Lovecrafter Online – Filmkritik: Cigarette burns
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Der SF-Horrorfilm Phase IV wirkt auf den ersten Blick wie ein später Vertreter des klassischen, oft etwas dümmlichen Tier-Horrorfilms seiner Zeit. Ein extrem falscher Eindruck, der seine tief lovecrafteske Natur und filmische Klasse sträflich unterschätzt. Wie Howard Phillips Lovecrafts Spätwerk mixt er Science Fiction, Naturwissenschaft und Horror mit einem soliden Schuss kosmischem Nihilismus. Das Grauen beginnt durch stellare Konstellationen und interstellare Kräfte, die die Kontrolle über eine der kleinsten Lebensformen des Planeten übernehmen: Ameisen.
Handlung
Eine Reihe ungewöhnlicher und beunruhigender kosmischer Ereignisse scheint - wider vieler Befürchtungen - zunächst ohne Konsequenzen zu bleiben. Die vorhergesagten Katastrophen wie Massenaussterben, Erdbeben oder andere Weltuntergänge scheinen ausgeblieben zu sein. Ein Biologe, der kühl-rationale Dr. Ernest Hubbs, glaubt aber, eine gefährliche Veränderung im Verhalten von Ameisen zu registrieren. Zur Erforschung dieser Effekte, wie ungewöhnlicher Aggressivität gegen andere Tiere, Errichtung bizarrer Megastrukturen und intelligenter werdendem Schwarmverhalten, wird in einem der weltweit auftretenden Anomalie-Zentren ein abgelegenes, autarkes Forschungslabor eingerichtet. Die Umgebung wird evakuiert, die letzte verbliebene Familie zum Verlassen ihrer leidlich geschützten Farm aufgefordert.
Hubbs beginnt, mit dem Kryptographen und Sprachanalysten James Lesko die rätselhaften Zeichen und Geschehnisse zu untersuchen und den Ursprung der von den Insekten an den Tag gelegten Intelligenz zu ermitteln. Die ersten Tage bleiben ereignislos. So sprengt Hubbs kurzerhand die riesigen von den Ameisen konstruierten Lehmmonolithen. Es folgt ein erster, nächtlicher Angriff. Dieser kann zwar mittels Chemikalien zurückgeschlagen werden, es sterben bei diesem Gegenschlag aber nahezu alle Mitglieder der Familie Eldridge, die sich der Evakuierung widersetzt hatte. Am nächsten Morgen finden Hubbs und Lesko deren Leichen, nur die junge Kendra hat traumatisiert überlebt. Sie bleibt mit den Wissenschaftlern im Labor, Hubbs unterdrückt jeden Kontakt zur Außenwelt, bis dieser von den immer intelligenter agierenden Ameisen ohnehin blockiert wird. Sie konstruieren neue Monolithen mit spiegelnden Oberflächen und lassen so die Temperatur im Labor bedrohlich steigen. Zusätzlich legen sie die Kühlung und den Generator lahm, die Ameisen belagern letztlich das Labor und die Menschen.
Ein Angriff mit Schallwellen auf die neuen Strukturen zeigt etwas Wirkung, letztlich scheinen die kleinen Insekten aber mehr und mehr die Oberhand in der eskalierenden Rüstungsspirale zu haben. Hubbs, inzwischen im Fieberwahn nach einem Ameisenbiss in Folge eines von Kendra verursachten Laborunfalls, will den Krieg um jeden Preis gewinnen. Lesko versucht, eine basale Kommunikation mit Mathematik zu installieren und Verhandlungen zu starten. Während die Antwort der Ameisen noch analysiert wird, eskaliert die Lage. Kendra will ihren Fehler auf fatale Weise wieder gut machen und Hubbs will die Ameisenkönigin lokalisieren und töten. Droht das Aussterben der Menschheit oder deuten die Zeichen auf eine andere Art von Evolution?
Lovecrafteke Momente
Aufmerksamen Lovecraftianer*Innen entgehen die gewollten und ungewollten Parallelen zum Werk des Mannes aus Providence sicher nicht. Hier wird die gesamte Partitur des Cosmic Horror bedient:
Neben den kosmischen Ereignissen wie den - altbekannten - richtig stehenden Sternen und der Gefahr aus den Tiefen des Raumes ist das gesamte Szenario der Erforschung eines ungewöhnlichen Phänomens und der wissenschaftliche Background klassisch. Die handelnden Personen sind nahezu Archetypen, repräsentieren eher eine Weltsicht und eine Position, als dass sie menschlich fassbar sind. Wie die Handlungsträger der Geschichten sind sie fast nur das: Träger der Handlung, mit Lesko als Erzähler der Geschichte aus dem Off. Er gibt kurze Erklärungen und Ausblicke auf das Kommende. Hubbs als kalter, wissenschaftlicher Technokrat, kompromisslos und nicht anpassungsfähig. Er lässt Lesko bewusst über viele Hintergründe im Unklaren, testet und seziert ihn, wie er es bei allem tut. Nicht einmal der Tod der unschuldigen Farmer oder Kendras Schicksal lassen ihn von seiner Mission abweichen. Lesko ist die humanistische Repräsentanz des Kompromisses und der Zivilisation, empathisch und wissbegierig, anpassungsfähig. Kendra ist die menschgewordene, natürliche Unschuld mit kindlicher Naivität.
