Lovecrafter Online – Filmkritik: Glorious
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Michael H. -
24. Juli 2023 um 12:00 -
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Glorious, in dem darüber hinaus der erstgeborene Sohn Cthulhus die zweite Hauptrolle hat.
Howard Philipps Lovecraft ist nicht für seinen Humor berühmt geworden. Dennoch hat er in vielen Werken durchaus eine eigene, spezielle Art von Witz und Sinn für Ironie durchschimmern lassen. Eine spezielle Kombination von Lovecraft, Horror und bizarrem Humor mixt Rebekah McKendry in ihrem Indie-FilmHandlung
Wes kämpft am Steuer seines Autos mit der Müdigkeit und der Erinnerung an seine Ex-Freundin Brenda. Zur Erholung legt er eine Rast an einer Autobahntoilette ein.
Hier verbrennt er seine Habseligkeiten – bis auf ein Foto von Brenda und einem Teddy, den sie ihm einst schenkte. Nach dem Verbrennungsritual unter schwerem Alkoholkonsum wacht er am nächsten Morgen verkatert auf und besucht die Toilette, wo er sich in einer Kabine übergibt. Überrascht muss er feststellen, dass er wider Erwarten nicht alleine ist: Eine Stimme aus der Nachbarkabine verwickelt ihn in ein ungewolltes Gespräch.
Als sich sein Nachbar als Gott Ghatanothoa, kurz Ghat, vorstellt, glaubt Wes ihm kein Wort. Leider muss er feststellen, dass er die Örtlichkeit nicht mehr verlassen kann. Die Stimme in dem verschlossenen, über einem mit mystischen Zeichnungen versehenen "Glory-Hole" verfügenden Raum weiß sehr viel mehr über ihn, als es möglich erscheint. Als er in die Kabine hineinsehen will, spürt er erstmals die Macht der Gottheit. Wes kämpft selbst mit Schuld, Reue und Trauer und hat kein Interesse an den Dingen, die der Gott in der Nachbarkabine erzählt. Alle Fluchtversuche führen ihn jedoch zum Ausgangsort zurück und eine Kontaktaufnahme mit einem Techniker endet katastrophal. Wes muss sich letztendlich seinem Schicksal und seiner Aufgabe stellen: Ghatanothoa versucht, Wes von einer Opfergabe zu überzeugen. Weigert er sich, steht nichts Geringeres als das Schicksal des gesamten Universums auf dem Spiel...
Lovecrafteske Momente
Ghatanothoa ist eine Entität, die in der Geschichte Out of the Aeons auftritt, die Lovecraft als Co-Autor mit Hazel Heald 1935 für Weird Tales verfasste. Wie bei vielen dieser Kooperationen darf man davon ausgehen, dass sie nahezu komplett von Lovecraft verfasst wurde. Für diese Geschichte reklamierte er ausdrücklich die vollständige Autorenschaft in mehreren späteren Briefen an Kollegen. Der Ghatanothoa der Geschichte war eine Gottheit, deren Anblick die Menschen nicht ertragen konnten: Sie versteinerten, wobei das Gehirn intakt blieb. Im Film wird die “Nicht-Ansehbarkeit” –jedoch ohne Versteinerung – übernommen. Wes – und mit ihm der Zuschauer – sieht bis zum Finale immer nur wenig von der Gottheit; Teile oder Gliedmaßen, jedoch nie die gesamte Wesenheit.
Diese gibt es am Ende kurz zu sehen und sie ist an die Beschreibungen in der Geschichte angelehnt (semi-amorph, Krakenaugen, Tentakel, Rüssel). In der Geschichte Lovecrafts eher Entität im Hintergrund, wird sie im Film größtenteils durch eine Stimme repräsentiert.
Die Mythologie, als erstgeborener Sohn Cthulhus in den Tiefen zu lauern, entlehnt sich wohl eher der Linn Carters Geschichte The Thing in the Pit aus dem Xothic Legend-Zyklus. Diese Elemente werden im Film in einer eigenen Cosmic-Horror- Hintergrund-Erzählung arrangiert und interpretiert. Diese Hintergrundgeschichte wird über Reliefzeichnungen auf der Toilettentür erzählt und darf als Verneigung vor The Nameless City und At the Mountains of Madness verstanden werden.
Dass die Gottheit im Äther lebt, aber auch stofflich werden kann, ist ebenso Teil des Cthulhu-Mythos wie die kosmische Perspektive der menschlichen Bedeutungslosigkeit. Beides verwendet der Film. Es gibt viele kleine Verweise auf Lovecrafts Werk zu bewundern. Der Film hat einen Sinn für blutigen, aber auch sarkastischen und skurrilen Humor, der wunderbar zu Lovecrafts eigenem passt – auch wenn er sicherlich hier gröber ist, als beim Gentleman aus Providence.
