Lovecrafter Online - Comic-Rant: Providence

Bevor ich mich dem eigentlichen Text zuwende, möchte ich einige Anmerkungen loswerden. Zunächst einmal wird dieser Text Spoiler enthalten - meine tiefe Aufregung rund um Providence wird sich nur zum Ausdruck bringen lassen, indem ich von dem Finale der Geschichte erzähle. Dann wird dies alles andere als eine "normale" Rezension: Tatsächlich halte ich mich wenig mit dem Für und Wider der Graphic Novel auf und werde auch objektive Kriterien nicht näher beleuchten. Wer sich spoilerfrei und neutral über Providence informieren möchte, dem sei Lauras dLG-Radio-Folge über die Graphic Novel wärmstens empfohlen. Dann natürlich: dieser Text spiegelt weder die Meinung der Lovecrafter-Redaktion, der Lovecrafter-online-Redaktion und schon gar nicht der dLG wider, sondern einzig und allein meine eigene. Und ein letztes: Möglicherweise wird dieser Text polarisieren. Immerhin ist Providence - nicht nur von unserer zweiten Vorsitzenden - bereits über Gebühr gelobt worden und hat viele Fans. Warum auch immer. Ihr seid herzlich eingeladen, Eure gegenteilige Meinung in den Kommentaren zu hinterlassen und meine engstirnige Blickweise um zahlreiche Facetten zu erweitern! Nun aber los!

Alan Moore: Grandmaster der Graphic Novel

Alan Moore gilt - in meinen Augen im Übrigen völlig zu Recht - als einer der "Großen Alten" des Mediums "Graphic Novel". Sein Watchmen war wegweisend und stellt eine der besten Comic-Geschichten dar, die je geschrieben wurden. Daneben gehören Werke wie V wie Vendetta oder Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen zu seinem Schaffen. Allesamt kleine Meilensteine. Kein Wunder also, dass ich mir irgendwann auch Providence zu Gemüte führen wollte. Moore und Lovecraft - das klingt nach einer absolut großartigen Kombination.

Zwei Bände zum Jauchzen...

Also besorgte ich mir die dreibändige Ausgabe, welche Mitte der 2010er von Panini in Deutschland verlegt wurde. Und was soll ich sagen? Ich war vom Fleck weg begeistert. Providence beginnt unglaublich stark, indem es direkt in den ersten Szenen den Alltag der 1920er dezent mit dem Schaffen von Chambers vermischt. Nach dem Selbstmord seines Freundes begeben wir uns mit dem Journalisten Robert Black auf eine Reise durch Neuengland. Um den Kopf wieder frei zu bekommen hat sich der junge Mann die Aufgabe gesetzt, einen Roman über die Mythen und Geheimnisse dieses Landstrichs zu verfassen.


Und was soll ich sagen? Die Geschichte funktioniert großartig! Moore versteht es wie kein Zweiter, Roberts Weg mit lovecraftesken Motiven zu versehen. So trifft er nicht nur auf einen eloquenten Arzt, der durch eine Krankheit an seine stets unterkühlte Wohnung gebunden ist (Kalte Luft läßt grüßen), sondern trifft auch auf die degenerierte Farmerfamilie Wheatley (die in ihrer Scheune scheinbar etwas zu verbergen haben - ein Schelm, wer an Das Grauen von Dunwich denkt), einen freundlichen Autoren, welcher ihn in die Technik des Träumens einführt (Die Traumsuche) und noch einiges mehr. Moore gelingt es, dabei einen so dichten Teppich zu weben, dass man wirklich fasziniert weiter lesen möchte.


Ein wenig hin- und hergerissen bin ich an dieser Stelle bereits von dem Stilmittel der Tagebucheinträge. Denn die einzelnen Kapitel von Blacks Reise werden immer wieder von Tagebucheinträgen des Journalisten unterbrochen, in denen er die Handlung der vergangenen Seiten noch einmal Revue passieren lässt. Was schlussendlich ein interessanter Kniff ist, um tiefer in die Gefühls- und Gedankenwelt von Black einzutauchen, ist zugleich ein Armutszeugnis: Wenn nicht einmal ein Alan Moore es fertig bringt, diese Gedankenwelt im Rahmen der Graphic Novel selbst zu transportieren, läuft schon etwas schief. Dennoch will ich mich hierüber nicht zu sehr aufregen, sind die Einträge doch immerhin ein hübsches Gimmick. Und dann nähert sich der zweite Band dem Ende und ... Black trifft H.P. Lovecraft.

