Lovecrafter Online - Xtro (1982): Lovecraft und der Große Gott Pan
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Seanchui -
16. Mai 2022 um 12:00 -
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Ab den 1960er Jahren begann das Horror- und Science-Fiction-Kino verstärkt lovecraftsche Elemente zu integrieren. Im Jahr 1982 entstand im Fahrwasser von Close Encounters of the Third Kind, Alien und The Thing unter der Regie von Harry Bromley Davenport mit Xtro eine Produktion, die sowohl die Motive der Dämonenschwängerung, das spurlose Verschwinden von Menschen als auch telekinetischer Kräfte miteinander verknüpfte. Xtro zitiert sämtliche Genre-Klassiker von David Cronenbergs frühem Body Horror (Shivers, Rabid, The Brood) bis hin zum Transformationshorror in Cat People. Am stärksten scheint der Film allerdings von Arthur Machen, H. P. Lovecraft und Robert Bloch beeinflusst zu sein.
Handlung
Xtro beginnt nach einem den Sternenhimmel zeigenden Vorspann wie eine Geschichte von Lovecraft: ein einsames Gehöft an einem sonnigen Nachmittag wird gezeigt, ein Vater spielt mit seinem Kind, als plötzlich ein Riss am Firmament entsteht, aus dem ein Blitz gleisendes Licht auf dem plötzlich völlig verfinsterten Ort des Geschehens wirft. Der Vater verschwindet spurlos. Drei Jahre später erwacht das Kind, Tony, zum wiederholten Mal aus einem Albtraum. Während der traumatisierte Junge immer wieder von einer Entführung von Außerirdischen berichtet, ist seine Mutter Rachel überzeugt, sie sei damals von ihrem Mann Sam verlassen worden und lebt zwischenzeitlich mit dem Fotografen Joe Daniels, ursprünglich ein Freund der Familie, in einem Londoner Mietshaus zusammen. Als Rachel Tony blutüberströmt in seinem Bett vorfindet und dieser behauptet, sein Vater habe dieses Blut „geschickt“, alarmiert sie einen Arzt, der sehr gegen den Widerstand des Au-Pair-Mädchens Analise eine Untersuchung durch einen Tiefenpsychologen empfiehlt. In einem Waldstück erscheint aus einer vom Feuer versengten Stelle ein schlangenartiges Wesen, das ein Paar vampirhaft tötet und eine weitere Frau vergewaltigt und schwängert. Noch in der gleichen Nacht entbindet sie einen blutigen, erwachsenen Mann – es ist Sam, der am nächsten Tag seinen Sohn von der Schule abholt und gegen den Willen von Joe bei Rachel einzieht. Der beruflich erfolgreiche Joe demütigt den aus seiner Sicht gescheiterten Sam – auf den er auch mit berechtigter Eifersucht reagiert – , während der introvertierte Tony, der außer zu seiner Schlange und einzelnen Spielzeugen kaum über Bezugsmöglichkeiten verfügt, sehr schnell wieder eine Beziehung zu seinem Vater aufbaut, auf den er so lange gewartet hatte. Als er allerdings bemerkt, dass Sam die Eier seiner Schlange isst, läuft er davon. Sam ist ein Außerirdischer, der Tony mit in eine externe Welt nehmen möchte. Durch einen Biss verleiht er seinem Sohn telekinetische Kräfte, die dieser zuerst gegen eine Nachbarin einsetzt.
Einflüsse
Arthur Machens Novelle The Great God Pan (1890) handelt von der seltsamen Schwangerschaft Marys sowie den destruktiven Fähigkeiten ihrer Tochter Helen. Signifikant in der Erzählung ist, dass der titelgebende Pan[1] – offenbar der Vater des Kindes – eben nicht selbst in Erscheinung tritt,[2] außer vielleicht als unbekleideter Mann, mit dem Helen Erinnerungen zu Folge einst im Wald gespielt haben soll. Eine ähnliche Szene findet sich in Xtro, als der unbekleidete Sam nach seiner „Geburt“ im Wald die Kleidung des getöteten Autofahrers raubt. Machen übte mit seiner sexualisierten Figur des Gottes Pan auf mehrere Lovecraft-Charaktere einen erheblichen Einfluss aus, wobei im Unterschied zu Xtro die dort beschriebenen Schwangerschaften aber tatsächlich auch neun Monate dauern: in The Dunwich Horror (1928, erstmals verfilmt 1970) findet Machens Erzählung sogar direkte Erwähnung. Der außerirdische Gott Yog-Sothoth, laut Lovecraft ein „Schlüssel“ und ein „Tor“, der sich gelegentlich als leuchtende Tentakel manifestiert – siehe die Anfangsszene, als das Tor zu der externen Welt geöffnet wird! – zeugt Wilbur Whateley, der ungewöhnlich schnell heranwächst. Zur Strafe für die Tötung von vier neugeborenen Schlangen muss eine Frau in The Curse of Yig (1928, Lovecraft verfasste die Geschichte gemeinsam mit Zealia Bishop) vier Schlangenmenschen gebären. Der titelgebende Schlangengott Yig wird als „liebender Vater“ beschrieben.