Wenn Wes ohne Hose auf einem stillen Örtchen mit einem Grossen Alten diskutiert ist das sicher ähnlich bizarr wie ein Walter Gillmann, der im Schlafanzug auf dem Streifzug zum Hexenhaus (The Dreams in the Witch House) mit einer Hexe, einem schwarzen Mann und einer Ratte mit Menschengesicht bewundert werden kann.
Ein einsetzender Körperteile- und Blutregen ist in seiner exzentrischen Brutalität den Werken eines Herbert West/Reanimator nicht unähnlich und heruntergekommene Örtlichkeiten mit schlechten hygienischen Verhältnissen fanden sich auch im Gilman House in The Shadow over Innsmouth. Die Form, in der Ghatanothoa Wes die Aussprache seines Namens beibringt, ist einerseits extrem komisch und andererseits getreu der Lovecraft-Lore der unaussprechlichen Namen dieser kosmischen Wesenheiten.
Cinematographische Notizen
Der Film entstand mit einem minimalen Budget von weniger als einer Millionen Dollar im Jahr 2020. Die Form eines Kammerspiels kam der Verfilmung zu Gute, beherrschte doch vielerorts das Coronavirus die Welt, inklusive die der Filmschaffenden. So wurde alles auf ein Minimum an Crew und Kontakt abgestimmt, z. B. wurden die Wortgefechte zwischen Wes und Gath getrennt aufgenommen.
Die Grundidee, einen "Warten auf Godot mit einem Gott in einem Gloryhole"-Film nahezu als Ein-Personen-Stück zu gestalten, faszinierte die Produzenten um Horror Ikone Barbara Crampton (Re-Animator/From Beyond). Sie schlug Hauptdarsteller Ryan Kwanten als Wes vor, hatte sie ihn kurz zuvor bei einer gemeinsamen Produktion (Creepshow) kennengelernt und sofort für die Rolle vor Augen.
Die markante Stimme Ghats verkörpert Oscarpreisträger J.K. Simmons (für Whiplash, den meisten wohl bekannt als perfekter J. Jonah Jameson in Sam Raimis Spiderman-Serie), der mit Spaß und Enthusiasmus zustimmte. Ihm gefielen die philosophischen Aspekte der Geschichte über eine besonders spezielle Katharsis.
Es ist erst die zweite Regiearbeit von Rebekah McKendry, die den Shudder-Horror-Kanal für das Projekt als produzierendes Studio an Bord holen konnte.
Die beiden im Film erscheinenden Gottheiten sind natürlich CGI Kreaturen, die spärlich, aber phantasievoll mit soliden Effekten sichtbar gemacht werden. Das Ghatanothoas Vater der große Cthulhu ist, thematisiert der Film nicht direkt.
Der einzige Schauplatz, der Parkplatz mit dem WC, wurde ebenso wie dessen Innenräume komplett für den Film erbaut, vom Filmteam selbst gestaltet und mit eigener Graffiti versehen.
Bewertung
Der Film vermittelt seine Ideen unterhaltsam über die kurze Laufzeit von knapp achtzig Minuten. Getragen wird er dabei vom hemmungslos aufspielenden Hauptdarsteller Ryan Kwanten (True Blood), der sich im Gespräch mit J.K. Simmons klasse Dialog-Duelle liefert. Simmons Rolle ist dabei die ruhige, distinguiert überlegene Präsenz einer Gottheit, die er perfekt – noch etwas besser im Originalton – transportiert. Dem Duell in der Arena der Worte sieht man gerne zu.
Die Themen des Filmes umfassen Isolation, Schuld und existenzielle Krisen, im Kleinen wie im Großen. Dabei hat er genug Überraschungen, Wendungen und philosophische Fragen parat, damit man gespannt weiter zusieht. Die gesamten Ereignisse können sich letztlich in Wes' Gehirn alleine abspielen, als eine Art psychischer und physischer Zusammenbruch mit Streben nach Erlösung.
Ob die blutigen Passagen mit deftigem Gore jedem gefallen, ist Geschmackssache, wie auch der bizarre und derbe Humor. Wem allerdings die Enthüllungen um die wirkliche Aufgabe des Gloryholes und Wes zunächst...ähm, sagen wir, fehlgeschlagene Opfergabe – einschließlich Gaths ätzender Kommentierung – kein Lächeln entlocken, ist eh im falschen Film und hat vermutlich schon vorher abgeschaltet. Der Film ist originell und spannend, die Umgebung passend eklig gestaltet und bietet gute Unterhaltung – es sei denn man ist zart besaitet oder germophob.
Fazit
Böse, blutig, absurd und grotesk. Lovecraft in den Mainstream zu bringen, wird so sicher nicht gelingen, es ist ein Film von Fans für Fans. Eine eigenwillige, aber originelle Kombination aus schwarzem Humor, bizarrem Horror, überraschendem Schulddrama und lovecraftesken Monstrositäten. Und das alles auf einem Raststätten-WC mit Gloryhole. Respekt.
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