Lovecrafter Online – Filmkritik: Paranormal Activity - Next of Kin
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Michael H. -
10. April 2023 um 12:00 -
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Lovecraft ist nicht dafür bekannt geworden, Geistergeschichten zu verfassen. Spukende Poltergeister und telekinetisch aktive Entitäten überließ er eher Kollegen des Genres wie M.R. James oder Ambrose Bierce. Die Paranormal Activity-Filmreihe begann als eine solche Geistergeschichte im Found Footage Stil, hat aber im Laufe ihrer sechs Vorgängerfilme eine zunehmende Hinwendung zu dämonischen Hintergründen und Präsenzen erfahren. Mit dem siebten Teil sollte eine Art Neustart des Franchise erfolgen. Dabei flossen neben einigen filmischen Vorbildern auch viele Lovecraftmotive ein.
Handlung
Margot wurde direkt nach ihrer Geburt von ihrer Mutter zur Adoption vor einem Krankenhaus ausgesetzt. Als Erwachsene trifft sie zum ersten Mal einen ihrer Verwandten: Samuel, der ihr von der Gemeinde Ihrer Mutter erzählt. Margot möchte mit Freund und Kameramann Chris sowie Tonmann Dale dort eine Dokumentation über ihre Herkunft drehen. Die offensichtlich der Amish-Kultur angehörende Farmgemeinschaft lässt sie nach ein paar Anlaufschwierigkeiten bleiben, ist aber meist verschlossen. Einige Aussagen jüngerer Mitglieder und unheimliche Geräusche auf dem Dachboden - dem ehemaligen Zimmer ihrer Mutter - lassen Margot vermuten, es gebe hier Geheimnisse unter der Oberfläche, die sowohl ihr als auch das Schicksal ihrer Mutter Sarah betreffen.
Sie beginnt eigene Ermittlungen und stößt auf Fackelmärsche der Bewohner in den nächtlichen Wald, eine abgelegene Kirche, die immer verschlossen bleibt, Fehlgeburten bei den Ziegen und schließlich auch paranormale Erscheinungen. Zunehmend verhalten sich die Mitglieder der Farm um Patriarch Jacob seltsamer. Als Margot und Chris die verbotene Kirche inspizieren, stoßen sie auf die Ursache der Ereignisse und setzen eine furchtbare Kette von tödlichen Ereignissen in Gang: Etwas ist gefangen in den Katakomben unter der Kirche und es wartet auf Befreiung.
Lovecrafteske Momente
Neben vielen anderen Quellen (siehe weiter unten), aus denen die Geschichte sich bedient, ist sehr viel lovecrafteskes zu entdecken.
Die Motive der gefährlichen Hinterwäldler (The Picture in the House), der Opferungen von Menschen (The Horror at Red Hook) und fanatischen Sekten gehören seit langem zum Lovecraft-Kanon. Diese Aspekte werden in die Geschichte ebenso eingewoben wie die böse Kirche (The Haunter of the Dark), tief ins Grauen führende, unterirdische Gänge (The Nameless City/The Statement of Randolph Carter) und ein die Protagonisten hetzender Mob (The Shadow over Innsmouth).
Innsmouth wird die Motivation von Margot entliehen, der Ahnenkette nachzugehen. Durch die verhängnisvolle Suche nach der Aufklärung ihrer Vergangenheit sucht Margot ihre Familie und findet dabei sowohl ihre Mutter als auch das Grauen. Die Zeichnungen und Wandmotive, die das Grauen vorher abbilden, sind seit The Nameless City oder At the Mountains of Madness ein beliebtes, von Lovecraft genutztes Trope zum Erzeugen schauriger Vorahnungen.
Von The Shadow overDer Einzug von Wahnsinn und Ausbrechen von Mord und Todschlag bei der Ankunft einer Entität sind bereits seit The Call of Cthulhu und Nyarlathotep ein festes Element, das hier noch mit dem von Körper zu Körper transferierenden Dämon (The Thing at the Doorstep) kombiniert wird. Viele der magischen Rituale, wie die Verwendung von Salz, könnten direkt aus The Case of Charles Dexter Ward stammen.
Filmisch ist das ganze mit stimmungsvollen Bildern erzählt, die Spannung wird gemäß dem Genre langsam und stetig gesteigert. Im Aufbau ist der Film hier nahe bei The Shadow over Innsmouth, es fließt ein wenig Detektivarbeit ein und die Geschehnisse werden im Verlauf langsam übernatürlicher. Spätestens nach den ersten kurzen “Erscheinungen” und der Geburt der zweiköpfigen Ziege (eine offensichtliche Shub-Niggurath-Anspielung) ahnt man, in welche Richtung die Geschichte sich entwickelt.
Die gewählte Entität Asmodeus (für die Sinclair-Fans: Asmodis) entstammt dabei dem hebräischen Kulturkreis als Gott des Zorns, Habgier und Wollust, was im Finale als Hintergrundwissen nützlich ist.
Der Film hat eine durchgängig unheilvolle Atmosphäre und lässt eine sehr lovecrafteske vergangene Kultur und Zeit in einer Enklave filmisch auferstehen. Jakob und seine Familie sind offenbar deutscher Herkunft, wird im Film doch oft deutsch gesprochen und sogar - schön unheimlich - gesungen. Das aus der Zeit gefallene und Antike des gesamten Settings trägt zum beklemmenden Unterton bei und führt in eine andere, fremdartige Weltsicht.
Cinematographische Notizen
Filme sind durch ihre bewusst "amateurhafte" Handkamera-Optik günstig zu produzieren und waren allesamt sehr lukrativ für die Studios.