Tonys Schlange hatte vier Eier in das Terrarium gelegt, welche von Sam verzehrt werden. Schließlich landet die Schlange im Salatteller der Nachbarin, die das Tier mit einem Holzhammer erschlägt und herzlos der Mutter übergibt. Am nächsten Tag dringt Tonys lebensgroß gewordener Spielzeugsoldat in die Wohnung der älteren Frau ein und tötet sie mit seinem Bajonett. Diese Sequenz sowie die Szene, als der Spielzeug-Panzer den Freund des Au-Pair-Mädchens attackiert, erinnern an die Kurzgeschichte Battleground (1972) von Stephen King, aber auch an die Robert-Bloch-Erzählung Mannequins of Horror (1939 erschienen, 1972 als Episode von Asylum verfilmt).
In Blochs Geschichte The Shambler from the Stars (1935), in der der Schlangengott Yig ebenfalls Erwähnung findet, ist die titelgebende Figur ein außerirdischer Vampir von monströsem Aussehen. In Xtro wird die Zwischenwelt, in der Sam sich aufgehalten hat und in die er zurückkehren möchte, nicht näher beschrieben, er ernährt sich ebenfalls von Blut und in seiner außerirdischen Gestalt erzeugt er Angst und Schrecken. Seinen Konkurrenten Joe tötet er mittels eines Schreis. Die Vampirbisse, die Sam und Tony ihren Opfern zufügen, führen zu schlangenhaften Veränderungen des Körpers. Neue außerirdische Wesen wachsen in Eiern heran und die letzte Szene des Films zeigt das tentakelhafte Schlüpfen.
Fazit
Auch heute noch ist Xtro, der teilweise Kult-Status erlangt hat und andererseits fast in Vergessenheit geraten ist, ein spannender Science-Fiction-Horror mit Splatter-Einlagen, der in einer Zeit entstanden ist, in der immer wieder über angebliche Entführungen durch Außerirdische berichtet wurde. Eine der Erklärungen für dieses Phänomen lautete, dass es sich hierbei um modernisierte Fassungen mittelalterlicher Legenden über Begegnungen zwischen Menschen und Dämonen handeln würde, während psychologische Deutungen auf das Unterbewusstsein verwiesen, was im Film auch anklingt. Lovecraft hat sich ebenfalls stark mit Psychoanalyse beschäftigt. Xtro erzählt auch eine traurige Geschichte über den Verlust geliebter Menschen. Der liebende Vater Sam und sein Sohn Tony sind Charaktere, die trotz der Blutspur, die sie hinterlassen, Sympathien des Publikums genießen können. Es lohnt sich Xtro heute wieder neu zu entdecken. Fans des Cthulhu-Mythos werden an diesem Film auf jeden Fall ihre Freude haben.
- Stefan Preis
Verwendete Literatur
Derie, Bobby (2017): Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos. Ein intimer Blick auf H. P. Lovecraft und sein literarisches Erbe. Leipzig: Festa Verlag.
[1] Der Mythos des griechischen Hirtengottes übte in der spätviktorianischen Zeit starken Einfluss auf Oscar Wilde und mehrere Kurzgeschichten Sakis wie etwa in Music on the Hill aus.
[2] Ein weiteres Film-Beispiel für den Einfluss Machens ist Picnic at Hanging Rock (1975). Der Film erzählt vom unerklärlichen Verschwinden mehrerer Internatsschülerinnen und erwachender Sexualität. Obwohl die Handlung im Australien der viktorianischen Ära angesiedelt ist, wird die geheimnisvolle Flötenmusik George Zamphir als Soundtrack eingesetzt – als wäre der Gott Pan anwesend.