Lovecrafter Online – Geschichte: Champignons à la Crème
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Seanchui -
7. März 2022 um 12:00 -
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An einem schönen Tage im Herbst 1925 tauchte ein guter Freund Rory Cooks in dessen Büro auf, und zwar der bekannte Keltologe Ailig C. MacColla, zusammen mit einer sehr hübschen jungen Frau. Einer Dunkelhaarigen mit Porzellanteint, wie sie in den Hebriden so zahlreich sind, doch ihre Wange war gerötet, und es war offensichtlich, daß sie in den letzten Tagen viel geweint hatte. “Wer ist sie, Ailig chòir?[1] Deine neue Freundin, nicht wahr?” sprach Rory grinsend auf Gälisch, ihrer gemeinsamen Sprache. “Ach was, ach was, Rory, Du Lump!” antwortete Professor MacColla, “dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für Deine Scherze, hast Du nicht bemerkt, daß dieses arme Mädchen ganz außer und neben sich ist? Sie ist die Freundin eines meiner Studenten, Neil Joseph Lamont, und anscheinend ist jener Bursche spurlos verschwunden!” - “Oh wirklich?” sagte Rory, “geschieht solches nicht öfter? Und was um alles in der Welt führt Euch dann in mein Büro, alter Freund? Wäre die Vermisstenstelle für Euch nicht passender? Oder ein Privatdetektiv? Deren Ordner sind doch stratzevoll von Männern, die sich von ihren Umworbenen nach einer Nacht für immer verabschiedet haben, indem sie ihnen sagten, sie wollten bloß mal ’ne neue Schachtel Lungenbrötchen holen, und danach warden sie nimmer gesehen...” - “Neil, mein Liebster, würde so etwas nie tun!” rief die junge Frau, die Dervla hieß, ihre Wangen wieder hocherrötend mit Zorn, “Wagt es nicht, noch einmal so über ihn zu sprechen!” - “Nun mal ganz ruhig” sagte Rory, der so stur und kaltherzig gar nicht war, “reg’ Dich ab, Mädchen, ich wollte Dich nicht piesacken, aber das ist man so! Und da ich hier für die Mordaufklärung zuständig bin, muß ich sicher sein, daß Deinem Liebsten etwas ernsthaftes zugestoßen ist, ehe ich in dieser Sache ermitteln darf!” Sie begann wieder, zu weinen, und legte ihren Kopf an die Brust des Professors, der sein Bestes tat, um ihr Trost zu spenden, von dem er selbst nicht wußte, wo er ihn hernehmen sollte.
Man muß hier hinzufügen, daß Rory Cook nicht nur Polizeiermittler, gar Chefinspektor im Morddezernat der Edinburgher Polizei, war, sondern nun auch eine neue Einheit anführte, die sich mit mysteriösen Fällen befaßte, seit jene unnatürlichen (und sogar übernatürlichen) Dinge draußen auf der Insel Araltsay geschehen waren, wo es Rory gelang, die Tochter seines Vorgesetzten aus den Fängen, oder vielmehr Tentakeln, eines Erzschuftes und dessen Gefolschaft, die allesamt nicht ganz von dieser Welt stammten, zu retten. Die neue Einheit Rorys war so verborgen und geheim, daß nur die Verantwortllichen der Regierung, die jene Einheit im ganzen Königreich gründeten, davon wußten, und arbeitete eng mit dem Geheimdienst des Königreichs zusammen.
“Uill” sprach Rory zuletzt, einen Zug an der Zigarette nehmend, die er gerade angesteckt hatte, nachdem er sich aus seiner Thermoskanne eine neue Tasse Tee eingegossen hatte, “wollt Ihr mir nicht mehr erzählen von dem jungen Mann, der anscheinend verschwunden ist?” Der Professor begann zu sprechen, denn die junge Frau weinte noch immer. “Er heißt Neil Joseph Lamont und arbeitet gerade an seiner Promotionsdissertation...jedenfalls arbeitete er gerade daran, ehe er verschwand. Er gehört zu meinem Graduiertenkolleg in der Keltologie, doch er ist auch Romanist. Seine Sippe stammt aus Eriskay, doch er ist in Glasgow geboren, und wuchs in einer Kleinstadt in den Trossachs auf.” - “Du sprichst jetzt nicht etwa von Callander, Ailig chòir?” Rory kannte den Professor gut, denn sie stammten beide aus Argyll, und absolvierten die gleiche Schule und bewohnten das gleiche Schulheim. “Nein” sagte Ailig, “sondern Balquhidder!” - Ein Lächeln kam wieder auf das Gesicht Rorys. “O seadh?”[2] sagte er, “denk mal! Ein Lamont, der im Lande der MacGregors aufwächst! Uill, andererseits liegt das jetzt nicht so weit von der Laomannachd[3] entfernt...” - “Sin agat e, ’ille”[4] sagte Ailig, “recht hast Du, aber weiter! Du solltest Dich eilen, a Ruairidh chòir, sonst wird das Mädchen noch verrückt aus Angst und Sorge, und die Vorsehung allein weiß, was mit dem armen Neil Joseph geschehen ist!” - “Ceart gu leòr[5] dann, a nighinn,[6] wann und wo hast Du Deinen Liebsten zuletzt gesehen?”
Dervla MacQuarrie trocknete ihre Augen und begann, Neils Geschichte zu erzählen; wie sie zusammen spazieren waren in den Princes Street Gardens, als Neil zur Edinburgher Oberstadt lief, gen Greyfriars, wo ein neues französisches Restaurant gerade neu eröffnet hatte. Es hieß À La Bonne Jouissance, und wie er ihr erzählte, war es nach einem bekannten Gasthof in der Heimat der Wirtin, der Averoigne in Zentralfrankreich, bennant. “Averoigne? Ja, davon habe ich schon mal gehört” sagte Rory. “Ailig chòir, kannten wir nicht mal eine aus jener Gegend?” - “Kannten wir, kannten wir, a Ruairidh chòir, wie Du selbst gut weißt, denn das ist noch nicht so lange her, wie Du tust...” Ailig lächelte mit einem Hauch Melancholie, denn er hatte eine Frau aus jenem Teil Frankreichs geliebt vor kurzem, doch sie war selbst verschwunden. Dervla fuhr fort, ihnen zu erzählen, daß sie auf einen Happen Essen in jenem Restaurant einkehrten, gemeinsam mit zwei weiteren Freunden, Francis MacNeilis, einem jungen Arzt und Gelehrten aus Donegal, und Calum Roddy MacDonald aus Knoydart, einem anderen jungen Gelehrten aus dem Kreise von Ailigs Graduiertenkolleg. Sie hatten sich vorgenommen, eine schöne Nacht bei guter französischer Küche und einer Flasche Wein, neuen Chansons aus Paris von Mistinguett, Maurice Chevalier oder Muiris Mac an Ridire – wie sie ihn im Scherze gälisierend nannten, Berthe Sylva und Hector Pellerin und vielen anderen, zu verbringen. Manchmal hörte man dort auch traditionelle Musik aus der Averoigne; das Akkordeon, die Fiedel und die Drehleier. An jenem Abend jedoch schien es, als sollte sich die Musik über die Fiedel ergießen,[7] denn in jener Nacht sollte Neil Joseph verloren gehen.
Es geschah keineswegs plötzlich und auf einmal, sondern schrittweise. Jedenfalls begann es möglicherweise, nachdem der gute Neil Joseph seine Vorspeise eingenommen hatte. Scheinbar bekam sie seinem Magen nicht, und er sagte, ihm sei nicht so wohl. Er erhob sich und wankte auf die Toilette zu. Es war offensichtlich, daß er brechen wollte, und stieß bereits auf, sobald er draußen im Korridor zwischen dem Speisesaal und der Toilette war. Dort brachte er ein Weilchen zu damit. Schließlich ging Francis hinaus, nach ihm zu sehen. Er kehrte mit dem armen Neil Joseph wieder, ihn stützend, an seiner Schulter vorwärts geleitend. Francis sagte, daß Neil Joseph keineswegs bleiben könnte, und die Nacht keineswegs weiter fortsetzen sollte. Es schien, daß der arme Kerl sich eine Pilzvergiftung geholt hatte, da er gerade Champignons à la Crème gegessen hatte, Pilze in Sauerrahmsauce auf einem Bett aus Reis. Da er sehr hinfällig aussah, bestellte Francis bei der Wirtin ein Taxi, und die Vier fuhren zum Königlichen Krankenhaus, wo Francis und seine Belegschaft Neil Joseph untersuchen wollten. Und genau dort ergoß sich die Musik nun gänzlich über die Fiedel, denn genau dort verschwand er, aus dem Herzen der Station. Zumindest ist das, was Francis ihr erzählte. Es musste ihnen offenbar gewaltig etwas schiefgegangen sein, denn Dervla war nicht so naiv, zu glauben, daß ihr Geliebter sich alleine entfernt hatte in seinem schlechten Zustande. “Wir wollten nur gerade nachsehen, ob er eine Art Allergie hätte, die Schwester, der Assistent und ich im Labor neben dem Untersuchungsraum, und als wir zurückkehrten, war er fort! Gänzlich fort, sag ich Dir!” sagte Francis, doch Dervla war noch nicht zufrieden, und ihr Geist war keineswegs so leicht zu beruhigen...
“Und das führte mich zur Tür von Prof. MacColla, ’Inspeactair Mhic a’ Chocair chòir, und er führte mich zu Ihnen, wie Sie sehen” sagte Dervla zu Rory. “Hm-hm” sprach Rory, “das deucht mir allerdings seltsam, obwohl es gerade scheint, als sei es bloß ein Fall fahrlässiger Tötung, falls Neil wirklich tot ist.” - “Uill” sagte Ailig, “ich sage nicht, daß Du falsch liegst, a Ruairidh chòir, und schließlich bist Du der im Dienst ergraute, mit allen Wassern gewaschene Polizeiermittler, doch falls etwas oder jemand – oder eben beides – aus der Averoigne in diese merkwürdige Geschichte verwickelt ist, dann muß mehr hinter der Sache stecken. Du bist es, der zuerst auf Arlette angespielt hast, ehe die liebe Dervla ihre eigene Geschichte zu erzählen begann, wo immer sie jetzt auch sein mag, und Du kannst Dich sehr gut an die Geschichten erinnern, die sie über ihre Heimat zu erzählen pflegte, wette ich!” - “Gewiß, Ailig chòir, und obwohl ich anfangs eher skeptisch war, wenn ich ihnen lauschte, so glaube ich sie heute nur zu gern, nach alledem, was draußen in Araltsay geschehen ist, oder eben auch hier in der Umgebung Edinburghs vor kurzem im Sanatorium Dr. Simpsons...” Die Zwei bemerkten einen Anflug von Verwunderung auf Dervlas Anlitz, und Ailig sprach zu ihr: “A Dhearbhail chòir, ich möchte Dich keineswegs zu sehr belasten, geschweige denn, Dich von Kopf bis Fuß in Schrecken versetzen, doch das bedeutet, daß wir – oder zumindest ich – der Auffassung sind, daß es nicht ganz natürlich ist, was Deinem Freund zugestoßen ist. Nun, es ist offenbar, daß Du selbst dem Gälentum entstammst...” - “Das tue ich” sagte Dervla, “ich stamme aus Islay, aber wie...” - “Wie hängt das mit dem Unglücke Deines Liebsten zusammen? Nun, Du bist vertraut mit an dà shealladh,[8] und obwohl ich heute ein wohlbekannter Gelehrter unter Gälen und anglophonen Unterlandschotten bin, a Ghràidh, [9] habe ich sie noch immer, und habe sie nie vernachlässigt; ganz gleich, was die Skeptiker und Wissenschaftler heute dazu sagen. Und dieser sechste Sinn sagt mir, daß Dein Geliebter noch nicht tot ist, aber in einem sehr schlechten Zustande, und in wahrlich schlimmer Not!” Dervla starrte die beiden Männer ungläubig an, und zugleich hoffnungsvoll und hoffnungsverloren. “Ollaimh MhicColla chòir”[10] sagte sie mit angespannter Stimme, “Sie sollten nicht mit mir spielen, und meine Hoffnung durcheinanderwerfen – scherzen Sie, oder meinen Sie das ernst?” - “Ich meine es so ernst, wie ich meine Forschung üblicherweise nehme, junge Frau. Nun, Du mußt verstehen, daß die Averoigne, oder das Land der Averoni, ein spezieller Teil Frankreichs ist. Sie liegt im Süden der Auvergne, im Herzen des Landes, nahe der Gegend, die sie Gévaudan nennen, wo es vor zweihundert Jahren einen großen, übernatürlichen Schrecken in Gestalt eines Wolfes gab. Das Land der Averoni ist voll großer, dunkler Wälder und wilder Hochmoore, und mysteriöser, alter Städte. In jenen Wäldern und Hochlanden gibt es Dinge, die noch viel seltsamer sind, und jener Teil Frankreichs ist so klischeehaft bekannt für übernatürliche Geschehnisse und Wesen wie gewisse Gegenden der Bretagne, oder hier im schottischen Hochland. Deshalb glaube ich, daß etwas sehr faul an Neils Speise war, und man einen sehr scharfen Blick auf dieses Restaurant werfen sollte, ehe wir Dr. Francis MacNeilis einen Besuch abstatten.” - “Wäre das aber nicht gar zu einfach, eine solche Schlußfolgerung zu ziehen, nur aufgrund der Weise jenes Landes?” fragte Dervla, “ist das nicht die gleiche Art, welche die Unterlandschotten haben, zu plötzlich und vorschnell Schlüsse über die Gälen zu ziehen, nur weil wir einander alle so ähnlich sind...jedenfalls ihrer Meinung nach?” - “Uill, uill, a nighean, Du hast recht!” sagte Ailig, “doch wir müssen jeder Spur folgen, und daher an den Ort zurückkehren, an dem dieser traurige und seltsame Fall seinen Ausgang nahm.” - “Sin thu, ’Ailig! Tiugainn, ma tha!”[11] sagte Rory, und erhob sich von seinem Schreibtisch. Er setzte seine Mütze auf und zog seinen Mantel an, und die beiden anderen erhoben sich auch. An der Tür seines Büros wies Rory zwei Detektive, Alasdair Reid und Stephen MacRury, und zwei Wachtmeister, Jock Duguid und Seumas MacTaggart, an, mit ihnen zu kommen. Rory, Ailig und Dervla wollten mit den beiden Detektiven zum Restaurant fahren, und die beiden Wachtmeister würden ihnen auf Motorrädern folgen.