Die Paranormal Activity-Reihe ist Teil und - neben The Blair Witch Project - Mitbegründer des sogenannten Found Footage Genres. DieDer Film siedelt die Ereignisse im März 2021 an, mitten in der Corona-Pandemie, und zeigt dies bei der Flughafenszene deutlich. Als erster Film der Reihe erschien er nicht als Kinofilm - wie ursprünglich angedacht - sondern direkt auf Paramount +, nachdem die Pandemie alle Planungen zunichte machte. Darüber hinaus war Produzent Jason Blum wohl so unzufrieden (“despise the film”) mit dem Film, dass er bekanntgab, das Franchise einzustellen. Keiner der Beteiligten hat viel Promotion für den fertigen Film betrieben, die Kritiken waren eher verhalten. Gerüchteweise wird trotzdem an einem weiteren Teil gearbeitet, der die Ereignisse in Next of Kin aber ignoriert (mögl. Titel: Paranormal Activity: The Other Side).
Das Drehbuch von Next of Kin stammt von Autor Christopher Landon, der zuvor bereits fünf der vorigen sechs Teile schrieb.
Regisseur William Eubanks hat vorher einige durchaus interessante Filme gedreht (Underwater, The Signal). Der Film ist schön ausgestattet, kompetent gefilmt und mit gutem Soundtrack unterlegt. Speziell die immer schneller schlagende Glocke im Finale erhöht den Puls des Zuschauers.
Die Erzählweise des Found Footage Horror Films ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack, können die Wackelbilder doch durchaus anstrengend sein. Diese Optik hält der Film komplett ohne offensichtliche Brüche durch, sie trägt maßgeblich zur Spannung bei. Dies ist - wie immer bei solchen Filmen - der größte Stolperstein für die interne Logik, muss man doch glauben, die handelnden Personen haben während des Fliehens, Kämpfens oder Kletterns immer noch Zeit UND Nerven, weiter zu filmen. Diese Immersion gelingt ansonsten meist gut, man wird als Zuschauer hier Teil der Ereignisse und im Optimalfall in die Handlung eingesogen. Um bei den negativen Aspekten kurz zu verweilen: einiges in dem Film macht bei einer zweiten Sichtung keinen Sinn mehr (z.B. warum wird die Gruppe zunächst abgelehnt?).
Der Film bedient sich für die Bilder und die Geschichte nicht nur bei Lovecraft, sondern auch bei unzähligen Horrorfilmen. Man erkennt mühelos den spanischen REC (viele Found Footage Bildmotive sind direkt übernommen), den Folk-Horror aus Midsommar (u.a. die Bodenbilder, die die Geschichte erzählen), Fallen (dt. Dämon, ein leider recht unbekannter Horrorthriller mit Denzel Washington und einem von Person zu Person springendem Dämon) und sogar dem Endkampf von Aliens (Bodenluke statt Luftschacht).
Next of Kin ist dabei ohne jede Vorkenntnis der Paranormal Activity Reihe problemlos konsumier- und genießbar und hat zum ersten Mal in der Reihe neben Dämonen auch menschliche Antagonisten.
Bewertung
Paranormal Activity - Next of Kin ist, wie die Vorgänger, sicherlich kein Meisterwerk oder Klassiker des Horrorfilms. Fans der Reihe sind wahrscheinlich eher enttäuscht, hat er doch nahezu keine Verbindung zu den anderen Teilen. Er wirkt - trotz des Stammautoren der Reihe - eher wie ein eigenständiger Film, dem das Label Paranormal Activity nachträglich aufgepappt wurde. Man erinnere sich an das Schicksal der Hellraiser-Reihe oder ähnlicher Reihen…
Geschichte und Präsentation des Filmes sind weder besonders neu oder originell, er zeigt jedoch: besser gut geklaut als schlecht erfunden. Der Film ist solide in allen Belangen, hat mit Emily Bader (House of the Witch) eine sympathische Hauptfigur und mit Tom Noviki (The Dark and the Wicked) als Jacob einen charismatischen menschlichen Antagonisten. Asmodeus als Entität funktioniert gut, seine Präsenz ist gut dargestellt und die Idee, wie der Dämon eingesperrt zu halten ist, recht originell.
Der Film bietet einige wirklich unheimliche und klaustrophobische Sequenzen, viel Atmosphäre mit stimmungsvollen Bildern und genug Mysterien, um gespannt dabei zu bleiben bis zum Finale. Dieses bietet rauschartig und unterstützt vom Found Footage Style eine kleine Version und Vision dessen, was am Ende vieler Lovecraftgeschichten droht…wenn Chaos und Wahnsinn ausbrechen.
Insgesamt funktioniert der Film für eine kurzweilige, gruselige Horrorfilmerfahrung gut und ist hochwertig ausgestattet und produziert. Er bietet stetig steigende Spannung und zum Höhepunkt sogar einen mitreißenden Verlauf mit einem Schluss, der weitere Filme des Reboots zugelassen hätte. So kann er als Einzelfilm der Reihe aber auch für sich selbst bestehen und gefallen.
Fazit
Next of Kin bietet eine sehr solide Grusel- Unterhaltung, mit langsamen, atmosphärischen Spannungsaufbau, leicht gewürzt mit etwas Folk-Horror und vielen Lovecraft-Motiven abgeschmeckt. Bei einer positiven Einstellung für das Found Footage Genre sei Paranormal Activity: Next of Kin dem geneigten Lovecraft-Jünger gerne zur Sichtung empfohlen.