Lovecrafter Online – Filmkritik: Terrified
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Michael H. -
19. Februar 2024 um 12:00 -
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Wissenschaft und Horror zu verknüpfen war eines der Ziele in Lovecrafts Werk. In seinen Geschichten führte er in die unheimlichen Geschehnisse gerne viele wissenschaftliche Elemente ein und ließ Wissenschaftler als Hauptcharaktere auftreten. Ähnlich verfährt der kleine Horrorschocker Terrified von Autor und Regisseur Demián Rugna und lässt Wissenschaftler in einem Stadtteil von Buenos Aires den blanken Horror erleben.
Wieder einmal gilt: Die Besprechung enthält keine echten Spoiler, den besten Genuss bietet der Film jedoch unvorbereiteten Zuschauer*innen.
Handlung
Einige seltsame und offenbar paranormale Ereignisse suchen einen Vorort in Buenos Aires heim. Zuerst kommen seltsame Stimmen aus dem Abfluß, es klopft nachts an den Wänden, ein totgeglaubter Hund kehrt quicklebendig zurück, Menschen verhalten sich merkwürdig und schließlich gibt es bizarre Todesfälle. Ein verunglückter Junge kehrt nach vier Tagen von den Toten zurück, offenbar hat er sich selbst ausgegraben. Seine Mutter Alicia versucht, den verwesenden, unbeweglichen Jungen vor den Behörden zu beschützen.
Commissario Funes, der Ex-Lebensgefährte von Alicia, holt zunächst den Pathologen und Erforscher des Paranormalen Mario Jano dazu. Er erlebte in seiner Vergangenheit in der Forensik zweimal, wie Tote mit ihm wieder Kontakt aufnahmen. Der Versuch, durch erneutes, “zementiertes” Begraben eine Wiederkehr des Jungen zu verhindern, löst das Problem jedoch nicht. Auch in zwei weiteren Nachbarhäusern gibt es unerklärliche Ereignisse. Einer hat eine bizarre Kreatur gefilmt, welche unter seinem Bett hervorkam. Diese Aufnahmen mit der Bitte um Rat haben die berühmte Parapsychologin Dr. Mora Albreck auf den Plan gerufen, die Jano trifft.
So kommt letztlich eine Abordnung von Wissenschaftlern zusammen, die neben Jano und Albreck noch den Kollegen Rosentock umfasst. Sie sollen die Dinge klären und möglichst wenig Aufmerksamkeit dabei erregen. In jedem befallenen Haus nistet sich ein Wissenschaftler zur Untersuchung und Dokumentation der Geschehnisse ein. Polizist Funes, herzkrank, mit eingeschränktem Gehör und kurz vor der Frühpensionierung unterstützt die Gruppe, trotz Angst und Bedenken, auch aus persönlichen Gründen. Mit technischem Gerät wie Kompass, Pendel, Kamera, Tonband und Schwarzlicht versuchen die Wissenschaftler, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Je weiter die Untersuchungen in dieser Nacht fortschreiten desto klarer wird: Diese Ereignisse lassen sich mit dem menschlichen Verstand nicht gänzlich fassen, die Realität ist nicht mehr konstant und die Grenzen der Welten verwischen. Die Wesen aus der anderen Dimension sind keineswegs freundlich und Albrecks Theorien werden für die Untersuchenden zu einer tödlichen Gewissheit. Als Polizist Funes die Gefahr erkennt, versucht er zu retten, was zu retten ist.
Lovecrafteske Momente
Einem der Prinzipien Lovecrafts, dass ein Werk vor allem eine Stimmung der Verängstigung (“terrified”) erzeugen soll, bleibt der Film vollumfänglich treu. Die unerklärlichen Ereignisse zu Beginn ziehen den Zuschauer sofort in den Bann, erzeugen Unbehagen, Furcht und Verwirrung. Erst ab dem zweiten Drittel wird die Geschichte konsequent linear erzählt, zuvor wirkt der Film wie verwobene, zeitlich versetzte Kurzgeschichten, ähnlich den Werken von Lovecrafts Kollegen Arthur Machen.
Wie bei vielen Andeutungen und Vorausdeutungen in den Werken Lovecrafts wird eine spezielle Erwartungshaltung etabliert, man muss aufmerksam dem Geschehen folgen für das vollumfängliche Gesamtbild. Wissenschaft und Grauen gehen hier Hand in Hand, das Eine funktioniert kaum ohne das Andere. Die Haupthandlung wird von den drei Wissenschaftlern vorangetrieben, wieder einmal verschlimmert ihre Neugier das Geschehen. Sie sind so vom Wissensdurst getrieben, dass sie die offensichtlichen Gefahren falsch einschätzen. Dies gelingt nur dem Commissario. Dokumentieren und Recherchieren geht hier über alles, mit geradezu stoischer Gelassenheit. Wissen zu erlangen, ist der einzige Zweck, jedes Risiko Wert.
