Lovecrafter Online – Filmkritik: The Void
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Michael H. -
12. Juni 2023 um 12:00 -
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Der Kosmische Horror auf der Erde, gefördert durch einen geheimen Kult, führt zu Wahnsinn und Tod: Dieses Motiv ist klassisch Lovecraft, die Regisseure Jeremy Gillespie und Steven Kostanski setzten es in dem von Ihnen inszenierten und geschriebenen Horrorfilm The Void von 2016 auf der Leinwand um und beschwören so einen Alptraum in einem Krankenhaus herauf.
Handlung
Polizist Carter liest einen fliehenden, drogenabhängigen Verletzten auf und transportiert diesen zum nahegelegenen Hospital. Hier trifft er nicht nur auf seine Ex-Frau, sondern auch auf eine kleine, gemischte Gruppe von Personal und Patienten, die vom diensthabenden Arzt Dr. Powell versorgt werden. Die Ereignisse eskalieren, als zwei Männer den Flüchtigen mit Waffengewalt bedrohen, eine weißgekleidete Kultgruppe vor dem Krankenhaus erscheint und dieses belagert und die ersten Menschen drinnen zu monströsen Kreaturen mutieren. Carter selbst hat immer wieder kurze Visionen von einer alptraumhaften, fremdartigen Umgebung, die außerweltlich erscheint. Als ein hochschwangeres Mädchen Medikamente braucht, verschwindet Carters Ex-Frau, als sie diese holen will. Die Suche nach ihr führt in die Kellerräume, die jedoch immer mehr die Form eines irrealen Abgrunds annehmen.
Es scheint einen Zusammenhang zwischen dem Kult, Dr. Powell und seinen Forschungen und dem Krankenhaus zu geben. Dieses wird mehr und mehr zu einer Kultstätte des Grauens. Die Realität verwandelt sich für die kleiner werdende Gruppe Überlebender in einen scheinbar aussichtslosen Alptraum aus blutgierigen Kreaturen, bizarren Wiederauferstehungen und Menschenopfern.
Lovecrafteske Momente
Der Film beschwört recht gekonnt ein Lovecraft Feeling über seine Stimmung und Bildsprache. Viele Zutaten könnten direkt aus dem Kanon entnommen sein. Ein gefährlicher Kult (The Call of Cthulhu) unterstützt die Rückkehr des Bösen, flankiert von unheimlichen Symbolen. Das mysteriöse Dreieck, das letztlich das Symbol für eine im Verlauf des Filmes prominenter werdende Pyramide darstellt. Wissenschaftliche Experimente, die zur Wiedererweckung von Toten und Wiederauferstehung alter Wesen dienen, sind seit Herbert West, Re-Animator Tropen des Kosmos von Lovecraft.
Der Film präsentiert unzählige, kreative Kreaturen des Grauens. Diese kommen dem unbeschreibbaren Grauen bildlich sehr nahe und haben Alptraum-Potenzial. Das Verschwimmen der Grenzen zur Realität, beginnend mit den Visionen Carters, der immer im Moment der Schwäche oder Ohnmacht in eine andere Dimension sieht, referenziert auf Dreams in the Witch House ebenso wie auf die zahllosen Helden Lovecrafts, die bei bereits bei milder Belastung kollabieren (Dagon/Shadow over Innsmouth etc). Wobei Polizist Carter als Figur härter rangenommen wird als die typischen Protagonisten in den Geschichten, er jedoch ebenso kaum heldenhafte Züge oder Anführer-Qualitäten besitzt. Die Charaktere sind generell - wie bei Lovecraft - eher reisbrettartig und funktionell gehalten.
The Dunwich Horror entliehen und wurde hier optisch bildgewaltig und spannend umgesetzt.
Entitäten aus einer anderen Dimension zu beschwören istDie Geschichte beginnt ohne Einleitung direkt, die Eingangssequenz der Flucht und der Verfolgung des Kultanhängers wirft den Zuschauer mitten in das Geschehen hinein und läuft durchgängig bis zum Finale mit hohem Tempo weiter. Auf dem Weg erhält man die notwendigen Handlungspunkte und Erklärungen nach und nach. Vieles bleibt dadurch schemenhaft, es gibt nur angedeutete Hintergründe und Charakterisierungen. Der Film folgt einer zunehmenden Alptraumlogik, spätestens beginnend ab dem Abstieg in die unterirdischen Grüften (à la Nameless City) unter dem Krankenhaus bis zum bizarren Finale in der Kultstätte.