Als diese kleine Truppe das Restaurant À La Bonne Jouissance in der Forrest Road erreichte, während Gaston, der Oberkellner, an der Tür stand, eine Serviette über seinen rechten Arm drapiert, und rauchte, wurde er bleich und zuckte zusammen, als er Dervla erkannte. Er trat die Zigarette aus und rannte hinein. <<Madame, Madame>> sagte er, <<la fille est retournée, la copine du pauv’ Monsieur Lamont!>> - <<Qui? Monsieur Lamont?>> sprach die Wirtin, Christelle Lassagne aus Les Hiboux nahe Ximes im Süden der Averoigne, <<Quel M’sieur Lamont?>> - <<Mais Madame, c’est le jeune homme qui a eu le malheur avec nos champignons à la crème...>> - <<Dommage, non! Par tous les gargouilles de la cathedrale de Ximes! Il faut que nous l’ offrons notre mot d’excuse! Il nous faut demander pardon à cette jeune dame!>> – <<O Madame, je doubte que ça va sufficer, parce que Mademoiselle a amené les flics!>>. Mme Lassagne schrak zusammen und schluckte, doch sie nahm sich vor, keine Nervosität in ihrer Miene zu zeigen in Gegenwart der Polizei. Letztlich war es nicht ihre Schuld, daß jener junge Gelehrte sich in ihrem Hause eine Pilzvergiftung zugezogen hatte – jemand von ihrem Küchenpersonal mußte wohl unaufmerksam gewesen sein, und sie würde ihr Bestes tun, daß der Schuldige aufgedeckt würde. Die kleine Mannschaft kam herein, und Mme Lassagne empfing sie. <<Bonjour, Madame!>> sprach Ailig MacColla, denn er hatte Französisch.[12] “Hello Madam” sprach Rory auf Englisch, “Sie wissen, warum wir hier sind?” - “Well” sprach Mme Lassagne, “da ich sehe, daß Sie Mademoiselle MacQuarrie mit sisch ’aben, nehme isch an, daß der unglücksselige Zufall – isch würde es einen Unfall nennen – der Grund ist!” - “O seadh, àidh, ceart” sagte Dervla zu Ailig, sich dann zu Mme Lassagne umdrehend. “Unfall, sagen Sie? War es das nun?” - “Mademoiselle MacQuarrie, Sie nehmen doch nicht wirklich an...” - “Ich nehme gar nichts an” sagte Dervla, “doch ich möchte eine grundlegende Untersuchung ausgeführt haben in Mitarbeit mit Inspektor Cook hier!” - “Uill, gun robh math agat, a Dhearbhail chòir”[13] sprach Rory, “doch dies ist mein Teil dieses Gesprächs!”, als ob sie auf der Bühne stünden und Dervla gerade Rorys Auftritt geklaut hatte. “Mrs Lassagne, wie ich annehme?” fuhr er in englischer Sprache fort, “Yes, it is me!” antwortete Madame Lassagne in ihrem natürlichen französischen Tonfall, “Haben Sie die Portion Pilze aufgehoben, die Mr Lamonts Zustand verursacht hat?” - “Äh, nun, Gaston?” - “Madame ’at Glück” antwortete Gaston, “daß isch so sorgfältisch bin. Tatsäschlisch ’abe isch un petit morceau der fraglischen Mahlzeit aufge’oben, ganz entgegen meiner üblischen Räinlischkäit und zum Ärger der Chefine!” - <<Pour toi, c’est la patronne! Et pourquoi t’as dit ça?>> Madame Lassagne sah Gaston scharf an. “Désolé – sorry, Inspecteur, das ist einfach nischt wahr! Isch weiß nischt, warum Gaston ’at das gesagt, abär lassen Sie uns das er’altene Stück Indizien nur ansehen! Wo ist es nun, Gaston?” Er antwortete, es wäre im Küchenschrank, wohin er es gestellt hätte, und sie gingen allesamt in die Küche.
Man konnte sich über jene Küche nicht beklagen, denn sie war sauber und sehr edel – die Gefäße, und besonders das Kupfergeschirr, und andere Teile der Ausstattung glänzten, als lägen sie in der Schatzkammer der französischen Könige höchstselbst. Daher, dachte Rory im Stillen, war es eher unwahrscheinlich, daß Hygienemangel zu dem Vorfall geführt hatte. Dennoch, sie hatten noch nicht die Speisekammern des Restaurants gesehen; und ehe man jene sah, konnte man noch kein endgültiges Urteil abgeben. Während Gaston zum Speiseschrank ging, Detektiv Reid ihm folgend und beaufsichtigend, fragte Rory die Wirtin, wo sie normalerweise die Pilze herbezöge. “Monsieur l’Inspecteur” sagte sie vorwurfsvoll-erstaunt, “natürlisch aus den Wäldärn där Averoigne! Das ist mein ’eimischär Teil Frankreischs, und meine Spezialitäten sind reschionale Gerischte aus dem Massif Central, frisch zubereitet aus Produkten der fraglischen Reschio’!” Und sie fügte hinzu, daß sie im frischen Zustande verpackt würden, und ihr Restaurant in Edinburgh stets in einwandfreiem Zustande erreichten. Die Früchte, die Gemüse und die Käse würden mit dem Automobil, dem Zuge und dem Schiff transportiert. Sie würden an Bord verladen in Boulogne, und nach Leith verschifft. Danach sprach Ailig mit der Wirtin, ihr erzählend, wie vertraut er mit der Tradition und der Folklore ihrer Heimat durch Arlette war, einer jungen Frau aus der Averoigne, die er einst liebte (wie er es in diesem Gespräch darstellte, denn erstens war sie so jung nicht, und zweitens lag diese Beziehung nicht gar so lange zurück), und daß er noch immer den Geschehnissen in der Averoigne in den Nachrichten folgte – oder zumindest in dem Bißchen Nachrichten, das sie in Britannien dorther erhielten, zum Beispiel den Skandal um den bekanntesten Heiligen jenes Landstrichs, St. Azédarac: Ein amerikanischer Gelehrter schottischer Herkunft, Prof. A,C. MacGowan, hatte herausgefunden, daß es mit der Heiligkeit des Azédarac nicht gar so weit her war, denn jener mittelalterliche Bischof befaßte sich mit Magie und der Verehrung von Gottheiten, mit denen ein Christenmensch sich nicht abgeben sollte. Der Klerus in der Averoigne nahm ihm dieses Forschungsergebnis sehr übel, und schalten es eine Schande und Häresie: Saint Azédarac, der große Bischof von Ximes, ein Schwarzmagier und Totenbeschwörer? Welch Blasphemie! Doch es stimmte...
Als Gaston den Namen “Azédarac” vernahm, zuckte er zusammen, obwohl jener noch nicht einmal der jemals Schlimmste aller Totenbeschwörer der Averoigne war, und er war nicht einmal so böse wie Nathaire – jawohl, Mac na Nathrach, “Sohn der Natter” hieße er im Gälischen,[14] und genau so war er. Doch Azédarac war schlimm genug, um ein arges Zucken aus Gaston herauszuholen, der gerade beihahe den Teller fallen ließ, den er gerade unter Detektiv Reids wachsamer Aufsicht aus dem Speiseschrank geholt hatte. “Seadh?” sagte Rory in seiner eigenen Sprache, “ist das nicht bemerkenswert? Ailig chòir, warum sollte der Name eines Magiers und bösen, aber lange toten Bischofs einen Kellner des 20. Jh. so arg erschrecken?” - “Aber genau da liegt das Problem, a Ruairidh, denn Azédarac ist nicht gänzlich tot – sein Leichnam wurde nie gefunden, und man kann nicht sagen, wer nun wirklich in der Kathdrale von Ximes begraben liegt!” - “Doch er lebte vor gut 800 Jahren, da ist es doch zweifelhaft, dass jemand so lange leben, und eine Gefahr für jemanden sein könnte heutzutage!” - “O, uill, Du darfst nicht vergessen, wie mächtig er als Magier war...” - “Und inwiefern hängt diese Sache mit unserem Fall zusammen?” - “Wir werden es wissen, sobald wir einen scharfen Blick auf diese Pilze werfen können, als auch auf jene in der Speisekammer, die noch nicht zubereitet sind!” - “Ceart gu leòr, ma tha,[15] Du bist der Experte! Und wer untersucht uns die Pilze rechtlich abgesichert? Ich glaube nicht, daß wir in der Rechtsmedizin der Edinburgher Polizei genug pilzkundige Forensiker haben!” - “Nach bochd sin![16] Uill, mach Dir keinen Kopf, wir gehen erst mal ’rüber ins Forrest Hill Buffet nach dieser Sache hier, auf ein Pint oder zwo, und ich stelle Dir den passenden Mann vor!”
Sich zurück an Madame Lassagne wendend, sagte ihr Rory, daß sie den Teller, den Neil Joseph Lamont mitnehmen müßten, und was es an Speisen noch gäbe. <<Bien, bien, ça va, d’accord>> sprach sie, mit dem Unterton von “oh, denn man to, watt mutt, dat mutt!” Er erzählte ihr, daß er vorerst ihr Restaurant jedoch nicht schließen würde, so daß nicht zuviel Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sie gelenkt würde, das Interesse der Journaille und der Gossenschwätzer. Schließlich war es nicht ihre eigene Schuld, und es war noch gar nicht sicher, ob der Schuldige innerhalb der Belegschaft des Restaurants zu finden wäre. Die Detektive nahmen den Teller mit und verließen mit den beiden Wachtmeistern das Haus gen Parliament Square, wo die Kriminalpolizei ihr Hauptquartier hatte. Rory, Ailig und Dervla gingen ebenfalls, unter der Führung Ailigs über die Straße auf das Wirtshaus von Mrs Bell, oder das Forrest Hill Buffet, zu. “Uill...” sprach Rory auf dem Wege, “Ich bin nicht zufrieden. Etwas läßt mich noch immer nicht ruhen – nun, Ailig, wäre es nicht zu offensichtlich, wenn sich die Lösung dieses Falles in jenem Restaurant fände, nur weil diese Leute aus der Averoigne stammen? Wäre das nicht zu einfach? Etwas ist faul hier, gewiß, aber ist das nicht gerade, was der Schuldige uns glauben machen will?” - “Hmm, guter Gedanke, a Ruairidh chòir, aber wir werden sehen: Zuerst müssen wir die Pilze haarscharf untersuchen!”
