Lovecrafter Online – Filmkritik: Suitable Flesh
-
Michael H. -
28. Oktober 2024 um 12:00 -
315 Mal gelesen -
0 Antworten
In den 80er Jahren war das Lovecraft-Kino von den Werken Stuart Gordons wiederbelebt und geprägt worden, beginnend mit seinem Film Re-Animator (1985). Seine blutigen Genreperlen ließen, lose auf der Basis von Lovecrafts Kurzgeschichten basierend, eine wilde Mischung aus Horror, Gore und schwarzem Humor auf die Kinowelt los, die in dieser Form bis dahin einzigartig war. Ein liegengebliebenes Projekt setzte nach dem Tod Gordons nun Regisseur Joe Lynch mit Suitable Flesh um: eine etwas andere Version von Lovecrafts Geschichte The Thing on the Doorstep.
Handlung
Dr. Daniella Upton bekommt als neue Patientin in ihrer psychiatrischen Klinik ihre Kollegin und beste Freundin Dr. Elisabeth Derby eingeliefert. Sie hat offensichtlich einen ihrer Patienten bestialisch ermordet, besteht sogar darauf, dass sein Gehirn vollständig vernichtet werden müsse. Es gelingt Dr. Upton schließlich, die alte Freundin zu beruhigen. Elisabeth Derby erzählt daraufhin die phantastisch klingende Geschichte, die zu den Ereignissen geführt hat.
Sie wurde in ihrer psychiatrischen Praxis von dem jungen Mann Asa Waite aufgesucht und war sofort von dessen Psychopathologie und ihm selbst fasziniert. Offenbar an einer massiven Persönlichkeitsstörung leidend, wandelte sich vor ihren Augen sein Verhalten nach einem Anfall drastisch. Als Expertin für außerkörperliche Erfahrungen wird sie sofort ungesund von dem Fall angezogen, letztlich überschreitet Dr. Derby nach und nach alle Grenzen ihres professionellen Berufsstandes. Zuerst besucht sie das Haus, in dem Asa mit dem unheimlichen, schwerkranken Vater Ephraim Waite lebt. Dieser versuche, so behauptet Asa, seinen Körper zu stehlen und stehe kurz davor, damit erfolgreich zu sein. Elisabeth überlässt Asa nicht nur ihre Privatnummer, sondern lässt sich auch auf eine sexuelle Affäre mit dem offenbar so schwer gestörten jungen Mann ein. Sie riskiert ihre glückliche Ehe mit ihrem Gatten, Edward, und ihre erfolgreiche Karriere.
Ein Notruf in der Nacht führt sie wieder in das unheimliche Haus zurück. Die Konfrontation zwischen Asa, Ephraim und Elisabeth mündet nach wildem und von beunruhigenden Ereignissen geprägtem Sex mit Asa in ihrer Flucht, nachdem Asa scheinbar seinen Vater blutig hingerichtet hat und das Haus in Brand geriet. Dr. Derby zweifelt nach diesen verstörenden Erlebnissen zunehmend an der Realität ihrer Wahrnehmung. Die schlampig ermittelnde Polizei ist wenig hilfreich bei der Sortierung der Ereignisse und Fakten. Bei dem weiteren sexuellen Interkurs mit Asa kommt es erneut zu einem sehr unheimlichen Erlebnis, tauschen die beiden Liebenden dabei doch kurzfristig ihren Körper. Entsetzt erkennt Elisabeth: Asa hatte Recht, in seinem Körper nistet wie ein Parasit der ekelhafte Ephraim und dieser will nun offenbar ihren Körper. Er ist besessen von ihrer Weiblichkeit und den völlig neuartigen Erfahrungen, so einen Wirt zu steuern und sich so völlig neue Perspektive auf die Welt zu eröffnen. Doch wer würde Elisabeth glauben, wo sie die Geschichte doch selbst kaum glauben kann ?
Es beginnt ein Kampf gegen den unheimlichen Parasiten, um ihre geistige Gesundheit und ihren eigenen Körper. Eine Konfrontation in Elisabeths Büro mit Asa/Ephraim Waite führt zum Aufenthalt in der Klinik Dr. Uptons. Doch noch ist der Geist Ephraim Waites im Körper Asas nicht besiegt und die Klinik mit ihrer angegliederten Leichenhalle wird Zeuge einer wahnwitzigen und blutigen Entscheidung im Kampf um Körper und gegen den zunehmend schwelenden Wahnsinn.
Lovecrafteske Momente
The Thing on the Doorstep ist eine von Lovecrafts längeren Geschichten. Er schrieb diese im Jahr 1933, in seiner späten Phase vor seinem Tode im Jahr 1937. Es ist zudem eine seiner wenigen Geschichten mit einer für die Geschichte wirklich relevanten weiblichen Figur, Asenath Waite. Neben der Hexe Kasia Mason, die jedoch ohne persönliche Merkmale bleibt, ist sie die einzige echte Frauenfigur bei Lovecraft, die zahlreichen Kooperationen einmal ausgenommen. Asenath erweist sich letztlich zwar mehr als Transferkörper für den Hexer Ephraim Waite und ist nicht besonders feminin oder tief angelegt, stellt aber dennoch eine Seltenheit im Lovecraft-Kanon dar.
