Lovecrafter Online – 105 – Geschichte: Der Fluch des Maestros

Foto: Peter Kastberger, Creative-Commons-Lizenz BY-NC-SA

Über den Autor

Der 1973 in Gießen im Herzen Hessens geborene junge Gelehrte der schottisch-gälischen Sprache und Kultur wuchs zwischen den beiden alten Universitätsstädten Gießen und Marburg auf, letztere ist bekannt für eine Atmosphäre, die H.P. Lovecraft selbst würde sehr inspirierend finden, ebenso wie MR James oder Arthur Machen, zwei weitere seiner Lieblingsautoren, die ihn inspirierten, sich der „dunklen Seite“ der spekulativen und übernatürlichen Fiktion zuzuwenden, nachdem er dem Genre der High Fantasy treu geblieben war für den größten Teil seiner früheren Jugend.


Beim Studium der Sprache und Traditionen des Schottischen und des Irisch-Gälischen an den Universitäten Aberdeen und Edinburgh und damit in zwei Altstädten mit ebenso gotischem Flair wie Marburg stieß der Autor auf H.P. Lovecraft zum zweiten Mal in seinem Leben, seitdem er als Teenager in der Sammlung seines jüngsten Onkels klassischer Fantasy und übernatürlichem Horror gestöbert hatte, sowie die beiden anderen oben genannten Autoren in einem angestaubten alten Wälzer, der auf den ersten Blick ein Grimoire hätte sein können In einem abgelegenen Cottage, umgeben von dunklen, unheimlichen alten Wäldern auf der Isle of Colonsay, beschloss der junge Gelehrte (der natürlich auch Monographien und Aufsätze veröffentlicht), selbst Autor in seinem Lieblingsgenre zu werden… Lieblingsautoren: Bram Stoker, Fiona MacLeod, Arthur Machen, John Buchan – Lord Tweedsmuir, Edgar Allan Poe, HP Lovecraft, S. T. Coleridge, The German Romantics, Algernon Blackwood, M. R. James, William Hope Hodgson

Projekte - abgeschlossene wie laufende

Lovecraft-relevanter wissenschaftlicher Aufsatz: A. Koehler, 'Seumas Bàn MacMhuirich – James MacPherson (1736-9): Gäle und Urvater der heroischen und der unheimlichen Fantasy‘ in: Dieter Petzold (Hsg.), Inklings-Jahrbuch für Literatur und Ästhetik 20 (2012): 151-78. Online abrufbar auf: https://www.academia.edu/12993…_der_unheimlichen_Fantasy.


Geplante Projekte: Mehr Kurzgeschichten über die unheimlichen Abenteuer Ailig MacCollas in Hessen [sic!] 1928 und 1930.

Ebenso würde ich meinen Protagonisten gerne an der deutschen Waterkant ermitteln lassen, z.B. über die Tiefen Wesen des Ecke Neckepenn…

Fertigstellung des 2013 angefangenen Romans um Ailig MacColla, Inspektor Rory Cook und ihre unheimlichen Ermittlungen zwischen den Inneren Hebriden und Marburg.


Suche ebenso Interessierte für weitere kleine lovecrafteske Filmprojekte in der Reihe um Ailig MacColla:

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(bislang auf geringstem Budget, einem Minimum an Requisite und Drehorten etc., zuweilen unerwünschten Anachronismen, aber mit viel Herzblut produziert), eventuell mit mehr und besseren Requisiten; als Darsteller, Statisten und technische Mitarbeiter.


Der Fluch des Maestros

Es war um vier Uhr nachmittags in Pleumeur-Bodou in der Bretagne, als Yann Le Goff, Postmeister jenes kleinen Dorfes, ein Telegramm für Dr. Hugh MacLeod, einen jungen Gelehrten aus Glasgow mit familiärer Verbindung nach Berneray am Sunde von Harris, der gerade im Gasthaus des Dorfes, Hôtel du Granit Rosé, eine Tasse Tee trank, brachte. Côté du Granit Rosé, „rosige Granitküste“, nannte man diese ganze Gegend. Doktor MacLeod nahm einen weiteren Schluck Tee und las die Nachricht. Als er sie in nur einem Augenblicke durchgelesen hatte, wurde sein Gesicht gramvoll, und es war offensichtlich, dass er sehr bestürzt war. „Was ist geschehen, mein Freund?“ fragte ihn Yann auf Bretonisch, seiner Muttersprache, in der Hugh MacLeod fließend geworden war, obwohl sie einem anderen Zweige der keltischen Sprachen angehörte und sich doch recht von dem Gälischen, welches Hugh und sein Bruder auf ihrer Eltern Schoß gelernt hatten, unterschied. „Schlechte Nachrichten, werter Yann“ antwortete Hugh in der gleichen Sprache, „mein Vater ist ermordet worden auf eine noch ungeklärte Weise, und mein Bruder, Norman, wurde in Edinburgh, wo er Polizeidetektiv war, ins Irrenhaus gebracht!“ „Heilige Mutter Maria!“ sprach Yann, „das ist wahrlich eine schlimme Nachricht!“ „Allerdings“ sagte Hugh, „es scheint, als ob er auf der Spur jenes Menschen war, der meinen Vater umgebracht hat!“ „Und verfiel so dem Wahnsinn“ sagte Yann, „der arme Tropf! Warum haben sie ihn in dieser Sache auch ermitteln lassen? Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Polizeiermittler an einer Mordsache arbeitet, die seine eigene Familie betrifft? So ist es jedenfalls hier bei uns – dass ein anderer an seiner Stelle ermitteln muss!“ „Nun ja“ sagte Hugh, „so ist es auch in Schottland, und überall in Britannien. Doch Rory Cook, der Absender dieses Telegramms, sagt, dass mein Bruder trotzdem ermittelt hat…“ „Und wer ist dieser Rory?“ „Er ist der Kollege meines Bruders bei der Polizei Edinburgh.“ „Wenn dem so ist, warum hat er Ihren Bruder nicht davon abgehalten, sich mit dieser Sache weiter zu beschäftigen?“ „Weil Rory nicht nur ein Kollege von Norman ist, oder zumindest war – sondern auch sein bester Freund.“ „Ach ja?“ sagte Yann eher skeptisch, „doch als Kollege und guter Freund gar, sollte man denken, dass jener Rory vernünftiger und professioneller wäre, Informationen von ihm fernzuhalten, so dass er mehr Erholung und Frieden fände!“ „Achje“ sagte Hugh, „so einfach ist das nicht…jedenfalls, wie dem auch sei, werter Meister Yann, ich werde mit dem nächsten Dampfer, der nach Britannien fährt, heimkehren müssen, um dort mehr herauszufinden über die wahren Ereignisse!“ „Viel Glück, werter Professor Hugh!“ sagte Yann Le Goff, und ging.

