Lovecrafter Online – Carcinizer, ein cthuloides, weibliches Solo-Doom-Projekt
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Thorsten -
8. August 2022 um 12:00 -
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1 Antwort
Interview
Erzähle uns bitte etwas über dich: Wo kommst du her, seit wann machst du Musik?
Ich komme aus Ostwestfalen und mache eigentlich schon Musik, seit ich alt genug war, ein Mikrofon zu halten. Damals war es wirres Gebrabbel in das Tapedeck mit Aufnahmefunktion meiner musikliebenden Eltern, heutzutage sind immerhin noch ein paar Instrumente dazugekommen.
Ein absoluter Moment der Offenbarung für mein 14-jähriges Selbst war AC/DCs Highway to Hell. Nachdem ich mich angemessen mit schwarzen Klamotten eingedeckt und mir die halbe CD-Sammlung meines großen Bruders gebrannt hatte, brach ich noch im selben Jahr den Klavierunterricht ab und nahm circa zwei Jahre lang E-Gitarren-Unterricht. Mein Lehrer war klasse; ich durfte neue Lieblingssongs von Pantera, Rob Zombie, Whitesnake & Co. mitbringen und wir haben sie gemeinsam eingeübt. Ich spielte in einer kleinen Cover-Band, schloss mich einer Musik-AG in der Schule als Sängerin an und fing an, meine ersten eigenen Songs zu schreiben. Jahre später lernte ich auf der Uni ein paar witzige Typen kennen, die eine Band gründen wollten. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und schloss mich als Rhythmusgitarristin an. Uns gibt es noch heute – unter dem Namen Ascendency. Eigene Songs schrieb ich noch immer ab und zu, hauptsächlich ein bisschen elektronisch Richtung Industrial Rock, stilistisch inspiriert von meiner All-time-Lieblingsband Nine Inch Nails.
Mit Desert Rock, Stoner Doom und Sludge bin ich tatsächlich erst in meinen späten 20ern in Berührung gekommen. Einstiegsdroge waren dabei Iron Monkey, die ich zufällig als Hintergrundmusik in irgendeinem YouTube-Video gehört hatte. Ich liebte schon immer bluesige Harmonien, und sie in Metal zu finden, war neu für mich. Ich verliebte mich schon bald in den Sound von 1000mods, Truckfighters, Motherslug und Bongzilla und natürlich Electric Wizard. Im Zeitalter der Musik-Streamingplattformen angekommen, entdeckte ich eine unheimliche Bandbreite an neuer und alter Musik aus der Metal-Ecke. Besonders angetan haben es mir Mantar, Black Tongue und Rotting Christ – wo wir auch schon bei einigen der Hauptinspirationen für den Sound von Carcinizer sind.
Wide awake
Under the darkened sky
A meaningless prayer
A worthless sacrifice
Wie ist dein Bezug zu Lovecraft und wie kam es dazu, dass du die Musik von *Carcinizer* davon hast inspirieren lassen?
Ehrlich gesagt erinnere ich mich gar nicht mehr, wie ich zum ersten Mal mit dem Lovecraft-Universum in Berührung gekommen bin. Es hat sich einfach eingeschlichen – durch Dungeons & Dragons und einen nerdigen Freundeskreis. Irgendwann hat mir mein damaliger Freund ein Lovecraft-Lesebuch geschenkt, und seitdem bin ich voller Faszination für die fantastischen Figuren und Welten, die Lovecraft erschaffen hat. Lovecraft ist für mich viel mehr als nur Cthulhu. Ich liebe zum Beispiel den Flüsterer im Dunkeln, die Berge des Wahnsinns und die Stadt ohne Namen. Die Angst vor dem Unbekannten spielte bei Lovecraft bekanntermaßen eine große Rolle. Er schaffte es wie kein Anderer, sie in eine unheimlich mitreißende Mischung aus Beklemmung und Entsetzen, aber auch Faszination und Neugier, sogar geradezu Bewunderung umzuwandeln. Das mit einer Prise Hingabe an eine gewisse Unausweichlichkeit des Laufs der Dinge im Universum, die auch im Carcinizer-Debütsong The Day It Came from the Sky thematisiert wird.
Strange is the thunder
Strange are the tides
The last dying breath
Of an unsung paradise
Was bedeutet der Songtext des ersten Lieds für dich?
Eine mächtige Entität kommt ganz plötzlich vom Himmel, um die Erde zu verschlingen: Auf einmal merkst du, wie klein und insignifikant du eigentlich in Anbetracht des großen Ganzen bist. Dein gesellschaftlicher Status, deine Taten und Errungenschaften, deine Träume, Prinzipien oder deine Religion – nichts ist in diesem Moment mehr von Bedeutung, denn vor dem Verschlinger der Welten sind alle gleich.
Diese Geschichte kann erschütternd, aber aus einem bestimmten, zugegeben etwas schrägen Blickwinkel betrachtet auch aufbauend sein: Seid nett zueinander und macht das Beste aus der Zeit, die ihr auf diesem Planeten habt – denn ihr wisst nie, wann sie vorbei ist. Gerade in der heutigen Zeit, wo wir so vielen lebensverändernden Ereignissen ausgesetzt sind, die sich außerhalb unserer Kontrolle befinden, ist diese Message für mich wichtiger denn je.
