Lovecrafter Online – Filmkritik: Baskin
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Seanchui -
5. August 2024 um 12:00 -
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H. P. Lovecraft war trotz seines Rassismus von der arabischen Kultur fasziniert. Seit der frühen Jugendlektüre von 1001 Nacht benutzte er viele Elemente der östlichen Kultur in seinen Werken, man denke an den verrückten Autor des Necronomicon, Abdul al Hazred. Wenn ein Film aus diesem Kulturkreis im Gegenzug lovecraftsche Themen behandelt, weckt das die Neugier von filmliebenden Kultist*innen. Der Film Baskin, das Regiedebüt des türkischen Filmemachers Cam Evrenol aus dem Jahr 2015, führt in brutaler Weise vor, wie die Kult-Zeremonie einer Sekte inklusive rituellem Menschenopfer wohl aussehen würde.
Handlung
Ein rätselhafter Alptraum aus der Jugend verfolgt den jungen Arda bis zum heutigen Tag. Als Teil einer fünfköpfigen Polizeieinheit verbringt er den Abend zusammen im Stammrestaurant mit Essen, Sportwetten und witzigen, teils schlüpfrigen Geschichten. Als Neuling versucht Arda, sich in die robuste Gruppe um Chef Remzi, der ihn väterlich betreut, einzugliedern. Nachdem Hitzkopf Yavuz einen Streit mit einer Bedienung vom Zaun gebrochen hat und ein weiterer Kollege eine alptraumhafte Vision im Badezimmer hat, geht es auf Streiffahrt im kleinen Dienstbus. Das singende Miteinander wird jedoch bald gestört. Die Gruppe wird zur Unterstützung einer anderen Polizeigruppe beordert. Diese hat bei einem Einsatz im berüchtigten Gebiet Inceagac um Hilfe ersucht. Über das Gebäude am Ziel kursieren seltsame Gerüchte und hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich Schauergeschichten über das Gebäude.
Einige seltsame Ereignisse auf der Fahrt kulminieren in einem Unfall, der Wagen landet an einer Brücke im Fluss. Arda hat beim Unfall wieder Visionen, die ihn an die aus seiner Kindheit erinnern. Zudem führt er ein seltsames Gespräch mit Chef Remzi, plötzlich wieder im Restaurant, dessen Finale ihn in den Fluss zurückbringt. Glücklicherweise liegt der Unfallort quasi vor Ort, einer der örtlichen Frösche-Sammler muss die Kollegen nur ein kleines Stück durch den Wald zu ihrem Ziel führen.
Das alte, verfallene Haus ist eine ehemalige Polizeiwache der Ottmann-Epoche. Davor erwartet ein verlassener Dienstwagen die Gruppe, von den Kollegen fehlt jede Spur. Nachdem der Führer geflohen ist, stößt die Truppe ins Innere des Gebäudes vor. Sie stoßen auf seltsame Artefakte, wie an bizarre Windspiele oder Traumfänger erinnernde Objekte aus Haaren, die kultisch wirken. Daneben sehen sie blutige Eier, massenweise Frösche, mystische Wandmalereien und andere Kuriositäten in den dunklen, verlassenen Gängen. Schließlich finden sie einen der zuvor in das Haus beorderten Kollegen, der aber apathisch Selbstverstümmelung betreibt, indem er seinen Kopf wieder und wieder auf die blanke Mauer hämmert.
Ein Treppenhaus führt weiter in die Tiefe. Je tiefer sie kommen, desto seltsamer werden die Geschehnisse, bis die Ordnungshüter plötzlich selbst die Gejagten sind. In den tiefen, verschachtelten Gewölben des Gebäudes lauert ein uralter Kult und der hat in dieser besonderen Nacht ein besonderes Ritual geplant. Diese Nacht der durchlässigen Grenze zwischen den Welten dient einer besonderen Zeremonie, deren vorbestimmte Teilnehmer auch die Polizeigruppe ist. Ein blutiges Ritual soll über die Schuld der Männer richten, ihr Schicksal besiegeln und dabei eine uralte Prophezeiung erfüllen. Für Arda und die Kollegen beginnt ein blutiger Alptraum, der die Grenzen zwischen Realität und Alptraum sprengt und das Tor zur Hölle aufstößt.