II.

Im Hause seines Bruders in Edinburgh funkelte Hugh Rory Cook an. „Warum um alles unter der Sonne hast Du Norman sich dieser Sache annehmen lassen? Ist es Polizisten nicht verboten, sich mit Mordfälle zu befassen, die zu persönlich für sie sind? Und warum und von wem ist unser Vater überhaupt erst umgebracht worden?“ „Gemach, gemach, Junge“ sagte Rory, „Stück für Stück erbaut man Burgen, und löst große Fragen – wenn es denn eine Lösung für sie gibt!“ „Und was soll das jetzt heißen?“ fragte Hugh, dessen Augen erneut aufflackerten. „Nun, Ùisdein“ sagte Rory, „ich verstehe Deinen Zorn, und Deinen Kummer, doch das hilft Dir im Moment gar nichts! Du musst Geduld haben! Warum setzt Du Dich nicht und nimmst ein großes Glas Whisky? Ich muss Dir etwas zeigen!“ Rory gab ihm einen Brief und eine Zeitung. Hugh sah sich zuerst die Zeitung an, und was war es, wenn nicht die Scotsman der vergangenen Woche? Er sah den bewussten Abschnitt gerade auf der ersten Seite, und las:


„Große Ausschreitung in einem Pub am Grassmarket: Polizist schießt auf Wirt!


Am Nachmittage mittwochs, des 11. Oktobers 1924, erschoss der Polizeidetektiv Norman MacLeod, Sohn des namhaften Musikologen Prof. John Angus MacLeod, George Hastie, den Wirt der Taverne "The Rollicking Pooch” am Grassmarket, Ecke Cowgate, mit drei Kugeln. Allem Anschein nach hatte Mr Hastie gerade eine neue Platte auf’s Grammophon gelegt, als mit Mr MacLeod die Pferde durchgingen, während das Grammophon ‚Ole Miss Rag‘ des amerikanischen Komponisten W.C. Handy spielte. Das war nicht der erste Unglücksfall, von dem man aus dem Hause seiner Familie hörte, denn der Vater des Herrn MacLeod wurde nur eine Woche vor diesem Vorfall ermordet!“


„Also starb mein Vater bereits vor eineinhalb Wochen? Aber warum hat der liebe Norman mich dann nicht benachrichtigt?“ „Er konnte es nicht, mein Freund. Doch ehe Du wieder wütend auf mich wirst, der ich doch gar nichts dafür kann, solltest Du zuerst diesen Brief lesen, den mir Dein Bruder hinterlassen hat, falls ihm Übles widerfahren sollte.“ Hugh seufzte schwer. „Nun gut“ sagte er, „in Ordnung, wenn das mehr Licht in die Sache bringt…“


„Liebe Freunde, liebe Verwandte,

wenn Ihr tatsächlich diesen Brief lest, dann bin ich wohl schon verstorben, oder meine Seele und mein Verstand sind jenseits aller Heilung und Rettung. Doch ich muss Euch dieses Wissen im Folgenden zukommen lassen, gleich wie unglaublich die üblen Dinge sind, die meinem lieben seligen Vater und mir selbst widerfahren sind, so dass wenigstens ein paar von Euch verstehen, in welcher Gefahr wir uns befanden, und mancher unserer Sippe sich noch befinden könnte, denn rachsüchtige Geister finden keine Ruhe – und es ist diese Art von Geist, die uns geschlagen hat auf solch brutale und grauenhafte Weise, dass keiner von uns beiden, weder mein armer Vater, noch ich selbst, jemals unter die Lebenden wiederkehren kann!


Und es ist mir verhasst, zugeben zu müssen, dass mein Vater schuld daran ist, dass uns ein solches Missgeschick bevorstand: Vor einem Jahr vertrieb er einen begabten Gelehrten und Musiker aus dem Musikausschuss der Universität, da er erfahren hatte, dass sich dieser talentierte Mensch sich mit Jazz und Ragtime, dieser neumodischen Musik aus Amerika, befasste. Nun, ich bin diesem neuen Musikstil, der nun in allen großen und beliebten Gaststätten Edinburghs und Glasgows etc. gespielt wird, selbst sehr hold geworden. Doch mein Vater war stets zu traditionell in einer sturen Art, und obschon er weltlicher gälischer Musik gnädig genug war, so schien es doch seit jeher durch seinen Musikgeschmack, dass seine Sippe drüben auf Berneray Kirchenälteste waren. Zwar war er selbst nicht so fromm wie der Großteil seiner Verwandtschaft, doch war es für ihn nie einfach, sein puritanisches Erbe abzulegen, und er duldete keinen Jazz, obwohl ich ihm zu erzählen pflegte, dass die Ursprünge dieser Musik in gewisser Weise so unterschiedlich von denen der gälischen Musik nicht waren, und dass sie heutzutage gar auch von klassischer Musik beeinflusst wäre. Er wollte jedoch auf kein vernünftiges Zureden hören, auch wenn ich ihm sagte, dass selbst namhafte Komponisten wie Claude Debussy und weitere berühmte klassische Komponisten unserer Zeit vom Jazz beeinflusst wären. Doch davon wollte er nichts wissen…