Nahe genug der Forrest Road, aber in einer gänzlich anderen Welt, weit und tief unten in einem finsteren und unheilvoll wirkenden Keller lag ein Klumpen, der einst ein menschlicher Leichnam gewesen sein mochte, und nun war er endgültig tot. Jawohl, einst, und noch gar nicht so lange her, war jener Klumpen ein stattlicher junger Mann, doch würde das nun keiner mehr annehmen: Der Klumpen sah nun einem alten, morschen Baumstumpf ähnlicher, der schon jahrelang auf dem Waldboden gelegen hat, von Pilzen am ganzen Körper – oder was davon übrig war - überwuchert. Doch nicht das Aussehen jener Leiche war an ihr das Schlimmste, denn sie verströmte ebenfalls einen wahren Gestank. Ja, obwohl man es kaum glauben könnte, war jener “Baumstamm” am Heulen und Schreien auf so schriller und bitterlicher Weise, daß man ihn in die feuchteste Katakombe verfrachtete, ins finsterste und tiefste Kerkerloch, daß es im Königlichen Krankenhaus zu Edinburgh gab, aus Sorge, die anderen Patienten könnten einen Schock erleiden. Dort jammerte der arme Tropf weiter, bis ihm die Stimme versagte und einem Gurgeln wich, und zuletzt war er ganz verstummt. Einige Stockwerke höher, in einer Toilette des Ärztezimmers, hatte ein junger Mann aus der ärztlichen Belegschaft gerade begonnen, sich zu erbrechen; zwei weiteren Personen aus dem Team erging es ebenso. Im Schwesternzimmer war es nicht viel besser, denn drei Schwestern war es ebenso übel. Die ganze medizinische Mannschaft gehörte zu denen, die den merkwürdigen Patienten unten versorgt hatten. Dessen Krankheit wurde stetig schlimmer in ihrem Chefarzt, und er ging in sein Arbeitszimmer und verschloß fest die Türe. Gut zehn Minuten später hörte man aus seinem Zimmer einen Schuß. Als die Tür von Portiers und Sicherheitsleuten der Klinik eingebrochen wurde, und sich zwei Schwestern mit einem weiteren Arzt hineinbegaben, fanden sie nur einen zusammengesunkenen Leichnam auf einem Stuhl. Eine der Schwestern stieß einen Schrei aus, der lauter hallte als der Schuß.
II.
Als Rory, Ailig und Dervla das Forrest Hill Buffet erreichten, und hinein gingen, begrüßte sie wie üblich eine Rauchwolke. “Ah, Inspektor Cook” sprach die Wirtin, Mrs Bell, “un Professor MacColl. Wat bringt ji her? Nu seggt mi ni, dat ji all daan seid för hüt?Wer is de seute Deern?” - “Ein Teil meiner Arbeit, Mrs Bell” antwortete Rory im Tonfall von Kintyre in seinem Englischen, wie es für ihn in jener Sprache natürlich war, “aber nicht, wie Sie denken. Sie ist ein anständiges Mädchen.” - “Ik heff nu noch garnix denkt, Inspektor. Wat wullt ji hebbn?” - “Zwei Pints 80 shilling, und en Lütt un Lütt, bitte!” - “Ah, ik denk mi mol, dat Lütt un Lütt is för de Deern, nech? Sie seht so ut, as könnt sie woll een bruken, sie is ja all bleek un kesig!” - “Wie Sie auch wärn, wenn Ihr Mann spurlos verschwände” sagte er. “Tscha, nu” sagte sie, “dor gifft’t Dage, do weer ik nu ni so seker daarvan...” Sie lächelte schief, und zapfte die Pints. Ein weiterer Mann kam herein, in einem großen Donegal-Tweedmantel, und eine Tabakspfeife im Mund. Sein brauner Fedorahut war etwas eingedellt und knautschig, als hätte er ein paarmal geistesabwesend darauf gesessen. “Das ist der Mann!” sagte Ailig zu Rory, “Das ist Dr. Hugh O’Gallagher, der Dir die Pilze untersuchen wird, denn er ist Biologe und Mediziner zugleich. Und sowieso ist er ein erfahrener Koch, denn er ist alleinstehend und muß sich zuweilen sein Essen selbst bereiten, weil...” - “...ich weder ’n Jeeves, noch ’ne Mrs Hudson habe” ergänzte Hugh O’Gallagher selbst Ailigs Erläuterung, und nahm sich einen Stuhl neben ihnen. Mrs Bell zapfte ihm sogleich ein Pint Porter, weil sie gut wußte, daß er genau das wollte. Er kratzte sich den Bart. “Cha chreideann sibh é,[17]aber da läuft was unheimliches ab im Königlichen Siechenhaus zu Edinburgh!” - und fuhr fort, ihnen in seinem Gälischen mit dem natürlichen Aroma Donegals zu erzählen, wie es einigen Ärzten und Schwestern ergangen war, die sich noch immer erbrachen. “Bloß ’n paar Minuten her, da hörte man einen Schuß – und ’n büschen später, ’n Schrei, den irgend ’ne Schwester von sich gab! Dem Anschein nach hat sich einer von den Ärzten die Kugel gegeben, aber ich war nich nah genug dran, und darum hab ich nich erfahr’n, wer ’s nu war...” Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis sie es erfuhren. Gute zwanzig Minuten nach Dr. O’Gallaghers Eintreffen kamen zwei junge Ärzte herein, die allem Anschein nach eines Tranks bedurften. “Gott, Jungens” sagte Mrs Bell, “ji seht jo ok all kesig ut. Ji könnt woll ’n Schluck oder twee vertragen, nech? Wat bedrückt ji?” - “Madam, es war schrecklich” sagte einer von ihnen, “den armen Dr. MacNeilis in seinem Blute liegen zu sehen, sein Kopf vornübergefallen auf den Schreibtisch, sein roter Saft sich über all seine Bücher und Ordner ergießend...” Dervla stieß einen Schrei aus, als sie das hörte, und einer jener jungen Männer drehte sich nach ihr um. “Ah, nu is genoog, Jungs, könnt ji ni sehn, dat dor ne junge Deern is hüt, un annern Lüüd de ni Dokters un Klinikdokters sien?” sagte die Wirtin zu den beiden jungen Ärzten. “Nu vertellt man ni so veele blodige Döntjes, dor is’n Schandarminspekter tosomen mit den Deern!”
Einer der zwei Ärzte, der sich zu Dervla umgedreht hatte, kratzte sich am Kopf, und fragte mit Yorkshire-Tonfall im Englischen, ob sie mit Dr. MacNeilis bekannt wäre, und sie erzählte ihm, daß er ein guter Freund ihres Liebsten wäre. Sie sagte jedoch nichts über Neil Joseph, und daß er irgendwo verloren gegangen war, als der junge Arzt aus Yorkshire plötzlich sagte: “Denken Sie nur, weder der arme Francis MacNeilis, oder sonst irgendwer in unserer Station ist so recht auf’n Damm, seit jener Patient aus den Hebriden unter den ungewöhnlichsten Umständen verstarb...”, und weiter kam er nicht, denn Dervla hatte genug gehört, was ihre Tränen zum Fließen brachte, und sie einer Regenwolke aus Tränen gleich an Ailigs Brust zerfloß, der wieder sein Möglichstes tat, sie zu trösten. “Ohaueha, Du Tüffel von ’nen Tyke[18]” sagte die Wirtin zu dem jungen Arzt, “Nu kiek wat du daan hest! I segg Di dat’t mennigmol beter is din Muul to holln!” Aber es war zu spät, denn die liebe Dervla verlangte nun von Ailig und Rory, hinüber zur Klinik zu gehen, und die beiden taten ihr Bestes, Dervla davon abzuhalten, das in die Tat umzusetzen, ohne sie zu verletzen. Sie wußten irgendwie wohl, daß sie nicht sehen sollte, was von Neil Joseph übrig war, und daß es für sie besser wäre, ihn in Erinnerung zu behalten, wie sie ihn zu Lebzeiten gesehen hatte. Plötzlich war ein schlimmer Verdacht in ihnen erwacht, was geschehen sein könnte, und was noch immer in jenem Krankenhaus vor sich ging. “A Hiúdaí chòir” sagte Ailig, “was denkst Du selbst, was in Eurer Klinik vorgeht? Eine Art Vergiftung, die außer Kontrolle geraten ist, oder? Es muß einen Zusammenhang geben mit dem, was jenseits der Straße in jenem französischen Restaurant geschah!” - “Mura bhfuil tú ceart, cha deirims’ go bhfuil tú mí-cheart!”[19] sagte Dr. O’Gallagher, “es deucht mich, daß wir die Krankheit näher untersuchen sollten, die das Siechenhaus gefährdet, und meine Kollegen angreift! Doch dieses Mädchen sollte besser nicht mit uns gehen, ob sie das nun will oder nicht!” - “Und warum sollte ich nicht?” fragte Dervla sie, mit wachsendem Zorn. “A Dhearbhail chòir” sagte Ailig, “das hat jetzt nichts mit Vorurteilen gegen Frauen zu tun, doch Rory, ich – und Hugh – haben schon viele schreckliche Dinge gesehen, die irgendwelche normale Menschen in den Wahnsinn treiben würden, und wir meinen, daß es besser für Dich wäre, Neil Joseph so in Erinnerung zu behalten, wie Du ihn je in Euren glücklichen Tagen kanntest. Du kannst mir vertrauen, daß Du ihn nicht sehen möchtest, wie er jetzt ist!” - “Aber ich war seine Liebste, habe ich nicht ein Recht darauf, ihn zu sehen, ehe er in den Sarg gelegt wird?” - “Nise, a nighean”[20] sagte Rory, “Du mußt jetzt ganz stark und tapfer sein: Egal, was ihm geschehen ist, und welche Krankheit er hat, möglicherweise kann man ihn gar nicht mehr erkennen, und ihn überhaupt noch in einen Sarg legen! Und wie Du gehört hast von diesen beiden jungen Ärzten, ist diese Krankheit allem Anschein nach ansteckend, egal, was es ist, und es ist schlimm genug, daß wir sie untersuchen müssen, und uns in Gefahr begeben, uns anzustecken! Ich denke, Neil Joseph würde nicht wollen, daß Du jene Pest bekommst!” - “Aber ich muß doch irgendetwas tun, daß das Mysterium um den Tod meines Liebsten gelöst wird...” - “Uill, warum siehst Du nicht Madame Lassagne und ihrem Kellner auf die Finger? Sei jedoch vorsichtig, daß Du es nicht alleine tust. Wart Ihr nicht zu dritt in jener Nacht, als es geschah? Wer war noch bei Dir außer Neil Joseph und dem armen Francis? Erwähntest Du nicht einen jungen Mòideartach?[21]” - “Ja, tat ich, Calum Roddy MacDonald heißt er, aber er ist ein Cnoideartach,[22] und kein Mòideartach!” sagte Dervla. “O seadh?[23] Ceart gu leòr” sagte Rory, “sei’s drum, warum suchst Du ihn nicht auf, und dann kehrt Ihr zurück zum Hause Lassagne? Ich werde unser Revier anrufen, um Dir einen Wagen zu bestellen, und zwei Mann als Leibwache, die sich im Hintergrund halten, aber Euch im Bedarfsfalle beschützen.” Dervla fügte sich darein, und Rory bat die Wirtin des Forrest Hill Buffet, telefonieren zu dürfen. Duguid und MacTaggart erhielten den Befehl.