Ein Wortwechsel von Albreck und Rosentock dokumentiert das komplette Versagen der hier betriebenen Wissenschaft:
R: “Das ist es, was ich immer gesucht habe!”
A: “Was sollen wir jetzt tun?”
R: “Keine Ahnung.”
Die Neugier lässt die Logiker alle Vernunft vergessen. Die Wissenschaft bietet bestenfalls ein Erklärungsmodell, keine Handlungsanleitung oder Weisheit. Commissario Funes kollabiert, als die Ereignisse einen Höhepunkt erreichen. Wo bei Lovecrafts Protagonisten meist die Ohnmacht herhalten muss (z. B. The Shadow over Innsmouth, Under the Pyramids u.v.m.), ist hier die Herzerkrankung verantwortlich und deutlich glaubwürdiger.
Die Frage, was real ist und was nicht, zieht sich als klassisches Motiv Lovecrafts auch hier durch den Film. “Nicht alles, was sie gesehen haben, ist real", erklärt Albreck dem blutverschmierten Funes überheblich. Die Interdimensionalität wird hier in einen Horrorkontext eingebunden wie in The Dreams in the Witch-House, die nicht-euklidischen Winkel sind hier einfach Blick- oder Hörwinkel. Eine kleine Änderung der Sichtweise enthüllt eine parallele Dimension, die mit unserer überlappt, was Albreck mit dem Beispiel einer Orange erklärt. Dieses Konzept setzt der Film gelungen und spannungsfördernd um, spielt mit den Erwartungen von Figuren und Zuschauer*innen. Alles scheint möglich zu sein, die Realität wird erschüttert. Lovecraft liebte die Idee, durch die Verletzung der Naturgesetze das Grauen wirkungsvoller zu gestalten. Andeutungen eines Befalls des Wasser sind Referenzen an The Color out of Space und erhöhen das Gefahrenpotential.
Das dass Böse hauptsächlich im Dunkeln aktiv wird, entspricht der Lore natürlich ebenfalls perfekt. Jano widerspricht seinem eigenen Credo, diese Dinge besser in Ruhe zu lassen, wenn wir Kontakt mit einer anderen Welt aufnehmen. Die Kreaturen aus der anderen Dimension sind schaurig und meist beeindruckend gestaltet, beachtet man die zur Verfügung stehenden Mittel. Sie ähneln den Manipulationen eines Dr. West, sie übernehmen offensichtlich unsere toten Körper, verändern und steuern diese. Parallelen gibt es zu The Thing at the Doorstep oder The Shadow out of Time. Wieweit die Ursprungs-Persönlichkeiten verbleiben, wird nicht abschließend klar, in einer der verstörendsten Sequenzen ist die Quelle des Hilferufes an Funes eindeutig menschlich, die Erscheinung… nicht so sehr.
Viele Andeutungen und Nebenstränge, wie Janos zurückliegende Erlebnisse, die vorherigen Untersuchungen von Rosentock und Albreck, die Ereignisse um den von den Toten auferstandenen Hund u.v,m. bilden einen Hintergrundteppich, der, ähnlich der Rahmenhandlung um einen anderen Nachbar, ein größeres Gesamtbild andeutet. Dies entspricht viielen Werken Lovecrafts. Es gibt noch Ähnlichkeiten zu The Rats in the Wall und The Shunned House, seien es die Ermittlungsgruppen oder die unheimlichen Dinge in und hinter den Mauern. Der Film löst nicht alle Fragen auf, erklärt vieles nebenbei, in Nebensätzen und überlässt einiges wirkungsvoll der Phantasie.
Cinematographische Notizen
Regisseur Demián Rugna versuchte sieben Jahre, sein Drehbuch filmisch umzusetzen. Er scheiterte immer wieder an der Finanzierung dieses Projekts, auch weil die Filmindustrie in seinem Heimatland Argentinien nicht sehr an Horrorfilmen interessiert und generell nicht sehr umfangreich ausgestaltet ist. Erst 2016 gelang es ihm schließlich, den Film für ca. 350.000 Dollar Budget in 25 Tagen abzudrehen.
Aus Kostengründen übernahm er hier neben Drehbuch und Regie noch den Soundtrack und Teile der digitalen Spezialeffekte in der neunmonatigen Postproduktion. Nach einigen erfolgreichen Festivalvorführungen mit Nominierungen und Auszeichnungen konnte der Streifen letztlich beim internationalen Vertrieb des Shudder-Portals untergebracht werden und so letztlich eine erfolgreiche weltweite Verbreitung generieren. Der ursprüngliche Filmtitel wandelte sich da von Atterados zu seiner englischen Übersetzung Terrified.
