Alles anzeigenDie wichtigste Kunst der Spielleitung ist in meinen Augen die Improvisation.
Da mir die freie Entfaltung im Rollenspiel sehr wichtig ist, und ich alles in allem starr vordefinierte „Plots“ mit festen Abfolgen von Szenen nicht mag, kommt der Improvisation eine ganz besondere Bedeutung zu.
Eine gut improvisierte Runde ist im Flow, und Spieler:innen und Spielleitung spielen sich gegenseitig Bälle zu. Niemand versucht dabei, die anderen zu übervorteilen. Alle versuchen, eine unterhaltsame Geschichte zu gestalten. Der Spielfluss ist im Tempo angenehm, und kann durch immer wieder geschürte Eskalationen beschleunigt werden.
Früher, als ich mich aufs Rollenspiel stärker vorbereitet habe, dachte ich müsste die Geschichte vorschreiben, war das viel Arbeit, Stress, Druck und wenig Spaß. Es war auch weniger flexibel.
Seit ich gelernt habe mich fallenzulassen und zu improvisieren, hat sich das verändert. Spaß und Überraschung sind für die Spielleitung präsenter, und es ist weniger Druck da, sich eine „tolle Geschichte“ auszudenken. Einfach weil diese Aufgabe nicht nur bei mir liegt, sondern sich auf mehr Schultern verteilt.
Aber wie kann man sich die Improvisation erleichtern?
Mir haben dabei folgende Punkte geholfen:
- Das Setting kennen und die Spielumgebung gut ausarbeiten. Ich habe beispielsweise für meine Shadowrunkampagne jede Menge Stadtviertel und Orte in der Stadt, wo wir spielten, in einigen Stichpunkten umrissen. So dass ich ein Gefühl dafür habe, was in welcher Gegend passieren könnte, wo sie hingehen. Oder so dass sie selbst entscheiden konnten, wo sie nach Infos suchen, Freizeit verbringen, sich nach Wohnraum umsehen usw.
- Zufallstabellen für settingtypische Situationen, ggf. auch Generatoren (egal ob per Würfel oder Storyengine-Karten), um schnell Ideen für Missionen, Begegnungen, Situationen oder dergleichen zu bekommen.
- Die Spieler:innen zu aktivem Spiel anleiten/befähigen. Wenn SCs mit Eigenmotivationen und Zielen am Spieltisch sind, dann trägt das Spiel sich von selbst. Wollen dagegen alle nur passiv berieselt werden, macht das letztlich wenig Sinn bei dem gewählten Spielfokus, und eine andere, geführtere Herangehensweise wäre sinniger.
- NSCs und Fraktionen mit Zielen einbinden, so dass im Setting Konflikte herrschen, mit denen die Gruppe in Interaktion treten kann.
- Konsequenzen! Aktionen (oder ihr Unterlassen) können sich auf das Setting auswirken – lass die Welt reaktiv und lebendig sein, sie dreht sich nicht nur um die SCs sondern bewegt sich weiter
- Es darf dabei natürlich auch große Handlungsbögen zwischen den Fraktionen geben, die im Hintergrund ablaufen. Je nachdem, wo die Gruppe da reingrätscht, kann sich das natürlich unterschiedlich entwickeln. Aber diese Konflikte warten nicht auf die SCs, und sie sind frei zu entscheiden, um welche Dinge sie sich kümmern wollen und um welche nicht.
- Wenn Szenarien vorbereitet werden, dann am besten so offen wie möglich gestalten. Bei Shadowrun habe ich für Runs höchstens ein paar Stichpunkte gebraucht – Auftraggeber, Auftrag, Sicherheitslevel, Locations, Komplikationen. Das hat mir an sich immer gereicht, um damit spontan was zu zaubern.
- Die Spieler:innen einbinden. Sie Gerüchte erzählen lassen, die ihre SCs aufgeschnappt haben – und wenn eins davon die SL anlacht, kann dahinter mehr stecken.
- Mitschreiben! Am besten übernimmt das jemand aus der Gruppe. So gehen keine Informationen verloren, und die Kontinuität kann leichter gewahrt werden.
- Auch NSCs die neu eingebracht wurden und öfter mal angespielt werden stichwortartig mitschreiben, so dass diese sich nicht von Session zu Session komplett unterschiedlich anfühlen.
- Nachbereitung! Was ich nicht in Vorbereitung gesteckt habe, ging teilweise in die Nachbereitung. Welche Konflikte im Setting haben sich durch die letzten Aktionen wie verändert, wem wurde auf die Füße getreten, was könnte in Zukunft draus werden? Ein wenig brainstormen schadet da nicht.
- Eskalieren! Das ist meine große Schwäche. Wenn die Spannung noch nicht heftig genug ist, dann ruhig einfach eine Schippe drauflegen, bis es quietscht. Da geht immer was.
- Auch mal den Würfeln vertrauen. Der Zufall erzählt oft tolle Geschichten, und wenn nicht klar ist, wie die Narration weitergehen soll (z.B.: Kommt die Verstärkung an oder nicht?), dann zwischen den denkbaren/passigen Optionen den Würfel entscheiden lassen.
- NSC-Karten mit Werten möglicher Gegner sind gerade bei regelintensiveren Spielen hilfreich, wenn die Gruppe ganz spontan einen Kampf vom Zaun bricht. Sehr sehr hilfreich.
- Beschreibungen teilweise an die Gruppe outsourcen. „Was fällt dir an diesem Ort auf?“, „Woher kennst du dieses Lied?“, „Woran ist der Tote gestorben?“ – Powered by the Apocalypse lässt grüßen, und meiner Erfahrung nach kommt die gemeinsame Kreativität dadurch richtig zur Geltung.
Schwierig ist es sicherlich manchmal bei Ermittlungsszenarien. Aber selbst die gehen mit der einfachen Stichwortstruktur und weitgehend improvisiert. Ich erinnere mich an eine Runde, wo es um die Enttarnung eines Spions ging. Dabei hatte ich grob einige denkbare Spuren/Hinweise überlegt und mögliche Punkte oder Personen, wo man diese finden kann. Nicht pro Spur einen, sondern tatsächlich mehrere. Ob die SCs das dann durch den Hack eines Servers, die Beschattung eines Angestellten, ein Verhör oder sonstwas erringen ist ihnen überlassen. Gleichzeitig war es so aufgebaut, dass sich auch mit einem Teil der Hinweise was machen lässt, um Nadelöhre zu vermeiden.
Es hilft, auf sich und die eigene Gruppe zu vertrauen. Der gemeinsamen Kreativität entspringt oftmals mehr, als wenn man sich alleine im stillen Kämmerlein etwas ausdenkt, was vielleicht komplett an den Interessen der Gruppe vorbei geht.
Quelle: https://cthulhuskartenkiste.wordpress.com/2021/08/13/rpg…-improvisieren/