Lovecrafter Online – Interview mit UNAUSSPRECHLICH. Der Lovecraft-Podcast
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Seanchui -
30. Juni 2025 um 12:00 -
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Cthuloide oder lovecrafteske Podcasts gibt es einige - wer die Seiten dieses Online-Magazins durchstöbert, findet noch einige Interviews mit den Machern dahinter. Noch relativ jung beim Podcasten dabei sind allerdings Alexander und Philipp mit ihrem Podcast UNAUSSPRECHLICH. Grund genug, um sich einmal ausführlich mit den Beiden zu unterhalten.
LCO: Hallo Philipp, hallo Alexander! Schön, dass Ihr uns für einige Fragen zur Verfügung steht. Stellt Euch doch bitte kurz vor: wer seid Ihr, und was treibt Ihr, wenn Ihr nicht gerade cthuloide Podcasts aufnehmt?
Philipp: Hi André, ich bin Philipp a.k.a. Natt, gebürtig aus Halle (Saale) und wohnhaft derzeit in Neuss. Nach meinem Studium der Medienwissenschaften hab ich lange Jahre für einen Online-Händler gearbeitet und mich letztes Jahr selbstständig gemacht mit dem Verkauf von T-Shirts und anderen Textilien. Neben Lovecraft habe ich ebenfalls eine große Schwäche für Eisberge und Inuits, Faultiere, Bücher, schlechte Horrorfilme und Musik. Letzteres lässt sich zum Glück seit vielen Jahren sehr gut mit dem werten Sascha umsetzen: von Black Metal über Neofolk und Ambient haben wir viele schöne Projekte am Laufen (grimbock.bandcamp.com).
Alex: Grüß dich! Ich bin Alexander a.k.a. Sascha a.k.a. Yuggoth, 35 Jahre alt, ebenfalls aus Halle, aber jetzt mit Freundin und Kleinkind am bayerischen Alpenrand verwurzelt. Lovecraft hat mal gesagt, dass ihn nicht interessiert, womit jemand sein Geld verdient, sondern eher, was ihn fasziniert und wovon er träumt. So geht’s mir auch. Fasziniert bin ich von allem Unbekannten, Rätselhaften, Uralten und Lebendigen, und natürlich von Schnittmengen dieser Dinge. Wer mich kennt, verbindet mich vielleicht vorrangig mit Aliens und Dinosauriern (letzteres entlädt sich hauptsächlich über meinen Instagram-Kanal „incorrect_dinosaurs“). Ich bin Redakteur und Moderator bei einem Regionalradio – um doch noch kurz vom Job zu sprechen. Im Moment bleibt neben Arbeit und Familie gar nicht mal so viel Zeit übrig. Früher hab ich viel Phantastik geschrieben, Hörbücher für YouTube gemacht und mit Philipp Musik aufgenommen. Das wird bestimmt irgendwann auch mal wieder mehr möglich sein.
LCO: Seit wann kennt Ihr Lovecraft oder andere Mythos-Autor:innen? Wie fandet Ihr den Zugang?
Alex: Weihnachten 2003, ich war gerade 14 Jahre alt geworden, schenkte mir mein Bruder den Suhrkamp-Band „Azathoth“. Nicht lang darauf kam ich an das Hörbuch „Der Cthulhu-Mythos“, lernte also Cthulhu kennen, und damit war ich vollständig eingenommen: unbekannt, rätselhaft, uralt und lebendig – da hat Lovecraft offene Türen eingerannt. Kein anderer hat seither mehr Einfluss auf meinen kreativen Auswurf gehabt. Zu weiteren Autoren hab ich dann im Lauf der Jahre gefunden, besonders gern hab ich Clark Ashton Smith.