Draußen dämmerte es, und die Straßenlaternen der Stadt begannen, zu leuchten. In gewisser Weise ähnelte das Königliche Krankenhaus einem Spukschloß, und die Stille in dem Flügel des Gebäudes, den die drei Männer aufsuchen wollten, war selbst für eine Klinik seltsam. Es war so unheimlich still, daß man die Stille selbst hören konnte! Hie und dort jedoch hörte man die Stimme eines Menschen, die gar nicht mehr so menschlich war, und gurgelte. Keiner der Drei war sich sicher, ob er den Anblick überhaupt sehen wollte, der sich hinter jenem Glucksen und Gurgeln verbarg, doch sie mußten es sich auf jeden Fall ansehen, denn das war ihre Pflicht als Ermittler. Hiugh öffnete die Tür des Raums, wo das Glucksen zu hören war, doch sie sahen nichts, das in seiner Form noch einem menschlichen Körper ähnelte, und ein ekliger Gestank umfing sie, sobald sie die Tür geöffnet hatten. Sie sahen auf dem Boden nur ein Ding, das einem alten Baumstamm ähnelte, auf dessen Körper überall Pilze wucherten. Nur zwei Beine und zwei Arme, und eine Öffnung, die mal ein Mund gewesen sein mochte, zeugten noch davon, daß sie eine menschliche Leiche vor sich hatten. Es war einmal eine Krankenschwester, ehe sie das mysteriöse, unbekannte Gift erfasste, und nun war es nicht mehr ersichtlich, daß sie hübsch war, ehe die grausige Mutation über sie kam. Hugh zog sich Gummihandschuhe über, und begann sie zu untersuchen. Der Boden rings um sie war völlig verschmutzt mit ihrer Kotze, von dem Erbrechen, das über die Opfer jener unheimlichen Pilze, die scheinbar keiner natürlichen Spezies angehören, kommt. Er kratzte sorgfältig ein wenig von dem Erbrochenen auf dem Fußboden, auf daß er nicht ihrer Haut zu nahe kam, und steckte eine Probe davon in ein Kunststoffreagenzglas, und verschloß es ebenso sorgfältig und fest mit einem Korken. “Seid ganz vorsichtig, Männer” sagte er, “ich bin überzeugt, daß diese Kotze das Gefährlichste ist! Ich denke, daß das den Virus verbreitet, der Menschen diese schreckliche Gestalt gibt!” - “Oh, wenn das so ist” setzte Rory zu Hughs Warnung hinzu, “sollten wir jenem verrotteten Leichnam ohne Schutzkleidung nicht zu nahe kommen! Kommt hier herüber, und gebt ihr nicht die Hand, sonst nimmt sie uns mit auf einen Ausflug zur Hölle!” - “Und woher weißt Du, daß es sich bei der armen Kreatur um eine Frau handelte?” - “Uill, a Hiúdaí chòir, Du als Arzt, nun enttäuschst Du mich aber!” antwortete Rory, “obwohl häßliche Pilze über ihren ganzen Körper wuchern, oder zumindest, was davon übrig ist, ist noch zu sehen, was sie an Brüsten hatte, obwohl jene zwei Klumpen nun schwerlich zu erkennen sind, so wie sie nun faulen!” Das ließ die Drei schlottern, und sie weigerten sich, daran zu denken, was Dervla zustoßen könnte, falls der Fluch jener Pilze sie erfassen sollte, doch in Gegenwart jener armen Ruine, die zu Lebzeiten eine Krankenschwester war, war jene Schreckensvision schwerlich loszuwerden. “Tiugainn, ’illean” [24] sagte Ailig schließlich, “Hiúdaí hat seine Proben jenes verfluchten Zeugs bekommen, und damit haben wir unsern Teil! Tiugainn, mach à seo!”[25]
Sie verließen den Raum, und bewegten sich weiter zum Büro des Dr. MacNeilis, obwohl sie sie dort kein besserer und schönerer Anblick erwartete, als im Schwesternzimmer. Sie folgten weiterhin dem Korridor, denn das Geschäftszimmer des Doktors lag am anderen Ende. Auf dem Wege dorthin begegneten sie einem Manne, oder einem Ding – falls man noch “Mensch” zu ihm sagen konnte in dem allzu fortgeschrittenen Stadium der Seuche, die auf ihm lastete – der gar nicht mehr leben sollte, denn die Pilze hatten ihn bereits fast gänzlich unterworfen. Er war Pfleger und Sanitäter, ehe die Seuche, oder der Fluch der Pilze über ihn kam, und möglicherweise war bloß deshalb noch zur Fortbewegung fähig, weil er ein starker, stämmiger Mann war; doch nun war er eine Gefahr für jede Person in seiner Umgebung, und hatte gänzlich seine Gestalt verändert, so daß seine eigenen Verwandten ihn nicht mehr erkennen würden. Gleichfalls hatte der arme Tropf die Fähigkeit zum Sprechen verloren, und gerade das Stadium des Glucksens erreicht. Folglich schlurfte und watschelte er den Korridor von dem Raume auf und ab, wo ihn die Seuche ereilt hatte, einem Untoten gleich, und das war er wohl, man konnte es nicht leugnen! “Was um alles in der Welt...” sagte Rory, und weiter kam er nicht, denn ein Brechreiz überkam ihn, und obwohl ihn jene Seuche noch nicht erhascht hatte, mußte er beinahe kotzen durch den widerwärtigen Gestank, den jene verrottende Kreatur ausstrahlte. Die Kreatur beachtete sie jedoch gar nicht, war sie doch zu sehr mit ihrem eigenen jammervollen Zustande beschäftigt, heulend und jaulend mit Not den Korridor herabschlurfend. “Ich hasse es, zu sagen, daß wir gar nichts tun können, ihm zu helfen” sagte Ailig, “und selbst wenn wir dazu imstande wären, würde es ihm nicht mehr helfen – er ist schon geistig umnachtet, und seine Glieder sind verfault wie bei einem Leprösen!” - “Ich vermag es nicht besser zu sagen, es tut mir leid, daß Du recht hast!” sagte Hugh. “Doch wohin läuft denn die Jammergestalt? Wir sollten sie nicht entkommen lassen!” - “Sollten wir nicht, doch was können wir da gerade dagegen tun? Wir müssen weiter zum Geschäftszimmer von Francis MacNeilis!”
Als die häßliche Kreatur den Namen hörte, begann sie, noch lauter zu heulen, in der schrillsten und kläglichsten Tonlage der Kopfstimme – falls von einem “Kopf” noch die Rede sein konnte bei dem, was davon noch übrig war... Die drei Forscher konnten sich darauf jedoch keinen Reim machen, und setzten ihren Weg zum Zimmer von Francis MacNeilis fort. Endlich, nach zehn weiteren Minuten – die ihnen jedoch wie eine zusätzliche Stunde erschien – erreichten sie es, doch was sahen sie als eine sperrangelweit offene Tür und einen leeren Schreibtisch – weit und breit keine Leiche zu sehen, die über dem Tisch ausgestreckt lag, oder irgendwo anders im Raume sich erstreckte. Auf dem Tisch fanden sie nichts weiter als eine alte deutsche Pistole des P08 oder Parabellum-Fabrikats,[26] wie Francis MacNeilis sie von seinem Vater erhalten hatte, der im irischen Freiheitskrieg gekämpft hatte vor wenigen Jahren. Sie lag in einer Lache aus Blut und Schleim. Sie sahen sonst nichts in dem Zimmer, als weitere Pfützen aus Erbrochenem über den ganzen Tisch und den Fußboden, und stellten dann fest, daß Spuren des Schleims aus dem Zimmer zu der Stelle führten, wo sie jener häßlichen, verfaulten Kreatur zuerst begegnet waren. Obwohl sich ihr Geist, und ihre Vorstellungskraft dagegen auflehnte, wurden sie schrittweise gewahr, wem sie da begegnet waren, als ihnen jene Kreatur entgegenkam. Es war niemand anders als Dr. Francis MacNeilis selbst, oder zumindest, was von ihm noch übrig war. Wie es schien, hatte er sich eine Kugel in den Kopf jagen wollen, als er der Seuche gewahr wurde, die sich in ihm eingenistet hatte, und er mußte sich bei Neil Joseph Lamont angesteckt haben. Daher wußte er nur zu gut, was ihn erwartete, doch es gelang ihm nicht, denn er war bereits zu krank, um die Schßwaffe gebrachen zu können. Trotzdem war er scheinbar noch stark genug, sich auf gewisse Weise fortzubewegen. Rory hatte sich nun auch Gummihandschuhe übergezogen, und nahm die Waffe vom Tisch und steckte sie in eine spezielle Tasche, um Beweisstücke zu sammeln, auch wenn sie verseucht waren, als Ailig den Brief entdeckte, den Francis MacNeilis hinterlassen hatte. Er lag auf dem einzigen trockenen Fleck, den es in jenem Raume noch gab. Er war noch nicht in ein Kuvert gesteckt – dazu kam der arme Francis nicht mehr – und auch nicht mehr sehr ordentlich zusammengefaltet. Also breitete Ailig ihn in einem Augenblicke aus und las:
“A Cháirde is a ghaolta chóra,[27]
eine unheimliche, unbekannte Seuche hat mich geschlagen, und ich bin in einem wahrlich sehr schlechten Zustande. Scheinbar habe ich sie erhalten, nachdem ich einen guten Freund von mir, Neil Joseph Lamont, untersucht habe, der bereits in den harten Klauen der gleichen Seuche steckte, seit wir zusammen diniert haben in einem französischen Restaurant nahe dieser Klinik. Es ist offensichtlich, daß die Pilze, die er aß, in irgendeiner Weise verseucht waren, doch habe ich, was ich an Beweisen sah, noch nie im Leben gesehen in der Gift- und Virenforschung. Sobald der Brechreiz mich so intensiv ereilte wie meinen armen Freund, wußte ich, daß ich selbst von jenem Zeugs ergriffen worden war; und da ich den Leichnam meines Freundes beobachtet hatte, wußte ich sehr gut, was mich und jeden anderen in meiner Mannschaft erwartete, der an der Untersuchung jener neuen Seuche teilgenommen hatte.
Neil Joseph liegt nun auf seinem Totenbett unten im tiefsten und entlegendsten Keller, den es in diesem Krankenhaus gibt, in einer Gestalt, die seine Liebste und seine Verwandten niemals in ihrem Leben sehen sollten – und es dauert nicht lange, bis daß jene Veränderung auch über mich kommen wird: Ich werde nicht lange leben in diesem Raum, denn mein Kotzen wird stetig schlimmer. In Kürze werde ich ein Klümpchen von einem Mann ohne Gesicht und Sprachvermögen sein. Ich werde nur stammeln und sabbern, und schließlich heulen, glucksen, gurgeln und röcheln, bis der Tod eintritt, und neue Pilze werden meinen Körper, der jede menschliche Gestalt verloren hat, gänzlich überwuchern. Nichts wird von mir übrig sein als das, und Schleim. Ich wäre nicht glücklich, Euch diesen Anblick zumuten zu müssen, und deshalb – Sünde oder nicht – muß ich diesem Leiden selbst ein Ende bereiten, mit einer Kugel aus der Pistole meines Vaters, die er verwendete, um unser Land gegen die Feinde der Freiheit zu verteidigen. Obwohl ich nun von jener Seuche unterworfen bin, möchte ich nicht als Sklave sterben. Und sollte es mir nicht gelingen, meinen Selbstmord zu vollenden, wie es sich gehört, werde ich in den Brennofen der Heizzentrale dieses Krankenhauses gehen – dorthin, wo ich die Leichen meiner Mannschaft gesteckt habe, nachdem ich sie erschossen habe, sobald sie erste Symptome der Seuche zeigten.
Go maithe Dia féin mo pheacaithe...
Go bhfoiri Dia orm, tá sé ag teacht, tá sé ag teacht, tá fíor-uafas an ghalair ag teacht...
Slán libh uilig,
Proinnsias Mac Niallais[28]
Ailig schlotterte, als er den Brief gelesen hatte, und die Knie wurden ihm recht weich. Er reichte Hugh den Brief, und welchen Schrecken jagte der Brief ihm ein, bestätigte doch der Brief, was sie alle bereits erraten hatten! “Go lonraí solas suthain air, a Thiarna!”[29] sprach er, und bekreuzigte sich hastig. Danach reichte er Rory den Brief. “Wo ist er jetzt hin?” sagte Ailig, den Korridor hinabsehend. “Er muß hinab in die Kellergewölbe gegangen sein, wie er schrieb!” - “Wenn er überhaupt so weit kommt!” sagte Rory. “Und was ist mit dem Leichnam von Neil Joseph Lamont? Der rottet auch noch immer ein paar Stockwerke tiefer vor sich hin! So wird er die Bazillen der Seuche weiter versprühen! Wir sollten ihn auch verbrennen!” - “So hart und schrecklich es ist, Hugh hat recht!” erkannte Rory. “Also Zähne zusammenbeißen und durch” sprach Ailig, “ich wette, dort unten stinkt es jetzt ganz widerlich!” Also schritten die Drei auf die Treppe zu. Doch sie kamen nicht weit, denn plötzlich erbebte das ganze Gebäude, und man hörte ein donnerndes Geräusch wie ein Haubitzenschuß – etwas war explodiert! Wenige Minuten danach kam der untote Leichnam, der von Francis MacNeilis übrig war, gar hurtig rennend hinauf als wandelnde Fackel von oben bis unten, und eine Feuerwalze folgte ihm. So schnell es ging, machten sich die drei Helden davon, und rannten im Kantergalopp, durch das allernächste Tor springend. Rory hielt den nächsten Passanten an und hieß ihn, so eiligst wie möglich die Feuerwehr und Polizeiverstärkung herbeizurufen.
Es gab jedoch nicht viel zu tun. Die Feuerwehr kam viel zu spät, um den Flügel des ganzen Gebäudes, der in Flammen stand, zu retten, und waren sehr emsig damit beschäftigt, die Ausbreitung der Feuersbrunst auf den Rest des Königlichen Krankenhauses zu verhindern. Also wurde der ganze Flügel ein Raub der Flammen, und nach der Nacht der Feuersbrunst mußten die Autoritäten des Königlichen Krankenhauses den Rest abreißen lassen. Sie ließen einen neuen Flügel an seiner Statt erbauen, und die wahren Hintergründe wurden nie veröffentlicht – nicht einmal die Nacht des großen Feuers ist in den Annalen des Königlichen Krankenhauses vermerkt, und fragt man irgendjemanden nach jener großen Feuersbrunst im Herbst 1925 in der Nachbarschaft von Forrest Hill und Greyfriars, so erntet man nur Schulterzucken oder leere Blicke...
III.