Suitable Flesh nimmt sehr viele Elemente der klassischen Geschichte und transferiert sie sowohl in die Moderne als auch in eine deutlich sexuellere Rahmenerzählung. Es gibt auch hier die Elemente der Hypnose aus der Geschichte, eingesetzt von Elisabeth Derby. Der Tausch der Sexualitäten der Hauptcharaktere ist dabei ein durchaus geschickter Schachzug und bringt neue Komponenten mit ein. Die heute aktueller denn je diskutierte Problematik der fluiden Geschlechterdefinition wird hier auf die Spitze getrieben, wenn Asa/Ephraim anmerkt: “It’s all Semantics”. Man muss aufpassen, will man den Überblick bewahren, welche ‘nominellen Geschlechter’ hier gerade was miteinander treiben und ob das einen erschreckt, ekelt oder nicht interessiert.
Lovecrafts ‘überlegener männlicher Körper’ als Ideal für den körper-springenden Magier wird hier vom stark triebgesteuerten Ephraim mit der Jagd nach dem ‘perfekten weiblichen Körper’ zur Erfüllung des übersteuerten männlichen Sexdrangs konterkariert. Für den Horroraspekt der Geschichte ist dies nur peripher wichtig, auch wenn Lovecraft sicherlich, ob der Explizität des Gezeigten, wohl weniger angetan gewesen wäre.
Das titelgenerierende Ding auf der Schwelle ist hier passenderweise weniger ein zerfließender denn ein zur Unkenntlichkeit zerstörter Korpus. Die relevante Körpertausch-Thematik wird einfach, aber effektiv mit Kameratechniken, Perspektiven und Schnitten umgesetzt und beruht vor allem auf dem exzellenten Schauspiel. Hier punktet der Film ebenso wie mit den durchaus stimmungsvollen Aufnahmen. Die sexuellen Bezüge und der recht ordentliche Blutzoll sind keine Huldigungen an die lovecraftsche Unbeschreiblichkeit des Grauens, sondern letztlich klar dem modernen Kino und den als Vorbild gewählten Filmen Stuart Gordons geschuldet. Ohne Ekel und Kopfkino kommt die Vorlage beim blubbernden zerfließen Edward Derbys/Asenath Waites rapide verfaulenden Körpers ja auch nicht aus.
Die in Lovecrafts Geschichte angeschnittene, eher puritanisch abgehandelte Darstellung von Sexualität, Ehe und Dominanz wird dabei auf 1000 Prozent hochgedreht. Lovecrafts eher fragmentarische Ehe- und Beziehungserfahrungen aus der gescheiterten Hochzeit mit Sonia Green und der gemeinsamen Zeit in New York sind hier in seine Geschichte und die Darstellung der Beziehungen zwischen Asenath und Edward Derby eingeflossen. Suitable Flesh konterkariert diese gehemmten Darstellungen und dreht den Kink-Faktor voll auf, was geneigte Purist*innen wohl als ebenso abstoßend wie unangenehm und unangemessen empfinden dürften, wie bei den alten Gordon-Filme. Dabei ist auch hier der Gehalt an Gore ähnlich hoch wie bei den alten Filmen, einschließlich der schrillen Überdrehtheit und 'Campiness'.
Viele kleine Easter-Eggs verweisen auf Lovecraft. Das Ganze spielt natürlich in Arkham, die Miskatonic University wird erwähnt, das Necronomicon taucht ebenso auf wie gezeichnete Tentakelwesen, ein cthuloider Fluch oder Zeitungen wie die Dunwich Press, die Polizeiwagen haben Arkham Police als Beschriftung und so weiter und so fort. Der Abspann benennt sogar das Filmverfahren als Cthulhuscope als augenzwinkernde Referenz an das bekannte Cinemascope. Das bei Lovecraft beliebte Spiel mit dem Wahnsinn und dem Verfall der Protagonisten in Selbigen wird gut dargestellt. Die Erosion des wissenschaftlich fundierten Weltbildes und die Nichtakzeptanz des Unerklärlichen führt gerade die Akademikerinnen Dr. Derby und Dr. Upton hier an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus.
Cinematographische Notizen
Das Drehbuch zu Suitable Flesh stammt von Dennis Paoli, der bereits bei allen Adaptionen Gordons die Drehbücher übernahm, von Re-Animator, From Beyond, Dagon über Castle Freak bis zu Dreams in the Witch House der Masters of Horror Serie. Es war bereits zur Verfilmung durch Gordon vorgesehen und entstand zur Zeit der Verfilmung von Dagon. Im Laufe der Jahre gab es immer mehr Probleme, solche Projekte finanziert zu bekommen und letztlich starb Gordon vor der Realisierung. Alle Kernelemente der Geschichte Lovecrafts sind vorhanden, wenn auch immer modifiziert und modernisiert.