Jedenfalls waren es jene engstirnigen Meinungen, die ihn bewogen, Thomas Kennedy aus dem Musikausschuss, dem er vorstand, zu verjagen, und so zerstörte er die Karriere jenes jungen Mannes. Thomas nahm das sehr schwer, und ehe er sich das Leben nahm, besuchte er seinen Onkel Egbert, der sich seit jeher mit okkulten und finsteren Studien befasste. Nur die Vorsehung weiß, was Egbert MacCulloch seinem Schwestersohne riet, doch es ist offensichtlich, dass Thomas Kennedy einen Vertrag mit einem jener Dämonen einging, welche noch übler sind als alle Teufel in der Hölle! Wie es sich verhielt, war Thomas schon immer ein begnadeter Tüftler, und er war sehr begeistert von mechanischen Musikinstrumenten nach Art des Pianolas. Er baute sie selbst zusammen, und sein größtes Lieblingsexemplar war ein Orchestrion, das die Melodie spielte, die W.C. Handy im zweitletzten Jahre des Großen Kriegeskomponiert hatte, Ole Miss Rag. Und jenes Instrument ist mit dem Schrecken, den mein Vater und ich durchlebten, zum großen Teil verbunden, denn das ist das Instrument, das er verwendete, um den Fluch, den er wider meinen Vater und dessen Sippe ausgestoßen hatte, zu vollziehen: Es scheint, dass seine Seele mit diesem Instrument verbunden war, und in jenem Vertrage, den er mit dem Dämonen, den sein schrecklicher Onkel aus einem Orte jenseits der Hölle heraufbeschworen hatte, geschlossen hatte, stand geschrieben, dass sein Geist noch in dem Instrument fortleben würde, nachdem er seinen Körper dem Dämonen geopfert hatte.


An diesem Punkte des Berichts sollte ich hinzufügen, dass Thomas Kennedy vor seinem Suizid einen wahrhaft seltsamen Diener engagiert hatte. Es ist fraglich, ob dieser überhaupt dem Menschengeschlechte angehörte, oder dem Reiche des Dämons, mit dem sein Meister einen Vertrag geschlossen hatte, entstammte. Zwei Wochen, ehe mein Vater verschied, kam jene Kreatur zu seinem Hause, wo wir gerade gemeinsam beim Tee saßen. Das war der erste fröhliche Nachmittag im Hause meines Vaters, seit unsere Mutter vor einem Jahre an Krebs gestorben war, und seit jenem Tage hatte ich ihn nicht mehr so vergnügt gesehen, wie er an jenem anderen Tage war. Als jener Troll an der Tür läutete, sah er gewöhnlich genug aus mit der modischen Kleidung unserer Zeit, einen Homburg auf dem Kopfe und einen schwarzblauen Nadelstreifenanzug tragend, obwohl er eine Visage hatte wie Max Schreck in der Maske des Nosferatu, meiner Meinung nach zumindest, aber eine Frisur wie Buster Keaton. Mein Vater schöpfte nicht den geringsten Verdacht, als der groteske Gnom ihn zu einer Ausstellung mechanischer Musikinstrumente einlud, denn – seltsam, wie es ist – obwohl er Jazz nicht duldete, war er einer solchen Sache gegenüber doch recht aufgeschlossen. Meine Warnungen wegen jenes Gnoms wollte er nicht hören, als ob jene Kreatur ihn bereits verhext hätte. Er sagte bloß, dass ich Leute nicht nach ihrem Aussehen beurteilen sollte, Polizeioffizier hin oder her – doch es war nicht das Aussehen jenes Trolls, das mich irgendwie warnte. Es war seine Ausstrahlung, die mich beunruhigte…und seit jenem Tage, an dem mein Vater die Einladung zu jener seltsamen Ausstellung annahm, wurde er unter den Lebenden nicht mehr gesehen. Denn sobald er den Ort der merkwürdigen „Ausstellung“ erreichte, wurde er an einen Stuhl gefesselt, und das Orchestrion begann, ohne Unterlass zu spielen – Ole Miss Rag wieder und wieder, den ganzen Tag lang und jeden Tag, den mein armer Vater an jenem furchtbaren Ort in einem abgelegenen Bezirk der Stadt am Fuße des Corstorphine-Hügels zubringen musste…Möglicherweise wurden ihm die Fesseln nach einem Weilchen, oder Tag, abgenommen, denn entkommen konnte er jenem Ort eh nicht, wie ich selbst nur zu gut erfuhr: Nicht nur das Orchestrion war verwunschen, sondern auch jenes ganze verdammte Haus, und selbst mein armer Vater, sobald er in jenes Haus kam. Ich bezweifle, dass er überhaupt Nahrung erhielt, wahnsinnig und teuflisch, wie jener Mensch es während der bitteren Tage, die er meinem Vater zu verdanken hatte, geworden war…und sein Onkel mütterlicherseits, Egbert, war ohnehin teuflisch, und viel zu bewandert in den dunklen Künsten, als es für einen Menschen gut war! Was den Giftzwerg mit Nosferatus Fratze angeht, wusste jener überhaupt nichts von Gnade und Barmherzigkeit – und scherte sich eh einen Hundeklops um Manieren und ziviles Verhalten, wie sie unter Menschen üblich sind! Und darum verstarb mein armer Vater durch Hunger und die ewigen Töne des verfluchten Orchestrions!