Philipp: Wo ich zum ersten Mal von Lovecraft gehört habe, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Entweder war es in einem Vorwort oder Kommentar von Stephen King, oder ich hab einen Film gesehen, der auf einer Lovecraft-Story beruhte. Auf jeden Fall war es noch zu Schulzeiten, mit 16 oder 17 vielleicht. Ich weiß noch sehr genau, dass der Name „Lovecraft“ einige Zeit in meinem Kopf herumschwirrte als Thema, welchem ich mich damals unbedingt mal widmen wollte. Es hat sich angefühlt wie ein Autor, der vielen Horrorthemen damals zugrunde lag, ohne selbst so offensichtlich zu sein. Eines Tages habe ich dann im Buchladen eines der kleinen lila Suhrkamp-Bücher entdeckt und wusste: Jetzt ist Zeit für den „real shit“ (das hab ich glaube ich wirklich gedacht). Ich war richtig aufgeregt damals. Damit fing es an, und relativ schnell bin ich dann auf weitere, sinnverwandte oder von Lovecraft empfohlene Autoren gestoßen. Und dieser Zustand hält unverändert bis heute an. Witzigerweise ist mir später aufgefallen, dass ich einige Jahre davor bereits Gefangen bei den Pharaonen von Lovecraft gelesen und wieder völlig verdrängt hatte. Die Geschichte war in einem Gruselgeschichten-Sammelband enthalten – und hat mich absolut nicht beeindruckt. Sie war zäh, langweilig und es passierte gefühlt nichts. Da war ich einfach noch zu jung gewesen...
LCO: Was schätzt Ihr an Lovecraft? Was nicht?
Philipp: An Lovecraft schätze ich die Grundidee, dass alle Geschichten mehr oder weniger zusammenhängen, obwohl sie grundsätzlich für sich alleine stehen. Es macht alles so viel größer und „bedeutsamer“. Zudem bin ich absoluter Fan seiner Traumgeschichten. Sie haben etwas so Unwirkliches, irgendwie Schwebendes an sich. Als ich das erste Mal „Iranons Suche“ gelesen hab, ging mir die Geschichte für Monate nicht aus dem Kopf. Das ist etwas sehr Wunderbares, was nur wenige andere Autoren schaffen. Und dann ist da natürlich noch die Sprache und (meistens) die Reduktion der Handlung auf das Wesentliche: die Umschreibung und Andeutung des Unnennbaren, des Fremden, des Undenkbaren. Es gibt keine ellenlangen Dialoge, keine nervenaufreibende Action. Nur die Beschreibung von furchtbaren Entdeckungen, die einen noch lange verfolgen. Die Trefferquote bei Lovecrafts Geschichten ist auch sehr hoch. Wenn man eine zur Hand nimmt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr groß, dass sie auch gut ist. Ausnahmen bestimmen die Regel, aber das Grundniveau ist doch beachtlich hoch. Bedauerlich finde ich vor allem, dass Lovecraft anscheinend viel mehr Energie und Zeit in seine Briefe gesteckt hat als in seine Geschichten. Wie viel mehr hätte er uns noch hinterlassen können... Und natürlich ist Lovecraft ein Kind seiner Zeit mit Ansichten und Formulierungen, die einem heutzutage sauer aufstoßen müssen. Dazu gleich mehr in der Frage weiter unten.
Alex: Ich möchte mich meinem Vorredner vollumfänglich anschließen. Lovecrafts Werk ist für mich Faszination in Reinform, fast durchgängig in jenen Regionen unterwegs, die mich am meisten beflügeln. Der Cthulhu-Mythos befriedigt mein Faible für uralte außer- und unterirdische Geheimnisse, während der Traumzyklus meiner Vorliebe für Träume und Parallelwelten entgegenkommt. „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ wird wohl immer eine meiner Lieblingsgeschichten sein. Lovecrafts Adjektiv-überladene und verschachtelte Ausdrucksweise mögen den Lesefluss manchmal etwas hemmen, aber genau das ist auch etwas, was ich aus irgendeinem Grund an ihm liebe.
LCO: Wie kamt Ihr auf die Idee, einen Podcast zu dem Thema zu machen?