Lovecrafteske Momente
Die klassischen Motive Lovecrafts durchziehen als ein festes Element diesen filmischen Alptraum, er mischt sie geschickt mit den kulturellen Besonderheiten der Türkei. Das unausweichliche Schicksal der Protagonisten ist Kultist*innen ein aus zahllosen Geschichten bekanntes Motiv, besonders prominent beispielsweise in The Shadow over Innsmouth. Kult-Rituale mit Zugang zu einer anderen Dimension gibt es im The Dunwich Horror ebenso wie die Thematik der Menschenopferung in The Horror at Red Hook oder der eindrücklichen Inspektor-Legrasse-Episode in The Call of Cthulhu.
Die alptraumhafte Erzählweise mit der Verknüpfung irrealer und realer Ereignisse erinnert neben anderen Elementen an The Dreams in the Witch-House, die Lokalisation des im Untergeschoß angesiedelten Finales hat Elemente des The Shunned House, die scheinbar unendlich ins Dunkle hinab führenden Stufen finden sich u.a. in The Testimony of Randolph Carter oder The Nameless City, das Mystische, Zeit und Raum hinter sich lassende Motiv aus The Silver Key taucht prominent und metaphorisch auf. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen, es können kleine Anspielungen auf Lovecraft oder andere literarische Quellen wie Poe und Machen gefunden werden. Dazu kommen einige Hommagen an Filme. Das alles verwebt der Film mit vielen Motiven des arabisch/türkischem Kulturkreis zu einer ganz eigenen Melange.
Es ist kein Zufall, welche Tiere, Symbole, Orte und Rituale hier verwendet werden. Kröten stehen als Zeichen des Wandels. Dass der Unfall an einer Brücke passiert ist, ist tief in der Symbolik des Zoroastrismus/Zarathustrismus verankert. Diese vorchristliche Religion war lange Zeit in dieser Weltregion, vor allem im iranischen Kulturraum, vor-islamisch weit verbreitet. In ihr wird an der sogenannten Cinvat-Brücke die Welt der Toten von der der Lebenden getrennt und es werden die Seelen gerichtet. Ein Kampf zwischen Gut und Böse steht hier im Zentrum dieser Religion, tief unten im Dunkel lauert Ahriman, der Herr der Zerstörung und des Todes im dauernden Wettstreit mit Ahura Mazda, dem Herrn der Weisheit. Dieser, eher an den Versuch der Kanonisierung der lovecraftschen Götterwelt durch August Derleth erinnernde, Gut/Böse-Ansatz ist Schlüssel zum tieferen Verständnis der im Film angewendeten Symbolen. So wie etwas Hintergrundwissen bei der Wertschätzung einer Geschichte Lovecrafts förderlich sein kann, erweitert sich hier die philosophische Tragweite des ansonsten konventionell wirkenden Handlungsbogens.
Wer will, kann hier den Interessen Lovecrafts nacheifern und sich mit einem Aspekt der arabischen Kultur vertraut machen. Wie Lovecraft verwendete der Regisseur einen Alptraum seiner Jugend als Grundlage für das Drehbuch. Zwar bezieht sich Regisseur Evrenol bei seinen Inspirationsquellen explizit auf den Autor aus Providence, die Subtilität des Grauens in einer Erzählung Howard Phillips Lovecrafts darf man beim Film Baskin allerdings wirklich nicht erwarten. Als Alptraum in Filmgestalt funktioniert der Film auch ohne Hintergrundwissen. Das interpretationsbedürftige Ende dürfte in diesem Falle aber noch kryptischer ausfallen, als es ohnehin ist.
Baba/Father. “Hell is not a place you got to. You carry Hell with you at all times. You carry it inside you.”
Cinematographische Notizen
Der Film ist das Langfilm-Debüt des Regisseurs Can Evrenol, basierend auf seinem gleichnamigen Kurzfilm von 2013. Diesen sah Regisseur Eli Roth (Cabin Fever/Hostel) auf dem Sitges Festival und ermutigte Evrenol, eine Langfassung anzufertigen. Neben den Lovecraft Einflüssen gab er im Interview noch die Werke von Paul Verhoeven, David Lynch und Dario Argentos als Inspirationsquelle an. Dabei standen ihm nur 350.000 Dollar zur Verfügung, die er letztlich unabhängig finanzierte.
Die 28 tägigen Dreharbeiten in Istanbul fanden teilweise heimlich statt. Einige der Aufnahmen, die nur nachts erfolgten, benötigten nackte Personen und viele seltsame Kulissen an seltsamen, abgelegenen Orten. Dadurch hatte Evrenol stets Angst vor Problemen mit den Behörden oder tief religiösen Hardlinern, die die "obszönen" Praktiken bemerken und anzeigen könnten.
