Lovecrafter Online – Filmkritik: Offseason
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Michael H. -
14. August 2023 um 12:00 -
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Howard Phillips Lovecraft filmisch adäquat umzusetzen, gilt unter Kultisten und Fans als nahezu unmöglich. Der kleine Independent Film Offseason von Mickey Keating geht einen indirekten Weg, um eine lovecrafteske Geschichte auf der Leinwand zu erzählen. Er nutzt bekannte Versatzstücke wie die düstere Konfrontation mit dem familiären Erbe, dem eigenen Schicksal und dem unbeschreiblichen Grauen und verbindet diese mit vielen zusätzlichen Elementen zu einem interessanten Filmerlebnis, das einen hohen Mythosfaktor aufweist.
Eine Geschichte vonHandlung
Das Grab der verstorbenen Schauspielerin Ava Aldrich wurde geschändet. Tochter Marie pflegte die zuletzt meist demente Frau trotz der oft problematischen privaten Beziehung. Sie reist zu dem abgelegenen Eiland, auf dem die Mutter nach mysteriösen Testamentsänderungen beigesetzt wurde. Fast wird Marie an der Brücke zum Ort Lone Palm Beach abgewiesen, soll diese doch für das Ende der Touristensaison in wenigen Stunden hochgehoben werden und bis zum nächsten Frühjahr geschlossen bleiben. Zusammen mit dem mitgereisten On/Off-Gefährten George möchte sie die Angelegenheit schnell klären, bevor sie beide in dem winzigen Ort festsitzen.
Sie finden auf dem unheimlichen Friedhof keine Spur von dem Verwalter, der sie hierher bestellt hatte. In der nahegelegenen Kneipe Sandtrap residieren nur wenig hilfreiche, recht skurrile Inselbewohner. Die zunehmende Unheimlichkeit der düsteren Umgebung und ihrer Bewohner, der heftiger werdende Sturm und seltsame Gestalten im Nebel lassen beide den Rückweg antreten. Doch die zuvor noch gerade Straße scheint immer unpassierbarer zu werden und führt in der Dunkelheit letztendlich zu einem Unfall mit dem Wagen. Als Marie von diesem wieder erwacht, ist George verschwunden, die Brücke wird hochgefahren und sie ist auf der Insel gefangen.
Eine Odyssee über das nebelverhangene, einsame Eiland führt immer tiefer in einen Alptraum, der sie zudem in Ihre Vergangenheit zurückführt. Ihre Mutter hatte die Insel einst fluchtartig verlassen und Marie zeitlebens vor dieser gewarnt, nie jedoch erklärt, was vorgefallen war. Offenbar streckt irgendetwas Dämonisches auf dieser verflucht erscheinenden Insel seine Finger nach Marie aus und will das Schicksal der Familie Aldrich besiegeln.
Lovecrafteske Momente
Das gesamte Szenario sowie die Handlung sind direkte Versatzstücke lovecraftscher Werke. Schon die Strukturierung des Films in einen Prolog, sechs betitelte Kapitel und einen Epilog verweist auf die literarische Orientierung des Autors und Regisseurs. Wenn es Schriften wie “He is awake” oder ”Life is a Dream” zu finden gibt, Tonband-Durchsagen im Museum “Am Anfang war das Nichts” und “Gott ist erzürnt” verkünden sowie Songtexte aus Liebesliedern wie “Turn around, look at me, understand” oder ”Someone is walking behind you” gruselig-filmisch neue Bedeutungen cthuloider Natur erhalten, ist der Ursprung dessen klar erkennbar.
The Call of Cthulhu sind überdeutlich zu erkennen, sei es der Kult-Hintergrund oder auch einige der gezeigten, dämonischen Features - zu viel soll hier aber nicht gespoilert werden! Die Einflüsse aus The Shadow over Innsmouth gehen von der abgelegenen Ortschaft mit ihren unheimlichen Einwohner bis zum Pakt mit dem aus dem Meer kommenden Mann/Dämon, der den Einwohnern für einen hohen Preis das Überleben und sogar ewige Leben verspricht.
