Klassiker der deutschen Phantastik

  • Liebe Freunde,

    in den letzten Tagen fiel mir auf, dass ich persönlich zwar ziemlich fit in der englisch sprachigen Phantastik bin, aber über die heimischen Gefilde außer ein paar großen Name (Ewers, Kafka, Kubin, Meyrink ) wenig kenne.

    In diesem Topic soll es nicht um zeitgenössische Autoren (sagen wir seit den 80ern) gehen, sondern um den Zeitraum 1700-1979.

    Ich selbst habe hier

    Robert N. Bloch:Jenseits der Träume: Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Suhrkamp. 1990
    Lars Dangel: Wahngebilde. Edition CL. 2016
    Lars Dangel: Hinter dem Quecksilber. Edition CL. 2017
    Gustav Mayrink: Der Golem. Anaconda. 2006
    Gustav Mayrink: Fledermäuse. Müller. 1999
    Theodor Storm: Mondschein über dem Deich. Spukgeschichten und Märchen. Fischer. 2011


    Postet gern Autoren, Geschichten, Einschätzungen. Ich bin neugierig!

    “I couldn’t live a week without a private library – indeed, I’d part with all my furniture and squat and sleep on the floor before I’d let go of the 1500 or so books I possess.”
    H.P. Lovecraft in einem Brief vom 25. Februar/1. März 1929 an Woodburn Harris
  • Ein Name, der weniger bekannt als Ewers, Meyrink oder Strobl ist, aber in ihren Zeitraum fällt:

    Georg von der Gabelentz (1868 — 1940)

    Der Autor findet sich mit Kurzgeschichten in verschiedenen, relativ modernen Anthologien, etwa in Das dritte Buch des Horrors (Hrsg. Joachim Körber, 1992), auch Dangel (Hinter dem Quecksilber) hat ihn natürlich auf dem Schirm.

    Ich selbst lese z. Zt. Das Geheimnisvolle (1923), die Geschichte eines Mumienspuks in Form von Tagebucheinträgen.

    Als Neuauflage sei sein letzter Roman genannt: Das Rätsel Choriander (1929), eine Reminiszenz an E. T. A. Hoffmann, 2016 in der Edition Wehrhan (Wehrhahn Verlag) erschienen und mit einem aktuellen Nachwort versehen

  • Von Alfred Kubin habe ich Die andere Seite gelesen. Hatte dabei den Eindruck der Autor verwendet phantastische Elemente hauptsächlich dazu, nicht auf reale Personen oder Orte bezug nehmen zu müssen, während er seine Ansichten zu moderner Massengesellschaft und Politik darlegt. Als politische Utopie/Dystopie vielleicht ganz gut - aber als phantastischen Traumwelt-Roman hat das Buch mich enttäuscht.

    Ansonsten würde ich hier noch Goethes Faust einbringen, sowie die Märchen von den Gebrüdern Grimm sowie von Wilhelm Hauff.

    Falls sich deine Grenze von 1979 auf das Veröffentlichungsdatum bezieht und nicht auf die Lebenszeit des Autors, dann auf jeden Fall noch Krabat von Ottfried Preußler.

  • Natürlich muss das Gespensterbuch genannt werden, eine Geschichtensammlung, geschrieben und herausgegeben von August Apel und Friedrich Laun.

    Die bekanntesten Geschichten aus diesem 5 Bände umfassenden Werk dürften Die Totenbraut, Der Freischütz und Die Bilder der Ahnen sein. Einige der Geschichten wurden früh ins Englische und Französische übertragen. Der französische Band mit dem Titel Fantasmagoriana kursierte am Genfer See, als Mary Shelley, Lord Byron und John William Polidori sich Schauergeschichten ausdachten.

    Ich nenne eine Auswahl aus dem Insel Verlag mein Eigen, 1. Auflage 1992, ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Robert Stockhammer.