Die äußere Bedrohung ist nahezu unverständlich in ihrem Ziel bei sehr methodischem Vorgehen. Dabei werden die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der damaligen Zeit wie in den Geschichten Lovecrafts kunstvoll in die Geschichte eingewoben, sei es die beginnende Computertechnik, der aufkommende Umweltschutzgedanke, die Kommunikation mit anderen Lebewesen und die Entdeckung der Schwarmintelligenz und der -damals noch nicht so benannten - Emergenztheorie des Bewusstseins. Die philosophischen Fragen nach der Stellung des Menschen im Kosmos und auf der Erde werden ebenso gestellt, wie sein Anspruch auf die "Krone der Schöpfung" angezweifelt.
Von Wesen, die weit jenseits des Menschlichen liegen, übervorteilt zu werden, ist seit den Mi-Go aus Funghi from Yuggoth keine ungewöhnliche Thematik mehr. Neugier und Forscherdrang führen zum Untergang, aber auch die Übernahme und Anpassung an eine neue Weltordnung sind seit The Whisperer in Darkness bekannt, wie die untergehenden Zivilisationen (At The Mountains of Madness) oder die Gefahr, sein Selbst zu verlieren (The Thing at the Doorstep) und assimiliert zu werden (The Shadow over Innsmouth).
Der Mensch selber ist im Film wie bei Lovecraft kein wichtiger oder gar essentieller Aspekt des Geschehens, die Ereignisse gehen mit und ohne ihn weiter. Das ist heute aktueller denn je, zieht der Planet doch weiter seine Bahnen, ob wir ihn z.B. durch den Klimawandel für uns oder gar für das Leben an sich ruinieren oder nicht. Kosmologisch ist das Leben auf der Erde bedeutungslos, wenn es sich nicht anpassen kann. Darwins Theorien der Evolution waren Lovecraft wohl vertraut und auch Saul Bass hat diese Aspekte in seinen Film einfließen lassen. Gerade das Ende, manchmal Stein des Anstoßes, zeigt meiner Meinung nach viel Wissen, Phantasie wie auch Tiefgründigkeit in der Behandlung des evolutionären Gedankens.
Die Ameisen sind brillant gefilmt, völlig ohne Sprache handelnd und charakterisiert, sie werden mit eigenen (elder?) Zeichen auf der Stirn zugeordnet, ihre Gänge könnten genauso in die Nameless City führen. Überall hinterlassen sie charakteristische Zeichen wie die drei Löcher in ihren Opfern und die Kornkreise auf den Feldern. Sie sind die Kultisten des Films, versammeln sich im Untergrund, schmieden Pläne, halten Treffen und Versammlungen ab, opfern sich für die Sache auf. Sie sind die verlängerten Arme der kosmischen Mächte im Hintergrund.
Mit großartigen Naturaufnahmen, beeindruckenden Montagen und geschickten Einsatz von Tricktechniken zeigt Phase IV, wie man etwas Unvorstellbares doch visuell ansprechend darstellen kann.
Cinematographische Notizen
Phase IV ist der einzige Spielfilm des Grafikdesigners Saul Bass. Er wurde eher für seine Titelsequenzen und Schnittmontagen bekannt. Er gestaltete viele der Vorspänne von Alfred Hitchkock und hat die berühmte Duschszene in Psycho montiert. Das Drehbuch stammt von Mayo Simon (Marooned / Futureworld). Entstanden sowohl in den englischen Pinewood Studios als auch beim Außendreh im afrikanischen Rift Valley, wurde das noch zu besprechende alternative Ende in Kalifornien gedreht.
Die Darstellerin der Kendra, Lynne Frederick (Vampire Circus), wurde in ein unbequem enges Korsett geschnürt, um sie jugendlicher und kindlicher zu gestalten. Sie sollte bis zum Ende kein Love-Interest für Lesko sein, das wirkt heutzutage in manchen Szenen doch etwas creepy. Generell handeln die Personen bewusst eher kühl und distanziert, der ganze Film erweckt den Eindruck einer Dokumentation. Ansonsten tragen die soliden Hauptdarsteller Nigel Davenport (The Island of Dr. Moreau) und Michael Murphy (Strange Behavior) die Handlung mit ihren Rollen, gewollt ohne große Höhepunkte und mit eher intellektuellen Scharmützeln als emotionalen Gefechten.
