Lovecrafter Online – Kurzgeschichte: Sinfonie in M-Fur

Manchmal muss man auch ein Quäntchen Glück haben. Insbesondere, wenn man als Redakteur für den Lovecrafter online auf der Suche nach neuen Themen ist. Denn bekanntlich gilt es, den geneigten Lovecraftfreunden gleich wöchentlich neue Inhalte anzubieten.
Ein ebensolches Quäntchen Glück hatte ich, als mich vor einigen Wochen Michael anschrieb. Michael Maniura, Jahrgang 1953, ist nicht nur ein begeisterter Autor für Science-Fiction-Stoffe, sondern auch Leser eines wohlbekannten Autors aus Providence. Da muss es nicht verwundern, dass sich in Michaels mittlerweile sehr umfangreichen Schaffen auch einige Geschichten wiederfinden, welche hinlänglich bekannte Mythosmotive aufgreifen und neu interpretieren. So neu, dass die Beschäftigung mit seinem Werk mich schließlich dazu brachte, nicht nur diese kurze Vorstellung aufzuschreiben, sondern Michael ein wenig mehr Platz im Lovecrafter online einzuräumen. So konnte ich Michael für ein kleines Interview gewinnen und auch eine Geschichte aus seinem reichhaltigen Schaffen dürft ihr in naher Zukunft hier lesen.
Wenden wir uns nun aber gemeinsam einigen Geschichten Michaels zu.
Innsmouth, Massachusetts
Michael war so freundlich, mir einige seiner Geschichten zur Durchsicht zu schicken. Darunter auch Innsmouth, Massachusetts, welches – wenig überraschend – Motive aus Lovecrafts Der Schatten über Innsmouth aufgreift. Das geht soweit, dass der durch die Ich-Erzählung führende Protagonist den Namen Robert Olmstead trägt. Gleich seinem lovecraftesken Namensvetter führt ihn seine Reise in ein verschlafenes Fischerdorf namens Innsmouth. Während seine Erlebnisse in dieser Stadt deutlich von der Vorlage abweichen und schlussendlich eher einen sanften Schauer statt kosmischen Schrecken zurücklassen, hat mich Maniuras Beschreibung Innsmouths fasziniert. Denn während er eindeutig die gleiche heruntergekommene, elende Küstenstadt mit ihren verlassenen Kirchen und vernagelten Fensterläden beschreibt, so sorgt seine nonchalante und farbenfrohe Wortwahl schlussendlich dafür, dass wir einen ganz anderen Eindruck von Innsmouth erhalten, als es uns Lovecraft vermitteln wollte. Auch die Tatsache, dass all die düsteren Vorahnungen welche Kenner von Lovecrafts Geschichte wie einen Rucksack mit sich herumtragen eben nicht erfüllt werden, sorgt tatsächlich für eine größere Überraschung als das leicht mysteriös angehauchte Ende der Geschichte. Dieses wiederum greift nicht nur ein Motiv aus Die Musik des Erich Zann auf, nein, das finale Kapitel von Innsmouth, Massachusetts wird nahezu wortgleich eingeleitet wie Lovecrafts Geschichte um den alten Gambisten. Eine weitere, gelungene Reminiszenz. Innsmouth, Massachusetts ist in Bitstaub (s. Werkliste) erschienen.
Die Affenkönigin
Auch Die Affenkönigin greift direkt lovecraftsche Motive auf – in diesem Fall die Vorgeschichte der Familie Jermyn, welche Lovecraft uns in Form von Arthur Jermyn vorgestellt hat. Dabei beginnt die Geschichte gleich mit einem von Lovecraft vertrauten Kniff, werden wir doch direkt zu Beginn mit genauen Koordinaten konfrontiert: „„6° 7‘ südlicher Breite“, verkündete Kapitän Crocker“, steht es hier, was bedeutet, dass die Geschichte an der Mündung des Kongostroms beginnt. Wie bei Lovecraft verliert sich jedoch auch in Die Affenkönigin bald die genaue Orientierung, wenn wir dem Vorfahren Arthur Jermyns – Wade Jermyn – und seinen Gefährten den unerforschten Kongostrom hinauffolgen. Ähnlich wie in Innsmouth, Massachusetts erschöpfen sich dann hier auch bereits die Ähnlichkeiten mit dem Vorlagengeber. Maniura führt die Erlebnisse Wade Jermyns sehr detailgetreu aus. Schrecken und Grauen werden jedoch nur angedeutet, tatsächlich ist die sich entfaltende Handlung zunächst geradezu romantisch und fernab jeglichen Horrors. Leider sind es aber gerade diese herzlichen Details, welche die Zeiten nicht überdauern werden und so den Nachkommen Wade Jermyns keinen Trost spenden können, wenn sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren. Die Affenkönigin ist in Gestern und morgen (s. Werkliste) erschienen.