Philipp: Die Idee hatte meine Freundin, welche freundlicherweise auch die Bilder zur jeweiligen Folge gestaltet. Sie hört sehr viele Podcasts und meinte, dass es im deutschsprachigen Raum zwar schon Podcasts mit Lovecraft-Thematik gibt, aber nicht wirklich viel. Und gerade für Laien oder Neu- Interessierte an Lovecraft ist das Angebot quasi nicht vorhanden. Und da wir eh gern Vorwände suchen, regelmäßig miteinander zu telefonieren und genauso gern Lovecraft lesen, war es dann auch schnell entschieden. Außerdem ist das auch für uns ein neues Medium, in dem wir uns einfach mal austoben wollen.
Alex: Genau. Nach hunderten gemeinsamen Bandprojekten und einer Kurzgeschichtensammlung war es an der Zeit, mal ein neues Genre mit Philipp zu erkunden. Durch die technologischen Wunder unserer Zeit ist das ja alles möglich, obwohl wir mittlerweile in ganz anderen Ecken des Landes wohnen. Meine Hörbuch-Basteleien sind leider ein Opfer meiner begrenzten Freizeit geworden, aber der Podcast fühlt sich wie ein würdiger Nachfolger an, der nicht ganz so viel Arbeit macht und mehr Raum für Spaß und Persönlichkeit lässt. Außerdem glaube ich, dass wir beide schon ganz gute Gesprächspartner sind und die Leute auch ihren Spaß mit uns haben. Unser Humor ist von derselben Sorte.
LCO: Um was genau geht es in Eurem Podcast? Welche Inhalte sind Euch wichtig?
Philipp: Die Grundidee ist, jede einzelne überlieferte Lovecraft-Geschichte chronologisch durchzugehen und zu besprechen. Je nach Länge der Geschichte können das mehrere Stories pro Folge sein, oder in Zukunft auch mal mehrere Folgen zu einer Geschichte. Dabei gehen wir die Handlung durch, erzählen etwas zur Entstehung bzw. zum Hintergrund und geben selbstverständlich auch unseren Senf zur Geschichte dazu. Und Drumherum gibt‘s immer noch ein bisschen Gequatsche über lovecraftige Dinge und Themen, die uns passiert oder über die wir so gestolpert sind. Im Endeffekt ist jede Folge ein ca. 40- bis 60-minütiges Gespräch unter Freunden über eine Lovecraft- Story. Wir möchten dabei die Freude und Faszination, die wir für Lovecraft empfinden, mit den Hörern teilen. Vielleicht können wir ein paar Leute dazu bewegen, mit dem Lesen von Lovecraft anzufangen. Und ganz egoistisch ist es eine wunderbare Möglichkeit, nochmal alle Geschichten vom Meister so intensiv wie möglich zu lesen und teilweise wirklich neu zu entdecken.
Alex: Das heißt natürlich auch: Spoiler-Alarm! Wir besprechen die gesamte Handlung jeder Story bis zum Schluss. Klar, denn nur so können wir dann unsere Interpretationen schlüssig anfügen. Wir hoffen, dass wir auf die uns eigene Art und Weise einen Mehrwert für alle bieten können, die sich näher mit Lovecrafts Werk beschäftigen wollen. Und wie Philipp schon sagte: Ein schöner Nebeneffekt ist, dass wir durch die Arbeit am Podcast alles auch selbst nochmal intensiv durchleben, manchmal sogar bislang übersehene Texte entdecken und nach und nach vielleicht zu kleinen Werk-Experten werden.
LCO: Wie steht Ihr zu Lovecrafts - vorsichtig ausgedrückt - schwierigen Seiten? Wie geht Ihr als Kulturschaffende damit um, einen Künstler zu würdigen, der rassistische, homophobe und antisemitische Ansichten vertrat?