Nun sollte man denken, dass Egbert und jener unheimliche Gnom schlimm genug wären, und dass jenes Trio Infernale, Egbert, der Gnom und Thomas Kennedy selbst, der noch immer als Geist des Orchestrions fortlebte, die Schlimmsten seien – doch weit gefehlt, und ich sollte nicht Jene auslassen, die noch viel gefährlicher war, und das war Rose, die Geliebte Thomas Kennedys. Teuflisch wie er war in seiner Art der Rache, war sie noch viel teuflischer, den Fluch des Maestros auf den Sohn Prof. MacLeods auszudehnen – denn sie war es, die mich zu Fall brachte, als ich den Mord an meinem Vater untersuchte: Ich begegnete ihr gleich nachdem ich mich des Mordfalles angenommen hatte, trotz aller Gegenstimmen zu Polizisten, die sich mit Fällen befassen, in die sie selbst höchstpersönlich verwickelt sind. Doch sie begegnete mir in meiner Ahnungslosigkeit, und ohne jegliche Idee, dass sie die Freundin jenes Maestros war, den ich verfolgte. Und wenig wusste ich zu jener Zeit, dass ich gegen übernatürliche Mächte kämpfte, war ich doch noch der Überzeugung, dass es ein ganz normaler Vermisstenfall war, den ich untersuchte. Es ist ein Jammer, dass ich nicht schon in der Wiege die Gabe des zweiten Gesichts erhalten hatte, und ich in einer Familie aufwuchs, die alles Übernatürliche bestritt, Zugehörigkeit zum Gälentum hin oder her – wahrscheinlich wäre ich dann aufmerksamer betreffend der Kampfesweise meiner Gegner gewesen.


Jedenfalls nahm ich gerade ein Pint zu mir als Abschluss eines weiteren langen, unbefriedigenden Arbeitstages, als eine junge hübsche Frau im Stile der Flappers hereinkam. Es dauerte nicht lange, bis sie zu mir herüberkam, und ein Gespräch mit mir begann. Ich war erstaunt über das Ausmaß ihres Interesses an mir, was um alles unter der Sonne bewog sie – ein Mädchen ihres Kalibers – die Gesellschaft eines alten Junggesellen im Polizeidienst zu suchen? Jawohl, ich war erstaunt, doch nicht misstrauisch…ich hatte nicht den geringsten Verdacht zu jener Zeit, dass jene junge Frau Vergeltung für ihren Freund suchte, und mein Verderben wollte. Ich dachte bloß nach über ein bekanntes Lied unserer Zeit, als sie mit mir zu sprechen, und gar zu turteln, begann: She’s Funny that Way, kennt Ihr das? „I’m not much to look at, not much to see […] I’ve got a woman who’s crazy for me – she’s funny that way!” Nun, wenn ich etwas vorsichtiger und argwöhnischer gewesen wäre zu jener Zeit, wäre ich jetzt vielleicht noch gesund und heil, doch so war es nicht…und Jene gefiel mir, mit dunklem Haar, das sie in einem helmartigen Bob trug nach der neusten Mode, ihr hübsches Gesicht in schneeweißem Porzellanteint und rosigen Wangen…man hätte sie für eine Schöne von Barra oder Harris halten können, doch anhand ihres Tonfalles in ihrem Englisch war es offensichtlich, dass sie aus den Staaten stammte. Sie erzählte mir, dass sie aus Massachusetts stammte, dem Tale des Miskatonic…und einer alten Familie dort angehörte. Nun weiß ich zu gut, woher und aus welcher Familie sie tatsächlich stammt…sie hat mir schon die Wahrheit erzählt, doch war ich nie zuvor in Massachusetts gewesen, oder sonst irgendwo in Neuengland, oder überhaupt in den Staaten, und daher hatte ich auch keinen Schimmer, dass ihre Sippe seit jeher Hexer waren, und ich ihr gar niemals trauen sollte! Thomas Kennedy muss sie anfangs durch Egbert MacCulloch kennengelernt haben, denn jener war die Sorte Mensch, der ihresgleichen in seinem Hause empfing!


Jedenfalls lud sie mich ein, ihr nach Hause zu folgen, wo weitere Gastfreundschaft und gute Musik auf mich warteten, und wo ich weitere Hinweise für meine Nachforschungen erhalten würde – nun, all diese drei Dinge erhielt ich in ihrer Logis sehr wohl, allerdings auf eine unerwartete Weise: Nach einer Nacht voll Leidenschaft und Zärtlichkeit erwachte ich zu einer schwer verdaulichen Wahrheit: Nach einem gemeinsamen Frühstück erhob ich mich, zu gehen, doch da erzählte sie mir, dass sie mir etwas Wichtiges zeigen müsste. Meine Tasse Tee schmeckte ganz seltsam, und das war das Letzte, das ich bemerkte, ehe ich das Bewusstsein verlor; und als ich wieder erwachte, war ich fest an einen Stuhl gefesselt im Raume des Orchestrions, wo sie mir mit einem bösen und dämonischen Lächeln gegenüber saß – ich glaubte nahezu, sie trüge eine Maske anstatt ihres hübschen Gesichts…Obwohl ich nie zuvor in jenem verfluchten Hause gewesen war, wusste ich, dass ich nun in dem Hause gefangen saß, wo mein Vater ermordet wurde! Und kaum hatte ich ausgedacht, da sagte jenes dämonische Weib, dass sie mir etwas zeigen müsste – als ob sie die Gedanken Anderer lesen könnte! Sie zeigte mir einen Stuhl, den ich vorher noch nicht bemerkt hatte, und der mit einer dunklen Decke verhüllt war. Sie entfernte die Decke, und wen erblickte ich voll des Schreckens, wenn nicht den Kadaver meines Vaters, der mich mit leeren Augen anstarrte. Sie stieß ein hässliches Lachen aus. „Gefällt Dir Deine Gesellschaft?“ sagte sie voll kaltherziger Freude. Ich konnte den Anblick der Leiche meines Vaters nicht ertragen, die bereits zu riechen begonnen hatte – es war ein wahrer bestialischer Gestank in jenem ganzen Raume, doch offensichtlich war jenem Weibe das herzlich gleichgültig…als ob sie keine Nase hätte. Dann, solange sie das Orchestrion anwarf, band sie mich los, und sagte mir mit einem hässlichen Grinsen, dass es gar nicht nötig wäre, mich gefesselt zu lassen – aus jenem Hause könnte ich eh nicht entkommen! Noch wusste ich nicht, worauf sie da hinauswollte, doch das sollte ich bald genug erfahren. Nachdem sie das gesagt hatte, und das Orchestrion erneut angeworfen hatte, ging sie und kehrte nicht wieder. Dann war ich allein, und es gab nichts anderes im Raume, als den Leichnam meines Vaters und das Instrument des Fluches, das fortwährend den Ole Miss Rag spielte – ausgerechnet! – endlos, den ganzen Tag und jeden Tag.