Wir erleben und verfolgen einen Abschnitt in der Zeit mit den Protagonisten und werden dann mit unseren Gedanken über die Zukunft und die weiteren Ereignisse entlassen, so wie es Lovecraft meisterhaft in vielen seiner großen Werke z.B. in At the Mountains of Madness, The Call of Cthulhu oder The Whisperer in Darkness durchführte. Die wahre Bedeutung und die Natur der Ereignisse kann der Verstand des Menschen hier wie dort nicht erfassen. Das alles ist extrem stimmungsvoll und atmosphärisch dicht eingefangen und erinnert an die surrealen, alptraumhaften Gemälde eines Upton Pickman (Pickmans Modell), eingefangen in blutige Effekten und eine beunruhigender Bildsprache.
Cinematographische Notizen
Der Film entstand als Passionsprojekt der Filmemacher, die mit ihren Bildern und Konzepten auf Werbetour gingen und letztlich die fehlenden Gelder über Crowdfunding selbst organisierten. Der Hintergrund der Regisseure und Drehbuchautoren Gillespie und Kostanski als Art Director bzw. Special Effect Supervisor dürfte dabei mit ausschlaggebend gewesen sein, das Projekt für ein angegebenes Effekt-Budget von 83.000 Dollar realisieren zu können. Gillespie hatte die Idee zu dem Film, als er eine Etage unter dem Team für Guillermo del Toros letztlich nie verwirklichte Lovecraftadaption von At the Mountains of Madness arbeitete. Er hörte dabei viel von den Plänen und diese Informationen setzten seine Phantasie in Bewegung. Diesen Eindrücken sei auch die letztlich dem Zuschauer überlassene Interpretation der finalen Ereignisse entsprungen. Es sollte ein Film der Alptraumlogik werden, ohne vollständige Erklärung.
The Thing, aber auch Halloween 2, Assault und Prince of Darkness - sowie Horrorfilmen der 80/90er wie Silent Hill, Hellraiser und Event Horizon, entstand ein eigener, hervorragend umgesetzter Horrorfilm. Die kleine Crew setzte mit knappem Budget und Drehplan mit Hilfe eines engagierten Cast um Altstar Kenneth Welsh (Akte X/Twin Peaks) eine bemerkenswerte Produktion um.
Gefilmt wurde hauptsächlich in einem stillgelegten Berufsschulkomplex, der vollständig genutzt und umgebaut werden konnte, um die durchgängig praktischen Effekte zu realisieren. Er wurde nach den Dreharbeiten abgerissen. Inspiriert von den Filmen John Carpenters - vor allemDie einzigen größeren Computereffekte beinhalteten die Vermehrung der Kult-Mitglieder vor dem Krankenhaus, die mit CGI-Doubeln aufgefüllt wurden. Durch den effektiven Einsatz von Beleuchtung, Kamerawinkeln und Schnitttechnik schafften die Filmemacher es, den Film aufwendiger aussehen zu lassen und den Zuschauer mehr in das Geschehen hineinzuziehen.
Bewertung
Für einen Lovecraft-Fan mit solidem Magen ist der Film ein kleines Fest. Es ist wirklich bemerkenswert, wie viel Herzblut und Fanliebe zu spüren ist. Das unbeschreibliche Grauen wird hier mit hervorragenden praktischen Effekten zum Leben erweckt, immer geschickt in Szene gesetzt. Oft sieht man eben nicht alles, oder nur kurz und mit begrenzter Beleuchtung durch Taschenlampen oder Fackeln. Das, was man sieht, ist ein hervorragender Trigger für Alpträume, den Rest setzt man im Hirn selber um oder zusammen (die Wörter Geburt/Monster/Nabelschnur kombiniert das Finale zu einem kranken Fiebertraum des Wahnsinns). Dabei schockiert die geradezu beiläufige Präsentation des Schreckens. Die Einschübe des kosmischen Horror sind gelungen und gut umgesetzt und erweitern das Mysterium des Filmkosmos.
So entstand sicher kein Meisterwerk der Filmkunst (eher der Tricktechnik mit kleinem Budget!) und man sollte als Zuschauer keine geradlinige Geschichte mit Happy End erwarten. Vieles ist von den erwähnten Vorbildern geklaut (viele Gemeinsamkeiten lassen sich mit dem recht unbekannten, sehr harten türkischen Horrorfilm Baskin feststellen), aber gekonnt variiert oder erweitert. Und ob mehr Budget besser gewesen wäre, darf angesichts oftmals schlechterer, hoch budgetierter Hollywood-Horrorfilme bezweifelt werden. Gerade aus der Not geboren, zeigt der Film kreative Lösungen mit atmosphärisch dichteren Ergebnissen.
Der Film schafft es sehr gut, den Zuschauer über das rasante Tempo, den abgeschlossenen, klaustrophobischen Schauplatz, die dunkle Bedrohung durch den Kult und die blutigen Monstererscheinungen bis zum Finale gebannt am Schirm zu halten und blutig zu unterhalten.
Fazit
Ein lohnenswerter, lovecraftesker Schocker mit Kult, Blut und Monstern, gewürzt mit einem Schuss kosmischem Horror. Eine schöne, alptraumhafte Perle.