Lovecrafter Online – Filmkritik: Der Nebel

Viele Autoren haben sich an H.P. Lovecrafts Motivfundus bedient. Darunter finden sich ebenso Zeitgenossen Lovecrafts wie moderne Kollegen. Bei vielen heutigen Schriftstellern ist die Stellung Lovecrafts als Pionier des Schreckens neben Edgar Allen Poe unbestritten. Stephen King erklärte 1981 in Dance Macabre, das Lovecraft ihm wie vielen Anderen den Weg in die Horrorschriftstellerei geebnet hat. Es wundert daher nicht, das sich viele Lovecraftmotive in Kings Werk (siehe u. A. Lovecrafter online zu The Shining) finden. Einen großen Einfluss hatte Lovecraft auf die Novelle Der Nebel aus der Sammlung Im Morgengrauen von 1985. Diese wurde 2007 von Frank Darabont adaptiert und auf die Leinwand gebracht.


Inhalt

Eine Kleinstadt in den USA wird von einem schweren Sturm heimgesucht. Am nächsten Morgen will David Drayton mit seinem Sohn Billy nur schnell einige Sachen im örtlichen Supermarkt einkaufen, während seine Frau zuhause aufräumt. Neben vielen Einwohnern, die auf die gleiche Idee kamen sind auffallend viele Militärs um die Stadt verteilt. Eine Sirene leitet eine Flucht in den Supermarkt ein, da ein bedrohlicher und unheimlicher Nebel aufzieht. Eine dichte Wand legt sich über den Ort. In ihr lauert etwas, das die zusammengewürfelte Menschengruppe in Angst versetzt. Ein Erdbeben im Supermarkt leitet den langsam beginnenden Zerfall der zivilisatorischen Grundsätze der Menschen ein.


Erst verschwinden Menschen im Nebel, dann sterben die Ersten durch monströse Wesen, die im undurchsichtigen Zwielicht lauern. Bald zeigt sich, das der Supermarkt mit seinen großen Glasfassaden nicht der gehoffte Ort der Sicherheit ist. Vor allem des Nachts attackieren die bizarren Kreaturen den Markt. Zu der Gefahr von Außen kommen die Spannungen der Menschen untereinander, an deren Spitze bald die religiös-fanatische Mrs. Carmody steht. Sie glaubt, der Nebel sei die Strafe Gottes und die Erfüllung der Offenbarung aus der Bibel. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr wächst Ihre Anhängerschaft, je grösser die Gefahr wird und je mehr die Hoffnung schwindet, desto gefährlicher werden die Menschen für die Menschen. David und einige ähnlich Gesinnte planen eine Flucht in das Ungewisse des mysteriösen Nebels.

Lovecrafteske Momente

Geschickt baut der Film in der ersten Hälfte die Spannung und das Mysterium auf, zunächst ist die Bedrohung im Nebel verborgen. Die Gefahr aus dem Dunkel ist klassisch-lovecraftesk. Der erste Angriff erfolgt durch die Tentakeln eines riesigen unsichtbaren Lebewesens, die gesamte Monsterriege ist inspiriert von den lovecraftschen Ängsten, es gibt Krabben-Spinnenhybride, Insektenartige und Flugkreaturen mit MiGo-Touch und einen ikonisch gewordenen, riesigen Behemoth.


Neben den Kreaturen sind auch die Themen des Filmes – Religion, Glaube, Hoffnung im Angesicht der menschlichen Winzigkeit – in der lovecraftschen Philosophie verankert. Lovecraft und King teilen sich eine ablehnende Haltung gegen die Religion. Das Menschenopfermotiv (Der Ruf des Chtulhu oder Das Grauen von Red Hook) ist in Lovecrafts Werk ebenso zu finden wie religiöser Fanatismus. Viele Zitate im Film könnten direkt von Lovecraft selbst stammen (siehe Bartoschek u.a. Gegen die Religion).


Die Gegensätze Menschlichkeit gegen Fanatismus und Wissen gegen Glaube thematisiert der Film ebenso wie die Novelle oder die Werke Lovecrafts. Der rationale Supermarktangestellte Ollie antwortete auf die Frage nach dem Glauben an das Gute im Menschen: "Als Spezies sind wir grundsätzlich wahnsinnig. Sperre zwei Leute in einen Raum ein und sie werden nach Gründen suchen, sich gegenseitig umzubringen. Warum sonst hätten wir Religionen und Politik erfunden." Dies ist düster, misanthropisch und im Sinne der lovecraftschen Philosophie. Die Sinnlosigkeit der menschlichen Taten, auch der heldenhaften, zeigt der Film mehrfach. Der Rettungsversuch für einen Verletzten durch einen alptraumhaften Apothekenbesuch im Nebel kostet nicht nur zusätzliche Leben, er ändert auch nichts am Schicksal der Figur. Das apokalyptische Ende der Welt durch äußere Umstände und den Wahnsinn schildert bereits Nyarlathotep. Das nimmt der Film in seinem Katastrophenfilmszenario auf.