Manchmal erhielt ich ein Glas Wasser und eine Schale Porridge von jenem Gnom, doch ich kam von jenem Orte nicht weg: Einmal oder zweimal versuchte ich, zu fliehen. Und das war der wahre Beginn des Entsetzens – Flucht nutzte mir gar nichts, wie mir Rose zuvor gesagt hatte: Jedes Mal, wenn ich jenen Raum verließ, gelangte ich in einen langen, dunklen Korridor mit nur spärlichem Licht aus verdunkelten Lampen. Ich folgte dem Korridor, bis ich an eine weitere Tür kam. Das erste Mal, als ich jene Tür erreichte, glaubte ich noch, dass mir die Freiheit bevorstände, aber…da lag ich weit daneben: Ich gelangte lediglich wieder in die Kammer des Orchestrions, wo die Leiche meines Vaters vor sich hin rottete, und jede Stunde fauler wurde. Wie spät war es jedoch? Und wieviel Uhr war es überhaupt? Ich hatte keine Ahnung mehr nach einigen Stunden, jeden Zeitgefühls verlustig gegangen! Es müssen nur wenige Stunden vergangen sein in der Welt der Lebenden, doch in diesen teuflischen Katakomben, wo ich gefangen war, erschien es, als wären viele Tage, Monate gar, vergangen. Ich fürchtete, meine Urteilsfähigkeit zu verlieren und wahnsinnig zu werden, und es war deutlich, dass gerade das die Hauptabsicht Thomas Kennedys und Egbert MacCullochs war. O ja, doch ich war gerade erst in einem Wachtraumzustande, bis zum Tage, als Egbert höchstselbst mich aufsuchte, in Begleitung des Gnoms, sich daran zu weiden, einen armen Tropf zu sehen, der so wahnsinnig wurde, wie er es selbst ohnehin schon war. Nun, ich hatte keine Ahnung, wie verrückt ich tatsächlich schon war, doch ich hatte mir vorgenommen, seit ich in jenem Verlies gelandet war, ihnen den Gefallen zu tun, nachzugeben und dem Wahnsinn zu verfallen; ganz gleich, was sie mir antäten – ich muss nun zugeben, dass es jedoch keineswegs einfach war, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten, und gesunden Geistes zu bleiben, und möglicherweise habe ich darin zuletzt gänzlich versagt – doch das war es mir wert! Letztlich errang ich einen Sieg gegen Egbert, seinen Neffen und dessen Diener, und übte selbst Vergeltung für meinen armen Vater…Ich bemerkte, dass ich noch immer meine Schusswaffe hatte, meinen treuen alten Webley-Revolver, und jede seiner Patronenkammern war geladen, und es erstaunte mich, dass jenes Weib es nicht bemerkt hatte…doch egal! Mit einem hässlichen Grinsen erkundigte sich Egbert bei mir, ob mir die Musik zusagte, die Thomas, das Orchestrion und sein Neffe, spielte. „So, was führst u im Schilde?“ sprach ich, „Und was habe ich überhaupt mit dieser Sache zu tun? Nur, weil ich zufällig Professor MacLeods Sohn bin? Nun, ich habe noch einen Bruder, und noch habe ich einen Weg, mich zu versichern, dass Ihr ihm ebenfalls Leid antut!“ Und während ich jene Worte sprach, zog ich mein Schießeisen langsam aus dem Halfter. Ihre Augen weiteten sich mit Entsetzen, doch Egbert grinste noch immer hässlich. Er bekam jedoch kein weiteres Wort mehr heraus, denn gerade da verpasste ich ihnen einen guten Schauer Blei, Schuss für Schuss – zwei Kugeln für Egbert, zwei Kugeln für den Gnom, und den Rest für das Orchestrion. Danach langte ich mit meiner Hand in die rechte Tasche meines Jacketts, ob ich dort etwa noch eine weitere gefüllte Trommel fände. So seltsam es mir deuchte nach allem, was mir geschehen war, fand ich eine – und lud die Kanone nach, um die gleiche Anzahl Kugeln auf Egbert, seinen Diener und das Orchestrion niederprasseln zu lassen. Dann sah ich mir die zwei Männer näher an, ob sie wirklich tot waren. Allem Anschein nach war das der Fall. Und das verdammte Orchestrion war endlich still. Ich öffnete die Tür – und zum ersten Male, seitdem ich zu jenem verfluchten Hause gelangt war, kam ich nicht in den Korridor, der mir nun allzu vertraut geworden war. Doch ich gelangte zu einer Treppe, die mich endlich zur Haustür führte. Ich rannte hinaus, und kehrte jenem Hause den Rücken, so schnell ich noch konnte.


