Lovecrafter Online - 018 - Armitage Papiere 01: Bemerkenswerte Bücher
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derTräumer -
14. April 2020 um 12:00 -
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Die dritte Printausgabe des Lovecrafter stand im Zeichen von „50 Jahre Lovecraft in Deutschland“. Hier kamen frühe Herausgeber zu Wort und das legendäre Fanzine Ganymed Horror/Weird Fiction Times wurde vorgestellt. Ein Teil dieser Geschichte der Lovecraft-Rezeption ist auch die Geschichte der einzelnen Veröffentlichungen Lovecrafts in der deutschen Verlagslandschaft. Neben den heute bekannten Häusern, die programatisch Lovecrafts Gesamtwerk verlegt haben und damit innerhalb der Leserschaft bekannt sind (vor allem Suhrkamp und Festa), gab es auch immer wieder Veröffentlichungen, die aus dem Rahmen fielen: Entweder weil sie ihrer Zeit voraus waren, von untypischen Verlagen stammten oder eine historische Einmaligkeit waren. An dieser Stelle sollen sie Erwähnung finden.
12 Gruselstories. Die besten Horror-Geschichten von H.P. Lovecraft, dem Meister der Gänsehaut und des Makabren
Cthulhu. Geistergeschichten, welche 1968, bereits vor der Reihe Bibliothek des Hauses Usher, im Insel Verlag erschien. Dieser Band wurde auch nach der Übernahme durch Suhrkamp immer wieder veröffentlicht. Mein persönlicher Erstkontakt zu Lovecraft geschah auch über diesen legendären Band. Doch was im nostalgischen Nebel nur selten zu Tage kommt, ist die – tatsächlich – erste Buchveröffentlichung Lovecrafts in Deutschland: 12 Gruselstories. Dies ist ein wirklich beeindruckendes Werk, denn es war ein Pionier. Der Heyne Verlag hatte damals die Veröffentlichungsrechte bei Arkham House erworben und brachte einen Band mit Vorwort von August Derleth über H.P. Lovecraft und sein Werk heraus. Desweiteren enthalten sind In the Vault, Pickmans Model, The Colour Out of Space, The Haunter of the Dark, The Picture in the House, The Dunwich Horror, Cool Air, The Wisperer in Darkness, The Terrible Old Man, The Thing on the Doorstep, The Shadow over Innsmouth und The Outsider.
Immer wieder, wenn die Rede von den frühen Veröffentlichungen zu Lovecraft in Deutschland ist, schwenkt das Gespräch aufEs handelt es sich hierbei um eine Teilübersetzung des Arkham-House-Titels The Dunwich Horror and Others, in welchem zudem The Rats in the Walls, The Music of Erich Zann, The Call of Cthulhu und The Shadow Out of Time enthalten sind.
Als Übersetzer wurde Wulf H. Bergner engagiert, der einer der wohl produktivsten seiner Zunft in Deutschland ist und neben Unmengen Horror und Science-Fiction unter anderem auch in den 2000ern Stephen King übertrug. Die Übersetzung ist nicht so athmosphärisch wie die von H. C. Artmanns (Cthulhu. Geistergeschichten) aber zweckmäßig und lesbar. Das Titelbild stammt vom Atelier Heinrichs und wirkt sehr zeitgemäß für die 60er-Jahre. Der Band ist als Broschur auf Papier von schlechter Qualität gedruckt, was jedoch nur ein kleiner Minuspunkt ist.
