Lovecrafter Online – Über Pilze vom Yuggoth: Die Entstehung eines Gedichtbandes

Max Becker: Frank, erzähl uns bitte zunächst etwas zu Deiner Person. Wie bist Du zu Lovecraft gekommen?


Frank Dukowski: Ich bin in Wuppertal, im Bergischen Land geboren, wo ich jetzt, nach 20 Jahren in Berlin, auch wieder wohne. Ich lebe hauptsächlich vom Theater, bin aber auch als Autor und Lyriker und bei Gelegenheit in den Medien tätig. Auf meiner Visitenkarte steht neuerdings:


„TV-, Film- und Theatertäter, Autor und Nachdichter“


Für H.P. Lovecraft hatte ich schon als Teenager ein besonderes Interesse, das mit den Jahrzehnten immer mehr wuchs. Ich habe Geschichten in seinem Stil verfasst, seine Texte auf die Bühne gebracht und vor Jahren — mit den „Fungi“ — angefangen, seine Gedichte ins Deutsche zu übertragen. Das wurde fast zu einer Art Obsession. Mittlerweile habe ich über hundert weitere Lovecraft-Gedichte verdeutscht.


Ich finde mich insbesondere in seiner Heimatliebe wieder, die in den Gedichten großen Stellenwert hat. Das Bergische Land hat viel mit Neuengland gemein. Ich habe das Gefühl, manches Städtchen hier in meiner Nähe könnte eine Partnerstadt von Arkham sein.


MB: Was ist Dein Bezug zur Lyrik im Allgemeinen und womit besticht Deiner Meinung nach Lovecrafts Lyrik?


FD: Ich hatte immer schon einen Faible für Gedichte. Vielleicht weil bei uns im Kinderzimmer eine halb zerrissene Wilhelm-Busch-Gesamtausgabe rumflog („Max und Moritz“ war ebenso abhandengekommen wie Buchdeckel und -rücken). Ich habe auch schon früh Gedichte geschrieben. Lovecrafts Lyrik ist quasi noch von alter Schule; er ist in seiner Lyrik ebenso aufrichtig und redlich wie in seinem gesamten Werk. Er respektiert die Gedichtform, was man ihm als Autor des 20. Jahrhunderts, finde ich, hoch anrechnen sollte. Andere Dichter schrieben schon längst … irgendwie. Lovecraft schrieb derweil Sonette, so ordentlich gesetzt, dass selbst Shakespeare daran formell nichts zu meckern hätte.


MB: Bei dem Gedichtband handelt es sich um ein Nebeneinander von Lovecraft´schem Original und Deiner eigenen deutschen Nachdichtung: Welche Aspekte sind Dir beim Nachdichten besonders wichtig?


FD: Zuerst hatte ich nur das Bedürfnis, diese Gedichte allen jenen anzubieten, deren Englisch hierfür nicht ganz reicht. Als die Idee aufkam, die Nachdichtung dem Original gegenüberzustellen, bekam ich Angst!


Im Ernst: Jede Übersetzung ist im Kern eine UNMÖGLICHKEIT; die geht immer auf Kosten des Wortlautes. Perfekt wird sie nie sein. Wortgetreue Übersetzungen empfinde ich aber oft als hässliche Krücken zum Ursprungstext, bestenfalls als nützlich. Insofern freue ich mich inzwischen über die Gegenüberstellung: Wer mit meiner Arbeit nicht zufrieden ist, kann nachschauen, wie es im Original steht. Besser als dort geht es nicht. Ich habe allerdings den Anspruch, dass meine deutschen Versionen sich möglichst flüssig lesen lassen sollten, und dabei das Versmaß so weit wie möglich einzuhalten. Das sind wir dem Original schuldig.


MB: Gab es Herausforderungen, welche Dir besonders Kopfschmerzen bereitet haben?


FD: Kopfschmerzen?! — Oh, manches hat mich nahezu in den Wahnsinn getrieben.


Erstens — Der Tanz durch die Zeitformen: Das Englische kann das so schön knapp, wo die deutsche Zeitform allein mit dem Verb eine ganze Gedichtzeile frisst und dabei jegliche Stimmung verliert. „the“ ist so flexibel, geht sogar im Plural ohne auch nur eine Silbe zu vergeuden, während ein unbestimmter Artikel in deutschen Vergangenheitsformen dutzende von Jamben produzieren kann, die Lovecraft derweil für stimmungsvolle Adjektive nutzen konnte.


Zweitens — Die unbekannten Weges des Reimes: Selten befriedigend sind längere Reimketten. Was sich auf Englisch reimt, reimt sich noch lange nicht auf Deutsch, schon gar nicht dreimal und mehr. Da muss aus einem nicht näher beschriebenen alten Gestein manchmal ein „Flint“ werden (child / defiled / wild / up-piled — Kind / gerinnt / umspinnt / Flint) — und das aber bitte ohne den Fokus des Gedichtes zu verschieben.


Drittens — Der Schrecken der unbekannten Wörter: Ich kann doch nur ahnen, wo Lovecraft wusste, wie viel er seinen Lesern zutrauen will, zudem bevorzugte er alte Schreibweisen. Den Wahn nahebringen können aber besonders die Wörter, die nicht verständlich sein KÖNNEN, die Wortschöpfungen. Denn: Auf welcher Silbe wird „Azathoth“ denn korrekt betont?

(„Forget it, Kiddy! - Do you have nine tongues? - It’s an alien language.“ sagte die Handpuppe in Calls for Cthulhu, als sie nach der Aussprache ihres Namens gefragt wurde.)


Viertens — Der Stoff des Grauens: Es war unabdingbar, sich mit dem Necronomicon zu befassen! (;,;) Ich fürchte, ich habe die ein oder andere „Stabilitäts-Probe“ vergeigt. Schaue ich aus dem Fenster und sehe den Regen auf Wälder niederprasseln, ist mir, als würden in deren Dunkelungen alte, uralte Kräfte wirken. Ich fand im Wald dort schon so manchen Ort, der könnte sein der Großen Alten Hort. Im Augenwinkel kann ich oft sie seh’n, wie sie dort ganz in meiner Nähe steh’n. Doch immer wenn ich hinseh, sind sie fort!


Fünftens — Iä! Iä! Cthulhu fhtagn! Ph’nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah-nagl fhtagn — Sblood, thou stinkard. Ich will Euch Mores lehren! … wolde ye swynke me thilke wys?… IÄÄH!!! — — — Äh! (Räusper) — ‘Tschuldigung. War nur ein Ausrutscher. — Nix für ungut!


MB: Ähm … Zum Abschluss: Hast Du einen "Liebling" in Lovecrafts Werk – ein Gedicht, welches Dich begeistert und das die Leser unbedingt kennenlernen sollten?


FD: Einiges unter den Fungi wäre hervorzuheben. Die Sonette kommen in vierzehn Zeilen immer wunderbar auf den Punkt. Darüber hinaus aber: Nemesis. Nemesis hat eine ganz besondere Stimmung des Bösen. Es ist, als würde Nyarlathotep persönlich sich offenbaren. Ich sehe darin mephistophelische Züge. Hier ist Lovecraft so nah und verführerisch am Bösen, wie „.. der Geist, der stets verneint“ — und das Gedicht ist dabei ebenso perfekt dahin gegossen wie Poes The Raven.


Vielen Dank, Frank.


Wenn Ihr jetzt neugierig geworden seid, dann haltet die Augen offen. Wir werden in der kommenden Zeit bis zur Veröffentlichung noch weitere Werkstattberichte für euch bereitstellen.