Obwohl mir noch immer etwas schummrig und schwindlig zumute war, wusste ich, dass das Haus irgendwo am Fuße des Corstorphine-Hügels lag…Ich machte mich auf gen Corstorphine Road, und sobald ich dort ankam, nahm ich eine Tram, die mich ins Stadtzentrum bringen würde. Ich gewahrte nichts Verdächtiges auf der Strecke, außer, dass es früh am Nachmittage war, obwohl ich nicht wusste, welches Datum, oder welchen Tag wir überhaupt hatten.


Sobald ich die Stadtmitte erreichte, verließ ich die Tram am Friedhof von St Cuthbert am Fuße der Veste, und lief die Lothian Road und King’s Stables hinauf gen Grassmarket, so schnell ich vermochte, als ob eine Legion Dämonen aus der Hölle mir auf den Fersen wäre, und wahrscheinlich war sie das auch – ich weiß noch immer nicht, warum ich jenen Weg lief, doch ich suchte ein Pub, wo ich mir einen gehörigen Dampf antrinken konnte, der die Bilder der Geschehnisse, die mich befallen hatten, und was ich in jenem unglücksseligen Hause gesehen hatte, aus meinem Geiste vertreiben würde. Doch so geschah es nicht…Als ich zur Tür jener Taverne The Rollicking Pooch am Grassmarket hereinkam, wusste ich, dass etwas faul war, als ich eine junge Schöne mit dem Wirt reden sah, nachdem ich gerade durch die Türe getreten war. Und ja, nachdem ich vier Pints in mich hineingegossen hatte, fühlte ich mich eher seltsamer, denn gemütlicher – sicherlich muss etwas in jedem Pint gewesen sein, das weder zu Maische, noch zu Wasser gehörte. Doch es sollte noch etwas geschehen, das weitaus schlimmer war als der widerliche Geschmack auf meiner Zunge: Es gab keine Bühnenmusikunterhaltung an jenem Abend wie üblich in jener Kneipe, aber es spielte ein Grammophon. Und plötzlich, der Schluck, den ich gerade getrunken hatte, blieb mir in der Kehle stecken, hörte ich jene Melodie, die mir nun ebenso unglückverheißend geworden war, wie jenes Haus drüben in Drumbrae, wo ich viele Tage und Stunden, die ich nun nicht mehr abschätzen konnte, gefangen gewesen war in der Gesellschaft des verfaulten Leichnams meines Vaters, während jene verdammte Weise unentwegt gespielt wurde von Thomas Kennedy in Gestalt des Orchestrions, das er selbst konstruiert hatte…bis ich ihm ein Ende setzte mit meinem Revolver – doch war es eine vergebliche Mühe gewesen? Hielt der Fluch des Maestros mich noch immer in seinem Banne? Ich zog den Revolver, und feuerte Salve um Salve auf das Grammophon…und das erste, was ich bemerkte, als ich aus meiner Umnachtung wieder erwachte, war eine Gummizelle in dieser Klapsmühle, wo ich nun gefangen sitze…“


Hugh zitterte, als er den Brief seines Bruders vollständig gelesen hatte, und sagte nichts, als: „A Thì Bheannaichte! A Rìgh nan Gràs!“ (Schott.-Gäl. „Oh Gesegneter! Oh König der Gnaden!“) Sein Gesicht war kreidebleich geworden, und Rory gab ihm ein Glas Wasser und einen kleinen Whisky, um ihn wieder zu Kräften zu bringen. Nachdem es ihm wieder besser ging, sprach er: „Lieber Rory, ich würde meinen Bruder gerne im Sanatorium besuchen, bitte! Ich würde ihn gerne sehen!“ Als Hugh das gesagt hatte, war es an Rory, erschrocken zu sein. „Bist Du sicher, Junge?“ sagte er, „Geht es Dir nicht schon schlecht genug allem Anschein nach?“ „Tut es wohl, aber er ist mein Bruder! Ich sollte ihn besuchen, gleich wenn es ihm schlecht erginge!“ „Schon gut, doch so gut ich Norman kenne, würde er sich wünschen, Du mögest ihn im Gedächtnis behalten, wie Du ihn zuletzt gesehen hast, und wie er je zu Lebzeiten war…“ „Ich stimme Dir wohl zu, lieber Rory, doch was tätest Du, wenn er Dein Bruder wäre?“ „Ja, ein Punkt mehr für Dich, Junge – ich täte wohl dasselbe an Deiner Stelle, und ich möchte Dich nicht daran hindern, es ist nur ein Rat meinerseits für Dich. Doch ich werde Dich begleiten zu jener Klapsmühle dort, aus Sorge, dass Dir dort auch Gefahr droht!“ „Danke, Rory, gerne, und ich weiß es zu schätzen!“

III.

