Lovecrafter Online – Comic-Rezension: „Lovecraft“ von Alberto Breccia
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LordJohn -
10. März 2022 um 12:12 -
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Es ist schon beinahe zum Topos geworden, die Rezension eines Lovecraft-Comics mit der Feststellung zu beginnen, wie schwierig das Unterfangen einer bildhaften Umsetzung des eigentlich unbeschreibbaren kosmischen Grauens sei. Entweder läuft ein solches Unterfangen Gefahr, allzu naiv Monsterpulp ins Bild zu setzen oder es tut dem Leser im Grunde keinen Gefallen, da „dem Auge das Äußerste [zu] zeigen, heißt, der Phantasie die Flügel [zu] binden“ (Lessing, Laokoon III).
Es war also ein anspruchsvolles Projekt, das Alberto Breccia Mitte der 1970er Jahre wagte, als er eine Reihe von Lovecrafts Geschichten für seine Kunstform adaptierte. Im avant-Verlag ist 2018 eine Ausgabe von Breccias Werk in deutscher Übersetzung erschienen. Wie ist die Umsetzung in diesem Fall gelungen?
Was wird geboten?
Das Ding auf der Schwelle, Der Schatten über Innsmouth, Die Stadt ohne Namen, Das Grauen von Dunwich, Cthulhus Ruf, Die Farbe aus dem All, Der leuchtende Trapezoeder und Der Flüsterer im Dunkeln. Bibliographische Angaben zu Beginn des Bandes erlauben es nachzuvollziehen, in welchen (meist) italienischen Magazinen das Original jeweils erschienen ist. Auf den letzten Seiten finden sich ein kurzer Essay von Latino Imperato mit dem Titel Das Unsichtbare zeichnen, in dem die Umstände der Entstehung des Werks sowie Bemerkungen zur künstlerischen Umsetzung gemacht werden. Zusätzlich wurden einige Studien Breccias hinzugefügt, die einen Einblick in den Entstehungsprozess seiner Bilder erlauben.
Der Hardcoverband enthält auf 128 Seiten die Erzählungen Das Fest,Wie ist der erste Eindruck?
Eine erste Durchsicht vermittelt den Eindruck einer düsteren und abstrakten Bilderwelt, die gut zur Atmosphäre von Lovecrafts Geschichten passt und in einem interessanten Kontrast zum popartig-bunten Einband steht. Breccia benutzt ein breites technisches Repertoire aus Tusche, Bleistift, Aquarell, Collagen und einigen realistisch gezeichneten Bildern.
Was ergibt die Lektüre?
Die Texte sind nah am Original, wurden jedoch eines besseren Erzählflusses wegen vor allem zu Beginn der Geschichten oft gekürzt. Beispielsweise beschränkt sich die Einleitung von Die Stadt ohne Namen auf das Wesentliche zur Einführung des Ortes und lässt alle Bezüge zu frühen Hochkulturen, die sich im Original finden, weg. Der leuchtende Trapezoeder wird zwar mit dem Zitat aus Nemesis eingeleitet, doch die dem Geschehen vorgreifenden Kommentare zum Tod Robert Blakes und zu den merkwürdigen Begleiterscheinungen wurden ausgelassen. Die entfernten Passagen haben in den Geschichten die Funktion, Atmosphäre zu schaffen. Dies übernehmen bei Breccia die Bilder, sodass die Auslassungen einem Lovecraftpuristen vielleicht aufstoßen mögen, der Wirkung der Geschichten indes unterm Strich nicht abträglich sind.
Breccias Versionen von Lovecrafts Erzählungen entfalten ihre Kraft durch das Zusammenspiel der Textpassagen und den oft sehr abstrakten Bildern, die es dem Leser überlassen, sich aus den Formen, Flächen und Collagen eine eigene Vorstellung zu entwickeln. Zum Beispiel ist das Geschehen in den unterirdischen Höhlen in Das Fest nur durch größtenteils abstrakte und verzerrte Schemen angedeutet, das Erwachen gegen Ende der Geschichte erfolgt dann in einer durch Fotocollagen realistisch und klar umrissen dargestellten Welt. Breccias Umsetzung macht die Lektüre äußerst reizvoll und löst das eingangs erwähnte Problem souverän.
Fazit
Die Sammlung Lovecraft von Alberto Breccia ist ein eigenständiges, durch H. P. Lovecraft inspiriertes Kunstwerk, das Ansprüche an den Leser/Betrachter stellt. Man liest die Worte und muss sich dann aus den Schatten und Schemen an vielen Stellen selbst ein passendes Bild formen. Das ist eine reizvolle und interessante Leseerfahrung, die bedeutet, dass Breccias Band keine leichte Zerstreuung ist. Dies ist dann auch die einzige Einschränkung einer ansonsten vollumfänglichen Empfehlung.
Lovecraft
avant-verlag, 2018
Hardcover, 126 Seiten, 29,00 €
ISBN: 978-3-945034-82-8
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