Lovecrafter Online – Filmkritik: Lovely, Dark and Deep

Tipp für den besten Genuss: Erst unbefangen ansehen, dann die Kritik lesen.
Viele Motive der modernen Science-Fiction- und Horrorliteratur finden sich früh, manchmal sogar erstmals in den Geschichten Howard Phillips Lovecrafts. Sein The Whisperer in Darkness beschreibt -unter anderem - eindrucksvoll und spannend die Belagerung des Bewohners einer abgelegenen Farm durch Außerirdische. Sehr viele Elemente dieser Geschichte finden sich in dem Film No one will save you von Regisseur Brian Duffield wieder, der sie zu einem effektiven Home-Invasion-Thriller der speziellen Art erweitert.
In der Nacht wird sie von seltsamen Geräuschen geweckt, Dinge bewegen sich und die Elektronik spielt verrückt. Jemand bricht in ihr Zuhause ein. Plötzlich sieht Brynn sich mit einem Außerirdischen konfrontiert! Die Nacht entwickelt sich zu einem gefährlichen Katz- und Mausspiel. Ihr Versuch, am nächsten Tag Hilfe in der Stadt zu bekommen, scheitert auch an ihrer sozialen Phobie. Dabei zeigt sich, dass es in Brynns Vergangenheit ein traumatisches Ereignis gab, das sie mit den Bewohnern der Stadt entzweit hat und sie dauerhaft isoliert. Weder bei der Polizei noch bei der Kirche kann sie Hilfe finden. Bei einem Fluchtversuch per Bus muss sie feststellen, dass die Invasion der Aliens nicht auf sie und ihr Haus beschränkt ist. Andere Dorfbewohner wurden bereits erfolgreich durch die Invasoren übernommen.
Sie flieht in die einzig verbliebene Sicherheit der eigenen vier Wände und ist auf sich alleine gestellt. In der folgenden Nacht kommt es zur entscheidenden Konfrontation. Brynn muss sich den Außerirdischen genauso stellen wie den eigenen Ängsten, ihrem Trauma und ihrer tragischen Vergangenheit.
Die Elemente von The Whisperer in Darkness, die im Film verwendet werden, komplett aufzuführen und zu besprechen, würde die Ausmaße dieses Textes sprengen. Die Grundelemente der Geschichte von Henry Wentworth Akeley und seiner in den Briefen an Albert N. Wilmarth festgehaltene Geschichte könnten an Hand einer Liste abgehakt werden und lassen den Film beinahe wie eine moderne, erweiterte Verfilmung dieses Teils von Lovecrafts Geschichte erscheinen. Das abgelegene Haus im Wald, das von außerirdischen Invasoren belagert und bedroht wird. Luftaufnahmen und Kamerafahrten mit Blick nach unten lassen eine paranoide Grundstimmung wie in der Vorlage entstehen. Die sich steigernde Isolation von der restlichen Welt und die generelle Bedrohung aus dem einsamen, von unheimlichen Geräuschen erfüllten Wald werden stimmungsvoll auf den Bildschirm gebracht. Die nächtlichen Geräusche, die im Film hervorragend gestalteten “Sprach”-Geräusche der Invasoren, alles ist vorhanden, sei es auch nur als Randerscheinung wie die immer wieder jaulenden und bellenden Hunde der Nachbarschaft auf der Tonspur.
Ausstattung und Geräuschkulisse sind atmosphärisch und angenehm altmodisch gestaltet und erzeugen eine ganz eigene Stimmung. Die Einrichtung des Hauses charakterisiert die Protagonistin und wird Teil des Geschehens. Generell arbeitet der Film viel mit Symbolik.
Brynns Kampf findet zwar nicht mit Schusswaffen und Hunden statt, ist aber nicht minder eindrucksvoll und erfolgreich. Hinzu kommt das Motiv der Übernahme anderer Personen - Mr.Noyes im Roman - durch die Außerirdischen, passenderweise durch einen tentakeligen Parasiten. Die “Mi-Go” des Filmes sind entweder klassische Außerirdische der Marke Stephen Spielberg (großer Kopf, schlanker Körper, sog. Grays), es gibt aber in den alptraumhaftesten Sequenzen beeindruckende große, insektenähnliche Varianten, die den Vorstellungen und Beschreibungen Lovecrafts sehr nahe kommen.
Der Film entstand direkt für den Streamingdienst Hulu. Regisseur Brian Duffield durfte nach Spontaneous zum zweiten Mal Regie führen. Zuvor ist er als Drehbuchautor für Genre-Stoffe in Erscheinung getreten, wie The Babysitter, Love and Monsters und dem cthulhuhaltigen Underwater.