...ein Band zum Gruseln

An dieser Stelle zog ich erstmals skeptisch die Augenbrauen hoch. Wenn H.P. Lovecraft plötzlich in einer Lovecraft-Geschichte auftaucht werde ich gerne misstrauisch. Viel zu oft hat man schon die "Und-Lovecraft-hatte-doch-Recht-und-ist-selbst-Teil-seines-Werkes"-Formel gelesen, gehört oder gesehen. Aber sicher nicht bei Moore! Moore würde nicht diesen offensichtlichen, plumpen Pfad einschlagen. Nicht nach diesem Einstieg.


Doch. Er tut es.


Denn im dritten Band von Providence erfahren wir, dass Lovecraft nun einmal "eben doch Recht" hatte. Den Mythos gibt es nämlich WIRKLICH, und Lovecraft fungiert in dieser Variante durch seine Geschichten - die er natürlich fleißig aus Blacks Tagebuch abgeschrieben hat - als Steigbügelhalter für die Wiedergeburt der Großen Alten höchstselbst. Eben jene lernen wir dann im "großen Finale" auch gleich kennen, dürfen wir doch der Geburt Cthulhus als kleine Kaulquappe beiwohnen. Süß und albern zugleich.


Versteht mich nicht falsch: Ich habe bereits diverse Geschichten gelesen, in denen Lovecraft zum Teil seines Werkes gemacht wurde. Teilweise geschieht das auf eine irgendwie charmante Art - wie in Petra Grells Sonia, welches sich gar nicht erst darum bemüht, Lovecraft ähneln zu wollen. Teilweise geschieht das unnötig und aufgesetzt, wie in den Lovecraft betitelten Comics, von denen ich hier bereits zwei vorstellen durfte, welche eigentlich eine Art Biographie sein wollen. Und teilweise geschieht es mit der pulpigen Brechstange - wie in Die Chroniken des Grauens - um Lovecraft nicht nur zum Teil sondern zum Kämpfer gegen seine Schöpfung zu erklären und gänzlich andere Geschichten erzählen zu können. Ob man diesen Kniff mag oder nicht sei einmal dahingestellt.


Selten aber geschieht es so plump und - in meinen Augen - respektlos wie hier. Respektlos gegenüber Lovecraft - der seine Werke immerhin auf Blacks Notizen aufsetzt. Aber auch völlig respektlos gegenüber den großartigen ersten Bänden. Was hätte Providence eine großartige Geschichte erzählen können, wenn sich Moore darauf beschränkt hätte, eine lovecrafteske Geschichte erzählen zu wollen. Im Neonomicon ist es ihm gelungen - auch, wenn das Finale von Providence sogar das Zeug hat, dieses großartige Comic zu ruinieren. Es ist wirklich eine Schande, dass Moore auf den billigsten aller Lovecraft-Twists setzt, um diese großartige Reihe zu einem absolut unwürdigen Ende zu bringen.

Mein Fazit

Ich habe mich wirklich gut unterhalten gefühlt. Sowohl vom Neonomicon, als auch von Blacks Reise durch Neuengland. Ich empfehle diese Bände wirklich gerne weiter. Aber tut Euch den Gefallen und spart das Ende aus. Es ist ein Fiasko welches es geschafft hat, mir das Lesevergnügen an den ersten Bänden völlig zu ruinieren. Desaströs - trotz Moore.

Antworten 1

  • Einerseits tut es mir Leid, dass dich meine dLG-Radio-Folge anscheinend derartig getriggert hat, andererseits nicht, weil ich diesen Artikel äußerst unterhaltsam fand. ^^


    Zitat

    Viel zu oft hat man schon die "Und-Lovecraft-hatte-doch-Recht-und-ist-selbst-Teil-seines-Werkes"-Formel gelesen, gehört oder gesehen.

    Vielleicht liegt es daran, dass ich ja als relativ junger Lovecraft-Fan (habe ihn ja erst vor fünf Jahren entdeckt) erstmals hier bei Moore über diese Formel gestolpert bin und es für mich etwas ganz Neues, eben "mindblowing" war. Wenn man schon die x-te Geschichte gelesen hat, die in diese Richtung geht, kann ich aber nachvollziehen, dass man am Ende enttäuscht ist. Für mich war es aber dann total unerwartet und damit aufregend und gruselig, als sich Fiktion und Realität miteinander vermengten. :)


    Vielleicht lasse ich mich aber ja zu leicht begeistern. Von daher wäre ich auch gespannt zu hören, wie andere das Ende von Providence empfunden haben!

  • Diskutiere mit!