Lovecrafter Online – Rezension: Sub Terra
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Blackdiablo -
12. Februar 2024 um 12:00 -
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In Sub Terra sind wir tief unter der Erde gefangen und versuchen als ein Team von Höhlenforscher*innen, das Tageslicht zu erreichen, bevor wir den einheimischen Kreaturen zum Opfer fallen. Dazu muss jedes Teammitglied vorsichtig zu Werken gehen und seine bzw. ihre individuellen Fähigkeiten trickreich einsetzen – insbesondere, weil schon eine Begegnung mit den namenlosen Ungeheuern tödlich enden kann. Darüber hinaus sind die labyrinthischen Gänge mit zahllosen Gefahren wie Abhängen, Engstellen oder Giftgasen gespickt, die eine übereilte Flucht bestrafen: Aber wenn unserer Taschenlampe kurz davor ist zu erlöschen, bleibt häufig keine andere Wahl als dieses Risiko einzugehen …
Sub Terras größte Stärke liegt in der Unmittelbarkeit der beklemmenden Situation, für die man sicherlich nicht The Descent gesehen haben muss, um direkt ins Geschehen gezogen zu werden: Nachdem jedem Spieler und jeder Spielerin ein/e Höhlenforscher*in ausgeteilt worden ist, entfalten sich die Regeln dynamisch während der ersten Spielrunde. Die Immersion setzt schon bei den Erklärungen ein und kann – sofern erwünscht – mit einem bedrückenden Ambient-Soundtrack, passender Beleuchtung oder mit Miniaturen aus anderen cthuloiden Brettspielen bestärkt werden. Das mitgelieferte Spielmaterial ist sehr hochwertig und auf eine minimalistische Weise schick, doch das heißt nicht, dass man die Monster nicht nach eigenem Geschmack optisch anpassen könnte: Spielmechanisch folgen sie lediglich einer einfachen Gegner-KI, die sich dem Team schnellstmöglich nähern will, um ein Mitglied nach dem anderen auszuschalten – warum also nicht, die Holzscheiben dieser sogenannten Schrecken mit Miniaturen aus Villen des Wahnsinns ersetzen? Die klaustrophobische Atmosphäre, die das unterirdische Setting hervorragend vermittelt, kommt so stark zur Geltung, wie man als Spielende bereit ist, sie zu unterstützen.
Die Gruppe gewinnt die Partie, wenn mindestens zwei Höhlenforscher*innen das Ausgangsplättchen erreicht haben, das sich unter den untersten sechs der zahlreichen Höhlenplättchen befindet. Das bedeutet, dass die Höhlenforscher*innen die verwinkelten Gänge möglichst weiträumig und effizient erkunden müssen, um ihr Ziel schnell genug zu erreichen. Es stehen in jedem Zug zwei Aktionspunkte zur Verfügung, die primär für eine Reihe an verschiedenen Bewegungsaktionen dienen. Zum Aufdecken von neuen Gängen wählt man eine offene Seite und setzt ein Plättchen passend an, sodass sich eine Verbindung zum eigenen Höhlenplättchen ergibt. Man darf sich außerdem verausgaben, um einen dritten Aktionspunkt zu erhalten, allerdings zum Preis eines Würfelwurfes, der mit einer 50% Chance einen Lebenspunkt abzieht. Alle Charaktere haben normalerweise drei Lebenspunkte, die nur durch das umständliche Heilen für zwei Aktionspunkte aufgefrischt werden können – auch von anderen Teammitgliedern. Von daher ist es wichtig, beim Erkunden der Höhle Vorsicht walten zu lassen. Nachdem alle Mitspieler*innen ihre Züge gemacht haben, bewegen sich ggf. die Feinde näher heran und es wird eine Gefahrenkarte gezogen, die neue Ereignisse in der Höhle auslöst: Erst hierdurch füllen sich die erkundeten Höhlenplättchen mit Gas oder Wasser, instabile Gänge stürzen ein oder es tauchen neue Schrecken aus ihren Brutstätten auf. Was die Kreaturen besonders gefährlich macht, ist, dass sie in der Regel unbesiegbar sind: Sub Terra bietet nur zwei Optionen an, Flucht oder Verstecken, wobei letztere Option meistens tödlich endet. Wenn der Stapel an Gefahrenkarten aufgebraucht ist, geben unsere Taschenlampen den Geist auf und das Spiel schaltet in einen Sudden Death um, in welchem die Gruppe innerhalb einer Runde ausgelöscht werden kann. Es bleibt daher höchste Priorität, sich nicht in Sackgassen zu manövrieren.