Ein größerer Minuspunkt ist leider das Vorwort von August Derleth. Nach einer sehr kurzen biografischen Einordnung Lovecrafts widmet sich Derleth dem Werk selbst. Hier interpretiert er Lovecraft und man möchte fast meinen, dass jeder Satz, den Derleth schreibt, am Thema vorbeigeht. Er gibt ein angebliches Zitat Lovecrafts wieder (welches aber nicht erhalten ist), in dem es um Lovecrafts Idee hinter seinen Geschichten geht. Dieses Zitat wird gemeinhin die „Black Magic Quote“ genannt und (um es kurz zu machen) nennt nach Derleths Lesart als Fundament von Lovecrafts Mythos fremde Wesen, die durch die Nutzung von schwarzer Magie in der Welt wirkten und wirken. Lovecrafts Kernthema war aber nicht dieses, sondern die Bedeutungslosigkeit des Menschen in einem gleichgültigen Universum. Eine weitere Behauptung Derleths über das Werk des Mannes aus Providence ist, dass der von Derleth als Cthulhu Mythos bezeichnete Geschichtenkreis eine Metapher Lovecrafts für die christliche Legende eines dualistischen Kampfes des Guten (Gott und Engel) gegen das Böse (Teufel und Dämonen) ist. Lovecraft war Atheist und hat keine solche Aussage hinterlassen. Diese Deutung geht gänzlich auf Derleth zurück. Drittens behauptet Derleth, dass Lovecraft die Wesenheiten seines Mythos den vier antiken Elementen zugeordnet habe. Es also Wasser-, Erd-, Luft- und Feuerwesen gäbe. Auch eine solche Idee lässt sich bei Lovecraft nicht finden. Eine tiefere Kritik an Derleths Aussagen überschreitet den Rahmen dieses Textes. Dem interessierten Leser sei hier der Band Dissecting Cthulhu (Miscatonic River Press, 2013) empfohlen, herausgegeben von S. T. Joshi, welcher diverse Essays zu diesem Thema beinhaltet.
Dieser Band krankt daran, dass er zu früh kam. Zu der Zeit beanspruchte Derleth noch die Deutungshoheit über das Werk Lovecrafts und es gab noch keine nennenswerte literaturwissenschaftliche Opposition. Diese sollte erst im folgenden Jahrzehnt auf der Bühne erscheinen. Auch ist die Gestaltung und das Material des Bandes enttäuschend. Der Verlag wusste schlicht nicht, dass diese Veröffentlichung eine sorgsamere Umsetzung verdient hätte, zumal die Auswahl der Geschichten überzeugend ist.
Die Traumfahrt zum unbekannten Kadath
Kadath, welcher 1980 bei Klett-Cotta erschien. Dieser Verlag und sein Imprint „Hobbit Presse“ stehen wie kein anderer in Deutschland für eine sehr spezielle Form der Literatur, nämlich High Fantasy in der Tradition seines größten Autors, J. R. R. Tolkien höchst selbst. Um so erstaunlicher, dass der Verlag eine Geschichte eines – seiner Zeit noch – recht obskuren amerikanischen Schriftstellers unheimlicher Phantastik veröffentlicht. Lovecraft schrieb zu einer Zeit, als das Fantasy-Genre gerade erst Gestalt annahm (als den wohl wichtigsten Begründer des Genres muss der von Lovecraft verehrte Lord Dunsany genannt werden) und steht in keiner inhaltlichen Linie zu dem Professor aus Oxford. Die Vermutung liegt nahe, dass man verlagsseitig eine neue Veröffentlichung im Bereich Fantasy brauchte und dann auf den Schriftsteller aus Providence aufmerksam wurde, der zumindest etwas geschrieben hatte, was Ähnlichkeit mit einer Fantasy-Heldenreise aufweist.
Die zweite Veröffentlichung, die an dieser Stelle genannt werden soll, ist der Band Die Traumfahrt zum unbekanntenAls Übersetzer wurde niemand geringeres als Hans J. Schütz engagiert, der zu den drei großen Tolkien-Übersetzern in Deutschland gehörte. Der 1936 in Wilhelmshaven geborene Schütz war selbst eine interessante Person des Literatur-Betriebs seiner Zeit und es ist ihm gelungen, eine würdevolle und epische Version dieses Textes ins Deutsche zu bringen.
