Lovecrafter Online – Filmkritik: Life
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Michael H. -
8. Januar 2024 um 12:00 -
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"Cosmic Horror" ist eines der Stichworte, die mit dem Namen Lovecraft untrennbar verbunden sind. Gerade seine späten Erzählungen neigten dem aufkommenden Science Fiction-Genre zu und spielten mit dem Motiv des namenlosen Grauen, das die Erde mitsamt der Menschheit aus dem All bedroht. Daniel Espinosa nahm sich in seinem dunklen SF-Thriller Life von 2017 dieser Thematik an und konfrontiert eine Crew an Bord der Raumstation mit einer tödlichen Bedrohung aus dem Weltraum.
Handlung
Die sechsköpfige Crew an Bord der Internationalen Raumstation erwartet die Rückkehr eines Satelliten aus dem All. Dieser bringt Gesteinsproben von der Marsoberfläche zurück. Die Raumstation dient als Quarantäne-Station und natürlich für Experimente durch Exobiologen Hugh Derry. Das riskante Abfangmanöver zum Einfangen des schnell herannahenden Raumschiffs gelingt Astronaut Rory Adams und die Probe gelangt in das Labor. Schnell bahnt sich eine Sensation an, scheint es doch Zellen in der Probe zu geben, die eindeutig auf Leben hinweisen. Als man diese einer Atmosphäre aussetzt, die der der frühen Erdgeschichte ähnelt, beginnt die Zellteilung. Leben! Die Nachricht verbreitet sich auch auf der Erde und schnell wird das kleine Petrischalenwesen Calvin getauft. Unter den wachsamen Augen der Quarantäne-Expertin Miranda North wird es gepflegt, gehegt und gefüttert. Es wächst über eine Zellklumpen-Phase zu einer Art Pflanze heran und beginnt, auf die Umgebung zu reagieren.
Eine Leckage im Labor scheint dann unerwartet das Ende Calvins zu sein. Das Wesen, inzwischen eher eine Art Seestern, reagiert nicht mehr. Als der Versuch erfolgt, mittels Elektroschocks Calvin wieder zu stimulieren, erfolgt die Katastrophe. Das Wesen wehrt sich gegen den vermeintlichen Angriff, fällt Derrys Hand an und bricht schließlich aus dem Containment aus. Der Versuch Rorys, den verletzten und bewusstlosen Exobiologen zu bergen, gelingt zwar, aber als Folge ist nun Rory mit dem wehrhaften Außerirdischen eingesperrt. Alle Versuche, Calvin zu töten, scheitern und auch das Labor hält die immer größer und intelligenter werdende Lebensform nicht mehr auf.
Die Verbindung zur Erde reißt ab und die kleiner werdende Crew um North und den Arzt David Jordan versucht, den Schaden zu begrenzen. Das Wesen darf die Raumstation keinesfalls Richtung Erde verlassen, die Folgen für die Menschheit wären katastrophal. Die Versuche, Calvin zu isolieren oder zu töten, schlagen jedoch desaströs fehl. Immer mehr Crewmitglieder sterben, Calvin wird größer, intelligenter und gefährlicher. Ein Raumschiff von der Erde bringt keine Hilfe, sondern destabilisiert den Orbit der Station, sie droht abzustürzen. Jordan versucht, die Rettungskapseln für einen letzten, waghalsigen Plan zu nutzen. Calvin, die Astronauten und die Menschheit bestreiten einen Kampf ums Überleben.
Lovecrafteske Momente
Ich gebe an dieser Stelle eine milde Spoiler-Warnung für das Ende des Films: Besser erst den Film genießen und dann lesen.