Philipp: Lovecraft ist ein Kind seiner Zeit. Und da gibt es einige Passagen, die – gelesen aus heutiger Sicht und mit einer freien, demokratischen und weltoffenen Gesinnung als Grundlage – einfach problematisch sind und so nicht gehen. Das gleiche Problem haben wir mit vielen anderen (westeuropäischen) Autoren dieser Zeit: Meist ist es der rationale, umsichtige und mutige weiße Hetero-Mann, der kommt, Situationen versteht und Probleme löst. Warum kann er das? Weil er aufgrund seiner Rasse und seines Geschlechts einfach überlegen ist. Ich denke da vor allem auch an die Lost-Civilization-Romane von Henry Rider Haggard oder Abraham Merritt. Dieses Weltbild war damals leider weit verbreitet und Rassismus, Homophobie und Antisemitismus Alltag. Wichtig finde ich, diese Punkte, sollten sie auftreten, klar und deutlich anzusprechen und zu thematisieren. Ich halte ehrlich gesagt nicht viel davon, Passagen zu ändern oder gar ganze Geschichten oder Autoren deswegen aus dem Diskurs zu verbannen (natürlich nur sofern ihre Werke eine gewisse literarische Relevanz haben). Vielmehr sollten diese Punkte uns Anlass geben zu reflektieren, was daran falsch ist und warum. Zudem finde ich es wichtig zu unterscheiden, ob die Werke eines Autors einem politischen Ziel dien(t)en oder nicht. Lovecraft hat aus meiner Sicht keine politische Agenda verfolgt und wollte seine Leser nicht aufstacheln. Er war offensichtlich überzeugter Rassist, homophob und antisemitisch – zumindest bis zu seiner Ehe –, und diese Ansichten sind dadurch auch ganz natürlich in seine Geschichten eingeflossen. Aber sie sind eben nicht der Grund, warum diese Geschichten entstanden sind. Lovecraft war kein Hassprediger und kein politischer Aktivist. Er war ein weißer Mann, ein Kind der Zeit des Imperialismus, der die bestehenden Narrative vorgelebt, übernommen und nicht hinterfragt hat. Wir sollten das immer wieder als Anlass nehmen, unser eigenes Weltbild zu überprüfen und den moralischen Kompass auf Kurs zu bringen.
Alex: Amen.
LCO: Was plant Ihr für die Zukunft? Wird sich noch mehr lovecrafteskes in Eurem Schaffen finden?
Philipp: Sicherlich! Lovecraft schwingt ja immer irgendwie mit, sei es beim Musizieren, beim Schreiben, beim Entwickeln von Shirt-Designs usw. Wenn wir es zeitlich schaffen, wird Ende des Jahres eine neue, Lovecraft-themed Split mit zwei unserer Black-Metal-Projekte veröffentlicht. Zudem – ich spreche jetzt für mich – möchte ich endlich mal wieder mehr Zeit ins Schreiben von eigenen Geschichten investieren. Das ist zwar gerade relativ schwierig, aber in meinem Kopf schwirren teils seit Jahren Ideen herum, die unbedingt aufs Papier gebracht gehören!
Alex: Auf alle Fälle. Wenn die Zeit es zulässt und wir weiterhin gemeinsam Musik machen, wird der Mythos niemals weichen. Der Podcast soll bis zum bitteren Ende fortgesetzt werden, was – wenn der Turnus von einer Folge pro Monat nicht erhöht wird – noch sehr lange dauern wird. Was das Schreiben angeht, so habe ich mich etwas von der Lovecraft-Thematik entfernt und versuche, meine eigene Sparte weiter auszubauen. Aber die hat der gute Howard natürlich maßgeblich geschürft, und auf die eine oder andere Weise ist sein Geist immer mit dabei.
LCO: Ich danke für Eure Zeit!
Philipp und Alex: Vielen Dank für die Möglichkeit dieses Interviews und deine Fragen! Phnglmglfnaf!
Und hier noch einmal die wichtigsten Links:
Der Podcast auf YouTube: youtube.com/playlist?list=PLQQ6o3mg6KibN_HDvCNN_Q-H6Tk12K_3O
Der Podcast auf Spotify: open.spotify.com/show/7hSW8leYumYhDDJ0EmX7Uq