Theobald
In Lovecrafts Der schreckliche alte Mann verschwinden drei ungebetene Besucher auf mysteriöse Art und Weise. Theobald nun ist Maniuras Interpretation dieser Lovecraft-Geschichte. Ich freue mich, dass wir diese Geschichte in naher Zukunft im Lovecrafter online veröffentlichen dürfen und schreibe daher nicht zu viel darüber. Nur so viel: Wiederum interpretiert der Autor eine Lovecraft-Geschichte, ohne den kosmischen Horror des Altmeisters zu bemühen, sondern findet eine ganz eigene Interpretation des Stoffes.
Ein Fazit
Ist Michael Maniura Lovecraftfans zu empfehlen? Von mir gibt es dazu ein klares „Jain“. Seine von Lovecraft inspirierten Geschichten funktionieren wunderbar unabhängig. Sie sind fernab von platten Pastiches oder dem Versuch, wie Lovecraft zu sein. Stattdessen verwenden sie seine bekannte Motivik, verpacken sie in ein völlig neues Gewand und interpretieren sie komplett neu. Damit erlaubt Maniura einen frischen, neuen Zugang zu manch cthuloidem Bild, welches wir dachten bereits von allen Seiten betrachtet zu haben. Andererseits bedeutet das natürlich auch, dass Freunde kosmischen Horrors und tiefer Abgründe hier eher nicht auf ihre Kosten kommen. Maniura ist kein Lovecraft und will auch gar keiner sein. Wer das berücksichtigt, kann seine Freude an diesen lockeren, oft ungewöhnlich fröhlichen Geschichten haben. Der größte Wermutstropfen mag sein, dass die an Lovecraft angelehnten Geschichten über verschiedene Bände verstreut sind. Zugleich ist dies aber natürlich auch Gelegenheit, sich Maniuras Beiträge zu anderen Genres anzusehen.
PS: Wer Michael Maniura einmal „live“ erleben möchte, der hat dazu im Juni beim Autor(inn)enfestival in Brühl bei Köln eine Gelegenheit, denn hier wird er eine Lesung halten.
Werkliste
Hier findet Ihr eine Liste der lieferbare Titel von Michael Maniura, wobei seine hier angesprochenen Geschichten über die Erzählungen und Novellen verstreut sind:
Science Fiction: Romane
Schattenland (ISBN: 979-12-201-0498-2, Seiten: 372, Veröffentlichung: 2020)
Tetragonium (ISBN: 979-12-201-0943-7, Seiten: 288, Veröffentlichung: 2021)
Die Versuchung (ISBN: 979-12-201-1674-9, Seiten: 264, Veröffentlichung: 2022)
Ruinenzeit (ISBN: 978-3-9872-7047-5, Seiten: 296, Veröffentlichung: 2023)
Seelenleser (ISBN: 978-3-9872-7127-4, Seiten: 248, Veröffentlichung: 2023)
Sonnensturm Erscheint im 1. Halbjahr 2024
Science Fiction und Fantastik: Erzählungen und Novellen
Bitstaub (ISBN: 978-3-75-261169-4, Seiten: 432, Veröffentlichung: 2019, 2020)
Geschichten von der Erde (ISBN: 978-3-75-430618-5, Seiten: 384, Veröffentlichung: 2021)
Vergangene Zukunft (ISBN: 978-3-75-579330-4, Seiten: 384, Veröffentlichung: 2022)
Lauernde Mächte (ISBN: 978-3-75-620281-2, Seiten: 432, Veröffentlichung: 2022)
Gestern und morgen (ISBN: 978-3-75-830922-9, Seiten: 504, Veröffentlichung: 2023)
Essaybände
Schmerzgrenzen (ISBN: 978-3-8316-2242-9, Seiten: 320, Veröffentlichung: 2019, 2020)
Einer wollte da nicht bleiben 1) (ISBN: 978-3-75-262985-9, Seiten: 240, Veröffentlichung: 2020)
Reise durch die Wörterwelt (ISBN: 978-3-75-262342-0, Seiten: 192, Veröffentlichung: 2021)
Kinderbuch
Adventskalender (ISBN: 978-3-75-623801-9, Seiten: 96, Veröffentlichung: 2022)
Bildbände
Vierzig Jahre Berlin (ISBN: 978-3-8316-2047-0, Seiten: 100, Veröffentlichung: 2018)
Seidenstraße (ISBN: 978-3-8316-2081-4, Seiten: 92, Veröffentlichung: 2018)
Eisenbahnbücher
Blauer Enzian (ISBN: 978-3-75-044654-0, Seiten: 164, Veröffentlichung: 2020)
Legenden auf Schienen (ISBN: 978-3-75-781756-5, Seiten: 120, Veröffentlichung: 2023)
Dampf-Giganten in den USA 2) (ISBN: 978-3-9870-2110-7, Seiten: 176, Veröffentlichung: 2024)
1) Autobiografie von Leonhardt Maniura, Herausgeber Michael Maniura
2) »The Majesty of Big Steam« von Brian Solomon, Übersetzung von Michael Maniura
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