Das Motiv der Gefahr aus dem All ist vor allem durch die SF-Pulphefte, Comics und Filme in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts populär und beliebt geworden. Den Grundstein dafür kann man in den Werken Lovecrafts früh sehen. Schon Cthulhu und das Sternengezücht oder die Mi-Go seiner Werke sind klar außerirdischer Natur - manchmal aus fremden Dimensionen - und immer sind sie eine Gefahr für die ahnungslose Menschheit. Das Motiv der schlafenden Gefahr wird im Film wissenschaftlich verankert, ist die Lebensform Calvin doch wie eine Spore im Winterschlaf, ehe sie bei passenden Umweltbedingungen (wenn die Sterne günstig stehen) erwacht und versucht, die Herrschaft an sich zu reißen. Wie stark die Theorien Darwins und das Abweichen von der Evolution als Spielwiese für das Grauen Niederschlag im Werke Lovecrafts gefunden haben, zeigt sich z. B. in At the Mountains of Madness, wo Danforth und Dyer eine komplette Historie des Lebens in Reliefform finden, ähnlich wie in The Nameless City. Das Wesen Calvin in Life durchläuft mehrere Entwicklungsstadien, von Zelle zu Zellhaufen über tentakel-bildend zu pflanzen-ähnlich, dann seestern-förmig bis hin zum voll ausgebildeten Calvin, der viel von dem von Lovecraft so verabscheuten Meeresgetier hat. Eine Mischung aus Rochen und Kraken mit Raubtierschädel und Tentakeln, perfekt für die Fortbewegung in der Schwerelosigkeit. Die Filmemacher bleiben dabei im naturwissenschaftlich Denkbaren, aber möglichst beunruhigend und phantasievoll umgesetzten Bereich des Möglichen.
Dabei ist Calvin aus multiplen, gleichen, aber flexibel arbeitenden Zellen aufgebaut, die einfach die jeweils notwendige Aufgabe übernehmen. Das gleicht den Shoggothen Lovecrafts, die statt Zellen ihr Protoplasma entsprechend formen und verändern können und somit ähnlich anpassungsfähig an eine verändernde Umwelt sind wie Calvin. Wie die Älteren Wesen Schoggothen als Apex-Predatoren erschufen und ihnen letztlich nicht gewachsen waren, belebt die Crew den Spitzenprädatoren des Mars wieder und kämpft mit den Konsequenzen. Wie die Wesen Lovecrafts ernährt und vergrößert sich Calvin durch Absorption seines Opfers und ist extrem stark.
Ein weiteres Motiv im Film ist die Neugier, die ins Verderben führt. Die Menschheit findet, untersucht und belebt außerirdisches Leben, um es zu erforschen. Die Tagline des Filmes passt: Be careful what you search for, ein Satz, der sicher auch auf Lovecrafts Gedankengut spiegelt. Calvin ist neugierig und interagiert, jedoch nur mit einem Zweck: Überleben. Der Film deutet an, dass Calvin der Grund für die heutige Leblosigkeit des Mars sein könnte. Apokalypse und Auslöschung ganzer Zivilisationen und Planeten sind oft Konsequenzen von Lovecrafts höheren Wesen.
Für die einfachen Stadien des Lebenszyklus Calvins diente den Filmemachern interessanterweise der Schleimpilz Dictyostelium als Vorbild. Als Kultist oder Kultistin werden natürlich hier Assoziationen an Fungi von Yuggoth wach. Der Film hat viele Parallelen zu den Abläufen in At the Mountains of Madness. Eine wissenschaftliche Forschung führt zu atemberaubenden Entdeckungen, die forschende Neugier enthüllt im Verlauf düstere Fakten und es kommt letztlich zu Tod und einem Überlebenskampf, der zum Ende der Menschheit führen kann. Die Isolation in der Station/Arktis-Stadt in einer lebensfeindlichen Umgebung mit einer in der Dunkelheit lauernden Gefahr erzeugt hier wie dort eine wirkungsvolle Stimmung der Klaustrophobie und Angst. Die Entwicklung seiner Geschichte zu einem schockierenden Höhepunkt, welcher den Leser mit dem ultimativen Grauen konfrontieren soll, fügt der Film seine eigene, bitterböse Variante hinzu.
Cinematographische Notizen
Inspirationsquelle für Life war natürlich Ridley Scotts Alien. Die Drehbuchautoren Rhett Reese (Zombieland) und Paul Wernick (Deadpool) lieferten ein Script für einen Weltraum-Horror-Thriller ab, der komplett an Bord der ISS und damit in Schwerelosigkeit spielt. Um dies realistisch und akkurat umzusetzen versammelte Regisseur Daniel Espinosa ein großes Team an Spezialisten und Wissenschaftlern um sich, um die vielen Herausforderungen des Drehbuchs umzusetzen.