<<Madame, tenez – c’est la jeune fille qui a perdu son fiancé...et un des trois jeunes hommes qui l’ont accompagné ce soir là... >> sagte Gaston, als er Dervla und Calum Roddy über die Straße kommen sah. Seine Stimme war nervös, und die Erregung stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch noch sah er die Polizisten nicht, die den beiden jungen Studenten folgten. <<Et alors?>> fragte die Wirtin. Der Madame Lassagne war es egal, denn sie war nicht schuld an dem, was geschah. Andererseits wußte sie noch nichts davon, wie schlimm es war, denn sie hatte die Auswirkungen der Seuche noch nicht gesehen. <<Reçois-les, Gaston! Depeche-toi!>> Wie es sich ergab, bereitete Gaston gerade ein gebratenes Kaninchen mit Pilzen zu, und langte mit der Hand in ein Ledertäschchen mit seltsamen Symbolen darauf, um Pilze daraus zu holen. <<Qu’est-ce que c’est?>> fragte ihn die Wirtin, <<das sind nicht die Pilze, die wir üblicherweise verwenden! Wo hast Du sie her? Sind das diejenigen, die Du in jener Nacht geschmort hast, als der arme Monsieur Lamont jene Krankheit bekommen hat, welche uns die Polizeiermittler in unser renommiertes Restaurant geholt hat?>> Gaston zuckte zusammen, weil er nicht wußte, daß die Wirtin gerade hinter ihm stand, doch er brauchte nicht lange, um sich zu beruhigen und wieder Haltung anzunehmen, und starrte sie so wild an, daß sie selbst zusammenschreckte. Sie bekam Angst, denn es war offensichtlich, daß etwas ganz und gar nicht stimmte: Gaston mußte den Verstand verloren haben, man hätte denken können, die Tollwut selbst stünde in seinen Augen. Er ging auf sie zu, und sie wich vor ihm zurück, Schritt für Schritt...und plötzlich stürzte sie und um sie wurde es stockfinster. Als sie wieder zu sich kam, war sie eng und fest an einen Stuhl gefesselt und geknebelt, in einem düsteren Kellergewölbe, wo es keine andere Lichtquelle als eine Kerze gab. Eine Art Knebel steckte in ihrem Mund, doch sie verlor fast ihren Verstand, als sie wahrnahm, daß ihr ein Trichter als Knebel aufgesetzt worden war; und als sie sah, daß neben ihr eine Art Tisch stand, worauf sich ein Gefäß mit Pilzscheiben fand, wußte sie, was sie erwartete und wollte schreien, doch sie konnte nicht – und der Knebel machte sie röcheln und würgen...
Im oberen Stockwerk empfing Gaston Dervla und Calum Roddy. <<Bienvenue, Mademoiselle MacQuarrie, bienvenue, Monsieur MacDonald, je suis très désolé – es tut mir sehr leid, was passiert ist mit pauvr’ Monsieur Lamont, und isch bin noch untröstlischer, Ihnen mitteilen zu müssen, daß la patronne ist ’eute abend nischt ’ier. Wie kann isch Ihnen ’elfen?” - “Nun” sprach Dervla, “Ich wunderte mich, ob Sie uns nicht freundlicherweise die Pilze zeigen könnten, die Sie normalerweise für Ihre Champignons à la Crème verwenden!” Er machte Kratzfüße vor den Beiden, und einen Kotau, und blickte sie an mit der unschuldigsten Miene, die er in seinem Repertoire falscher Gesichtsausdrücke hatte, doch Dervla durchschaute mit ihrem scharfen Blick, daß ihm nicht gar so wohl war, und daß er hinter der falschen Miene zuckte. <<O, bien sûr, Mademoiselle>> sagte Gaston, “wollen Sie nischt ein wenig warten, isch muß nur ’runtergehen zur Speisekammer...” - “O seadh, mas fhìor”[30] raunte sie Calum Roddy zu, “der Kerl da ist so falsch wie’n Kesselflicker, er ist ganz voll davon![31] Aber geh’ bloß mit ihm nicht die Treppe runter – wir sollten auf die zwei Polizisten warten, Duguid und MacTaggart. Wo sind sie eigentlich?” - “Keine Ahnung” antwortete Calum Roddy, “waren die nicht genau hinter uns?” - “Das sollten sie besser” sagte Dervla, “aber immer noch keine Spur von ihnen! Wer weiß, wo die gerade stecken, und was sie anstellen, falls es ihnen gerade in den Sinn kam, neue Lungendochte zu kaufen, oder weiß der Himmel, was sie sonst noch aufhält!” Und Zigaretten kaufen war es, was sie aufhielt, doch das konnte der gute Calum Roddy natürlich nicht wissen. Doch er wußte, oder ahnte, daß Gaston – falls das sein richtiger Name war - nichts Gutes im Schilde führte. Er hatte recht, denn als Gaston die Treppe wieder heraufkam, hielt er keine Tüte Pilze in der Hand, sondern eine Wumme. Es war ein wohlgeladener Revolver, von der Bulldog-Sorte, wie Webley sie produzierte,[32] und damit zwang er die beiden jungen Leute, die Treppe hinunterzugehen. Nun lief die Musik quer über die Fiedel für sie, und noch immer waren die beiden Polizisten nicht eingetroffen. Die beiden jungen Leute mußten in dieselbe Kammer, wo Madame Lassagne gefesselt und geknebelt saß. Auch sie wurden gefesselt, und Gaston steckte ihnen Trichter in den Mund, um sie mit den verfluchten Pilzen zu füttern...
“Duguid, MacTaggart! Was um alles in der Welt treibt Ihr da?” rief Rory, als er die beiden Detektive vor dem französischen Restaurant rauchen sah. “Hab’ ich Euch nicht gesagt, mit Dervla und Calum Roddy zu gehen, und ihnen die ganze Zeit zur Seite zu stehen, ohne sie aus den Augen zu lassen? Ihr seid mir schöne Wächter, so begabt, wie Ihr zum Ausschau halten seid! Ihr habt überhaupt nicht aufgepaßt, hier beim Rauchen, anstatt drinnen zu sein, um die beiden jungen Leute gegen jede Art von Gefahr zu schützen, die ihnen zustoßen könnte – und die Vorsehung allein weiß, was mittlerweile geschehen ist, während Ihr hier spazieren und rauchen wart! Auf jetzt, wir müssen nachsehen, falls sie nun in arger Gefahr sind!” Er war sehr sauer, war er doch gerade erst lebend der Situation entronnen, in der sie im Königlichen Krankenhaus waren, wo die Feuerwehr und eine andere Polizeimannschaft noch immer zugange waren. Hugh und Ailig hatten sich gerade von ihm getrennt, um einen genauen Blick auf die Proben zu werfen, die sie im Krankenhaus gesammelt hatten. Hugh hatte ein Labor, wo sie die Proben untersuchen könnten, wie es sein sollte, in Schutzkleidung.
Tief unten im Restaurant À La Bonne Jouissance begann die Kreatur, die sich Gaston nannte, Madame Lassagne durch den Trichter mit Gewalt zu füttern. Die arme Dervla und der arme Calum Roddy waren an Stühle neben ihr gefesselt. Das Grinsen Gastons wurde fortwährend immer dämonischer, als er die arme Frau mit seinen üblen Pilzen fütterte. Er begann, eine seltsame Weise zu summen, in einer Sprache, die weder Französisch noch Gälisch war. Etwas ähnliches wie “Ià! Shub-Niggurath! Hchhhhh-gch g’l ghaaaa rhaaa b’hraaa”, das weder Dervla, noch Calum Roddy jemals zuvor in ihrem Leben gehört hatten, doch es ließ sie um ihr Leben fürchten und furchtbar schlottern. Schließlich, während er die Wirtin mit seinem üblen Fraß vergewaltigte, und sie unter dem verdammten Trichter zugleich würgte und röchelte, umfaßte er sein Gesicht mit beiden Händen und riß es herab – sein menschliches Gesicht war nur eine Maske, und es steckte kein Mensch dahinter, sondern eine Art Faun oder Satyr wie Peallaidh in den traditionellen gälischen Sagen. Nun hatten weder Dervla, noch Calum Roddy die leiseste Ahnung von dergleichen okkultem Wissen und bösen Sagen, wie man sie im Leabhar Ainmean nam Marbh findet (Necronomicon im Griechischen und Qitab-al-Azif im Arabischen), oder im Leabhar Mòr Breac MhicMhuirich,[33] das man in keiner Bibliothek zwischen Schottland und Irland findet und von beiden Konfessionen, der katholischen und den protestantischen Kirchen, verboten ist. Laut Gerüchten ging es verloren, doch manche Okkultisten und Gelehrte der dunklen Künste kennen es trotzdem, und das Gleiche trifft auch auf manche Schriften des Revd. Robert Kirk von Aberfoyle zu. Und daher konnten sie auch nicht wissen, daß Gaston zu denjenigen Gefolgsleuten der Schwarzen Ziege, Shub-Niggurath, gehörte, die ihrer verfluchten, üblen Göttin so treu ergeben sind, daß sie ihre Menschlichkeit, ihre ganze menschliche Natur, bereitwillig hinter sich lassen: Sie werden von der Schwarzen Geiß der Wälder und der Tausend Jungen selbst, oder von einem ihrer Jungen, geschluckt, in großen rituellen, jener dunklen Göttin geweihten Nächten, und wenn sie wieder ausgeschieden oder -gewürgt werden, sind sie zu einer Art Satyrn geworden, und nicht länger Menschen! Welch ein Alptraum wurde wahr für Dervla und Calum Roddy, die Armen! Madame Lassagne versuchte, zu schreien, aber da sie den Trichter im Mund hatte, der voller Pilzschmiere war, vermochte sie nur zu würgen und sabbernd zu röcheln. Das Summen des Satyrs wurde lauter, und lauter, und plötzlich erschienen wie aus dem Nichts zwei tote Bäume. Es waren jedoch keine Bäume, sondern schauderhafte, dreibeinige schwarze Kreaturen, die nur auf den ersten Blick Bäumen ähnelten. Die Äste und Zweige waren Tentakel, und Dutzende von Neunaugen-ähnlichen Mäulern umsäumten ihren Stamm, und zahllose Augen ebenso. <<Les enfants de la Chèvre Noire!>> arsa Gaston in einer Stimme, die gar nicht mehr menschlich war - “Die Jungen der Schwarzen Geiß!” Und er begann, laut zu lachen. Madame Lassagne war nun fast am Ersticken, und ihr Körper selbst begann sich langsam zu verändern, während ihre Kleider schrumpften und ihre Haut sich altem Holz gleich bräunlich und faulig verfärbte. Sie wußte, daß es für sie nun kein lebendes Entkommen mehr gab, und sie bereits verloren war. Und die beiden jungen Leute, die neben ihr angebunden waren, würden auch bald verloren sein. Die Leute von Averoigne kannten die Schwarze Geiß und deren schauderhafte Junge nur zu gut, denn jene dunkle Brut spukte in den großen, finsteren Forsten jenes Landstrichs in der verborgenen Wildnis Frankreichs. Doch ungeahnt von Dervla und Calum Roddy gab es auch Gebiete im schottischen Hoch-, und Unterland, wo die Jungen der Schwarzen Geiß in den Wäldern spukten...
Das Haus, in dem sich das Restaurant À La Bonne Jouissance befand, begann zu beben, und Rory und seine beiden Polizisten waren zugleich erschrocken und erstaunt. “Gu dè air thalamh...?” stieß Rory hervor, und Duguid streckte seine Hand nach seiner Trillerpfeife aus, um Verstärkung herbeizurufen. Er stieß einen langen Triller aus, und man hörte den Eilschritt einer Polizeimannschaft, die sich von der Royal Mile her näherte, und eine weitere Mannschaft näherte sich von den großen Brücken via George Square. Noch eine weitere Mannschaft war noch näher, gemeinsam mit der Feuerwehr, die noch versuchte, das Feuer des Königlichen Krankenhauses zu ersticken und zu löschen. “Wat’ los?, Wachtmeister Duguid?” sprach ein Polizeisergeant der allernächsten Mannschaft. “Wachtwechsel!” antwortete Duguid mit bitterem Lächeln, “wi brukt ji hier, Melville! Segg den annern Jungs, ji’n Platz intonahm’n do dröben anne Königlichen Klinik! Dor löpt wat bannig faules in dat Hus hier!” Ein merkwürdiger Geruch durchströmte nun das Haus, der zu nichts gehörte, was die Leute kannten, und weder zu Mensch, noch Pflanze, noch Tier gehörte, und über die Häuser der Straße hinwegstank. “Duguid!” sagte Rory, “sag den Jungs, sie soll’n nen Streifenwagen herschicken! Verdammich, wir brauchen ein Funkgerät! Wir müssen eventuell die Jungs mit den großen Kanonen rufen!” Sergeant Melville war ein bulliger Typ, ein Mann so stark wie ein Pferd, aus der Gegend von Dundee. Er sammelte seine Jungs um sich, und sie brachen ins Restaurant ein, und Rory und seine beiden Wachtmeister Jock Duguid und Seumas MacTaggart hinterher, ihre Revolver schußbereit im Anschlag. Sie hörten ein schreckliches Geheul aus dem Keller kommen, und gingen hinunter, woher die schrecklichen Geräusche auf sie niedertröpfelten. Doch für manche von ihnen war jenes das Falscheste, das sie tun konnten, denn einige der Polizisten verloren glattweg den Verstand, als sie die Kreaturen im Kellergewölbe erblickten: Die Jungen der Schwarzen Geiß, den Satyr, der mal ein Kellner im Restaurant obendrüber war, und Christelle Lassagne, die nun gänzlich entstellt und faulig voller Schleim war, und deren Leichnam von Pilzen überzogen war – falls es denn noch eine Leiche war! Neben ihr waren Dervla und Calum Roddy eng an ihre Stühle gefesselt, doch Dervla hatte es schon fast geschafft, den Trichter auszuspucken. Sobald sie konnte, stieß sie einen angsterfüllten, verzweifelten Schrei aus. Zur gleichen Zeit streckte eine der schauderhaften Kreaturen ihre Tentakel nach Sergeant Melville aus, ihn umfangend, und zog ihn heran zu einem ihrer zahngespickten Aalmäuler, obwohl er so stark wie ein Pferd war. Doch mit ihrer übernatürlichen Kraft war die Kreatur stärker, und zerriß den Sergeant, um ihn zu zerkauen und zu verschlucken. Der Sergeant stieß einen schmerzerfüllten, schrecklichen Schrei aus, und “Oh min Gott! Heeaalp...” waren die letzten Worte, die er je auf dieser Welt rief. Die andere Kreatur ergriff zwei aus der Polizeimannschaft, und riß sie auseinander, um sie in ihre Mäuler zu ziehen, während ihr Blut durch den ganzen Raum spritzte. Rory und die zwei Wachtmeister feuerten auf die Kreaturen, doch sie trafen nur den Satyr, der sich in seiner menschlichen Gestalt Gaston nannte. “Gebt mir Feuerschutz!” sagte Rory zu Seumas MacTaggart, dem gälischsprachigen Wachtmeister, “und ich versuche, die beiden jungen Leute zu befreien!” - “Aber Inspektor Cook, verlieren Sie jetzt auch den Verstand? Was soll aus Ihnen werden, wenn Sie es nicht gegen jene Monstren schaffen, die gar nicht auf dieser Welt sein sollten?” - “Ich tue mein Bestes, und erwarte, daß Ihr das auch tut! Und sobald ich ihre Bande durchschnitten habe, ziehen wir uns zurück!”