Die graphische Gestalltung ist ansprechend, doch anscheinend mussten noch Seiten gefüllt werden, um eine Gesamtzahl von 206 Seiten zu stemmen, sodass die ersten 15 Seiten aus graphischen Abwandlungen des Cover-Motives bestehen. Bereits hier zeigt der broschierte Band, dass die Kreativität des Verlags eng bemessen war.
Enthalten ist ausschließlich The Dream-Quest of Unknown Kadath. Keine weitere Traumlande-Geschichte, kein Vorwort, kein Nachwort. Das ist deswegen zumindest nachlässig, weil die „Dream-Quest“ ein stark eingebundener Text ist. Sie ist ohne das Wissen um die anderen Traumlande-Geschichten wesentlich weniger interessant, schließlich ist sie die Geschichte, in der alle Fäden aus diesem Teil von Lovecrafts Werk zusammenlaufen. Nun hätte man zumindest alle Randolph-Carter-Geschichten in einem Band vereinen können und zumindest einen losen Kontext bieten können. Doch, was tatsächlich enttäuschend ist, ist, dass dem Leser nicht einmal ein Nachwort an die Hand gegeben wird, welches die vielen wichtigen Informationen bietet, die mitgedacht werden sollten, um dieses wohl ungeordnetste und erklärungsbedürftigste Werk Lovecrafts zu verstehen. Man hätte dort von den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht über William Beckfords Vathek bis zu den Geschichten Lord Dunsanys eine Linie ziehen können und diesen Teil von Lovecrafts Werk in eine literarische Tradition stellen können. Man hätte auf die Geschichten eingehen können, die eben nicht in diesem Band enthalten sind, aber das Fundament der „Dream-Quest“ bilden. Sei es, warum Ulthar so voller Katzen ist oder was es genau mit Kuranes auf sich hat. Oder man hätte die Entstehungsgeschichte des Textes beleuchten können und mit der Biografie des Autors in einen Zusammenhang bringen können. All dies vertane Chancen und so hinterlässt dieser Band einen faden Geschmack. Tatsächlich wirkt er lustlos und wie die Pflicht und nicht die Kür.
Die Farbe aus dem Raum. Unheimliche und phantastische Geschichten
Der Schatten aus der Zeit ( der neben der titelgebenden Geschichte noch Berge des Wahnsinns enthalten hätte) in den Irrungen und Wirrungen der Wende-Zeit nicht mehr realisiert wurde.
Eine Besonderheit ganz anderer Natur ist der Band Die Farbe aus dem Raum. Dieses Buch ist ein Teil deutsch-deutscher Phantastik-Geschichte. In den letzten Atemzügen der DDR wurde es vom Verlag Das Neue Berlin veröffentlicht und gilt als einzige Buchveröffentlichung Lovecrafts im sozialistischen Deutschland. Der Herausgeber Erik Simon stellte sich im Lovecrafter Nr. 3 den Fragen von Nils Gampert. Hier erfuhren wir, dass West-Literatur in der DDR offiziell kaum stattfand und wenn, dann in Form von „Schmuggelgut“. Dieser Band entstand nicht zuletzt auch, weil das Urheberrecht Lovecrafts in der DDR 50 Jahre nach dessen Tod auslief und so eine eigene (günstige) Übersetzung, im Vergleich zum Einkauf der Übersetzung des westdeutschen Suhrkamp-Verlags, vielversprechend erschien. Der Band war relativ erfolgreich und so ist es bedauerlich, dass der von Erik Simon geplante NachfolgebandAls Übersetzer wurden neben dem Schriftsteller Karl Heinz Berger und der Anglistin Eva Affandi die Übersetzer Rainer Priebs und Michael Walter ins Boot geholt. Die Qualität ist wirklich hoch und lässt sich am besten als klassisch, aber nicht altmodisch beschreiben. Doch was hat man zu erwarten?