Das Sanatorium war ein düsterer Ort, doch letztlich sind sie das alle, und es ist kein Spaß, in einem eingesperrt zu sein. In der Tat war es Hugh verhasst, dass sein Bruder in einer solchen Institution einsaß. Und obschon er erwartete, auf schreckliche Schreie und sabbernde arme Hanseln zu stoßen, oder solche, die gerade ihren Koller hatten, verspürte er ein mulmiges Gefühl, als er es gemeinsam mit Rory betrat. Er wurde immer angespannter und nervöser, als ob noch etwas Übles geschehen sollte, und die Gefahr noch nicht ganz vorüber war für Norman, und gar für ihn selbst. Er erhielt Bestätigung für seine dunkle Vorahnung, sobald sie auf eine barsche und harte Schwester stießen. „Wen suchen Sie?“ sagte sie, „Haben Sie überhaupt eine Besuchserlaubnis mit einem der Ärzte arrangiert?“ Doch Rory war solches Verhalten gewohnt, war es ihm doch schon in so manchem Dienstjahr bei der Polizei vertraut geworden. „Ich bin Inspektor Cook von der Kriminalabteilung der Polizei Edinburgh“ antwortete er angespannt, und mit fester Stimme, und zeigte ihr seine schimmernde Marke samt dem Ausweis. „Wir möchten meinen Kollegen Norman MacLeod besuchen, der hier gerade einsitzt. Der junge Gelehrte hier in meiner Begleitung ist sein Bruder. Es ist wichtig, dass wir unverzüglich zu seinem Zimmer gelangen!“ Die Schwester war schon ein wenig schüchterner geworden, doch noch blieb sie unnachgiebig, und nun zeigte sich gar Sorge in ihren Zügen. „Sie dürfen ihn gerade nicht besuchen“ sagte sie, „Sie dürfen nicht! Dr. O Shea macht gerade seine Visite bei ihm, und eine Studentin der Psychologie aus Amerika ist bei ihm.“ Hugh und Rory tauschten einen Blick aus. „Ach ja?“ sagte Rory zögernd und inquisitiv, „Aus Amerika stammt also die Frau in Begleitung des guten Doktors? Wie sieht sie denn aus?“ Die Schwester war nun wirklich besorgt, wenn nicht gar ängstlich. „Also…“ sprach sie langsam und unsicher. „Also?“ sagte Rory, der nun immer angespannter und ungeduldiger wurde. „Beeilen Sie sich, Schwester MacKinnon – es scheint, dass etwas Schlimmes hier in dieser Klinik geschehen wird!!“ „Äh, also, sie ist eine hübsche Dunkelhaarige – ja, sie ist schön genug gewachsen, doch ihre Augen haben etwas Fischiges…“ „Gu sealladh orm!“ rief Rory, „sie hat das Blut der Tiefen in ihren Adern! Das muss Rose sein, die Geliebte Thomas Kennedys – wenn das nicht Musik quer über der Fiedel ist! Geben Sie sofort dem Sicherheitsdienst der Klinik Bescheid, Schwester! Und ich muss sofort telefonieren! Unverzüglich!! Weia, weia!! Ich muss die nächste Polizeistation um Verstärkung anwählen! Detektiv MacLeod – oder was noch von ihm übrig ist, dem armen Wurm - ist in Lebensgefahr…oh, und Hugh, wage es nicht, mir jetzt von der Seite zu weichen – auch Du musst in Gefahr sein! Doch Dein Bruder ist in schlimmer Not!! Sie ist diejenige, die Deinen Bruder ursprünglich zu jenem verfluchten Hause brachte – dem, das er im Brief erwähnte, und wo Euer Vater ebenfalls umgebracht wurde!“ „Oh, weh mir“ sagte Hugh, „wir müssen uns beeilen!“


In wenigen Minuten kehrte Schwester MacKinnon zurück mit einer Abteilung Wärter der Klinik, und sie begaben sich zu Normans Zimmer, mit Rory und Hugh an der Spitze der kleinen Truppe. Auf dem Wege dorthin fragte Rory die Schwester, ob die Studentin Dr. O Sheas etwas Verdächtiges bei sich trug. Sie antwortete, dass sie eine Art Kasten unter ihrem Arm trug wie eine Grammophonkiste. „A Thì Bheannaichte!“ rief Hugh, sein Gesicht mit der rechten Hand bedeckend, „jene Hexe hat die verfluchte Melodie mitgebracht, und versucht nun, ihn vollends um den Verstand zu bringen – wenn überhaupt noch etwas an Geist in ihm vorhanden ist…“ „Ich verstehe kein Wort von dem, was Sie mir da erzählen, werter Professor MacLeod, und sehe weder Hand noch Fuß in jener Sache – überhaupt nicht“ sagte Schwester MacKinnon. „Und Sie dürfen sich deshalb glücklich schätzen“ sagte Rory, „denn wenn Sie es wüssten, was dahinter steckt, müsste man Sie möglicherweise selbst hier einsperren in Ihrer Klapse!“ Die Schwester wurde bleich, doch sie sagte nichts.