Regisseur Joe Lynch (Mayhem / Wrong Turn 2) konnte neben Paolini weitere Veteranen der alten Verfilmungen mit an Bord bekommen. So produzierte Brian Yuzna den Streifen wieder mit. Der geplante Gastauftritt von Jeffrey Combs scheiterte aus Termingründen zwar, aber Fan-Favorit Barbara Crampton (Re-Animator/From Beyond) kehrte hier als Dr. Upton bravourös zurück und interpretiert ihre Rolle wie die Figur der Dr. Michaels aus From Beyond. Sie fungierte als Produzentin und Motor hinter dem Zustandekommen des gesamten Projekts. Sie brachte auch Heather Graham (Austin Powers) für die Hauptrolle ins Gespräch, die hier eine beeindruckende Tour-de-Force performt und die verschiedenen ihr innewohnenden Charaktere ausdrucksstark zum Leben erweckt, ohne das Ganze zur Farce zu überspannen. Judah Lewis (The Babysitter) und Johnathon Schaech (Creepshow-Serie) sind neben dem großartig-schmierigen Gastauftritt von Bruce Davison (X-Men) als brüllend komischer und gleichzeitig bedrohlicher Ephraim Waite weitere Punkte auf der Habenseite des Films.
Es gelingt sehr gut, die Balance zwischen Grauen und schwarzen Humor im Sinne der alten Stuart Gordon-Filme zu halten, zusätzlich ein wenig Body-Horror à la David Cronenberg und eine Portion 90’er Jahre Erotikthriller einzubauen.
Gedreht wurde unter anderem in einer echten Leichenhalle und in dem schon für Re-Animator verwendeten James W. Wadsworth Building in Los Angeles, das hier die Miskatonic Medical Clinic doubelt. Die meisten Effekte sind praktisch und mit klassischem Make-up und Spezialeffekten, größtenteils ohne CGI, vor Ort umgesetzt worden. Produziert hat neben dem US Sender Shudder die RLJE Films (ob es mehr als eine phonetische Verbindung zu R'lyeh gibt ?).
Bewertung
Für sein geringes Budget und die begrenzte Drehzeit schafft es Regisseur Lynch mit seinem Cast hervorragende Unterhaltung mit lovecraftesken Themen auf die Leinwand zu bringen. Lovecraft hatte nie ein Problem mit der hemmungslosen Darstellung seiner Ängste in seinen Geschichten, ähnlich schafft dies der Film. Die Unsicherheit über sich selbst, die eigene Identität, das eigene Geschlecht und die Angst vor dem Verlust des eigenen Ichs bringt die Geschichte gekonnt in eine Body-Switch-Geschichte verpackt vor. Im Gewand des B-Horrorfilms mit schwarzhumorigen Elementen werden hier Themen wie Geisteskrankheiten, körperlicher Verfall und Identitätsverlust angeschnitten, auch wenn es sich hauptsächlich um einen spaßigen Film von Fans für Fans handelt.
Einige Limitierungen des Budgets merkt man dem Film deutlich an, sie führen dabei aber auch zu großartigen Kreativ-Lösungen. Kleine schauspielerische Manierismen entlarven die Übernahme des Körpers statt wilder Effekte, wie die Fingerhaltung des durch einen Schlaganfall geschädigten Gehirns Ephraim Waites. Die wilden Schnitte, Unschärfen und die rotierende Kamera u.a. bei den Körpertausch-Sequenzen gehören ebenso zum geschickten Umgang mit den Ressourcen wie ein effektiver und blutiger Mord, der hauptsächlich auf dem Bildschirm einer Assistenzkamera zum Rückwärts-Einparken eines Fahrzeugs gezeigt wird. Man merkt den Schauspielern an, wie viel Freude sie bei den Dreharbeiten und mit ihrem exaltierten Spiel in ihren Rollen hatten. Barbara Crampton, Judah Lewis und vor allem Heather Graham spielen sich die Seele aus dem Leib und interpretieren in einem passenden Maß an Overexpression, ohne je ins komplett Lächerliche abzugleiten. Die vielen liebevollen Details und Referenzen erfreuen das Herz des Fandoms und halten über die gesamte Laufzeit bei Laune.
Spannung und dunkle Komik halten sich geschickt die Waage. Wer die Filme Gordons mochte, kommt hier voll auf seine Kosten. Wer diese Versionen von Lovecrafts Geschichten nicht mag, sollte wohl besser auch hier fern bleiben.
Fazit
Suitable Flesh macht Spaß und schaffte es, bei mir die Illusion zu erzeugt, eine übersehene VHS Kassette mit einer vergessenen kleinen Arbeit von Stuart Gordon aus dem Lovecraft Kosmos der 80’er Jahren zu entdecken; eine schmutzige, modernisierte und blutige Version von The Thing on the Doorstep.
Shiggurath! Fthagn! Kamog! Iäh! Jemand aus dem Jenseits hat meinen Körper übernommen und zwingt mich, diese positive Rezension zu schreiben…Iäh ! Iäh! Iäh! Kamog!