Das Spiel setzt sein Augenmerk zwar eindeutig nicht auf Strategie, aber das heißt nicht, dass es dazu einladen würde, unbedacht vor sich hin zu spielen: Die Tatsache, dass man ungefähr kalkulieren kann, welche Gefahrenkarte sich wie oft im Ziehstapel befindet, ermöglicht es, den größten Vorteil aus risikofreudigen Spielweisen zu ziehen. Sub Terra bestraft nicht nur unvorsichtige Spielweisen, sondern belohnt sowohl überlegtes Vorgehen als auch günstige Impulsentscheidungen, wodurch verschiedene Spieler*innentypen auf einen gemeinsamen Nenner kommen können. Am besten illustrieren das die acht verschiedenen Charakterklassen, die jeweils für sich genommen dermaßen stark sind, sodass sich jede/r Spieler*in als ein integraler Bestandteil des Teams versteht. Der Sanitäter kann z. B. für einen Aktionspunkt heilen und bewegt sich schneller durch die Höhle; die Technikerin sprengt neue Durchgänge auf, um zwei Höhlenplättchen miteinander zu verbinden. Aufgrund des simplen Regelgerüstes, der kurzen Spielzeit (ca. 70 min) und der kooperativen Ausrichtung eignet sich das Spiel ideal als ein Gateway-Game: also ein Spiel, um Menschen an das Hobby heranzuführen, oder etwa als ein unverfänglicher Adrenalinkick für Zwischendurch. Die beigelegten Übersichtskarten über die verfügbaren Aktionen und die Bedeutung der gesamten Ikonografie erleichtern den Einstieg zusätzlich. Indem es leicht zu erlernen ist und trotzdem ein stabiles Fundament mit hinreichend Tiefe bietet, passt sich das Spielerlebnis schlichtweg der Gruppendynamik an, ohne irgendjemanden aus dem Geschehen zu isolieren.
Theoretisch kann niemand während des Spiels ausscheiden, d. h. der betroffene Charakter kann von anderen Figuren auf demselben Feld immer durch die Heilen-Aktion reanimiert werden, aber wenn sich mehrere Monster über den einzigen Tunnel nähern, in welchem ein Teammitglied erwischt wurde, muss die Gruppe entweder erfinderisch werden oder die arme Seele ihrem Schicksal überlassen. Wer keine Form von Spieler*inneneliminierung haben möchte, könnte hiermit ein Problem haben; ich persönlich weiß allerdings zu schätzen, dass es genau diese schwierigen Entscheidungen sind, welche die Dramatik und Anspannung befeuern. Weil alle Höhlensysteme durch das eigene Erkunden entstehen, erhalten sie außerdem jedes Mal eine individuelle Note: Meine Spielgruppe musste sich schon an besonders monsterverseuchten, gaserfüllten oder kletterlastigen Labyrinthen erproben, die jeweils ihre eigenen Tücken mit sich gebracht haben. Der Eindruck ist so bemerkenswert, weil sich lediglich die Mischung, nicht aber die Zusammensetzung der Höhlenplättchen von Partie zu Partie ändert. Jede Höhle gepaart mit den unterschiedlichen Gruppenkonstellationen schreibt eine einzigartige Geschichte.
Fazit: Sub Terra mag zwar spielmechanisch nicht der originellste Dungeon Crawler auf dem Markt sein, dafür unterstützen die bedrohliche Ausgangslage und die Simplizität der Regeln das immersive Spielgefühl, das besonders Rollenspieler*innen bekannt vorkommen dürfte: Die Erkundung des Höhlensystems kann zu einem nervenaufreibenden, dramatischen und manchmal sogar horrorlastigen Überlebenskampf eskalieren. Obwohl meine Spielgruppe üblicherweise eher komplexere Brettspiele bevorzugt, kam nach unserer ersten Partie ein Sog auf, sodass wir gleich drei Partien hintereinander spielen wollten. Dabei ist besonders vorteilhaft, dass das Spiel drei Schwierigkeitsgrade anbietet, die es zu meistern gilt. Für mich bleibt Sub Terra auch heute noch ein Dauerbrenner, der immer dann auf den Tisch kommt, wenn ich Menschen an das Brettspielhobby heranführen möchte, die es bevorzugen, die Auswirkungen ihrer Handlungen augenblicklich zu erleben.
Sub Terra (2018, Schwerkraft-Verlag)
Autor: Tim Pinder
Illustrator: David Franco Campos
1-6 Spieler*innen (es müssen immer mindestens vier Charaktere am Spiel teilnehmen)