Rory hatte solche Kreaturen schon gesehen auf Araltsay, der kleinen, verfluchten Insel westlich von Colonsay, die nun geborsten unter der See lag, und gänzlich aus dem Vokabular der Leute entschwunden war; und seit er mit dem Königlichen Okkulten Untersuchungskommission zusammenarbeitete, jener Polizeibehörde, die mysteriöse Fälle und Geschehnisse untersucht, befand sich ständig eine Medaille in seiner Tasche, auf der sich das Ältere Zeichen befand, daß vor gefährlichen, übernatürlichen Mächten aus dem Schlund schützte. Er hängte sich diese Medaille an einem Kettchen um den Hals. Dieses Symbol brachte selbst die Dunklen Jungen der Schwarzen Geiß zum Schlottern! Also ergriffen sie ihn nicht, und er rannte hinüber, wo Dervla und Calum Roddy gefesselt waren. Er durchschnitt die Fesseln mit seinem Taschenmesser und hieß Calum Roddy, ihm zu helfen, Dervla wieder auf die Beine zu bringen. Während er das tat, zog er eine weitere Webley Fosberry aus seinem zweiten Schulterhalfter, und ließ mit voller Wucht eine Salve über die zwei Kreaturen der Dunklen Jungen ergehen, ehe sie flohen.
Ja gewiß, natürlich hätte er der armen Christelle Lassagne auch noch helfen müssen, doch für sie kam bereits jegliche Hilfe zu spät – die menschliche Frau, die Christelle Lassagne hieß, existierte nicht mehr, und an ihre Statt trat eine weitere übernatürliche Kreatur durch die verfluchten, vergifteten Pilze, die ihr der Satyr in Gestalt eines Kellners mit Gewalt eingeflößt hatte! Sie wurde nun stetig einem alten Baumstamm voller Pilze ähnlicher, doch ihr wuchsen bereits Tentakel. Sobald ihre Metamorphose, oder Mutation, abgeschlossen hatte – die bei den armen Kreaturen im Krankenhaus jenseits der Straße noch nicht abgeschlossen war – würde sie den Kindern der Schwarzen Geiß, und daher, einem alten, toten Baum ähneln, der sich bewegen und sich seine Beute mit seinen Tentakeln fangen konnte...
IV.
“Heureka!” rief Hugh O’Gallagher, “ich hab’s gefunden!”, als er aus seinem Labor kam. Doch daraufhin blickte er sehr ernst und schwermütig. “A Ruairidh” sagte er, “es ist eine seltsame Spezies von Pilz, die wir da haben! Nicht von dieser Welt sind sie, da bin ich mir sicher, verstehst Du?!” - “Willst Du sagen, daß sie ursprünglich von einem fremden Planeten stammen?” - “Das ist die Summe meiner Forschungsergebnisse, jawohl!” - “Wenn dem so ist, a Hiúdaí chóir, dann kommt mir ein arg schlimmer Verdacht! Doch muß ich Isaac Brown anrufen, um das zu bestätigen; er ist der Mann mit den Schlüsseln zur Okkulten Bibliothek unserer Universität!” - “Bhuel, wenn Du ihn anrufen möchtest, hast Du Glück, aber warum möchtest Du die Bibliothek verwenden? Ich habe genug Bücher hier, und wir haben nicht genug Zeit!” - “Uill, es stimmt, daß wir nicht mehr genug Zeit haben, aber hast Du das Buch von Eibon, oder Les Cultes des Goules des französischen Balfour?” - “Les Cultes des Goules von François Honoré Balfour, Comte d’Erlette?” fragte Hugh. “Genau!” - “Nö, leider nich!” - “Da hast Du’s, und eben deshalb muß ich mit dem guten Isaac sprechen!” - “Ich hab aber das Große Buch des Azédarac hier!” - “Gut, da diese Pilze eh aus der Averoigne zu uns kamen, dennoch brauchen wir noch die anderen Bücher!”
Also rief Ailig so schnell wie möglich Isaac an, und erzählte ihm die wichtigsten Punkte der schlimmen Ereignisse zwischen dem französischen Restaurant und dem Königlichen Krankenhaus, und was Hugh in seinen Untersuchungen in seinem Labor herausgefunden hatte. Das ließ Isaac ebenso schwermütig werden. “Kommt ’rüber zu mir in die Bibliothek!” sagte er, “Sofort! Ich würde selbst sagen, daß jene Pilze, die Du erwähntest, die berüchtigten Parasole von Yuggoth sind! Doch muß ich zuerst meine Bücher konsultieren, und warum werft Ihr selbst gerade nicht erst einen Blick in die Schriften des Azédarac?” Das taten sie. Azédarac, der schräge Bischof, der im Mittelalter Ximes in der Averoigne regierte, schrieb, daß es Pilze in den finsteren Ecken der düstersten Wälder seiner Heimat gäbe, die ursprünglich überhaupt nicht von dieser Welt stammten. Und es wunderte weder Ailig, noch Hugh, daß man derlei Pilze an Orten fand, die Shub-Niggurath geweiht waren, und man sie mit den Exkrementen und dem Urin der Jungen der Schwarzen Geiß düngte, während Shub-Niggurath, die Schwarze Geiß höchstselbst, verehrt werde. Üblicherweise würden sie nur von deren geweihtesten, glühendsten Jüngern gegessen. Nichts hörte man je in den Tagen Azédaracs von solch fanatischen, fundamentalistischen Anhängern der Schwarzen Geiß, die jene schwarzmagischen Pilze unschuldigen Opfern mit Gewalt einflößten. Scheinbar waren die Jünger der Schwarzen Ziege radikaler geworden, zumindest manche von ihnen, falls sie nun versuchten, die Reihen der Jungen der Schwarzen Geiß so zu erhöhen und vergrößern, indem sie Opfer entführten. Und Gaston gehörte zu jenen Brandschatzjüngern unter den Verehrern der Schwarzen Ziege, die an sich schon böse und übelgesinnt waren als Totenbeschwörersekte, oder Naturkult, wie sich selbst bevorzugt nannten, und sahen...
“A Mhoire Mháthair!”[34] sprach Hugh, “das ist weitaus schlimmer, als wir anfangs dachten!” - “Mo chreach, a Thighearna!”[35] sprach Ailig, “welch schlechte Nachricht! Das ist wahrlich weit schlimmer, als wir eingangs erwarteten!” Sie bereiteten sich vor, hinüber zur Bibliothek zu gehen, beziehungsweise zu deren okkulter Abteilung, die den meisten Studenten und Lehrenden verschlossen war. Dort gab es die berüchtigsten Grimoires und Episteln zwischen der großen Universität von Miskatonic und Ponape. Und als sie durch Lauriston dem Alten College entgegen liefen, kamen sie natürlich wieder am Restaurant À La Belle Jouissance vorbei, und bemerkten die Unruhe um das Lokal, die verschiedenen Polizeimannschaften, die nun Calum und Mòrag Jedermann davon abhielten, das Restaurant zu betreten. Rory und die Überreste seiner Mannschaft waren gerade wieder aus jenem verfluchten Hause erschienen, samt Dervla und Calum Roddy, den beiden Jammergestalten. Das ließ Ailig und Hugh zusammenschrecken. Rory erkannte die beiden Anderen, die gerade nähergekommen waren. “A Thì Bheannaichte!” sagte er, “Wenn Euch Euer Leben lieb ist, bleibt Ihr diesem Hause fern! Die Bestien des Schlundes sind los hier! Besonders im Kellergewölbe! Ihr würdet nicht glauben, was hier geschehen ist, und wir gerade noch lebend ’rausgekommen sind, trotz allem!” So hurtig er konnte, erzählte Rory Ailig und Hugh, was geschehen war, und ließ sie stumm und nach Luft schnappend zurück. Ailig fand jedoch seine Worte am ehesten wieder, und erzählte Rory, daß sie auf dem Wege zur okkulten Bibliothek wären, wo sie sich mit Isaac treffen wollten. Rory kratzte unter dem Hut seinen Kopf, und sagte, er zweifelte daran, ob ihnen dazu noch genug Zeit bliebe, da die Musik bereits über die Fiedel geschwappt wäre.
Einige Polizeiwagen waren bereits eingetroffen, und hatten Gewehre mitgebracht. Ailig erhielt auch eins, weil Rory den Verständigsten unter seiner Mannschaft erzählte, daß er auch zur geheimen Ermittlertruppe gehörte. “A Hiúdaí” sprach Ailig zu dem jungen Arzt, “glaubst Du, Du könntest es alleine schaffen, zur okkulten Bibliothek durchzukommen? Es scheint, daß ich Rory nun zur Seite stehen muß, und das Isaac so rasch wie möglich hierher kommen muß, ohne große vorherige Diskussion!” - “Beidh mé ceart go leor”[36] sagte Hugh, “ich denke, ich werde nur’n paar Minuten brauchen, aber woran soll Isaac mich erkennen?” - “Na gabh dragh,[37] er wird es wissen, aber wenn’s Dich beruhigt, werde ich Dir ein Kennzeichen mitgeben, das beweist, daß Du von mir und in meinem Auftrag kommst!” Er gab ihm eine Medaille mit dem Wappenemblem der Clann Eòin Mhòir. “Und beeil’ Dich jetzt! Nimm Dervla und Calum Roddy mit Dir, daß sie sich bei Isaac erholen, und von ihm einen großen Schuß Whisky erhalten können!” Hugh ging, und nur zwei Minuten, nachdem er in die Chambers Street eingebogen war, tauchten die zwei Kreaturen der Jungen der Schwarzen Geiß an der Türe des Restaurants auf. Die Polizisten verschanzten sich hinter ihren Wagen, und feuerten eine volle Salve aus ihren Gewehren – Enfield und Thompson – auf die unheimlichen, gräßlichen, widerwärtigen Wesen ab. Nicht, daß sie sie nicht trafen, doch deren Haut war so dick wie die eines Elefanten, oder eben die Rinde eines alten Mammutbaums. Ein paar Polizisten rannten ins Forrest Hill Buffet, wo sie einen großen Krug Whisky erhielten. Er wurde einem Molotov-Cocktail gleich in Brand gesetzt und auf die Wesen geschleudert. Und siehe! Sie fingen tatsächlich Flammen! Die Polizeimannschaft feuerte eine weitere Salve, doch sie – und ihre Tentakel – bewegten sich noch. Und sie bewegten sich nun auf die Schutzpolizisten zu. Eines von ihnen streckte seine Tentakel nach Wachtmeister Duguid aus, und fingen ihn ein. Der arme Tropf begann zu schreien, wußte er doch nur zu gut, wie ihm jetzt geschähe – hatte er dergleichen doch bereits unten im Kellergewölbe des verhexten Restaurants gesehen! Eine große Axt lag in einem der Polizeiwagen, und Rory egriff sie, um das Wesen anzugreifen; und der Rest gab ihm Feuerschutz mit ihren Gewehren. Es gelang ihm, zwei Tentakel mit einem heftigen Schlage abzutrennen, und den Wachtmeister zu befreien, doch damit war noch nichts gelöst – sobald Rory sich zurück zur Mannschaft wandte mit dem armen Wachtmeister, wuchsen zwei neue Tentakel aus der Wunde. “Daingead!”[38] stieß Ailig aus, “wo bleiben nur Hugh und Isaac? Ich weiß nicht, ob wir jene verdammten Bestien besiegen, und wie lange wir noch durchhalten können!”