Nun, furchtbare Schreie sind etwas Alltägliches in der geschlossenen Abteilung einer Nervenheilanstalt. Doch je näher sie Normans Zimmer kamen, desto schrecklicher wurden die Schreie, die sie hörten. Rory freute sich in gewisser Weise, dass seine Jackettasche wohlgefüllt mit wohlgeladenen Trommeln war. Ebenso, je näher sie Normans Zimmer kamen, desto offenbarer war die Melodie des Ole Miss Rag zu hören. Die Tür von Normans Gummizelle stand weit offen, und der arme Mann selbst war eng gefesselt. Rose selbst saß ihm gegenüber, das Grammophon fest gepackt, ein hässliches Grinsen auf ihren Wangen. Neben ihr stand Dr. O Shea – es war jedoch nicht der echte Dr. O Shea, sondern Egbert MacCulloch! Niemand hätte den Ausdruck auf dem Gesicht des armen Norman geglaubt – er hatte nichts Menschliches mehr an sich. Wenn er überhaupt lebend aus dieser schlimmen Gefahr, in der er war, herauskam, so war es nun unwahrscheinlich, dass er je wieder aus der Nervenklinik herauskäme. Das war zu hässlich für Hugh, das zu erdulden, und er konnte das Leid seines Bruders nicht mehr länger verkraften – er riss den Revolver aus Rorys Hand, und feuerte Salve für Salve auf Rose und den falschen Doktor ab – doch anstatt zu sterben, wie es gewöhnliche Sterbliche taten, schmolzen sie! Jawohl, sie zerschmolzen und nahmen die Form grauer Pampe an. Danach flossen sie zum Grammophon, das nun in Trümmern am Boden lag. Die graue Schmiere umgab das Instrument, und plötzlich begann es erneut zu spielen, nämlich Ole Miss Rag endlos wie zuvor, und gleichzeitig begannen die Wände der Klinik zu wackeln; die Melodie wurde nun stetig lauter, und die Zimmer der Anstalt stürzten ein und in sich zusammen. Rory rief mit lautester Stimme, dass jeder, der rennen konnte, sofort und unverzüglich aus dem Gebäude fliehen sollte, und sie nahmen allesamt die Beine in die Hand, die gerade eingetroffene Unterstützungstruppe der Polizei unter ihnen. Sie gelangten wohl aus dem Gebäude, doch das gebot dem Schrecken weder Einhalt noch ein Ende, denn Ströme der grauen Pulpe folgten ihnen! Und plötzlich entwickelte jenes widerliche Zeug, das aus dem elenden Grammophon floss, Tentakel! Ein Teil des Klinikpersonals, als auch der Polizeitruppe wurden eingefangen und geschluckt, obwohl ihre Kameraden auf dieses entsetzliche Ding, das weder beschrieben noch benannt werden konnte, feuerten, und allmählich – vielleicht unvermeidlich – erreichten die Fangarme selbst den armen Hugh, und packten ihn. Er wurde jedoch nicht gefressen, vielmehr verwandelten sich die Fangarme wieder in Schleimströme und flossen an Hugh hoch, der nun am ganzen Körper zitterte und von Entsetzen gelähmt war. Doch war es dem guten Rory und seiner Polizeitruppe – oder jedenfalls, was von ihr übrig war - nicht möglich, irgendetwas zu tun, als ihn anzustarren, ohne dass sie sich zu rühren, geschweige denn etwas zu sprechen oder gar überhaupt irgendwie zu reagieren vermochten. Schließlich begann Hugh, vor Angst und Verzweiflung zu brüllen – und genau da passierte das unfassbar Grausige: Die Pampe floss ihm in die Nase, und den Mund. Niemals würde Rory vergessen, wie der verzweifelte Schrei Hughs sich in die Melodie des Ole Miss Rag verwandelte, in der Art eines Pianolas und endlos, und nie sollte er jene Melodie wieder hören können ohne Alpträume voll der Bilder des Grauens der Ereignisse in jener Anstalt…

Epilog:

Niemand, der jemals in der Psychiatrie des Dr. Simpson nahe Edinburgh arbeitete, sollte jemals wieder an einer anderen Klinik eingestellt werden, denn jeder, der zur Belegschaft jener Heilanstalt gehörte, verlor gänzlich den Verstand an jenem finsteren Tage, als sich der Fluch des Maestros und seiner Angehörigen an jenem Orte erfüllte. Doch hatte er sich tatsächlich schon erfüllt? Wenn dem so ist, so ist die Wunde, die er schlug, noch keineswegs verheilt, und wie es scheint, wird das zu unseren Lebzeiten auch nicht mehr geschehen. Es scheint gar, als eitere die Wunde noch. Ein Jahr nach jenem grauenvollen Tage erschien eine Nachricht im Scotsman:


„Es ist heute ein gutes Jahr her, seit die Psychiatrie des Dr. Simpson auf brutale Weise, die noch immer nicht begreifbar oder erklärbar ist, niedergerissen wurde. Es ist sehr schwer, Details zum Kern des Sachverhalts aufzutreiben, denn die Zeugen des Ereignisses weigern sich, darüber zu reden, und die Wenigen von ihnen, die williger sind, mit uns zu korrespondieren, verfallen in Schwindelgefühle, sobald sie sich mühen, uns mehr zu erzählen…Doch der Tatort selbst liegt noch unter einer Art Wolke, und es ist leider noch immer eine finstere Wolke. Die Mehrheit der Bürger unserer Stadt nähert sich nun der Ruine jener Klinik nicht mehr, doch zuweilen hört man von jungen wagemutigen (oder dummdreisten) Leuten, die verschwinden, wenn sie sich diesem Orte zu sehr nähern. Wenn sich überhaupt jemand dem Ort nähert, oder jedenfalls seiner Umgebung, egal zu welcher Tageszeit, so hört er dort nichts als ein merkwürdiges Geräusch, das der Melodie des Ole Miss Rag von W.C. Handy ähnelt. Doch das Schlimmste noch ist, dass das Trinkwasser jener Gegend völlig verseucht ist, und die Bewohner des Distrikts kränklich und gelblich um die Wangen werden, und ständig den Ole Miss Rag singen oder pfeifen. Bringt uns das nicht zurück zum Falle des Polizisten aus der Familie des seligen Prof. MacLeod, Musikforscher an der Hauptuniversität unserer Stadt? Er wurde in gerade jener Klinik festgehalten, ehe sie gesprengt wurde, und man weiß, dass sein jüngerer Bruder ihn an jenem Tage besuchen wollte…Jener wird nun in der Nervenklinik von Craig Dunain in Inverness gehalten, weit weg von Edinburgh und der Bretagne, wo er sich aufzuhalten pflegte. Er singt endlos den Ole Miss Rag bis zum heutigen Tage, auf eine Weise, die für einen Menschen unnatürlich ist, jedoch nicht für ein Pianola oder ein Orchestrion. Man fand und findet jedoch keine Spur seines Bruders, oder was noch von ihm übrig ist.“


Veröffentlichungsgeschichte

Der Fluch des Maestros ist zuerst in drei Teilen ab Dezember 2014 in gälischer Sprache erschienen. Ihr findet sie im gälophonen Online-Magazin Dàna: http://danamag.org/sgeulachd-g…d-a-mhaighstir-chiuil-13/

Eine Veröffentlichung in englischer Sprache erfolgte in M.G. Kellermeyers Yellow Booke (Walpurgisnacht 2016): https://www.oldstyletales.com/tyb3 (pp. 97 et seq.)

In deutscher Sprache erschien die Geschichte zuerst im mittlerweile leider entschlafenen Irland-Journal.