dLG-Radio – Abseits alter Wege


In Frankfurt am Main in der Hamburger Allee ist das Galli Theater Frankfurt verortet: unter einem Restaurant und in direkter Nachbarschaft zu den Backsteinhäusern der European School of Design gelegen, versteckt in einem Torbogen, wo ein Eingang einige Stufen unter die Erde führt. Es ist ein kleines gemütliches Souterrain-Theater mitten in Frankfurt. Und hier fand ich mich am Abend des 18. Juni 2022 wieder, auf einem gemütlichen schwarzen Sofa in erster Reihe direkt vor der kleinen Bühne, auf der ein Tisch mit drei Mikrofonen und einige andere Technik standen, um Zeugin des kosmischen Grauens zu werden. Denn an jenem Tag wurde Abseits alter Wege aufgeführt, ein lovecraftsches Live-Horror-Hörspiel inklusive elektronischer Live-Musik.
Es lässt sich erahnen, wie anspruchsvoll ein solches Format sein kann, insbesondere was den storytechnischen Teil angeht: Diejenigen unter uns, die auch mal neuere Literatur basierend auf dem Lovecraft-Mythos lesen oder gar selber schriftstellerisch in diese Kerbe schlagen, haben sicherlich schon die Erfahrung gemacht, dass es äußerst knifflig ist, das kosmische Grauen seiner würdig und in Lovecrafts Sinne zu vermitteln. Im Worst Case wird eine solche Geschichte mit Mythosreferenzen und Tentakeln überladen, oder sie geht zu explizit mit dem Grauen um und führt selbiges damit eher ad absurdum, oder sie wirkt wie ein billiger Abklatsch von Lovecrafts Geschichten, oder oder oder.
Umso beeindruckter bin ich, dass all das überhaupt nicht auf Abseits alter Wege zutrifft, nein: Abseits alter Wege ist in seiner Essenz wahrlich eine Geschichte tiefsten und bedrohlichsten kosmischen Grauens mit den typischen Elementen einer Erzählung von H. P. Lovecraft, die das Herz eines Lovecraft-Fans höherschlagen lässt. Gleichzeitig schafft sie es, originell und für sich stehend zu sein, fast so, als sei sie tatsächlich eine Erzählung des Meisters höchstpersönlich, die in irgendeinem Archiv in Providence nachträglich gefunden worden ist.
Zu viel vom fesselnden Plot möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Eine Gruppe Studierender hilft beim Ausräumen eines Hauses, nachdem der Mieter vor Monaten spurlos verschwand. Im Hausinventar finden sich eine Menge seltsamer Dinge, unter anderem ein uraltes Buch, das Neugierige dazu verlockt, nichtsahnend einen Blick in es hineinzuwerfen. Lovecraft-Fans können schon erahnen, dass das zu nichts Gutem führen wird …
Die Lichter gingen aus und Ruhe kehrte im Galli Theater Frankfurt ein, als Magnus Reece (Story, Script und Sprecher), Konrad Mahnkopp (elektronische Live-Musik, Ton und Sprecher) und Jenny Seewald (Regie und Sprecherin) die Bühne betraten. Es folgten etwa 120 Minuten voller Spannung, Emotionen und Gänsehaut, in denen sich das kosmische Grauen in Worten, Musik, Sound- und Lichteffekten nach und nach entfaltete: Magnus, Konrad und Jenny trugen ihre Texte vor; Konrad bediente zusätzlich noch den Looper und sorgte für musikalische Untermalung und Soundeffekte.
Der mündliche Vortrag: top. Nichts wirkte gestelzt, im Gegenteil, die Emotionen wirkten teils so authentisch, dass ich gegen Ende sogar den Eindruck hatte, einer der Sprecher sei tatsächlich der arme, verzweifelte Wahnsinnige, den er so glaubhaft porträtierte.
Der Sound: großartig. Überhaupt fand ich es beeindruckend, dass Konrad Mahnkopp sich sowohl auf seinen Text als auch auf den Ton gleichzeitig konzentrieren konnte, ohne dass – zumindest aus meiner Sicht als Zuschauerin – er da irgendwie überfordert oder gehetzt gewirkt hätte. Die elektronische Musik, die mich stellenweise an jene in der Serie Stranger Things erinnerte, untermalte das Geschehen sehr gut und verstärkte oft noch das Gänsehaut-Feeling. Die Kirsche auf der Sahne war für mich schließlich der Bass. Konrad Mahnkopp erzählte am Ende der Aufführung, dass die Gruppe bei einem Lautsprecherhersteller einen Subwoofer angefragt und dieser ihnen daraufhin ihr Subwoofer-Flaggschiff zur Verfügung gestellt hätte. Ja, das konnte ich auch körperlich spüren – wie das Grollen eines Großen Alten.
Das Licht: subtil, aber pointiert. Offensichtlich liegt der Schwerpunkt bei einem Hörspiel nicht auf visuellen Effekten, aber bei einem Live-Horror-Hörspiel spielen Lichtverhältnisse natürlich auch eine Rolle. Hier hat alles gepasst und die Lichteffekte haben auch eine kleine Show für das Auge abgeliefert.
Alles in allem hat Abseits alter Wege einen Nerv in mir getroffen und mir bleibt nichts anderes übrig, als allen dLG-Mitgliedern und Lovecraft-Fans zu empfehlen, einen der nächsten Aufführungstermine unbedingt wahrzunehmen:
Ich selbst werde mir am 6. August auf jeden Fall nochmal eine Aufführung gönnen. Vielleicht sieht man sich also!
Wenn ihr mehr über das Trio hinter Abseits alter Wege erfahren möchtet, dann haltet Augen und Ohren offen: In naher Zukunft veröffentlichen wir nicht nur einen weiteren Artikel im Lovecrafter Online, wo wir die Drei im Zuge eines Interviews näher kennenlernen dürfen. Wir dürfen sie darüber hinaus auch in einer Folge im dLG-Radio begrüßen, unserem neuen Vereinspodcast … und vielleicht geben sie euch dabei auch eine Hörprobe.
Fotos: Galli Theater Frankfurt
Artwork: Jenny Seewald