Die Leute im Umkreis waren sämtlich angsterfüllt und mit Panik geschlagen geflohen, wie das Reh im Dunkel des Waldes, ohne Ahnung, was sie eigentlich gesehen hatten, und ob es solche Wesen überhaupt wirklich gab. “Wie schade, daß wir die alte Stadtwache nicht mehr haben, wie Donnchadh Bàn[39] und seine Mannen mit ihren Hellebarden und Piken!” sagte Rory. “Und denkst Du, daß uns das gegen jene Wesen hilfreich sein könnte?” - “Dh’ fhaoidte gum bi...”[40] - “Aber siehst Du den graugrünen und giftgrünen Schleim, der aus ihren Mäulern trieft? Der ist echt gefährlich, und wird Deinen Geist schwer beeinträchtigen, wenn auch nur ein Tröpfchen davon auf Dich kommt!” Die beiden Dunklen Jungen waren nun auf ihre übliche Größe angewachsen, ungefähr zwölf Fuß an Höhe (und es gibt manche von ihnen, die sogar bis zu zwanzig Fuß oder schlimmer größer werden), trotz der Flammen, die sie einhüllten. Sie bewegten sich vorwärts, und kamen den Polizeiwagen schrittweise näher. Fünf waren es. Plötzlich lief eines der Dunklen Jungen auf einen der Polizeiwagen, und das Automobil zerbrach unter den drei großen Beinen, die in gespaltenen Hufen wie denen einer Ziege, oder eines Schafs, endeten. Die Polizisten dahinter schrien auf und flohen. Doch die höllische Mißkreatur ergriff ihrer dreie mit ihren Tentakeln, nuckelte an ihnen und saugte ihnen alles aus, was an Leben in ihnen war, und füllte sie mit ihrem grünen Schleim. Das ließ nun alle anderen erstarren, doch Ailig und Rory hörten nicht auf, den beiden abstoßenden, gräßlichen, fauligen Wesen mit ihren Gewehren einzuheizen. Nicht, weil sie glaubten, damit irgendwelchen Schaden anzurichten, sondern um Hugh und Isaac Feuerschutz zu geben, die gerade von der okkulten Bibliothek kamen. Während sie dabei waren, öffnete Isaac das große Buch von Eibon, auf einer Seite, welche die beiden unheimlichen Wesen in ihre Schranken verweisen würde. Zur gleichen Zeit passierte sie ein Herr in einem langen Mantel, einem Homburg-Hut und einem Anzug in Richtung des Schlachtfeldes in der Forrest Road, ohne zu ahnen, was ihn dort erwartete.
Der Mann war kaum von der Chambers Street in die Forrest Road eingebogen, und hatte sich dem französischen Restaurant genähert, das sich nun in einem beklagenswerten Zustande befand; noch immer, ohne die Wesen vor ihm bemerkt zu haben, da wurde er von deren Tentakeln umringt und in die Luft gehoben, auf ein zahnbewehrtes, schleimtriefendes Maul, während die abgründige Kreatur eh schon stank wie sieben Gräber. Er begann zu schreien, und jeden Gott, an den er je glaubte – wenn überhaupt – anzurufen. Doch Isaac erhob nun seine Stimme und sprach wie folgt: “B’h’chaaa g’lll’h’chh gh’raaach’ chääää! Iä! Shub-Niggurath! Brrrratzzzz-ch’hatzzz-brrrratzzz! Gh’l’ghaaa!!! Chuuuu!!! Rrrraaah! Khaaa!! Ch’rrr’gh’gh-g’kch’kch’hadda-yadda-ghaaaa-b’ggl-kh’ggl’n’tttt’tshl’ch’raaah!” Auf jene fremdartigen Worte hin ließ das Wesen den Mann los und gab ihn frei, und begann doch tatsächlich, sein Mitwesen mit seinen Tentakeln zu bekämpfen! Während es dabei war, versuchte der arme Mann, wieder auf die Füße zu kommen, um zu fliehen, kriechend, krabbelnd, robbend und rollend, und zugleich begann Isaac erneut: “Gagg! Rhaaa! Gagg! Ch’chaaa! x’x’chääää!! H’churrr!! Hurrrrrchhh!!! G’gg-hrrrrr!!! Kh’fff’ggglllll!!” Allmählich begannen die Tentakel der Wesen, einander zu verknoten, und ihre Neunaugenmäuler einander zu besaugen und zu fressen. Daraufhin sandte Isaac zwei weitere Beschwörungen wider sie, und die beiden dämonischen Bäume begannen, zu gefrieren, und verschwanden schließlich ganz. Er hatte sie verhext und unterworfen, so daß sie ins Nichts entschwanden – dank den Formeln und magischen Wörtern des großen Buchs von Eibon!
Der arme Herr hatte wieder auf seine Füße zurückgefunden, und wischte sich den Staub und den Dreck von den Kleidern, oder zumindest bemühte er sich, den Schmutz fortzuwischen. Während er das tat, fragte er Isaac, welche Sprache er verwendete in den Zaubersprüchen, die er sang: “Sagen Sie, Sir, welche fremde Sprache haben Sie soeben gegen jene Monstrositäten eingesetzt?” - “Das war Aklo, Sir.” - “Aklo? Nie davon gehört, Sir, nie davon gehört!” “Nach esan tha fortanach!” dachte Ailig, und sprach zu dem Mann: “Dann wähnen Sie sich glücklich, Sir! Es ist keine Sprache, von der man irgendwie wissen sollte. Ich persönlich wünschte, ich hätte niemals zuvor von ihrer Existenz erfahren!” Der andere Mann antwortete: “Ich für meinen Teil würde mir das für einen ganzen Teil all jener fremden Sprachen wünschen, die ich in Edinburgh dieser Tage höre! Ich meine, schließlich ist das hier Britannien, wir sprechen hier alle Englisch, warum können diese Leute nicht tun, wie es die Römer tun, und Englisch sprechen wie der Rest von uns?!” Ailig, Hugh, Isaac und Rory wurden stetig bitterer, während sie dem sinnlosen Plappern jenes Herrn lauschten. “Nach esan a tha a’ fàs dàna a rithist!”[41] raunte Ailig Hugh zu. “Nur ein Weilchen zuvor steckte er in den Fängen jener Wesen in Furcht um sein Leben, über alle Dächer der Stadt kreischend, und nun kommt er uns mit diesem imperialistischen Geschwätz! Wir sollten ihm eine Lektion erteilen!” - “Excuse me, gentlemen” sagte der Herr daraufhin, “welche fremde Sprache haben Sie denn da gerade in meiner Gegenwart gesprochen? Das war auch nicht eben höflich, nicht wahr?” - “Das war Gälisch, Sir. Und ehe Sie weiterschimpfen, muß ich Sie warnen, daß es unsere Muttersprache ist!” - “Was? Was seid denn Ihr für gentlemen, daß Ihr diese wilde Sprache sprecht, die hier nie gesprochen wurde? Edinburgh ist eine englischsprachige Stadt! Immer gewesen!” - “Pardon me, Sir, doch genau da liegen Sie falsch! Was glauben Sie denn, woher all die gälischen Ortsnamen im Dunstkreise von Edinburgh herstammen? Balerno, Corstorphine, Craigentinny etc.? - “Oh, aber falls das nicht alles bloß erfunden ist, ist es ewig lange her!” - “No, Sir, in der Tat nicht – es gab immer ein gälophones Kontingent in Edinburgh, und Hochländer besuchen noch immer die gälischen Predigten in der Greyfriars Kirk, wo Donnchadh Bàn Mac an t-Saoir, der Barde von Breadalbane, ruht – er diente in der Stadtwache in seinen letzten Jahren, und die bestand hauptsächlich aus Gälen!” - “Ach, wirklich? Rebellische Hochländer in der Edinburgher Stadtwache?” Der Herr begann zu grinsen. “Na, wenn man da mal nicht den Bock zum Gärtner gemacht hatte?” Ailig und Hugh tauschten genervte Blicke aus. Hugh und Rory begannen, den Gentleman, der so edel in seinen Manieren gar nicht war, feindselig anzustarren. Die Vier waren einer Meinung: Jener Mann war ebenso schlimm wie die Dunklen Jungen der Schwarzen Geiß, auf seine ganz eigene Art. “Sir, es mag Sie erschrecken, oder verblüffen, aber es gibt noch immer viele Gälen in der Polizeimacht hier in Edinburgh, mich selbst mit eingeschlossen. Ich bin übrigens Inspector Rory Cook, oder vielmehr Ruairidh Mac a’ Chòcair, aus Kintyre. Dieser Herr zu meiner Rechten ist Professor Ailig MacColla, ein Gelehrter und Muttersprachler des Gälischen, ebenfalls aus Argyll, Professor an der Universität zu Edinburgh, und unleugbar der Polizei eine große Hilfe in mysteriösen Dingen; ebenso wie der andere große Herr hier im Mantel und edlen Hut, Professor Isaac Brown, Gelehrter des Hebräischen und anderer alter semitischer Sprachen und Kulturen, und der Paläographie, gleichwohl ein fließender Gälophil- und phoner; und Dr. Hugh O’Gallagher, oder Hiúdaí Ó Gallchobhair vielmehr, aus Co. Donegal. Und wer sind Sie?” - “Mein Name ist John Torrance Dunkley, baldiger Direktor neuerer Sprachen an der Universität zu Aberdeen!” Da prusteten die Helden aber vor Lachen! “Siiie? Direktor der Neueren ... Sprachen?” Ailig verschluckte sich fast beim Lachen. “Mit Ihrem Verständnis für anderer Leute Sprachen und Kulturen? Nun, ehrlich, Sir, wenn man da mal nicht den Bock zum Gärtner gemacht hat!” - “Ja, aber ich lehre Französisch und kein Gestammel!” - “Nun dann” sagte Isaac, “zählen Sie sich glücklich, daß Sie nichts von dem grünen Brei jener abscheulichen Scheusale schluckten, sonst hätten Sie schlimmeres Gestammel von sich gegeben für den Rest Ihres armseligen, engstirnigen Lebens, als jetzt tatsächlich während der letzten paar Minuten!” - “Halten Sie Ihre Zunge im Zaum, Sir!” antwortete Torrance Dunkley, “Wenn meine Anwälte mit Ihnen fertig sind, werden Sie hier an dieser Universität nicht einmal mehr als Unterbibliothekar arbeiten! Geschweige denn als Hausmeister!” - “Also jetzt aber langsam!” antwortete Isaac, “Sie sollten etwas dankbarer sein!” - “Dankbar? Wofür?” fragte Torrance Dunkley herablassend und ungläubig. “A Bhalgair is a bhleagaird a tha thu ann! Mo sheachd mallachd ort!”[42] sagten Ailig und Rory wie im Chor, “hau doch ab zum Altar der Shub-Niggurath!” - “Dìreach sin! Ià Siub-Niogurath, a Ghobhar Dubh nan Coillte agus nam Mìltean de Chlann!”[43] - “Was haben die eben gesagt, my Irish friend?” fragte Torrance Dunkley Hugh. “Och, ich denke, sie haben soeben die Dunklen Jungen der Shub-Niggurath wieder hervorgerufen auf gut und sauber Aklo!” antwortete ihm Hugh, “Wissense, diese Herrn sind wohlbewandert in mysteriösen Dingen, sie kennen ihr Handwerk, wenn es um Beschwörungen und Formeln geht! Und da sie Ihnen vor ’ner halben Stunde den Arsch gerettet haben, als Sie einem der Dunklen Jungen in den Griffeln steckten, und Sie nur eklig zu ihnen waren danach, weil sie, wie ich selber, Gälen sind und ’ne andere Muttersprache und Kultur haben als Ihr Queen’s English, die nicht in Ihr viktorianisches Weltbild passen, dachten sie sich halt, jene Wesen aus’m Nichts wieder hervorzuholen!” Als Torrance Dunkley das hörte, packte ihn die Angst – es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben – und er entfernte sich so rasch wie möglich. Und die Vier erstickten nahezu an ihrem Lachen danach! Doch Lachen ist die beste Medizin, die schlimme Wirkung der Schwarzen Ziege auf den Geist zu vertreiben...
V.