So ließ man sich von einem realen Vorfall des Astronauten Luca Parmitano von 2013 inspirieren, dessen Helm sich mit Kühlwasser füllte und kreierte eine ähnliche Sequenz für den Film. An - später retouschierten - Seilen hängend und oft mit schweren Raumanzügen ausgestattet, gestaltete sich der Dreh herausfordernd. Rebecca Ferguson (Dune) fühlte sich der Rolle zunächst nicht gewachsen, sie hielt sich für zu schlecht im Vergleich zum Team-Standard. Sie konnte vom Regisseur aber von diesen Zweifeln abgebracht werden. Auch ansonsten prominent besetzt mit Jake Gyllenhaal (Donnie Darko), Ryan Reynolds (Deadpool) und Hiroyuki Sanada (Sunshine) sowie einem soliden Budget ausgestattet (58 Mio. US-Dollar), lief der Film aber mit einem Einspielergebnis von rund 100 Mio. US-Dollar eher mäßig in den Kinos. Trotz großem Aufwands, guter Effekte und einer originellen, außerirdischen Wesenheit überzeugte er viele nicht. Der Vergleich zum großen Vorbild und das konsequente, aber bittere Ende waren keine guten Bedingungen für einen Blockbuster.
Der Film startet mit dem Song Spirit in the Sky, der für den Life-Broadcast der problembehafteten Apollo 13-Mission genutzt wurde. Der Film steckt voller Filmzitate und Anspielungen. So spielt Ryan Reynolds hier quasi die Marion Crane aus Psycho. Er konnte wegen eines anderen Filmes (The Killer's Bodyguard) nur begrenzte Zeit am Set sein und fiel daher als Hauptdarsteller aus. Die Filmmusik von Jon Ekstrand hat sich die Werke Bernard Herrmanns (Psycho) zum Vorbild genommen, auch um diesen zu würdigen. Wie die Musik zu Beginn des Filmes zunächst epochal und episch die positive Phase der Entdeckung untermalt, nur um im Verlaufe parallel zu den Ereignissen immer düsterer und dissonanter zu werden, ist schon effektiv. Der Filmtitel - er erscheint erst, wenn Calvins erste Zelle erwacht - wird noch triumphal begrüßt.
Einige Dialoge entfernter Szenen sind Varianten berühmter Filmzitate: “In Space: no one can hear you eat” (Alien) und “I have a good feeling about this” (Star Wars).
Bewertung
Nicht oft bekommt man als Zuschauender einen so hochwertig produzierten und gut gespielten Cosmic-Horror-Film zu sehen. Der Film bemüht sich redlich, eine gruselige und spannende Geschichte zu erzählen. Viel ist hier zugegebenermaßen nicht neu und der Verlauf ist meist vorhersehbar. Trotzdem schafft es der Film, die Bedrohung echt und fühlbar zu machen. Die Charaktere sind holzschnitthaft, aber effektiv. Die menschlichen Dummheiten halten sich in Grenzen, die Aktionen sind zumindest immer nachvollziehbar. Und nicht jeder Hollywoodfilm traut es sich, ein zunächst absichtlich verwirrendes, unübersichtliches Finale zu zeigen, um dann den größtmöglichen Schlusseffekt zu erzielen.
Das wissenschaftlich plausible Design und die Entwicklungen Calvins sind definitiv die Hauptattraktion des Filmes und entsprechend spektakulär mit CGI-Effekten gestaltet. Der vielfältig interpretierbare Titel löst sein Versprechen ein. Hier geht es als Hauptmotiv ums Leben, vor allem das Überleben. Calvin ist eine echte Überlebensmaschine, perfekt ausgestattet, die härtesten Bedingungen zu meistern oder zumindest - als Spore, in Stasis oder als Kokon - auszusitzen.
Wenn man Calvins Weg nachvollzieht, stellt sich die Frage, ob das Wesen “böse” ist oder einfach nur um sein eigenes Überleben kämpft. Wie viel Bewusstsein steckt hinter diesem aufs Überleben konzipierten Zellverband, wie viel Verantwortung oder moralische Bedenken gibt es bei einer völlig fremden Lebensform? Der verzweifelte Kampf gegen den übermächtigen Konkurrenten der zusätzlich vom Pech geplagten Crew der ISS ist spannend, mitreißend und atmosphärisch umgesetzt.
Fazit
Life ist ein hervorragender, hochqualitativer Vertreter des Cosmic-Horror-Genres mit guten Schauspielern und einem fantastischen Antagonisten aus dem Weltall. Der Film liefert einen Schluss, der manchem Klassiker zur Ehre gereicht. Ein lohnender, unterschätzter Genrefilm.