte ich auf die Frage, welche meiner Geschichten mir die liebste sei, die, an der ich gerade arbeite, sonst würde ich sie abbrechen. Im Nachgang bildet sich nichtsdestoweniger eine Hierarchie. In der Novelle Digitale Flut spiele ich meine Informatikervergangenheit am markantesten aus. Bezeichnenderweise nenne ich darin meine Großer-Bruder-Software Cthulhu.
LCo: Und nun mach‘ uns neugierig: Worauf dürfen sich Lovecraftfans in Zukunft von Dir freuen?
MM: Zurzeit geistert mir eine Abhandlung mit Creepern im Kopf herum. Die sind ein relativ neuzeitliches Phänomen, laden aber zum Ausfabulieren herrlich gruseliger Szenen geradezu ein. Meistens beginne ich mit einer Inspiration wie dieser und schreibe immer weiter, bis sich das Ende von selbst findet. Für diese Methode habe ich ein prominentes Vorbild. Stephen King behauptet in seinem Buch Das Leben und das Schreiben: Wenn ich schon gespannt bin, wie die Sache ausgeht, um wieviel gespannter müssen dann erst meine Leser(innen) sein? Bisher hat das gut geklappt. Dass diese Inspirationen häufig von Lovecraft beeinflusst sind, erkläre ich mit einer Art Geistesverwandtschaft.
LCo: Herzlichen Dank für Deine Antworten, Michael. Möchtest Du unseren Lesern noch etwas sagen?
MM: Wie ich zuvor schrieb, bin ich gut im Englischen, wenn es gilt, eine Pizza und ein Bier zu bestellen. Für literarisches Englisch reicht es indes nicht annähernd. Überhaupt sollten Übersetzungen in die Muttersprache erfolgen, denn die besten Fremdsprachenkenntnisse decken normalerweise deren Idioms nicht ab. Zudem sind mir die Modalitäten des amerikanischen Verlagswesens unbekannt. Worauf ich hinaus will: Ich kann mir vorstellen, dass einige meiner Erzählungen auch für das Publikum jenseits des großen Teichs lesenswert sind. Vielleicht findet sich unter Euren internationalen Lovecraft-Freund(inn)en eine(r), die oder der sich diesen Gedanken zu Eigen macht. Vielen Dank, André, für Dein und Euer Interesse an meinem Werk.