Die Parallelen der Handlung zuDie Elemente des Erkennen und Hadern mit dem Schicksal, die düstere familiäre Bestimmung der handelnden Charaktere und der langsam intensiver werdende Abstieg in das Grauen: das sind immer wieder von Lovecraft verwendete Tropen. Hierfür seien neben den schon erwähnten Werken noch The Case of Charles Dexter Ward, The Rats in the Walls oder Facts concerning the Late Arthur Jermyn and His Family angeführt. Dass die Rückkehr zu dem Stammort der Familie durchaus für dämonische Enthüllungen gut ist, sollte seit The Festival als bekannt vorausgesetzt werden.
Neben vielen weiteren, hier nicht vollständig aufgelisteten Elementen aus Lovecrafts Geschichten (danach suchen macht den halben Spaß aus) sind noch mehr Parallelen zu finden. Das Erzähltempo ist langsam und auf Stimmungsbildung ausgelegt. In dem Film geht es mehr um das Erzeugen von Atmosphäre denn um das Fortschreiten der Handlung. Der Aufbau des Mysteriums steht im Vordergrund, das langsame Enthüllen der Fakten, immer nur in Andeutungen und Fragmenten. Die Optik und die Bilder sollen ein Gefühl der Isolation des Hauptcharakters erzeugen, seine Furcht und Verunsicherung fühlbar machen und ein durchgängiges Unbehagen beim Zuschauer erzeugen. So wie es die lovecraftsche Philosophie für die Erzeugung von Grauen vorschreibt.
Alles steuert auf die Enthüllung zu, ein familiäres Geheimnis, aufgelöst in einem schockierenden Finale. Dass dies für den Fan dann nicht mehr so überraschend ist, ist Nebensache. Diese Enthüllungen sind im Film wie bei den Geschichten des geschätzten Autors heute meist keine Spannungs-Höhepunkte im engeren Sinne mehr, bilden aber eine befriedigende Konklusion des Gelesen oder Gesehenen.
Cinematographische Notizen
Ein Offseason-Urlaub in Florida bei schlechtem Wetter diente als Inspirationsquelle für den Ort und Teile der Handlung des kleinen Independent-Films, den Regisseur Keating (POD/Darling) in Personalunion schrieb und inszenierte. Gedreht wurde vor Ort in Florida. Filmische Inspirationen lieferten sichtbar Werke wie The Fog, Silent Hill, Klassiker wie Carnival of Souls und auch Japan-Horror wie Dark Water.
Getragen wird der Film von Hauptdarstellerin Jocelin Donahue (Insidious 2/House of the Devil), die in nahezu jeder Einstellung zu sehen ist und glaubhaft die aufsteigende Angst, Isolation und aufkommende Erkenntnis mimisch darzustellen weiß. Sie führt uns als emotionaler Anker durch die alptraumhafte Inselreise, wir lösen mit ihr das Puzzle aus Familiengeschichte, Schicksal und Mythologie. Gestützt wird sie dabei von hervorragenden Nebendarstellern. Hier wissen vor allem Richard Brake (Barbarian/31) als Brückenwärter und in kurzen, aber stets beeindruckenden Auftritten Melora Walters (Butterfly Effect) als Mutter und Schauspiel-Diva Ava Aldrich zu überzeugen. Ihre ausdrucksstarken Szenen und Monologe zu Beginn und in den Rückblenden können einem wirklich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Ein Abstieg in den Wahnsinn, der direkt aus Lovecrafts Feder stammen könnte.