Ich verarbeite in diesem Song gleichzeitig ein bisschen meine Wut auf religiösen Fanatismus – hier überspitzt mit „A meaningless prayer / A worthless sacrifice“ dargestellt – da ich kein Verständnis für jene Menschen habe, die im Namen ihres Gottes anderen Menschen Schreckliches antun. Die derzeitige, religiös-fanatisch beeinflusste politische Situation in den USA, durch die einige meiner engsten (Trans-)Freund*innen Angst um ihre Existenz haben müssen, ist nur ein Beispiel dafür.
In der zweiten Strophe versteckt sich mit „The last dying breath of an unsung paradise“ eine tiefe Trauer um diesen schönen Planeten, ein unerkanntes Paradies, der ein solch wunderbarer Ort sein könnte, wenn er nur von den richtigen Stellen angemessen gewertschätzt und entsprechend behandelt würde. Stattdessen beschäftigen sich die Menschen, um die es in diesem Lied geht, mit ihren Nichtigkeiten und erkennen bis zum bitteren Ende nicht auch nur ansatzweise die Schönheit, die sie umgibt.
„Redemption is nigh“ verknüpft diesen Gedanken wieder mit dem religiösen Fanatismus und zielt als sarkastische Stichelei auf den Glauben ab, dass wir mit dem Tod Erlösung erfahren und ins Paradies kommen. Dabei ist das Paradies schon die ganze Zeit vor unserer Nase, hier und jetzt – sofern wir es dazu machen. Und man müsste dafür nicht mal sterben.
When the clouds begin to part
There's no use to confess
Your existence means nothing
Your name is meaningless
Dein „Gesang“ im Refrain ist sehr aggressiv und kalt. Wie bist du das produktionstechnisch angegangen?
Tatsächlich ist Carcinizer mein erstes Projekt mit echten Growls. Inspiriert hat mich mein Mann, der sich im Rahmen seines Death-Metal-Soloprojekts Mort Phantasm mit Growl-Techniken auseinandergesetzt hat. Ich wollte das schon immer mal können, weil ich growlende Frauen wie Tatiana Shmailyuk von Jinjer total beeindruckend finde, und habe mir einige Tutorials angesehen – und anschließend ganz peinlich im Auto geübt. Ich hoffe, ich habe dabei niemals versehentlich ein Fenster offen gelassen. Bei den Aufnahmen handelt es sich also tatsächlich um eigenhändig ins Mikro gebrüllte Refrainstrophen, die vom Produktionsstudio meines Mannes sorgsam und fachkundig mit der passenden Würze versehen wurden – zum Beispiel mit einem schönen Hall und einem Preamp-Plugin, das für diesen coolen, leicht übersteuerten Röhren-Effekt sorgt.
This was the day
it came from the sky
There's no tomorrow
No truth and no lie
Wie geht es nach der ersten Single mit deinem Projekt weiter? Gibt es schon weiteres Material?
In der Tat ist bereits ein zweiter Song in der Mache – basierend auf einer schlaftrunken in die Diktiergerät-App meines Handy gesummten Melodie, die ich eines Tages nach dem Aufwachen im Kopf hatte. Von der Stimmung her wird er etwas schwermütiger und melancholischer als der erste Son, und vielleicht gibt es zur Abwechslung auch mal einen dritten Akkord – das habe ich augenzwinkernd meinem Bruder versprochen.
Auch das Riff von The Day It Came from the Sky ist übrigens im Traum entstanden – ein willkommener Nebeneffekt von irgendwelchen unkonventionell verknüpften Synapsen in meinem Kopf, die dafür sorgen, dass ich jede Sekunde meines Lebens Ohrwürmer habe, sogar im Schlaf. Das können existierende Melodien sein, aber auch solche, die sich daraus weiterentwickeln oder einfach so auf Basis irgendeines Gesprächsfetzens oder Geräuschs ergeben, das ich im Alltag wahrnehme. So sind schon einige meiner Songs entstanden, auch für mein Industrial-Rock-Projekt. Einen Text habe ich noch nicht, da werde ich mich ganz von der Stimmung des Songs leiten lassen, wenn er fertig komponiert ist. Ich kann aber schon so viel sagen, dass ich thematisch auf jeden Fall im Lovecraft-Universum bleiben möchte.
This was the day
it came from the sky
Devourer of worlds
Redemption is nigh
Möchtest du unseren Lesenden noch etwas mit auf den Weg geben?
Be kind, but take no shit. Seid füreinander da, geht ehrlich miteinander um – aber gebt nur so viel, wie ihr könnt, ohne euch selbst kaputt zu machen. Gerade jetzt, wo wir alle mehr oder weniger geistig erschöpft sind, ist das unheimlich wichtig. Nur so könnt ihr stark bleiben – für euch und für Andere. Macht das Beste aus der Zeit, die ihr habt und verliert auch in schwierigen Zeiten nicht euren Blick für die Schönen Dinge, selbst wenn sie noch so klein sein mögen.
Vielen Dank für das Interview!
Links
Verlosung
thorsten.panknin@deutschelovecraftgesellschaft.de mit dem Betreff „Carcinizer Verlosung“ und schreibt mir optional, wie ihr euch den Weltenverschlinger aus dem Lied vorstellt.
Carcinizer ist so nett, uns ein kleines Fanpaket zur Verfügung zu stellen. Es enthält zwei verschiedenfarbige Aufkleber*, zwei Buttons und einen kostenlosen Download-Link des Debutsongs The Day It Came from the Sky. Um es möglicherweise zu gewinnen, schickt mir bis zum 30.09.2022 eine E-Mail an* Der weiße Aufkleber ist nicht gut zu sehen, er ist aber da!
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