“Also, welche Schlußfolgerung könnten wir nun aus dem Fall ziehen?” sagte Rory, als er das Schlamassel betrachtete, daß die Dunkle Brut der Schwarzen Geiß hinterlassen hatte, “Dem Schrott-Fall, wie man sagen könnte? Oder eben Pilzsuppen-Fall?” Die vier Recken hatten sich wieder vom Schlachtfeld Forrest Road in das Lokal von Mrs Bell begeben, um die Abgeschlagenheit und den Schrecken endlich und für immer mit ein paar Drams und Pints zu vertreiben, und ihre Seelen zu stärken für so manchen weiteren mysteriösen Fall. Dervla und Calum Roddy waren ebenfalls zum Pub zurückgekehrt. “Uill” sagte Calum Roddy, “Gaston war schon seit jeher kein Mensch, denn wir sahen, was sich hinter der menschlichen Maske versteckte – eine Art Satyr!” - “Gof’nn hupadgh Shub-Niggurath!” sprach Isaac, und es wurde plötzlich kälter im Lokal für einige Minuten. Die anderen zuckten zusammen, und Dervla fragte Isaac, was um alles in der Welt er wohl meinte. “Ich habe kein Aklo, und möchte solch eine üble, böse magische Sprache auch nie lernen, und deshalb, sag es auf gut Gälisch, was das heißt!” - “Das sind die dogmatischsten, fanatischsten, fundamentalistischsten Jünger der Shub-Niggurath und ihrer Brut; Menschen, die so schlimm unter ihrem Banne stehen, daß sie bereit sind, auf ewig ihr menschliches Wesen abzulegen, um durch die übernatürliche Macht jener widerwärtigen Göttin Satyrwesen zu werden!” Und da Isaac stets ein wahrer Gentleman war, schwieg er über den Prozeß, durch den jene finsteren Jünger üblicherweise ihre neue Form erhielten. Er erklärte jedoch, daß die Pilze, mit denen der ganze furchterregende Fall begann, ein weiterer Weg wären, durch den die Finsterbrut der Schwarzen Geiß ihre Reihen verstärkten.
Weder Isaac, noch jemand anders dieser sechs wackeren Veteranen wußte, daß diese höllischen Pilze Finsterbrut produzierten, die der Gestaltwandlung fähig waren, zwischen menschlicher Gestalt und der üblichen furchtbaren Form der Finsterjungen, und hatten leider Christelle Lassagne völlig verdrängt, die gerade ihre Metamorphose vollendet hatte – und nun auf Wunsch menschliche Gestalt annehmen konnte, wenngleich sie nun vollends zu einem Wesen der Finsterbrut geworden war, und ihr Geist völlig im Banne der Shub-Niggurath stand. Ein guter Anteil der Pilze in Gastons Beutel waren noch übrig. Und wenige Wochen nach den Ereignissen in dieser Geschichte eröffnete ein neues französisches Restaurant mit traditionellen Spezialitäten aus der Averoigne drüben in Corstorphine, ungeahnt von unseren Helden...
Epilog
Oh ja, ein letztes Wort zu den Sporen der Pilze, die noch in jenem niedergebrannten Flügel des Königlichen Krankenhauses existierten: Obwohl das Gebäude vom seligen Dr. Francis MacNeilis in Brand gesetzt wurde, um die Verbreitung des bösen Virus zu verhindern, lebten ein paar der Sporen noch im Kellergewölbe des Gebäudes. Es wurde abgerissen von den Autoritäten des Krankenhauses, und leider wurde es nie ausreichend desinfiziert, ehe das geschah. In den 2000ern, als das alte Gebäude des Krankenhauses verkauft wurde, während das eigentliche Königliche Krankenhaus an einen neuen Ort in Little France außerhalb Edinburghs umzog, wurde eine Sainsbury’s-Filiale gerade dort eingerichtet, wo sich die niedergebrannte Station befand. Kaum wissen die Leute, die dort nun einkaufen gehen, daß das Grundstück noch immer verseucht ist, die Sporen der verfluchten Pilze noch immer im Fundament vor sich hin schwären...Iä! Shub-Niggurath! O Schwarze Geiß der Wälder und der Tausende von Jungen!
- Axel Koehler
[1] Ailig chòir = schott.-gäl. “lieber / werter Ailig”. Ailig ist die gälische Form von Alex.
[2] O seadh? = schott.-gäl. “Echt jetzt? / Ach nee?! / Kiek mål!”
[3] Laomannachd = Das Gebiet am Ufer des Loch Lomond, gäl. Loch Laomainn, der nach dem Clan Lamont benannt ist, dessen Name aus der skando-gälischen Ära des westlichen Hochlands stammt und vom altnordischen Lagman = “Gesetzesmann”, cf. Engl. lawman, hergeleitet ist.
[4] Sin agat e, ’ille = schott.-gäl. “Da hast Du’s, Junge / So ist es, Junge.”
[5] Ceart gu leòr = schott.-gäl. “Richtig genug” (wörtl.) = “Alles klar, in Ordnung.”
[6] A nighinn = schott.-gäl. Vokativ (Anredeform) von “Mädchen, Tochter”, entspr. Min Deern im norddt. Sprachgebrauch.
[7] Anspielung auf eine gälische Redensart: Tha an ceòl air feadh na fìdhle, “Die Musik ist quer über der Fiedel” = “Die K*ck* ist am Dampfen!”
[8] An dà shealladh = schott.-gäl. “das zweite Gesicht”, die Fähigkeit, das Verborgene zwischen Himmel und Erde zu sehen und Geschehnisse vorauszusehen oder -zuahnen. Im deutschsprachigen Raum auch als der “sechste Sinn” bekannt.
[9] A Ghràidh = schott.-gäl. “meine Lieb(st)e”.
[10] Ollaimh MhicColla chòir = schott.-gäl. “Werter Professor MacColla”.
[11] Sin thu, ’Ailig! Tiugainn, ma tha! = schott.-gäl. “Da hast Du recht, Ailig! Laßt uns gehen!”
[12] Im Gälischen “spricht” man keine Sprache, man “hat” eine Sprache, bzw. eine Sprache ist “bei einem”: Tha a’ Ghearmailtis agam = Ich habe Deutsch, bzw. Deutsch ist bei mir.
[13] Gun robh math agat, a Dhearbhail chòir = schott.-gäl. “Danke sehr, liebe Dervla”.
[14] Die keltischen Sprachen sind auf dem Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen der romanischen Familie näher als der Germanischen. Von spätantiken / mittelalterlichen lateinischen Lehnworten im Gälischen abgesehen, sollte es daher kaum verwundern, daß es Wortähnlichkeiten und andere Parallelen gibt: So bedeutet das schottisch-gälische ceithir-fhichead, das irische ceithre scór, und das französische quatre-vingt allesamt “80” bzw. 4 x 20. Andererseits ähnelt das gäl. Wort nathair, “Schlange”, dem englischen adder und dem seit dem 8. Jh. - der großen Zeit der iroschottischen (=gälischen) Wandermönche in Mitteleuropa – im Deutschen nachweisbaren Wort Natter. Das französische Wort bzw. den sprechenden Namen Nathaire, “Natter”, gibt es im Französischen, und Altfranzöischen nicht: https://deaf-server.adw.uni-heidelberg.de/lemme/coluevre#coluevre; http://www.cnrtl.fr/etymologie/couleuvre; dafür aber das altenglische næddre, und eben das gälische nathair, Gen. Nathrach [naher, na’rach]. Der averonische Magier Nathaire hätte also durchaus ein gälischer Wanderscholar gewesen sein können: Nathair MacNathrach = “Schlange, Sohn der Schlange”.
[15] Ma tha = schottisch-gäl. “dann, also”.
[16] Nach bochd sin = schottisch-gäl. “Oh, wie arm!” / “Ist das nicht arm!”
[17] Cha chreideann sibh é = ir.gäl. (Donegal) “Ihr glaubt es nicht” / “Das glaubt Ihr nicht”.
[18] Tyke = regionaler Spitzname für Leute aus Yorkshire. Bedeutet soviel wie “Bengel” oder “Köter”.
[19] Mura bhfuil tú ceart... = ir.gäl. (Donegal) “Wenn Du nicht recht hast, sag ich nicht, daß Du Unrecht hast!”
[20] Nise, a nighean = schottisch-gäl. “Nun, Mädchen”
[21] Mòideartach = schottisch-gäl. “Mann/Person aus Moidart”
[22] Cnoideartach = schottisch-gäl. “Mann/Person aus Knoydart”
[23] O seadh? = schottisch-gäl. “Ach, ist das so?”
[24] Tiugainn, ’illean = schottisch-gäl. “Denn man to, Jungens, laat uns man gaan”.
[25] Tiugainn, mach à seo! = schottisch-gäl. “Nun aber nix wie raus hier!”
[26] Eine Luger Parabellum 08, wie sie einst – Anno 194-18 – im kaiserlichen Heere üblich war, und von der kaiserlichen Kriegsmarine an die irischen Widerstandskämpfer geliefert wurde, erwähnt in der Ballade Banna Strand.
[27] A Cháirde is a ghaolta chóra = ir.gäl. “Liebe Freunde und Verwandte”
[28] Go maithe Dia mo chuid peacaithe = ir.gäl. “Möge Gott meine Sünden vergeben”.
Go bhfoiri Dia orm, tá sé ag teacht, tá sé ag teacht, tá fíor-uafas an ghalair ag teacht = ir.gäl. “Möge Gott auf mich herabsehen, er kommt, er kommt, der wahre Schrecken der Krankheit kommt”.
Slán libh uilig = ir.gäl. “Lebt alle wohl”.
[29] Go lonraí solas suthain air, a Thiarna! = ir.gäl. “Möge ihm das ewige Licht leuchten, o Herr!”
[30] O seadh, mas fhìor = schottisch-gäl. “Aber ganz gewiß”; “Aber sicher...”, entspricht dem unterlandschottischen “Aye, (tha’ll be) right...”, mit dem gleichen skeptischen Tonfall.
[31] Tha e loma-làn dheth im Original = schottisch-gäl. “Er ist ganz voll davon” (Mist, Sch***e nämlich).
[32] British Bulldog von Webley, populärer plumper, großkalibriger Revolver der 1920er im britischen Empire.
[33] Leabhar Mòr Breac MhicMhuirich = schottisch-gäl. “das Große Gesprenkelte Buch des MacMhuirich”. Heute nahezu unbekanntes, okkultes Manuskript aus der gälischen Poetendynastie der MacMhuirichs, den erblichen Barden der Fürsten der Inseln – und nach der Zerschlagung des sog. “Königreichs der Inseln” durch die anglonormannisch-schottische Zentralregierung im späten Mittelalter noch bis 1746 die Erbbarden der MacDonalds von Clanranald. Es heißt gesprenkelt wegen der geheimnisvollen Blut-und Schleimflecken auf dem ledernen Einband...
[34] A Mhoire Mháthair! = ir.gäl. (Donegal) “O Mutter Maria!”
[35] Mo chreach, a Thighearna! = schottisch-gäl. “Mein Ruin, o Herr!”
[36] Beidh mé ceart go leor = ir.gäl. “Ich werde in Ordnung sein.”
[37] Na gabh dragh = schottisch-gäl. “Keine Sorge / mach Dir keinen Kopf.”
[38] Daingead = schottisch-gäl. “Verdammt! Verflucht! Etc.”
[39] Donnchadh Bàn Mac an t-Saoir (1724-1812), gälischer Poet und Wildhüter aus Breadalbane im zentralen schottischen Hochland, in den letzten Lebensjahren Soldat in der Edinburgher Stadtwache. Autor einer Elegie eines im Siebenjährigen Krieg in Deutschland gefallenen schottischen Hochlandoffiziers (1761). Liegt begraben auf dem Friedhof der Greyfriars Kirk unter einem Obelisken mit den Insignien des Poeten und Wildhüters. Nahe seines Heimatortes Dalmally und des von ihm vielbesungenen Beinn Dobhrain steht ein Denkmal zu seinen Ehren in Form eines runden Tempelchens. S. George Calder (ed.), Òrain Ghàidhealach le Donnchadh Macantsaoir: Gaelic Songs of Duncan MacIntyre (Edinburgh: John Grant, 1912); Angus MacLeod (ed.), The Songs of Duncan Bàn MacIntyre, 6th edn. (Edinburgh: Scottish Gaelic Texts Society, 1978); Axel Koehler, ’Two German Place-Names in the Work of Donnchadh Bàn’ in: Scottish Gaelic Studies XXIX (Winter 2013), pp. 1-13; Derick S. Thomson, ’Mac an t-Saoir, Donnchadh Bàn’ in: Derick S. Thomson (ed.). The Companion to Gaelic Scotland, 2nd edn. (Glasgow: Gairm, 1994), pp. 159-60.
[40] Dh’ fhaoidte gum bi = schottisch-gäl. “Vielleicht”
[41] Nach esan a tha a’ fàs dàna a rithist! = schottisch-gäl. “Schau an, wie frech er wieder wird!”
[42] A Bhalgair is a bhleagaird a tha thu ann! Mo sheachd mallachd ort! = schottisch-gäl. “Du Lump und du Schuft! Meine sieben Flüche auf Dich!”
[43] “Dìreach sin! Ià Siub-Niogurath, a Ghobhar Dubh nan Coilltean is nam Mìltean de Chlann!” = schottisch-gäl. “Genau das! Iä Shub-Niggurath, o Schwarze Geiß der Wälder und der Tausende von Jungen!”