Die Ursache des Nebels wird zwar nur angedeutet, das militärische Projekt Arrowhead kann aber durchaus als Fortsetzung der Arbeiten eines gewissen Crawford Tillinghast aus Aus dem Jenseits gesehen werden. Das Tor zu anderen Dimensionen, in denen das Grauen lebt, führte schon diese Geschichte effektvoll ein. Das Streben nach Wissen und der Forscherdrang haben das Potential, die Menschheit zu vernichten.


Die Flucht der Hauptfiguren und das Filmende könnten kaum lovecraftesker sein.

Cinematographische Notizen

Frank Darabont hat bereits vorher dreimal Stephen King verfilmt, die Kurzgeschichte The Woman in the Room, Die Verurteilten und The Green Mile.


Der Film entstand in 37 Tagen Drehzeit in einem fast dokumentarischen Stil mit vielen gleichzeitig aktiven Kameras während der Takes. Es wurden lange Plansequenzen und Szenen gedreht, die Schauspieler wussten oft nicht, wer wann wo im Fokus steht. Diese Anspannung der Darsteller und die durchgängige Notwendigkeit, in der Rolle zu bleiben, trägt zur fiebrigen Atmosphäre bei. Man wird in die teilweise parallel ablaufenden Ereignisse hineingezogen und Zeuge des Alptraums der Figuren.


Fast alle Aufnahmen wurden im Studio gedreht, die Effekte sind eine Mischung aus praktischen und digitalen Tricks. Die CGI-Effekte sind in Ordnung für das geringe Budget der Produktion (ca. 20 Mio. Dollar). Viele Schauspieler wurden vor Ort in Louisiana rekrutiert und hatten danach Rollen in der von Darabont mitkreierten Fernsehversion der Walking Dead-Comics.


Seinen ursprünglichen Plan, den Film in Schwarz-Weiss herauszubringen, musste der Regisseur fallen lassen. Diese Version ist aber inzwischen auf DVD oder BluRay verfügbar und wird vom Regisseur empfohlen.


Darabont verzichtete auf ein angebotenes höheres Budget, um sein neues Ende der Geschichte behalten zu können. Das Studio wollte ein klassisches Happyend, was Darabont ablehnte. Sein neues Ende wurde von Stephen King als besser als das der eigene Novelle bezeichnet.

Bewertung

Der Film ist eine Mischung aus Katastrophenfilm, Horrorthriller und Drama. Zu Beginn baut der Film direkt eine bedrohliche Atmosphäre auf, schnell ist man mit unheimlichen Nebel umwallt im Supermarkt gestrandet. Unsicherheit und Angst breiten sich aus und fördern das Unbehagen. Vor allem im ersten Teil erkennt man die Kingmotive gut, das Familien- und Kleinstadtflair bilden die Einführung in Ort, Handlung und Personen.


Die Figuren sind einfach gehalten. Oft haben sie Stellvertreterfunktion für Ansichten und Menschentypen und sind in dieser Funktion absichtlich plakativ. Die Schauspieler sind gut und füllen diese schablonenhaften Charaktere mit Leben, Ambivalenz und Glaubwürdigkeit. Macia Gay Harden als Mrs. Carmody ist eine verzweifelte und gleichzeitig hassenswerte Fanatikerin, Thomas Jane als zerrissene Hauptfigur zwischen Vaterpflicht und Hilfsbereitschaft war selten überzeugender.


Die Handlung des Filmes erstreckt sich über wenige Tage und muss daher komprimieren. So können viele philosophischen Fragen nur kurz aufgeworfen werden. Wie schnell zerbricht die Zivilisation und der Zusammenhalt der Gemeinschaft im Angesicht einer Katastrophe? Verantwortung gegen Egoismus, Vernunft gegen blinden Glauben: der Mikrokosmos des Supermarkts zeigt die guten und die schlechten Seiten der Menschheit. In diesen Themen ist er heute aktueller als damals, die Frage des Extremismus, dem Glauben an eigene Fakten und dem Vertrauen in die Experten oder die Wissenschaft stellen sich mehr denn je.


Das ist für einen Monsterfilm durchaus ambitioniert, es stört dabei nicht, das er keine eindeutigen Antworten liefert und oberflächlich bleibt. Im Verlauf des Films steigern sich die Lovecrafteinflüsse in Handlung und Umsetzung des zunehmenden Wahnsinns. Ein kleiner Wehrmutstropfen sind die kreativen aber meist digitalen Monstereffekte, die nicht durchgängig überzeugen. Hier funktioniert tatsächlich die S/W-Fassung besser, sie mindert das 70er Jahre Gruselfeeling einiger Effekte.


Eine besondere Erwähnung muss die Musik im letzten Akt des Filmes erhalten. Sie wurde nicht extra dafür geschrieben. Das Stück The Host of Seraphim der Band Dead Can Dance ist sehr stimmungsfördernd und passt perfekt in das alptraumhafte Finale, das sich tief in die Erinnerung des Zuschauers einbrennt.

Fazit

Katastrophenfilm, Monsterhorror, Drama und lovecraftesker Alptraum. Ein Film darüber, was geschieht wenn man die Hoffnung verliert. Das Ende spaltet und ist ein von der Leinwand aus geführter Schlag in die Magengrube. Er sollte von Lovecraftfans gesehen werden.

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