Als Team hinter der Kamera dienen Keating alte Bekannte seiner bisherigen Werke. Hervorzuheben sind hier die beeindruckend schönen Bilder des Kameramannes Mac Fisken, die viel zur Stimmung des Filmes beitragen. Eine schöne Farbgestaltung und -dramaturgie, tolle Landschaftsbilder von Sturm, dem tosenden Meer und dem vernebelten, öden Eiland in atmosphärischer Optik lassen Erinnerungen an gotischen Hammer-Horror oder italienische Fulci-Ästhetik (Palmen im Nebel) aufkommen. Schemen am Horizont oder im Meer und angedeutete Tentakel kann und meint man immer wieder zu erkennen. Ein blaugrauer Alptraum von Isolation und Einsamkeit mit roten Einschüben der Panik und Furcht. Die Kamera ist dabei oft bewusst nachfokussierend eingesetzt; wie die Erinnerung Marias, die erst nach und nach wieder schärfer wird und langsam Konturen im Nebel erkennen lässt. Die Landschaft als Teilnehmer der Handlung wurde selten in einem kleinen Film mit geringem Budget effektiver eingefangen und zur Steigerung der immer bedrückender werdenden Atmosphäre verwendet.
Die hervorragende Ton- und Soundarbeit von Shayfer James lässt die Magengrube mit Bässen und Chorälen vibrieren und den Zuschauer das Gesehene und Gehörte mitfühlen. Immer wieder erklingt ein unheimliches Flüstern auf der Tonspur; aus dem Radio oder der Umgebung, das erst langsam, dann immer anschwellender ins Bewusstsein vordringt. Songtexte unterstreichen dabei subtil die aufkeimende Bedrohungslage. Schöne Randnotiz: Einige Titel des Song-Kataloges von DJane Stevie Waynes KNB-Sender aus dem Kultklassiker The Fog wurden in Offseason wiederverwendet und tragen aus dem Radio tönend auch hier zur unheimlichen Stimmung bei.
Bewertung
Ein werkgetreuer Film nach H.P. Lovecraft taugt nur bedingt für den Mainstream. Zu langsam, zu atmosphärisch, zu unspektakulär erscheint seine Prosa. Selten war ein Film so beeinflusst von dem Autor aus Providence, ohne direkt Bezug auf ihn zu nehmen. Regisseur Keating hat einen Raubzug durch Lovecrafts Werke angetreten, dabei die bereits genannten Elemente und ästhetischen Referenzen eingestreut und gut gemixt. Lovecrafts Aufruf, sein Werk auszubauen und sein selbst praktiziertes Variieren eigener Storyelemente in neuen Werken setzt Keating hier fort. Auf der deutlich größeren Habenseite des Filmes stehen das hervorragende Schauspiel der Hauptdarsteller, die tollen, atmosphärischen Bilder, der hypnotisierende Ton und ein stimmungsvoller Aufbau der Geschichte und deren Mysterien. Es herrscht eine ständige Zunahme von Bedrohung, Furcht und Ausweglosigkeit. Auf der negativen Seite steht - neben den bemerkbaren, budget-bedingten Limitierungen - der Fakt, dass für Freunde des härteren Horrors, der M.N. Shyamalanschen Twists oder der ständigen Jumpscares Offseason bestenfalls eine Einschlafhilfe ist. Man muss schon eher auf atmosphärisch-stimmigen, ruhigen Grusel stehen, um den Film genießen zu können. Bei genauerer Betrachtung sieht man jedoch, wie viel Mühe, Liebe zum Detail und Sorgfalt hier aufgewendet wurde.
Das Ende der Story ist nicht neu oder überraschend, aber konsequent. Es wird nach dem stimmungsvollen Aufbau manche vielleicht unterwältigen. Wenn man allerdings die Kriterien für eine werkgetreue Verfilmung einer Lovecraftgeschichte einfordert und sich auf den erzeugten Sog in die Alptraumwelt der abgelegenen, verfluchten Insel mit ihrem erzürnten, dämonischen Gott einlässt, erhält man mit geringem Budget und engagierten Team diese kleine Genreperle als Belohnung.
Fazit
Wie bei vielen der Geschichten Lovecrafts eine faszinierende, atmosphärische Reise zu einem eher vorhersagbaren Höhepunkt. Lovecraft-Fans sollten definitiv einen Blick wagen, ist Offseason nicht weniger als die wirkungsvolle Verfilmung eines Werkes, das Lovecraft so nie schrieb, das aber seinen Geist eindeutig verinnerlicht hat.
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