Der Film zeigt zum ersten Mal Kornkreise. Es gibt die Theorien, diese seien erst durch ihn quasi erfunden worden. Mit den vielen gelungenen Montagen erzählt der Film die Geschichte eher visuell, etwa wenn die Tode der Ameisen mit denen der Farmbewohnern im Giftregen gegengeschnitten werden. Für die beeindruckenden Makroaufnahmen der Ameisen war Ken Middleham verantwortlich, der kurz zuvor an der halb dokumentarischen Fiktion The Hellstrom-Chronik (1971) mit ähnlich brillanten Aufnahmen beteiligt war. Als Ameisenkönigin musste wegen ihrer besseren Optik allerdings eine Wespenkönigin herhalten…
Mit den passenden bizarren Tönen, sphärischen oder elektronischen Geräuschkulissen und eigenwilliger Musikuntermalung erzeugen die visuellen Bilder eine fesselnde Fremdartigkeit und Bedrohung, die den gesamten Film durchzieht. Das Ende des Filmes stellte ursprünglich eine sechs minütige Sequenz dar, die das weitere Schicksal der Charaktere und der Menschheit in einer künstlerisch und visuell berauschenden Trickmontage zusammengestellt und ein wenig an die Endsequenz von 2001 anlehnen sollte. Eine neue Evolutionsstufe wird hier in einer aufwändigen Bilderflut dargestellt. Hier zog das Studio Paramount nach der Sichtung den Stecker und ließ das Ganze auf die kurze, den Film recht abrupt endende Sequenz der Kinofassung herunterdampfen. Das vollständige Ende von Saul Bass kann heute auf YouTube gefunden und bewertet werden.
Phase IV war ein finanzieller Flop und blieb so Saul Bass’ einziger Spielfilm. Schuld dürfte das falsche Erwartungsmanagement gewesen sein. Wer hier zünftigen Horror mit Monster-Ameisen a la Them! (dt: Formicula) erwartet, wird enttäuscht. Kommerziell war es sicherlich nicht hilfreich, eher von den "trippigen" Sequenzen von 2001 - A Space Odyssee und dem Unerklärlichen von The Birds inspiriert worden zu sein. Schlicht zu sperrig, intellektuell verkopft und psychedelisch kommt die Mischung aus hartem SF, Arthouse, Horror und Philosophie daher. Das Tempo ist langsam, es wird auf Atmosphäre gesetzt und eher der Intellekt angesprochen denn auf das Sensationskino gezielt.
Bewertung
Ein Kritiker schrieb sehr schön: “When David Attenborough goes berserk”. Sicherlich ist Phase IV kein klassisches Mainstreamprodukt. Er ist schlicht zu langsam, visuell verspielt und kopflastig. Ob man das Ende mag und welches man bevorzugt, ist dabei eigentlich sekundär. Beide Versionen geben genug Stoff, über den Film auch nach dem Abspann noch zu philosophieren und sich selbst ein Urteil zu bilden. Das alleine ist ein großer Wert. Hinzu kommen die wirklich faszinierenden und bis heute beeindruckenden Naturaufnahmen der Ameisen ( wie zur Hölle klebt man einer lebenden Ameise Zeichen auf die Stirn?).
Darüber hinaus entwickelt der Film über Musik, Soundeffekte und die Bilder eine dräuende Atmosphäre der Bedrohlichkeit, eine qualvolle und erschütternde Spannung. Die Geschichte macht einen neugierig und lädt zum Mitraten und Mitdenken an, was möchte man mehr? Man muss sich auf den Film einlassen können und über die nicht gerade normalen Charaktere und deren oft seltsamen Handlungen hinwegsehen, sie sind eher Mittel zum Zweck. Dies ist man von Lovecraft durchaus gewohnt.
Ein hoffentlich gestatteter persönlicher Einschub: Ich habe den Film sehr jung (mit ca. 10 Jahren, ~ 1977/78), nachts in irgendeinem der damaligen drei (!) Fernsehprogramme geschaut und war zutiefst begeistert von seiner Andersartigkeit und dem lange nachwirkendem Finale. Eine objektive Bewertung oder eine Antwort auf die Frage, wie der Film gegebenenfalls heute bei einer Erstsichtung erscheint (langweilig oder öde?), ist daher für mich kaum möglich. Seine heute mich geradezu anschreienden Lovecraftbezüge habe ich damals - mangels Kenntnis des Autors - nicht gesehen und ich frage mich, ob diese Art Stoffe mich zu Lovecraft gebracht haben oder ich ihnen schon immer entgegengelaufen bin…
Fazit
Nihilistischer Cosmic Horror in der 70er Jahre Tier-SF-Grusel-Variante, mit tollen Aufnahmen, einer unheilvollen Stimmung und einem halluzinatorisch-philosophischen Ende. Ein unterschätztes, vergessenes Juwel für den etwas aufgeschlosseneren Lovecraft-Connoisseur.
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