  • [mention]Chris[/mention] Dass dich Die andere Seite als "phantastischer Traumwelt-Roman" enttäuscht hat, hätte Kubin bestimmt nicht gerne gehört. :) So weit ich mit seiner Biografie und seinen Ansichten vertraut bin, lag es ihm – meiner bescheidenen Meinung nach – fern, eine politische Utopie oder Dystopie zu verfassen. Als seelisch sensibler Mensch haben ihn aber Phänomene wie Massengesellschaft, Tyrannei, Krieg, Verfall und Untergang nicht kaltgelassen, das wird auch schon anhand seiner Zeichnungen klar.

    Eine Dystopie, die vielleicht eher diesen Namen verdient, dürfte Berge, Meere und Giganten von Alfred Döblin sein (ganz recht, der vom Berlin Alexanderplatz), welche jedoch einige Jahre später als Kubins Roman erschienen ist, nämlich 1924.

    [mention]Nils[/mention] Wer sich für die Geschichte der deutschsprachigen Phantastik interessiert, sollte nicht wesentlich später als mit diesem Buch einsteigen (früher ist natürlich immer möglich).

    Ansonsten wird klar, dass wir hier munter zwischen den Jahrhunderten hin und her springen. Woran aber [mention]derTräumer[/mention] selbst die "Schuld" trägt, denn er fing ja mit Storm und Ewers, Meyrink usw. an, schlug also bereits die Brücke vom 19. ins 20. Jahrhundert. Mit dem Apel/Laun aber ragen wir stimmungsmäßig sogar noch ins späte 18. Jahrhundert hinein.

  • [mention]Chris[/mention]
    Die andere Seite von Kubin hab ich hier tatsächlich auch, den hab ich vergessen zu erwähnen. So schlechten Eindruck wie bei dir hat er bei mir tatsächlich nicht hinterlassen, aber das ist vielleicht ein Thema für einen eigenen Topic.

    [mention]Arkham Insider Axel[/mention]
    Ja, das ist tatsächlich richtig, weil für mich Storm (regional bedingt) immer dazu gehört und das 19. Jh. einfach literarisch extrem wichtig ist. Zum Beispiel schätze ich auch Kleist sehr, der wirklich großartige Geschichten hinterlassen hat und ja in begrenztem Rahmen auch etwas zur Phantastik beigetragen hat.

    Generell wäre das Optimum in meinen Augen für dieses Topic eine Chronologie der deutschen Phantastik.

    “I couldn’t live a week without a private library – indeed, I’d part with all my furniture and squat and sleep on the floor before I’d let go of the 1500 or so books I possess.”
    H.P. Lovecraft in einem Brief vom 25. Februar/1. März 1929 an Woodburn Harris
  • Eine Chronologie würde ich auch begrüßen, da die Phantastik ja bis zu einem gewissen Grad ihrer jeweiligen Zeit untergeordnet war/ist. Ich hätte ebenfalls Interesse daran, bei den sogenannten Klassikern weiter zu stöbern.

    Wie man sich aber denken kann, sind wir nicht die ersten, die auf solche Ideen kommen. :)

    Ich möchte daher noch eine Anthologie erwähnen, die – im Gegensatz zu den subkulturell gehypten und überteuerten Liebhaberprojekten – sehr gut und sehr günstig antiquarisch zu erwerben ist:

    Die Nebeldroschke. Deutschsprachige Gespenstergeschichten. Hrsg. von Herbert Greiner-Mai. Illustriert von Volker Pfüller u. a. Verlag Das Neue Berlin, 1982

    Das ist eine Sammlung, die nahezu wunschlos glücklich macht. Vom 18. Jahrhundert über die Klassiker des 19. bis hin in die fruchtbare Zeit der Weimarer Republik, liegt mit der Auswahl eine mustergültige Übersicht vor. Nachwort, Quellenverzeichnis und die tolle Schutzumschlag-Illustration von Klaus Ensikat runden die Anthologie ab. In einer Hinsicht ist das Buch allerdings verzerrend, denn es entsteht beim unbedarften Publikum der Eindruck, Schriftstellerinnen hätten auf dem Gebiet nichts zu sagen gehabt … was mitnichten der Fall ist!