Gedreht vor einer atmosphärisch eingefangenen Kulisse in Louisiana wird der Film nahezu vollständig von seiner brillanten Hauptdarstellerin Kaitlyn Dever (Booksmart) getragen. Der Film kommt bis auf zwei winzige, entscheidende Momente völlig ohne Dialog aus und verfährt dabei maximal nach dem Filmmotto: Show, don't tell. Ohne erklärende Texte muss die Geschichte anders erzählt werden. Eine sprechende Ausstattung, beeindruckende Bilder mit hohem Symbolgehalt, markerschütternde Töne, geschichtenerzählende Musikstücke und packende Atmosphäre durch den Soundtrack von Joseph Trapanese; all dies erzählt die notwendigen Hintergründe. Glaubwürdig gestaltete Spezialeffekte runden die Erschaffung des Handlungsrahmens ab.
Das eigentliche Drama selbst vermittelt mit Macht die Hauptdarstellerin. Sie liefert eine neunzigminütige Glanzleistung ab, die alleine schon eine Sichtung des Filmes lohnt. Mimik, Körpersprache, Augen, Lippen - alles erzählt hier Bände und wenn es jemals einen Oscar für beste Atemkontrolle geben sollte, muss Kaitlyn Dever haushoch gewinnen. Sie japst, jauchzt, jammert, faucht, keucht und stöhnt so authentisch und mitreißend durch die Emotionen, als wäre dies eine eigene Kunstform. Man verfolgt den einsamen Kampf der jungen Frau ohne Worte, schließt die Figur schnell ins Herz und leidet mit ihr.
Die Außerirdischen sind größtenteils am Computer entstanden und verschlangen mit den anderen Spezialeffekten einen großen Teil der Kosten des Filmes, sind sie doch bereits ab dem ersten Drittel des Filmes vollständig agierend und sichtbar. Regisseur Duffield wollte die angsteinflößenden Grays zurück in den Film bringen. Vorbilder waren dabei Filme wie Signs, Close Encounter of the Third Kind, A Quiet Place, Communion und ein wenig Invasion of the Body Snatchers.
Der Film feierte im September 2023 auf Disney+ Premiere und erlangte recht schnell einen gewissen Hype, nachdem gleich zwei Horror-Koryphäen ihn hoch anpriesen. Dabei ist ein Empfehlung von Stephen King nicht zwangsläufig ein Garant für einen guten Film, im Einklang mit den lobenden Worten von Guillermo del Toro konnte man jedoch von sehr solider Kost ausgehen und der Trailer verstärkte die Vorfreude auf den fertigen Film nochmals. Film und Drehbuch erhielten für einen SF/Horrorfilm gute Kritiken mit besonderer Hervorhebung der Leistung der Hauptdarstellerin. Den größten Kritikpunkt stellte meist das interpretationsfähige, für manche verwirrende Ende dar.
Der Film stellt zunächst einmal eine reinrassige Home-Invasion-Geschichte mit Außerirdischen dar. Diese sind klassisch, fast klischeehaft gehalten. Wer nur dafür diesen Film sieht, kann die spannende, gut gemachte Fahrt genießen; ob das Ende dann goutiert wird, ist dann Geschmackssache. Dieses ist mehrfach interpretierbar, es wird aber in Andeutungen über den Film hinweg aufgebaut und vorbereitet. Handwerklich ein exzellent gemachter Film, der - wie von del Toro angeführt - durchaus als Parabel auf Religion (Schuld und Sühne) gelesen werden kann. Oder auch - etwas ungnädiger - als zu lang geratene Twilight Zone-Episode mit bitterbösem Ende ausgelegt werden kann. Nicht umsonst erinnerte er Stephen King an die Folge The Invaders von 1961.
No one will save you ist aber vor allem ein Film über die Verarbeitung von Trauer, Trauma und Schuld, trägt doch Brynn eine solche Last aus der Vergangenheit mit sich. Diese ist ihr weder von der Umgebung noch von ihr selbst bisher vergeben worden. Hat sie sich zu Beginn in ihrem Leben damit arrangiert, wird sie durch die Invasion zur Therapie gezwungen, die Vergangenheit schleicht sich mit dieser in ihr Haus, hebt ihre Scheinwelt aus den Angeln und erzwingt die Konfrontation. Auf dem Wege zur Interpretation liegen die wenigen gesprochenen Worte und die Ergänzung des Filmtitels zur gängigen, vollständigen Redewendung zur Auflösung parat. Wie man sie sieht und ob sie gefällt, hängt auch vom Betrachter selbst ab. Die Psychologie teilt die Traumabewältigung in fünf Phasen (Schockphase, Verarbeitungsphase, Stabilisierungsphase, Konfrontationsphase und Integrationsphase) ein, welche Brynn im Verlauf des Filmes alle durchleben muss um - in gewisser Weise - eine Art Erlösung oder einen Abschluss zu erfahren.
Eine mitreißende, alptraumhafte Tour de Force der sozial geächteten, traumatisierten Heldin durch eine beginnende Alien-(Home-)Invasion. Dabei werden viele Stationen und Themen aus The Whisperer in Darkness zu einem komplexen, eine zweite Sichtung lohnenden psychologischen SF/Horrorthriller verwoben. Meiner Meinung nach eine empfehlenswerte Katharsis-Achterbahnfahrt.