Die treibende Musik stammte vom Duo JF (Ulas Pakkan & Volkan Akkap) in Anlehnung an Filmmusiken wie Hellraiser oder die Werke John Carpenters.
“Ich habe Baskin gedreht als Schlag ins Gesicht der türkischen Popkultur und des guten Geschmacks", sagte Evrenol im Interview zum Film. Dies hat die durchmischte Kritik zur Kenntnis genommen. Gelobt für seine alptraumhafte Athmosphäre, seine stimmungsvollen Bilder und seine für das Budget hervorragende Umsetzung in allen technischen Aspekten, scheidet spätestens das letzte Drittel die Geister. Hier wird wirklich explizite Gewalt in allen Facetten des Horrorfilms im wahrsten Sinne des Wortes zelebriert. Das ist natürlich der Storyline und der Natur der Sache geschuldet, Kameramann Alp Korfali hält ohne Schnitt und Abblendungen bei allen Höllenqualen der Polizisten drauf und liefert dem Zuschauer eine ebenso qualvolle Anspannung beim Betrachten der blutigen Rituale. Auch die Symbolik ist für manche an westliche Tropen gewohnte Rezensent*Innen ungewohnt bis unentschlüsselbar, so dass manche ihm vorwarfen, im letzten Drittel ein sinnloses Gore-Fest zu inszenieren. Dabei spiegeln die Folterungen der Polizisten ihre vorher (im Restaurant) angedeuteten persönlichen Sünden wider.
Eine seltene Hautkrankheit sorgt für das äußere Erscheinungsbild des "Father"-Darsteller Mehmet Cerrahoglu und unterstützt dessen wirkungsvollen Auftritt. Die Inspiration dazu war die Figur des Colonel Kurtz in Apocalypse Now.
Filmisch kann man weitere Lieblingsfilme des Regisseurs und Inspirationsquellen für Baskin deutlich erkennen: The Descent (2005), Nightmare on Elm Street (1984), Frontiers (2007). Regisseur Evrenol ist bis heute, teilweise bei europäischen, teilweise bei US-Filmen und Serien tätig, die eindringliche Intensität seines Erstlings hat er wohl nicht mehr erreicht.
Bewertung
Als Schlag in die Magengrube ist Baskin wirklich gut geeignet. Er schafft es, mit seinen beschränkten Mitteln eine hervorragende, dunkle Stimmung aufzubauen und den Alptraum-Charakter dieser Nacht zu vermitteln. Die Schauspieler sind alle in ihren grob geschnitzten Rollen glaubhaft genug, um Interesse zu entwickeln, auch wenn sie bis auf Arda zunächst recht unsympathisch sind. Es gibt in den ersten Minuten wenig Identifikationsmöglichkeiten, alles ist - gewollt - etwas chaotisch und unzusammenhängend. Eben wie in einem Traum, speziell einem seiner eigenen Logik folgendem Alptraum. Der gesamte Film kann auch als ein bizarrer Alptraum Ardas gelesen werden.
Die durchgehende Kompetenz der Ausführung und die Mystik der Ereignisse kann den Zuschauer fesseln und in den Film hineinziehen. Die Interpretation der Ereignisse hat mich persönlich so interessiert, dass ich zum Einen Nachforschungen zum kulturellen Hintergrund betrieben habe und den Film zum Anderen erneut gesichtet habe. Und das, obwohl ich bei der unbefleckten Erstsichtung vom Finale zunächst ein wenig abgestoßen, irritiert und verwirrt war. Inzwischen kann ich es als blutiges Alptraum-Finale einer kultischen Opferzeremonie wertschätzen, es zeigt graphisch, wie ein solches Ritual wohl in Wirklichkeit aussehen würde. Und wie es sich anfühlt, denn man ist hier meiner Einschätzung nach stärker involviert als bei manch einem Folterfilm der Saw- oder Hostel-Reihe. Wer also die starken Magenwände und das entsprechende Gore-Gemüt mitbringt und eine etwas surreale Erzählweise goutiert, darf Baskin gerne mal ansehen.
Fazit
Ein surrealer, blutiger Alptraum. Für Anhänger*Innen Lovecrafts mit hohen Nehmerqualitäten und einer entsprechenden kulturellen Aufgeschlossenheit eine Empfehlung. Eine etwas andere Interpretation einer lovecraftesken Horrorvision.