Joshi oder de Camp??

  • Hallo zusammen,

    welche Biographie würdet ihr empfehlen - Joshi oder de Camp???

    Würde mich über euren Input mit Begründung freuen.

    Und ja, ich weiß das der zweite Joshi Band auf der Kippe steht.

    Viele Grüße

    Georg

  • Definitiv Joshi. Ersten basiert die Biografie von de camp auf wesentlich weniger Quellmaterial, dann ist de Camp voreingenommen. Joshi hat eine Menge an Briefen, Dokumenten, Artikeln und und und verarbeitet, die sich sehen lassen. VIEL seiner Arbeit basiert darauf, das durch de Camp verfälschte Bild Hpls wieder grade zu rücken.

    “I couldn’t live a week without a private library – indeed, I’d part with all my furniture and squat and sleep on the floor before I’d let go of the 1500 or so books I possess.”
    H.P. Lovecraft in einem Brief vom 25. Februar/1. März 1929 an Woodburn Harris
  • Christopher

    Bei einer Entweder-oder-Frage, würde ich trotzdem immer zu der Joshi-Biografie tendieren.

    Aber du hast natürlich recht, wenn man neben einer Biografie auch eine Art historischen Verlauf betrachten möchte, dann sollte man eine kleine Leseliste (in chronologischer Reihenfolge der ersten Veröffentlichung) anfertigen:


    Derleth, August: H.P. Lovecraft, Outsider. In: Johi, S.T./ Schultz, David E. (Hg.): Essential Solitude: The Letters of H.P. Lovecraft and August Derleth. Hippocampus Press. 2008

    -> Ein kurzer Essay Derleths zu Lovecraft, welcher im legendären "The Outsider and Others" von Arkham House 1939 erschien. Es war der erste Text zu Lovecraft von nennenswerter Verbreitung. In Ihm werden viele Fehlkonzepte zu HPL zum ersten mal in die Welt entlassen.

    De Camp, Lyon Sprague: H.P. Lovecraft. Eine Biografie. Aus dem Amerikanischen von

    Andreas Diesel. Festa 2012

    -> Diese 1975 erschienene Biografie genießt heute einen schlechten Ruf. Sie ist voreingenommen, basiert auf (relativ) wenigen Quellen und erfüllt keine wissenschaftlichen Standards.

    Long, Frank Belknap: Mein Freund Lovecraft. Dreamer on the Nightside. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Siefener. Festa 2016.

    -> Ebenfalls 1975 erschien dieses Buch als Antwort von Lovecrafts Freund und Protege auf das Buch von Sague de Camp. Es ist persönlicher und episodenhafter, aber definitiv ein wichtiger Teil der Lovecraft-Forschung.

    Joshi, S.T.: I am Providence. The Life and Times of H.P. Lovecraft. In zwei Bänden. Hippocampus 2013.

    -> Die definitive Biografie. Sie fußt auf einem imensen Quellencorpus, entspricht wissenschaftlichen Ansprüchen und ist beeindruckend detailliert.

    “I couldn’t live a week without a private library – indeed, I’d part with all my furniture and squat and sleep on the floor before I’d let go of the 1500 or so books I possess.”
    H.P. Lovecraft in einem Brief vom 25. Februar/1. März 1929 an Woodburn Harris

    Einmal editiert, zuletzt von derTräumer (4. März 2020 um 23:32)

  • Bei mir war die erste Lektüre: Der Einsiedler von Providence. Lovecrafts ungewöhnliches Leben aus dem Suhrkamp-Verlag.

    Es ist schön, dass man jetzt auch im deutschsprachigen Raum mehr Auswahl hat. Mein Freund Lovecraft ist ein wunderbares Buch. Natürlich ist Joshis Werk derzeit das Non-plus-Ultra. Das wird es wohl auch noch lange bleiben. Trotzdem ist auch das De Camp-Buch spannend und lesenswert und vielleicht sogar ein wenig zugänglicher.

  • Ich habe die Bio von de Camp etwa 2006 in der HC-Ausgabe von Festa gelesen. Später wurde sie ja nochmal als Paperback veröffentlicht. War die erste Biographie, die ich überhaupt je gelesen habe. Hat mir damals auch durchaus gefallen. Allerdings erscheint de Camp oft etwas gönnerhaft. War zumindest mein Eindruck. Ich spiele mit dem Gedanken, das Buch nochmal zu lesen seit bei Golkonda Joshis Mammutwerk erschienen ist. Je näher ich in den letzten Tagen dem Ende des zweiten Teils kam, desto stärker wurde dieser Eindruck. Ist ja nun doch schon eine Weile her ...

    Vermittels Google & Co. bin ich nach der ersten Lektüre auf Joshi gestoßen. Damals gab es noch die ursprüngliche Version. Ich habe dann die von Festa herausgebrachte zweibände Reihe "Moderne Horrorautoren" gelesen und war durchaus angetan. Joshi trifft meinen Geschmack oft recht gut. Bei den Recherchen zu dessen Bio stand u. a., dass ihm de Camps Buch sehr unfundiert vorkam und dies gewissermaßen die Motivation dafür war, selbst eine Biographie zu verfassen. Das hat mich natürlich interessiert. Ich habe damals bei Frank Festa angefragt, ob er das Buch bringen wird. Auf das Risiko ihm jetzt Worte in den Mund zu legen: Meiner Erinnerung nach fand er Joshis Bio schlicht langweilig (die einbändige Version, wie gesagt), weshalb er sie nicht bringen wollte.

    Der Unterschied dürfte sein, dass de Camp ein Erzähler ist. Daher dürfte sein Werk sicherlich einfacher zugänglich sein. Das will ich gar nicht in Zweifel stellen. Joshi hingegen ist eher ein (Literatur-)Wissenschaftler. Das merkt man natürlich. Es ist also völlig legitim, wenn einem das Buch zu trocken ist. Oder man es sogar langweilig findet. Muss jeder selbst entscheiden. Ich persönlich finde, dass Joshi an den richtigen Stellen durchaus sehr eindringlich geschrieben hat. Das betrifft dann z. B. auch das Kapitel über Lovecrafts Tod. Und weiterhin ist festzuhalten, dass hier keine Lobhudelei auf Lovecraft vorliegt. Es ist ja kein Geheimnis, dass Joshi ein Fan Lovecrafts ist. Aber erscheut nicht vor Kritik zurück.

    Da liegt dann ein Gegensatz zu de Camps Arbeit, der dann doch eher etwas tendenziös ist. Joshi geht im letzten Kapitel übrigens auf das Buch ein. Direkt, aber durchaus fair wie ich meine. Trotz der Schwächen würde ich es - aus der Erinnerung heraus - nach wie vor als lesenswertes Werk beschreiben. Man lernt durchaus einiges über Lovecraft. Die Frage ist wohl eher, wie tief der Leser hier eintauchen möchte. Reicht ihm ein oberflächliches Kennenlernen aus? Dann tut es de Camp wohl. Ich würde aber auch dazu raten, beide Bios zu lesen wenn sich die Möglichkeit ergibt.

    Mir stellt sich nun eher die Frage, ob die einbändige Version für mich auch noch interessant ist. Aber vermutlich würde ich damit nur der Dekadenz frönen.

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