Bewusst erschwert der Film im ersten Drittel eine Orientierung für den Zuschauer. Es bleibt lange unklar, wem wir folgen und wer der Hauptcharakter ist. Dies sei ein Mittel, erklärte Rugna in einem Interview, Zuschauer*innen zu verunsichern und kein Gefühl der Im-Voraus-Berechenbarkeit oder Sicherheit über das Schicksal der Charaktere und den Verlauf der Geschehnisse aufkommen zu lassen. Vorbilder waren für Rugna hier Horrorfilme seiner Jugend in den 80er Jahren, wie die Werke von David Cronenberg, John Carpenter und Guillermo del Toro. Die oft geradezu grotesken Geistererscheinungen des Filmes wirken denen del Toros ähnlich, Einflüsse und Referenzen an Halloween, Rec, Conjuring und Nosferatu sind recht leicht zu entdecken. Sie sind jedoch völlig organisch in die Mischung aus Haunted-House, Zombiefilm, Creature-Feature und Seuchen-Thriller verwoben und zu etwas Originellem, Eigenständigem und Neuem kombiniert.
Die soliden Leistungen des Casts vermitteln die nur mit kleinen Details gezeichneten Handlungsträger prägnant, das Gefühl, gerade als Beobachter hinzugestoßen zu sein, lässt das rational an sich absurde Geschehen völlig realistisch erscheinen.
Die entweder sphärische oder treibende, oft percussionlastige Musik - gelegentlich analog zu Funes Herzschlägen - lässt den Zuschauer mitfiebern. Die meist gelungenen Computereffekte werden gut eingesetzt, es erscheint vieles im Dunkeln, im Hintergrund, auf Videoaufzeichnungen oder in Spiegelungen. Die wenigen Jumpscares sind hervorragend gesetzt und beschleunigen merklich den Puls des Zuschauers.
Bewertung
Man kann sich bei der Bewertung eigentlich dem generellen Tenor anschließen. Das Budget hat der Film wieder eingespielt, Regisseur Rugna hat inzwischen weitere, zum Teil hochgelobte und mit Spannung erwartete Filme (When Evil Lurks) drehen dürfen und die Kritiken für den Film sind wohlwollend bis enthusiastisch. Es hat trotzdem, von einigen Festivalaufführungen wie dem Fantasy Film Fest abgesehen, fast sechs Jahre gedauert, bis der Film hierzulande gezeigt wurde. Offenbar hat es das südamerikanische Kino bei uns noch schwerer als Filme manch anderer europäischer Länder, z.B. die teilweise hervorragenden Genrebeiträge der letzten Jahre aus Spanien, und laufen selten, verspätet oder gar nicht.
Dabei hebt er sich wohltuend vom Hollywood-Einheitsbrei ab, den wir sonst so vorgesetzt bekommen. Morbide, beunruhigend und verängstigend, teilweise verstörend ist hier das Grauen, obwohl oder eher weil Bilder und Szenen auch mal länger sind als gewohnt. So wird die Spannung immer mehr gesteigert bis zur effektiven Entladung (hat zumindest mich mehrfach erwischt).
Filmfreund*Innen können hier Szenen entdecken, die einige Hollywoodfilme “inspiriert” haben dürften. Ironischerweise war eine Zeit lang sogar ein amerikanisch-sprachiges Remake unter der Regie von Guillermo del Toro geplant. Erfreulich ist der trockene, durchaus lovecrafteske Humor; wenn Funes nach unheimlichen Ereignissen “das Licht bleibt jetzt aber an” anmahnt oder Dr. Albreck lakonisch zu Janos Buch “hab ich gelesen, das Coverbild hat mir gefallen.” anmerkt, bricht das gekonnt kurz die Spannung. So eine Spitze wäre meines Erachtens durchaus von einem - in meiner Vorstellung leicht aristokratisch und süffisant lächelndem - Lovecraft denkbar gewesen.
Deutlich konsequenter als in anderen Werke wird hier eine düstere Geschichte erzählt, mit vielen Ideen und originellen Ansätzen. Terrified ist extrem professionell und effektiv mit viel Liebe und Kenntnis des Genres umgesetzt worden. Das Ende lässt eine Weiterführung zu und sie ist nach einem Interview mit dem Regisseur geplant. Hoffentlich entzaubert dies nicht wie so oft zuvor die wunderbaren Mysterien und das unerklärliche, groteske Szenario.
Fazit
Ein kleiner, sehr origineller und günstig hergestellter Horrorfilm aus Argentinien mit einer wahrlich furchterregenden Atmosphäre. Ein packender, schweißtreibender Trip, der sich lohnt.