Der Band mit dem schlichten Schädel-Cover und wunderschönem Vorsatzpapier (Totenköpfe und Raben in Tusche) enthält Übersetzungen zu The Outsider, The Music of Erich Zann, In the Vault, The Picture in the House, The Tomb, The Shunned House, The Terrible Old Man, The Silver Key, The Cats of Ulthar, The Other Gods, The Quest of Iranon, The Doom that Came to Sarnath, Polaris, The White Ship, Celephais, The Strange High House in the Mist, The Tree, Hypnos, He, Beyond the Wall of Sleep, The Temple, Facts Concerning the Late Arthur Jermyn and His Family, In the Walls of Eryx, Cool Air, The Evil Clergyman, The Colour Out of Space.
In seinem, für die Zeit und die zu Verfügung stehenden Sekundärquellen, sehr brauchbarem Nachwort schreibt Erik Simon: „So erklärt sich die Abwesenheit von Geschichten wie Die Ratten im Gemäuer, Cthulhus Ruf, Das Ding auf der Schwelle, Pickmanns Modell und Das Grauen von Dunwich im vorliegenden Band: Sie gehören zu Lovecrafts bekanntesten, aber nicht anspruchsvollsten Arbeiten. Mit ihrem überzogenen Gebrauch der Erzähltechnik und der typischen Motive einer spezifischen Magie sind sie besonders „lovecraftsch“, bieten auch die deutlichsten Anhaltspunkte für symbolische und psychologische Ausdeutungen; doch diese Vorzüge weiß vor allem der Lovecraft-Fan oder -Forscher zu schätzen, die literarische Wirkung bei der Lektüre ist etwas anderes“ (S. 400) Dies ist eine These, die bei weitem nicht jeder teilen würde. So wird von vielen Lesern Ratten im Gemäuer besonders wegen seiner Komposition des Endes oder Cthulhus Ruf für seinen Fragment-Charakter hoch geschätzt.
Und hier wird dann auch die einzige Schwäche des Bandes klar. Denn während die Traumlande-Geschichten überproportional vertreten sind und auch eher unbedeutenden Geschichten (etwa He, Facts Concerning the Late Arthur Jermyn and His Family oder The Evil Clergyman) eine Bühne geboten wird, spart dieser Band einen beträchtlichen Teil des Schaffens Lovecrafts aus. Dem postulierten Anspruch Lovecraft einem unkundigen Publikum vorzustellen, wurde editorisch ein Korsett verpasst, welches so stark ist, dass es die Luft zum Atmen nimmt. Dies trübt die Freude über den Band leider merklich.
Abschlussgedanken
In über 50 Jahren haben viele Verlage versucht, mit dem Namen Lovecraft Bücher zu verkaufen. Die Wenigsten haben es geschafft, im Gedächtnis zu bleiben und doch haben es einige Veröffentlichungen verdient, nicht gänzlich vergessen zu werden. Wie hier gezeigt wurde, war jede der drei genannten etwas Besonderes, wenn auch jede an der einen oder anderen Sache krankte. Mittlerweile stehen im Englischen wie im Deutschen kompetente Gesamtausgaben Lovecrafts zu Verfügung und eine kritische Aufarbeitung seiner Texte wird konstant betrieben. Dennoch waren es Veröffentlichungen wie die hier besprochenen, die den Grundstein für die Gegenwart legten.
bibliographische Angaben
Lovecaft, H. P.: 12 Gruselstories. Die besten Horror-Geschichten von H.P. Lovecraft, dem Meister der Gänsehaut und des Makabren. Aus dem Amerikanischen von Wulf H. Bergner. Heyne-Anthologien Bd. 12. Heyne. 1965
Lovecraft, H. P.: Die Traumfahrt zum unbekannten Kadath. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans J. Schütz. Hobbit Presse. Klett-Cotta.1980
Lovecraft, H. P.: Die Farbe aus dem Raum. Unheimliche und phantastische Geschichten. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Erik Simon. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karl Heinz Berger, Rainer Priebs, Eva Affandi und Michael Walter. Das Neue Berlin. 1990
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