    Wenn aber, wie behauptet wurde, Rudolf Lindaus "Wahngebilde" erstmals wieder mit der gleichnamigen Anthologie (Edition CL, 2015) in die Leserhände gelangt sei, so entspricht diese Aussage – siehe unten (Nr. 20) – nicht den Tatsachen.

    Es ist dann 1983 eine Ausgabe in der BRD erschienen (Nymphenburger), zusammen mit dem Gegenstück Der Vampir. Gespenstergeschichten aus aller Welt, aber das wäre ein Thema für einen anderen Thread.

    Wozu ich momentan nichts sagen kann, ist, ob die Texte in irgendeiner Form bearbeitet wurden, namentlich inhaltlich. Zumindest ist nichts angegeben. Aber diese Möglichkeit gilt es bei der Buchproduktion der DDR generell im Hinterkopf zu behalten.

    Inhaltsverzeichnis:

    • Johann Karl August Musäus: Die Entführung
    • Johann Wolfgang Goethe: Die Geschichte von der Sängerin Antonelli
    • Johann Peter Hebel: Das wohlbezahlte Gespenst
    • Heinrich von Kleist Das Bettelweib von Locarno
    • E. T. A. Hoffmann: Eine gräßlich gespenstische Geschichte
    • Karl August Varnhagen von Ense: Das warnende Gespenst
    • Johann August Apel: Der Freischütz
    • Friedrich Laun: Die Wachsfigur
    • Wilhelm Hauff: Die Geschichte von dem Gespensterschiff
    • Heinrich Heine: Der Geist des Doktor Saul Ascher
    • Willibald Alexis: Die Erscheinung von Anklam
    • Jeremias Gotthelf: Der Mordio-Fuhrmann
    • Friedrich Gerstäcker: Der tote Zimmermann
    • Theodor Storm: Am Kamin
    • Heinrich Seidel: Die Nebeldroschke
    • Kurt von Walfeld: Eine Gespenstergeschichte
    • Karl Emil Franzos: Allerlei Geister
    • Paul Heyse: Martin, der Streber
    • Alfred Schöne: Der blaue Schleier
    • Rudolf Lindau: Wahngebilde
    • Oskar Panizza: Die Kirche von Zinsblech
    • Gustav Meyrink: Eine Suggestion
    • Georg Heym: Das Schiff
    • Jakob Elias Poritzky: Der Unbekannte
    • Karl Hans Strobl: Die arge Nonn'
    • Ernst Scupin: Schloß Valnoir
    • Alexander Moritz Frey: Die Ernte
    • Wolf Durian: Die Haare der Lady Fitzgerald
    • Herbert Barber: Die Erzählung des Fürsten Niglinsky
    • A. de Nora: Antitodin
  • Ein sehr guter Tipp von Axel, den ich mit Nachdruck unterstütze!

    Ich hatte das Glück, Die Nebeldroschke einmal in einem öffentlichen Bücherschrank zu erstöbern. Das Gegenstück Der Vampir entdeckte ich im vergangenen Sommer zufällig in der ansonsten eher langweiligen Auslage eines Speicherantiquariats im Mecklenburgischen. Hier sind dann allerdings nur noch ausländische Autoren am Werk - mit Tolstoi, Dostojewski und Turgenjew immerhin drei Russen, was aber wohl nicht weiter verwundert.

    Zitat

    weil für mich Storm (regional bedingt) immer dazu gehört


    Übrigens ist die aktuellste Folge des "Gruselkabinetts" (Hörspielserie) die Storm-Geschichte Bulemanns Haus.

  • [mention]Nils[/mention]
    Ja, die wird auch in meinen Besitz übergehen, sobald ich mal wieder bei einem Multimedia-Händler meines Vertrauens anlande.

    [mention]Arkham Insider Axel[/mention]
    Das ist eine tolle Entdeckung für mich. Vielen Dank. Da musste ich umgehend ein Exemplar ordern.

    “I couldn’t live a week without a private library – indeed, I’d part with all my furniture and squat and sleep on the floor before I’d let go of the 1500 or so books I possess.”
    H.P. Lovecraft in einem Brief vom 25. Februar/1. März 1929 an Woodburn Harris

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